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Katharina Hoppe, Donna Haraway zur Einführung. Hamburg: Junius 2022, 228 S., kt., 15,90 €

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Published/Copyright: November 28, 2024
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Katharina Hoppe, Donna Haraway zur Einführung. Hamburg: Junius 2022, 228 S., kt., 15,90 €


Angesichts der Prominenz der Figur Donna Haraway – Biologin und feministische Theoretikerin mit wissenschaftlicher Reichweite weit über diese Felder hinaus – ist es eigentlich überraschend, dass eine systematische Einführung in ihr (bisheriges) Gesamtwerk bis dato ausblieb. Katharina Hoppe gelingt es mit ihrer Junius-Einführung nun, diese Leerstelle in einer gleichzeitig zugänglichen und der Komplexität und Vielschichtigkeit des Denkens der „schillernde[n] Referenz“ (S. 9) Donna Haraway gerecht werdenden Art und Weise zu schließen. Ihr Befund einer oft selektiven und ans Reduktive grenzenden Rezeption von Donna Haraways Arbeiten (z. B. S. 17, S. 112) stellt dabei eines der stärksten Argumente für die Notwendigkeit der „Einführung“ dar. Schon mit ihrer 2021 erschienenen Dissertationsschrift „Die Kraft der Revision. Epistemologie, Politik und Ethik bei Donna Haraway“ hat sich Katharina Hoppe als hervorragende Kennerin Donna Haraways ausgewiesen. Ihr Verdienst besteht dabei meines Erachtens nicht zuletzt in einer sprachlich-kulturellen Übersetzungsleistung, die Haraways im US-amerikanischen Raum situiertes, von Wortspielen und kulturellen Anspielungen nur so strotzendes Denken in einen deutschsprachigen Wissenschaftskontext überführt.

Die Einführung folgt entlang vier zentraler harawayscher Figurationen und damit verknüpfter Schlüsseltexte lose der chronologischen Entwicklung von Donna Haraways Werk. In einem ersten Kapitel werden gebündelt um die Figuration der Primaten, Protagonist:innen von Haraways früher Monografie „Primate Visions“ (1989), wissenschaftstheoretische Überlegungen der Denkerin fokussiert. Im Zentrum steht Haraways Wissenschaftskritik mit dreifacher Stoßrichtung – kapitalismuskritisch, postkolonial-antirassistisch und feministisch (vgl. S. 27) – sowie deren gleichzeitiges Ringen um einen (anderen) Objektivitätsbegriff, der Subjekte als „unabgeschlossen und transformierbar“ (S. 43) fasst, und den diesen in der Wissensproduktion gegenüberstehenden Objekten („Natur“) eine nicht zu tilgende Eigensinnigkeit zuspricht (S. 47–52). Ausgangspunkt des anschließenden Kapitels bildet die harawaysche Zeitdiagnose der „Technowissenschaften“, in der Haraways sicherlich berühmt-berüchtigste Figuration in Erscheinung tritt: der/die Cyborg. Katharina Hoppe widmet einen guten Teil der Auseinandersetzung hier der oft verkürzten Rezeption des „Manifest für Cyborgs“ (1985). Der weitere Verlauf des Kapitels spinnt mittels drei weiterer Figurationen, der „bescheidenen Zeug*in“, „FemaleMan©“ und der „OnkoMausTM“ einen Faden von Haraways „Programm feministischer Technowissenschaften“ (S. 71) hin zu ihrem Plädoyer für eine involvierte, nicht-reflektive Wissenspraxis. Das dritte Kapitel taucht mit der nun tonangebenden Figur(ation) der Hunde ein in Haraways Theoriebildung seit der Jahrtausendwende. Katharina Hoppe stellt hier die Kategorie der Gefährt:innenspezies als Versuch der Ausarbeitung einer „relationale[n] Ontologie“ (S. 101) heraus und diskutiert die von Haraway im Anschluss daran entwickelte Ethik der nicht-vereinnahmenden Begegnung mit dem nicht-menschlichen Anderen. Die daraus hervorgehende, von Katharina Hoppe als „Ethik des Antwortens“ (S. 192) bezeichnete ethisch-politische Haltung sei dabei nicht allein auf 'das (gute) Leben' ausgerichtet, sondern nehme auch „die politische Frage [in den Blick], wie sich 'Leben' ontologisch verstanden als Prozess des Tötens besser gestalten lässt“ (S. 131). Daran anschließend kreist das letzte Kapitel um Donna Haraways Interventionen in die Debatten rund um den Anthropozänbegriff. Der diese jüngste Schaffensphase Haraways programmatisch zusammenfassende Slogan „Macht euch verwandt, nicht Babies!“ wird dabei einerseits in Bezug zu dem, wie Katharina Hoppe hervorhebt, sowohl deskriptiv als auch normativ operierenden „Motiv speziesübergreifender Verwandtschaft“ (S. 175) gesetzt, das Haraway anhand der Figuration der „Kritter“ verhandelt. Andererseits wird der kontrovers diskutierte und auch von Katharina Hoppe als problematisch eingestufte zweite Teil des Slogans besprochen, der Haraways Versuch einer feministischen Einmischung in Debatten zum weltweiten Bevölkerungswachstum darstellt. Das Buch schließt mit einem bilanzierenden Blick auf Haraways Gesamtwerk.

In meinen Augen hat Katharina Hoppes „Einführung“ drei große Vorzüge: Erstens wirken vielfache theoretisch-philosophische Kontextualisierungen einem allzu leichtfertigen Hantieren mit harawayschen Konzepten entgegen, das in der (vor allem nicht spezifisch mit Haraway befassten, aber auf deren Begrifflichkeiten rekurrierenden) Literatur häufig anzutreffen ist. So wird etwa der Begriff der „response-ability“ in seiner engen philosophischen Verwandtschaft mit den Verantwortungsethiken von Levinas und vor allem Derrida erschlossen (S. 116–123). Dadurch tritt – statt eines reinen 'buzzwords' – ein ethisches Konzept zutage, das in der Begegnung mit dem (gerade auch nicht-menschlichen) Anderen eine „riskante Praxis [sieht], die Selbstverhältnisse und Selbstverständlichkeiten erschüttern kann“ (S. 123). Ähnliches gilt für Haraways vielzitierten Ansatz des „situierten Wissens“. Katharina Hoppe verortet dieses Theorem in Haraways kritischer Auseinandersetzung mit feministischer Standpunkttheorie (S. 41–43) und macht deutlich, dass der daraus resultierende Objektivitätsbegriff keinesfalls aufgeht in einer vielfach angetroffenen „Rezeption [...] als identitäre[r] Verpflichtung“ (S. 46). Dass harawaysche Begrifflichkeiten zu 'geflügelten Worten' werden, spricht natürlich einerseits für deren Prägnanz, wird ihrer theoretischen Tiefe aber kaum gerecht. Das hier besprochene Buch bietet Handwerkszeug für eine differenziertere Bezugnahme.

Zweitens ermöglicht es Katharina Hoppes „Einführung“, durch das Aufzeigen werkübergreifend wiederkehrender Motive eine innere Kohärenz in Haraways Gesamtwerk herzustellen. Damit kann eine Lesart nuanciert werden, die eine absolute Unterscheidung zwischen Früh- und Spätwerk vornimmt, und der Schaffensphase ab dem „Companion Species Manifesto“ (2003) weitgehend die politische Relevanz abspricht (z. B. Gardey, 2013; Lewis, 2017). Zwei dieser Motive möchte ich kurz herausgreifen, zunächst die beständige Verknüpfung eines kritisch-dekonstruktivistischen mit einem affirmativen Moment und dann das Beharren auf einem „nicht-unschuldigen“ Theorisieren. Ersteres wird besonders in Haraways Auseinandersetzung mit wissenschaftstheoretischen Fragen deutlich, die in Katharina Hoppes Darstellung von der Maxime „Erfindet die Natur neu!“ (S. 19) geleitet ist. In ihr zeigt sich bereits sowohl ein kritischer Impetus – der sich der patriarchal-kolonialen Prägung von Wissenschaft genauso bewusst ist wie der Konstruiertheit von „Natur“ – als auch eine affirmative Dimension, die sich von „Natur“ (und Wissenschaft) nicht abwendet, sondern gewissermaßen zum Mit- und Anderskonstruieren aufruft. Katharina Hoppe theorisiert dieses harawaysche 'sowohl-als-auch' explizit im Kontext von Donna Haraways Arbeiten zur feministischen Aneignung der Technowissenschaften (S. 86–93). Deren Ziel sei es schlussendlich, „Welt(en) zu artikulieren“ (S. 91) statt nur die Geste der Entlarvung zu bedienen. Diese Geste beherrscht Haraway freilich auch meisterhaft, wie Katharina Hoppes Skizze ihrer Kritik der Ausbeutung von patentierten Labororganismen wie der „OnkoMausTM“ offenbart (S. 78–82). Obwohl Katharina Hoppe Haraways „Chthulucene“-Geschichten eine Schlagseite zum (über-)affirmativen attestiert (S. 158–160), kann argumentiert werden, dass schon in Haraways Zurückweisung des Anthropozänbegriffs und ihrer Solidarisierung mit dem Konzept des „Kapitalozän“ von Jason Moore (S. 148–153) wieder auch ein kritischer Impuls liegt. Eine etwas anders gelagerte Gleichzeitigkeit von 'negativem' und affirmativen Moment findet sich in Haraways Engführung von Leben und Töten, also der ethisch-politischen Position, „dass Leben in ökosystemischer Eingebundenheit auch ein gleichzeitiges Töten bedeutet“ (S. 131). Hier klingt schon das Motiv der Nicht-Unschuld an, das sich als praktisch allgegenwärtige Grundströmung durch Haraways Denken zieht (z. B. S. 43). Für eine Illustration eignen sich besonders gut Haraways beide Manifeste mit ihren Figurationen der/des Cyborg und der anhand von Hunden konzeptualisierten Gefährt*innenspezies. Während die Nicht-Unschuld der Cyborg-Figuration gerade im zeitgeschichtlichen Kontext des Manifests wenig überrascht – hier liegt die spezifisch harawaysche Nicht-Unschuld eher in einer Aneignung dieser bedrohlich anmutenden Figur für feministisches Denken – mag die Figuration der Gefährt*innenspezies erst einmal Erwartungen eines harmonisch konzipierten Miteinanders von Mensch und Tier wecken. Wie Katharina Hoppe herausarbeitet, unterstreicht Haraway aber auch hier die „komplizierten, machtvollen und auch destruktiven Qualitäten der Beziehungen“ (S. 103). Die Qualität der Ambivalenz wohnt beiden inne, der Cyborg-Figuration und der Figuration der Gefährt*innenspezies. Katharina Hoppe fasst deren Verhältnis zueinander dann auch als eines der „produktive[n] Irritation und Ergänzung“ (S. 112). Statt von einem mit dem „Companion Species Manifesto“ einsetzenden Bruch in Haraways Werk spricht sie von einer „Ausweitung und Radikalisierung der These einer grundlegenden Verwobenheit von Natur und Kultur“ (S. 98–99).

Zu guter Letzt sehe ich drittens eine große Stärke von Katharina Hoppes „Einführung“ in der konsequenten und umfassenden Einbindung und Einordnung der Rezeptionsgeschichte von Donna Haraways Texten. Letztere zeichnet das Bild einer immer schon – und nicht etwa erst seit ihrer 'Beschäftigung mit Hunden' – streitbaren Denkerin, die in diesem Sinne ihr Postulat eines nicht-unschuldigen Theorisierens bestens erfüllt.

Katharina Hoppe gibt in diesem Buch interessierten Studierenden die Mittel dazu an die Hand, sich auf die teils verschlungenen Pfade von Donna Haraways Denken zu begeben. Gleichzeitig bietet sie fortgeschritteneren Wissenschaftler:innen eine fundierte und kontextualisierte Systematisierung ihres Werks. Dabei besticht das Buch durch eine klare Sprache und eine immer nachvollziehbare Argumentation. Wie schon zuvor das zusammen mit Thomas Lemke verfasste „Neue Materialismen zur Einführung“ (2021) hat auch Katharina Hoppes „Donna Haraway zur Einführung“ großes Potenzial, zum Klassiker zu avancieren.

Literatur

Gardey, D. (2013). Donna Haraway: Poétique et politique du vivant. Cahiers du Genre, 55, 171–194.10.3917/cdge.055.0171Search in Google Scholar

Hoppe, K. (2021). Die Kraft der Revision. Epistemologie, Politik und Ethik bei Donna Haraway. Campus Verlag.Search in Google Scholar

Hoppe, K., & Lemke, T. (2021). Neue Materialismen zur Einführung. Junius.Search in Google Scholar

Lewis, S. (2017). Cthulhu plays no role for me. Viewpoint Magazine. https://viewpointmag.com/2017/05/08/cthulhu-plays-no-role-for-me/#rf55-7774Search in Google Scholar

Online erschienen: 2024-11-28
Erschienen im Druck: 2024-11-27

© 2024 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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