Bildungsaufstieg als epistemologische Herausforderung
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Flora Petrik
Flora Petrik , M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Allgemeine Pädagogik an der Eberhard Karls Universität Tübingen. In ihrer Dissertation untersucht sie die Erfahrungen von Bildungsaufsteiger*innen an deutschen und österreichischen Universitäten. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen soziale Ungleichheit, Biographie, Wissenschaftstheorie, interpretative Sozialforschung und soziale Klasse.
Abstract
In den letzten Jahren lässt sich in Wissenschaft wie Literatur eine Zuwendung zu jenen Akteur:innen beobachten, die ihrem vermeintlich vorgegebenen gesellschaftlichen Schicksal entrinnen und Klassenschranken überqueren: Bildungsaufsteiger:innen. Der Beitrag nimmt diese Debatte zum Anlass, um sich dem erkenntnistheoretischen und politischen Status des Phänomens „Aufstieg durch Bildung“ zuzuwenden. Im Rückgriff auf bildungstheoretische und -soziologische Arbeiten versucht er zu plausibilisieren, inwiefern sich der Bildungsaufstieg als epistemologische Herausforderung begreifen lässt. Die Untersuchung sozialer Mobilität durch Bildung stiftet demnach nicht nur Erkenntnis, sondern läuft zugleich Gefahr, zu einem Einfallstor für ideologische Verkürzungen zu gerinnen. Diskutiert wird dies anhand von vier Aspekten: der Immunisierung meritokratischer Verhältnisse, der Kulturalisierung von Ungleichheit, der verheißungsvollen Rede von Bildung und der Blickverschiebung von der sozialen Klasse zum Aufstieg. Zur Folge haben die hier angeführten Einwände jedoch kein Plädoyer für eine Abkehr von der Untersuchung des Aufstiegs, sondern für eine gesteigerte Komplexität der Debatte. Welche Konsequenzen dies für die Erforschung von Bildungsungleichheiten hat, wird abschließend zum Gegenstand gemacht.
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Flora Petrik, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Allgemeine Pädagogik an der Eberhard Karls Universität Tübingen. In ihrer Dissertation untersucht sie die Erfahrungen von Bildungsaufsteiger*innen an deutschen und österreichischen Universitäten. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen soziale Ungleichheit, Biographie, Wissenschaftstheorie, interpretative Sozialforschung und soziale Klasse.
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