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Zur Herausforderung, die Lebensführung heterogener Mittelschichten zu erforschen

Nils C. Kumkar / Stefan Holubek-Schaum / Karin Gottschall / Betina Hollstein / Uwe Schimank, Die beharrliche Mitte – Wenn investive Statusarbeit funktioniert. Wiesbaden: Springer VS 2022, 337 S., kt., 42,79 €
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Published/Copyright: November 28, 2024
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Rezensierte Publikation:

Nils C. Kumkar / Stefan Holubek-Schaum / Karin Gottschall / Betina Hollstein / Uwe Schimank, Die beharrliche Mitte – Wenn investive Statusarbeit funktioniert. Wiesbaden: Springer VS 2022, 337 S., kt., 42,79 €


Investive Statusarbeit als Modus der Lebensführung der Mittelschichten

Vor dem Hintergrund einer recht beharrlichen Krisendiagnose einer abstiegsgefährdeten und verunsicherten Mittelschicht legen die Bremer Autor:innen eine qualitative Interviewstudie dazu vor, wie es um die Lebensführung von Mittelschichtsangehörigen in Deutschland bestellt ist, welche biographischen Orientierungen diese haben und welche typischen Handlungspraktiken damit einhergehen. Dazu präsentieren sie zuerst ein theoretisches Modell, das als ‚Scheinwerfer‘ den Blick auf spezifische Dimensionen wirft. Nach einer Erläuterung des Forschungsdesigns und der Methoden stellen sie zum einen drei typische biographische Orientierungen vor, zum anderen verschiedene Praktiken der Statusarbeit (und ihre Grenzen), die mit den Orientierungen, aber auch mit den lange als mittelschichtstypisch angesehenen Normen der Leistungsbereitschaft und langfristigen Planungen ins Verhältnis gesetzt werden. Das letzte Kapitel schließlich ordnet die Ergebnisse in den gegenwartsdiagnostischen Diskurs um Mittelschichten ein.

Dabei warnen die Autor:innen zu Recht davor, „gleich zum Kap. 6 vorzublättern“ (S. 9), da sie im Gegensatz zu manchen Zeitdiagnosen eben eine empirische Fundierung ihrer Erkenntnisse liefern, die erst im Durchgang durch das gesamte Buch nachvollzogen werden könne. Wir möchten das Plädoyer unterstützen: Neben oftmals stark komprimierten Aufsätzen sind gerade Monographien in der Lage, die Verknüpfung von Theorie und Empirie detailliert darzulegen und zu begründen.

Interessant ist, dass das theoretische Modell nicht für das Buch so formuliert wurde, dass es zu den Ergebnissen passt, sondern dass durch die empirischen Befunde Modell-Anpassungen vorgenommen wurden, die den theoretischen Zugang weiter konturieren. Im Modell (und in früheren Publikationen der Autor:innen, z. B. Holubek-Schaum, 2021; Schimank et al., 2014) wurde angenommen, dass eine mittlere Ressourcenausstattung in Verbindung mit bestimmten normativen Geltungen Mittelschichtsangehörigen es sowohl ermöglicht (im Vergleich zu unteren Schichten) als auch auferlegt (im Vergleich zu oberen Schichten), beständig in ihren Status zu investieren. Die Anpassung besteht darin, die biographische Orientierung der investiven Statusarbeit um zwei weitere zu ergänzen, und zwar erstens um die Gemeinschaftsorientierung, die die Anerkennung im sozialen Umfeld (und nicht den ökonomischen Status) ins Zentrum stellt, und zweitens um die Berufsstolzorientierung, bei der „berufliche Meisterschaft“ (S. 169) angestrebt wird, z. B. als Musiker:in. In beiden Fällen ist der ökonomische Status eher Mittel zum Zweck. Weiterhin gehen die Autor:innen aber davon aus, dass Mittelschichtsangehörige unabhängig von ihrer Orientierung Praktiken der Statusarbeit ausüben, seien es Aktivitäten in den Bereichen Bildung oder beruflicher Aufstieg, Engagement zur Bildung der Kinder, Entlastung bei Care-Aufgaben durch die Partnerin (typischerweise Frauen) oder im finanziellen Bereich Geldanlagen und Immobilien betreffend (typischerweise Männer). Durch diese empirischen Befunde werden instruktive Anregungen gegeben, über das, was Mittelschicht ausmacht, nachzudenken. Zuspitzend schlussfolgern die Autor:innen, dass im Gegensatz zu Diagnosen breiter Abstiege oder Polarisierungen (etwa bei Nachtwey, 2016; Reckwitz, 2017) die Lebensführung der Mittelschicht zumindest nennenswert als unaufgeregt beharrlich charakterisiert werden kann.

Konzeptionelle und empirische Herausforderungen

Ausgehend von diesen Befunden möchten wir zwei Aspekte diskutieren, die vordergründig als Kritik an der Studie daherkommen könnten, letztlich aber Herausforderungen der Ungleichheitsforschung betreffen, für die eine konkrete empirische Studie kaum mit einer generellen Lösung aufwarten kann.

1) Wie grenzt man Mittelschichten ab?

In der Soziologie ist es mit guten Gründen tendenziell üblich, Schichten nicht nur über das Einkommen zu bestimmen, sondern Aspekte wie Bildung, Qualifikation und Berufsstatus ebenfalls zu berücksichtigen (Burzan et al., 2014; Mau, 2012). Auch die vorliegende Studie orientiert sich (in Anlehnung an P. Bourdieu) an ökonomischem und an kulturellem Kapital und definiert Mittelschichten im Bereich von 70 bis 200 Prozent des mittleren gewichteten Haushaltseinkommens und mindestens Realschulabschluss – bei jüngeren Kohorten sogar mit Abitur (S. 6). Dass Fraktionierungen innerhalb der heterogenen Mittelschicht auf dieser Basis schwierig sind, zeigt sich etwa dann, wenn Hochschullehrer:innen als mittlere oder – bei fortgeschrittener Karriere – als obere Mittelschicht eingeordnet werden. Einen fließenden Übergang zu Oberschichten sehen die Autor:innen eher bei der Dominanz ökonomischen Kapitals bei größerem Kapitalvolumen (S. 42–43). Diese Ansicht ließe sich diskutieren. Wenn Professor:innen und Ärzt:innen vorwiegend mittlere Mittelschicht sind, wie ist dann beispielsweise der Altenpfleger mit Realschulabschluss einzuordnen bzw. gibt es dann überhaupt Unterschichten, die nicht zugleich in Armutslagen (üblicherweise Haushalte unter 60 Prozent des mittleren Einkommens) sind? Weshalb dieses breite Intervall gewählt wurde, bleibt offen, obwohl in der Mittelschichtsforschung oftmals Haushalte erst ab einem Einkommen von mindestens 80 Prozent des Median-Einkommens als (untere) Mittelschicht klassifiziert werden (z. B. Bosch & Kalina, 2015; Niehues, 2018). Herausforderungen zur Abgrenzung und Unterteilung setzen sich beim konkreten Sampling fort. Ein selektives Sampling nach den Kriterien Haushaltseinkommen, Bildung, Alter, Geschlecht und Familienstand (S. 69) ermöglicht ein heterogenes Fallspektrum. Die 40 Fälle schließen zudem einige Grenzfälle oberhalb und unterhalb der definierten Mittelschicht ein, um Schichtvergleiche explorativ zu berücksichtigen. Allerdings bleibt hier, sicherlich auch forschungspragmatisch bedingt, wenig Raum für ein theoretisches Sampling, das die vorab definierten Einkommensstufen weniger zentral setzen könnte. Ein gewisses Unbehagen ergibt sich auch dadurch, dass durch die sechs Einkommensstufen das Missverständnis entstehen könnte, man habe es mit Informationen aus einer quantitativen Logik zu tun (später im Text heißt es dann auch, dass die Statusinvestition erst ab 100 Prozent des mittleren Einkommens typisch werde). Qualitativ vergleicht man aber nicht Personen mit einzelnen Merkmalen, sondern typische Bedingungskonstellationen.

Das dahinterstehende Grundproblem ist, dass jemand mit Realschulabschluss und 70 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens genauso in der Mittelschicht ist wie eine Person mit Studienabschluss, einer Führungsrolle im Beruf und 200 Prozent des mittleren Einkommens. Kann man dieses Spektrum als mittlere Ressourcenausstattung und mittlere Lebenschancen (Optionen und Ligaturen) in einer Schicht zusammenfassen? Die Dimensionierung nach Einkommen und Schulabschluss in der Studie deutet schon an, dass das so einfach nicht ist. Aber im Weiteren schleichen sich eben doch Charakterisierungen ein, die auf spezifischere Vorstellungen hindeuten. So denkt man beim prinzipiell gefährdeten Status, in den es beständig zu investieren gilt, vielleicht nicht so sehr an die Gymnasiallehrerin im geerbten Eigenheim. Und man hätte die jüngere Bürokauffrau (ohne Abitur) vielleicht nicht umstandslos der Unterschicht zugeordnet (ihre ältere Kollegin aber der Mittelschicht). Auch bleibt die Kombination aus gewichtetem Haushaltseinkommen, worin eben auch ein:e Partner:in mit ggf. eigenem Einkommen und die Kinderzahl summarisch eingehen, und individuellem Schulabschluss etwas unbefriedigend. Die Wahl des Haushaltseinkommens führt beim Sampling zu einer systematischen Verzerrung ‚nach unten‘, da sich die Studie eigentlich für Haushalte interessiert, in denen Erwerbstätige leben (die im Schnitt ein höheres Einkommen beziehen als der Bundesdurchschnitt), deren Einkommen aber durch Gruppen wie z. B. Studierende oder Rentner:innen systematisch unterschätzt wird. Dies berücksichtigen die Autor:innen insofern, als sie ihre Obergrenze von 150 auf 200 Prozent in der zweiten Interviewwelle verschieben (S. 70). Mit der Wahl des Einkommenskonzepts variiert die empirisch messbare Mobilitätsdynamik im Schichtungsgefüge. Das Haushaltseinkommen überschätzt die berufsbedingten Auf- und Abstiege. So kann die Trennung eines Paares in der Folge zu unterschiedlichen Schichteinstufungen der Beteiligten führen, auch wenn sich an den individuellen Einkommen nichts verändert hat. Dies hat Rückwirkungen auf das Konzept der Statusarbeit, da es seine Relevanz auch aus der Diagnose einer verunsicherten oder abstiegsbedrohten Mitte zieht, nicht aus der persönlichen Freiheit eine Beziehung beenden zu können. Ein Schwerpunkt der Schichteinteilung auf das Einkommen vernachlässigt zudem Ausgaben (z. B. Unterhaltszahlungen) sowie Vermögen, etwa Wohneigentum.

Auch nach ‚oben‘ sind Mittelschichtsabgrenzungen häufig schwierig. So sehen die Autor:innen Statusarbeit ab dem doppelten Medianeinkommen nicht mehr als notwendig an (S. 6), sie verweist allenfalls auf die kulturelle Hegemonie dieses Lebensführungsmodus (S. 44). Gerade wenn man aber die ‚Reichtumsgrenze‘ schon bei 200 Prozent setzt und damit in etwa die oberen 10 Prozent adressiert (Brülle & Spannagel, 2023), was über 3 Mio. Haushalten entspricht, finden sich in dieser Gruppe, Politiker:innen, höhere Beamt:innen, Selbstständige mittelständischer Betriebe etc. (Bundesagentur für Arbeit, 2024). Es liegt nicht auf der Hand, weshalb diese Gruppen keine Statusarbeit leisten sollten. Auch beispielsweise Jurist:innen müssen ihre Kinder durch die Institutionen manövrieren (u. a. Wahl der besten Universität), um den (Familien-)Status zu wahren (Liebold, 2010). Die Abwehr etwa von erhöhten (steuerlichen) Abgaben (Sachweh & Eicher, 2018) oder die erhöhte politische Einflussnahme (Bödeker, 2012) deuten gleichwohl auf Statussicherungsstrategien hin. Unserem Eindruck nach zieht die Oberschicht nicht selten gerade auch aus ihrer Statusarbeit eine gewisse Legitimität ihrer Besserstellung. Versteht man das Schichtgefüge als dynamisch, dann erfordert das ‚Aufrücken‘ zumindest einiger Mittelschichtsfraktionen zudem eine Reaktion der Oberschicht, sich ‚nach unten‘ abzugrenzen.

Zu fragen ist, ob Studien es dann überhaupt leisten können, ‚die‘ soziale Mitte als Ganzes in den Blick zu nehmen. Im Sinne einer angestrebten Verknüpfung von Ungleichheitstheorie und Empirie sollte es allerdings ein Ziel bleiben, die Perspektive nicht nur auf kleine – relativ homogene – Gruppen zu richten. Gerade Grenzziehungen, vertikal wie horizontal, bleiben interessant, um Mittelschichten differenziert zu charakterisieren. Man sieht allerdings, dass auch eine reflektierte Studie wie die von Kumkar und Kolleg:innen dabei auf erhebliche Herausforderungen trifft.

2) Was ist Status – oder: Lässt sich Statusinvestition für Nicht-Absteiger überhaupt falsifizieren?

Eine zentrale empirische Erkenntnis des Buches ist, dass das Leben aller Befragten von dauerhaften Praktiken der Statusarbeit durchzogen ist (S. 270): „Alle setzen Praktiken investiver Statusarbeit ein“ (S. 175, Herv. i. Orig.). Angesichts dieses Befunds der 100-prozentigen Prävalenz interessiert sogleich, welche Bedeutung die Statusarbeit im Alltag hat bzw. wie viel Raum investive Praktiken einnehmen. Diese Frage lässt sich aus mehreren Gründen weniger zufriedenstellend beantworten. So bleibt (a) offen, ob der Modus der investiven Statusarbeit ein Modus der Lebensführung der Mittelschichten ist oder ob er der Modus ist. Geht man davon aus, dass durchaus verschiedene Modi die Lebensführung prägen können, bleibt unklar, wie bedeutsam bzw. aufwändig oder anstrengend die Statusarbeit tatsächlich ist, berichten doch zumindest einige Personen von erheblichen Anstrengungen (S. 145). Weiterhin erschwert (b) ein tendenziell inflationäres Verständnis von Status(-arbeit und -investition) die Beantwortung der Frage, welche praktische Relevanz Statusarbeit hat: vom „guten Job“ (S. 50) zur Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft (S. 79), über die Performation der ‚richtigen‘ Lebensführung (S. 50) bis hin zur Kleidungswahl beim Opernbesuch (S. 51). Ist schon die Andeutung, dass man sich für die (Aus-)Bildung der Kinder interessiere, eine Form von Statusinvestition? Die Diffusität erhöht sich noch dadurch (c), dass ein ‚objektiver‘ Maßstab von Statusgewinn zugrunde gelegt wird; nämlich Aktivitäten, die den Status sichern oder weiter verbessern (S. 175), ohne subjektive Vorstellungen von Statuserhalt oder Statusgewinn in Rechnung zu stellen. Herr Wisch beispielsweise bilanziert mit Stolz, dass er seit Beginn seiner Berufslaufbahn am gleichen Arbeitsplatz gearbeitet habe (S. 86). Wie ist ein solcher Fall nun einzuordnen? Streng genommen ist maximal von Statuskontinuität auszugehen, die durchaus auch Statusarbeit erfordern kann, indem man immer wieder unter Beweis stellt, dass man ‚der Richtige‘ für die Position ist. Auch ein Statusabstieg ist denkbar, hält man sich die über die Jahrzehnte wandelnden Hierarchiestrukturen in Unternehmen vor Augen. Gleichwohl muss das Halten einer erreichten Position im Selbstverständnis – so wie bei Herrn Wisch – keineswegs als Statusverlust gedeutet werden. Anders gesagt: Das Ziel von Statusarbeit muss individuell nicht zwangsläufig mit einem ‚Aufstieg‘ im herkömmlichen Sinne assoziiert sein. Gerade diese Unschärfe bringt eine etwas inflationäre Verwendung von Statusinvestition mit sich, wenn für das Ergebnis der Statuskontinuität tendenziell immer auch Investitionen unterstellt werden. Trotz empirischer Hinweise auf eine „große Spannbreite von Praktiken“ (S. 176) in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen fokussiert sich das Buch (d) auf die berufliche Statusarbeit, auch weil sie dort „am ehesten und deutlichsten zum Ausdruck kommt“ (S. 75–76). So ist der Forschungsgegenstand streng genommen nicht ‚die‘ Mittelschicht, sondern die erwerbstätige Mittelschicht. Für die Einzelfälle kann so aber nur vage ein Verständnis entwickelt werden, wie viel Statusarbeit geleistet wird, weil sich Statusarbeit nicht im Beruf erschöpft. Die Gruppe etwa der Gemeinschaftsorientierten, der vergleichsweise wenig Statusarbeit attestiert wird, verfolgt womöglich nur eine andere Strategie und investiert vor allem in soziales Kapital (was erneut subjektive Faktoren einer Typisierung relevant macht). Gerade da die Autorenschaft auch mit Bourdieu argumentiert, ist von einer Konvertierbarkeit auch sozialen Kapitals auszugehen, das nicht weniger wertvoll ist als kulturelles Kapital, wenn etwa Herr Schulz darauf zählen kann, dass ihm seine „Fußballkumpels“ beim Hausbau helfen (S. 92, Herv. i. Orig.) oder die Stellensuche erleichtern (S. 91). Um die subjektive Bedeutung von Statusarbeit verstehen zu können, bräuchte es nicht nur einen Vergleich verschiedener Lebensführungsmodi, sondern auch den Vergleich verschiedener „Investitionsarenen“ (S. 270), die über den Beruf hinausgehen. Neben der Frage, welche Praktiken als Statusarbeit zu verstehen sind, ist zu fragen (e), wie bewusst Statusarbeit erfolgen muss, um als solche bezeichnet werden zu können. Heißt Statusinvestition bereits, dass jemand durchgängig erwerbstätig war, ohne Deklassierungen hinnehmen zu müssen? Ist der berufsbedingte Umzug ins Dreiländereck, der (eher beiläufig) mit dem Besuch einer bilingualen Kita einhergeht, als strategische Statusarbeit zu bewerten? Der Statusarbeit liegt eine recht individualistische Vorstellung zugrunde, demzufolge die Mittelschichtsangehörigen aus zahlreichen Optionen strategisch die klügsten Entscheidungen treffen müssten, um den Status (und den der Kinder) zu sichern. Dabei führen auch gesellschaftliche Entwicklungen (wie die Bildungsexpansion) zu sozialen Aufstiegen, und auch Institutionen (z. B. Schulen, Universitäten) entfalten Eigendynamiken, die individuelle Zurechenbarkeiten erschweren. Man könnte also fragen: Wie hoch war der jeweilige Eigenanteil der rekonstruierten Statusarbeit tatsächlich? Damit ist auch die methodische Herausforderung angesprochen, wie aus Erzählungen ex post identifiziert werden kann, ob sich bestimmte biographische Ereignisse oder Abschnitte tatsächlich so geplant vollzogen haben, wie es die Interviewten im Nachhinein erzählen. So darf bezweifelt werden, dass Frau Michels ihren ersten Ehemann nur deshalb geheiratet hat, weil sie ihn aus Statusgründen „gebraucht“ hat (S. 144). Ein letzter Aspekt (f) betrifft die zeitliche Dimension. Die Autor:innen interessieren sich für „heiße Phasen“ (S. 231) der Statusarbeit, die man im Lebensverlauf wohl an wenigen Händen abzählen kann, unterstellen aber zugleich eine permanente Statusarbeit und hinzukommend Praktiken, die nicht zum expliziten Wissensbestand gehören müssen (S. 271). Betrachtet man die genannten Aspekte zusammen, wird es schwierig, bei Menschen, die (unabhängig von ihrem (Zeit-)Aufwand) vergleichsweise kontinuierlich erwerbstätig sind, Statusinvestitionen überhaupt zu falsifizieren. Damit reduziert sich jedoch die Aussagekraft des Konzepts. Auch muss sich das Konzept der Statusarbeit (wie auch andere Ungleichheitskonzepte) die Frage gefallen lassen, ob es eine Entsprechung in den Köpfen der Menschen findet. Aus dem Material schließen die Autor:innen, dass investive Praktiken „nur zum Teil explizit als solche verhandelt werden“ (S. 219). Ist Statusarbeit ein geeignetes Konzept, um Handlungsweisen (der Lebensführung) zu erklären, wenn Mittelschichtsangehörige (zumindest scheinbar) wenig(er) strategisch agieren und der Gebrauchswert etwa von Bildung und Beruf den Tauschwert übersteigt? So wird etwa das Konzept der Statusangst oder dem Statusunbehagen (Delhey & Lübke, 2019) sowohl von der Autorenschaft als auch den Interviewten nicht verwendet, obwohl man doch meinen könnte, dass eine investive Statusarbeit zumindest in Teilen mit Statusängsten einhergehen könnte.

An einer anderen Stelle in der Studie heißt es, dass die Typen der Lebensführung in der Mittelschicht nach Anerkennung streben, sei es aufgrund der Berufskarriere, der fachlichen Meisterschaft oder als besondere Persönlichkeit in einer Gemeinschaft (S. 163). Nach ‚oben‘ wird eine Grenze dann dadurch gezogen, dass sich bei höheren Ressourcen solche Orientierungen nicht gegenseitig ausschließen müssen (S. 163). Auch hier liegt eine gewisse Inflationierung des Statusbegriffs vor, insofern das Statusstreben sich sowohl auf Ressourcen und das Berufsprestige richten kann, aber auch z. B. auf Anerkennung in einer Gemeinschaft. Anerkennungs- und Verteilungsfragen sind aber analytisch (Kastner, 2020) und empirisch (Ebner & Rohrbach-Schmidt, 2021) zwei verschiedene Dinge, und in der Studie beziehen sie sich auch unterschiedlich stark auf ökonomische und berufliche Aspekte. Insgesamt stellt die Studie zu allerlei verwandten Konzepten Bezüge her, ohne dass deren Verhältnis genauer expliziert wird. Beim Lesen ergab sich uns das Bild einer Art ‚Konzept-Matroschka‘. Die berufliche Statusarbeit ist die kleinste Puppe, die dann von den nächst ‚größeren‘ Konzepten wie Statusarbeit, Identität (S. 163), Anerkennung (S. 108) oder dem sozioökonomischen Status (S. 176) umschlossen wird. So fragt man sich beispielsweise, ob Statusarbeit auch Anerkennungsarbeit ist und umgekehrt. Hier sehen wir eine grundsätzliche Herausforderung, Konzepte so aufeinander abzustimmen, dass sie nicht beliebig oder austauschbar wirken.

Differenzierte Einblicke in eine weniger von Statusangst geplagte Mittelschicht

Die Ebene der statusbezogenen Handlungspraxis erweist sich auch bei Kumkar et al. als differenziert. Beispielsweise unterscheiden sich Praktiken teilweise nach der biographischen Orientierung (z. B. ziehen gemeinschaftsorientierte Menschen der Statusinvestition eher Grenzen) oder nach dem Alter (für Jüngere ist Statusarbeit in der Regel aufwändiger als für beruflich Etablierte). Zudem werden die als der Mittelschicht typisch zugeschriebenen Normen der langfristigen Planung und der Leistung einer genaueren Überprüfung unterzogen; und auch hier wird deutlich, dass durchgängige Muster schwer zu finden sind. Das entspricht auch den Befunden einer Studie von N. Burzan und Kolleg:innen (Hense et al., 2024 i. V.), die ebenfalls Typen der intergenerationellen Statusreproduktion in Familien gefunden haben, die unterschiedlich stark auf langfristige oder sukzessive Planung ausgerichtet sind (ohne sukzessive Planung als Scheitern oder suboptimalen Plan B zu verstehen) und die unterschiedlich ambitioniert, pragmatisch oder relativierend mit dem Leistungsanspruch umgehen – ohne dabei in eine fatalistische Grundhaltung zu verfallen.

Die Stärke der Studie von Kumkar et al. besteht mit Blick auf Statusarbeit darin, deren Differenzierungen und Brüche im Kontext mittelschichtstypischer Lebensführungen aufzuzeigen. Nicht immer sind ausgeprägte Statusinvestitionen in einer Karrierephase weiter notwendig, nicht immer ist z. B. die langfristige Planung ein typischer Maßstab der Orientierungen. Die Zuspitzung der auf Handlungsebene erkannten Statusinvestition ist vielleicht einem Unbehagen geschuldet, das theoretische Modell nach der Relativierung bezüglich biographischer Orientierungen nicht auch noch bezüglich der Handlungsebene zu sehr zu ‚verwässern‘. Dabei liefert die Studie Fundierungen für instruktive Zusammenhänge, die ohne das Bestehen auf die ‚irgendwie‘ erkennbare Statusinvestition Erkenntnisgewinne für die Lebensführung von Mittelschichtangehörigen liefern. Zugleich stellen sie der recht undifferenzierten Krisendiagnose den gewinnbringenden Befund nicht selten unaufgeregter Mittelschichtangehöriger, die beharrlich ihre biographischen Orientierungen verfolgen (S. 294), gegenüber. Für die notwendige – auch theorieorientierte – Forschung, was Klassen und Schichten mit ihren vertikalen und horizontalen Differenzierungen heutzutage ausmacht, leisten die Autor:innen einen wertvollen Beitrag. Die Studie beantwortet die Frage nach der Lebensführung in verschiedenen Mittelschichtsegmenten dabei nicht abschließend, sondern stellt eine wichtige Etappe auf dem weiteren Weg der Forschung dar.

Literatur

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Schimank, U., Mau, S., & Groh-Samberg, O. (2014). Statusarbeit unter Druck? Zur Lebensführung der Mittelschichten. Beltz Juventa. Search in Google Scholar

Online erschienen: 2024-11-28
Erschienen im Druck: 2024-11-27

© 2024 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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  1. Frontmatter
  2. Frontmatter
  3. Editorial
  4. Symposium
  5. Zur Herausforderung, die Lebensführung heterogener Mittelschichten zu erforschen
  6. Und ewig grüßt die Mittelschicht
  7. Quo vadis, deutsche Mittelschicht?
  8. Essay
  9. In welcher Soziologie arbeiten (und leben) wir? Eine Einladung.
  10. Datenwissenschaften als Zwischenraum
  11. Sammelbesprechung
  12. Soziologisches Orientierungswissen in der COVID 19-Pandemie
  13. Disability Studies, Teilhabeforschung und die Soziologie – „Behinderung“ im Spannungsfeld von (Inter-)Disziplinarität und Politisierung
  14. Doppelbesprechung
  15. Perspektiven auf sozialen Zusammenhalt
  16. Die Wissenssoziologie nach Foucault und ihre Forschungsprogramme
  17. Einzelbesprechung Co-Parenting
  18. Christine Wimbauer, Co-Parenting und die Zukunft der Liebe: über post-romantische Elternschaft. Bielefeld: transcript Verlag 2021, 298 S., kt., 29,00 €
  19. Einzelbesprechung Feminismus
  20. Katharina Hoppe, Donna Haraway zur Einführung. Hamburg: Junius 2022, 228 S., kt., 15,90 €
  21. Einzelbesprechung Islamischer Religionsunterricht
  22. Anna Körs (Hrsg.), Islamischer Religionsunterricht in Deutschland: Ein Kaleidoskop empirischer Forschung. Wiesbaden: Springer VS 2023, 188 S., eBook, 64,99 €
  23. Einzelbesprechung Organisationssoziologie
  24. André Kieserling / Martin Weißmann (Hrsg.), Organisierte Grenzrollen: Außendienst und Publikumskontakte in soziologischer Perspektive. Wiesbaden: Springer VS 2023, 432 S., eBook, 59,99 €
  25. Einzelbesprechung Phänomenologische Soziologie
  26. Robert Gugutzer, Das Pathos des Sozialen: Beiträge zur Neophänomenologischen Soziologie. Weilerswist: Velbrück, 2023, 300 S., kt., 29,90 €
  27. Einzelbesprechung Rechtsextremismus
  28. Andreas Zick / Beate Küpper / Nico Mokros (Hrsg.), Die distanzierte Mitte: Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland. Bonn: J. H. W. Dietz Verlag 2023, 424 S., kt., 17,00 €
  29. Einzelbesprechung Sportsoziologie
  30. Karl-Heinrich Bette / Felix Kühnle, Flitzer im Sport: Zur Sozialfigur des Störenfrieds. Bielefeld: transcript 2023, 202 S., kt., 29,50 €
  31. Einzelbesprechung Visuelle Soziologie
  32. Franz Schultheis / Stephan Egger / Charlotte Hüser, Habitat und Habitus: Pierre Bourdieus visuelle Soziologie. Wiesbaden: Springer VS 2023, 275 S., eBook, 74,99 €
  33. Rezensentinnen und Rezensenten des 4. Heftes 2024
  34. Eingegangene Bücher (Ausführliche Besprechung vorbehalten)
  35. Gesamtverzeichnis 2024 der besprochenen Bücher
  36. Gesamtverzeichnis 2024 der eingegangenen Bücher
Downloaded on 12.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/srsr-2024-2067/html
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