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Intelligente Wertschöpfungsnetzwerke für individuelle Fahrzeugentwicklung

  • Jakob Bönsch

    Jakob Bönsch, M. Sc., geb. 1993, studierte Maschinenbau mit Vertiefungsrichtung Produktionstechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informationsmanagement im Ingenieurwesen (IMI) des KIT.

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    , Vladimir Jelschow

    Vladimir Jelschow, M. Sc., studierte Maschinenbau an der Universität Stuttgart und ist seit 2018 Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Digitalisierungsstrategie und Technologiemanagement des Fraunhofer IPA in Stuttgart.

    , Moritz Haking

    Moritz Haking, M. Sc., geb. 1999, studierte Industrial Engineering an der FH Aachen; Missouri State University und der Hochschule Osnabrück. Seit 2024 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Digitalisierungsstrategie und Technologiemanagement des Fraunhofer IPA in Stuttgart.

    , Sleiman Bobbou

    Sleiman El Bobbou, M. Sc., geb. 1994, studierte Maschinenbau mit Vertiefungsrichtung Allgemeiner Maschinenbau am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informationsmanagement im Ingenieurwesen (IMI) des KIT.

    und Oliver Deisser

    Dipl.-Ing. (FH) Oliver Deißer, geb. 1974, studierte Maschinenbau mit Fachrichtung Fahrzeugtechnik an der TH Augsburg. Nach dem Studium arbeitete er drei Jahre lang bei der smart GmbH in der Gesamtfahrzeug-Vorentwicklung, bevor er 2005 ans DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte in den Bereich Fahrzeugkonzepte und Komponentenleichtbau als Wissenschaftlicher Mitarbeiter wechselte.

Veröffentlicht/Copyright: 10. Dezember 2024
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Abstract

Die Entwicklung und Produktion von individuellen Fahrzeugen in Kleinserien bietet ein bislang nicht gehobenes und von Konzernen und großen OEMs vernachlässigtes Marktpotenzial. Der Aufbau eines digitalen Ecosystems für individuelle Fahrzeugentwicklung gibt kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit, dieses Marktsegment selbst zu besetzen. Der gemeinsame Datenraum und standardisierte Kernleistungen ermöglichen eine radikale Zusammenarbeit entlang des gesamten Ende-zu-Ende-Prozesses.

Abstract

The development and production of customized vehicles in small series represents an untapped market potential that has been overlooked by large corporations and major OEMs. Establishing a digital ecosystem for individualized vehicle development provides small and medium-sized enterprises the opportunity to capture this market segment themselves. A shared data space and standardized core services enable radical collaboration along the entire end-to-end process.

Intelligente Wertschöpfungsnetzwerke im Mittelstand

Die fortschreitende Digitalisierung und die Deregulierung der Märkte haben den Weg für neue Wertschöpfungssysteme geebnet. Insbesondere dezentral organisierte Ecosysteme gleichberechtigter Partner eröffnen Unternehmen innovative Chancen für die Zusammenarbeit. Diese Netzwerke, die als Analogie zu einem biologischen Ökosystem verstanden werden können, bestehen aus einer Vielzahl heterogener Akteure, deren Erfolg wechselseitig voneinander abhängt. Im Zentrum dieser Wertschöpfungsnetzwerke steht die dynamische Zusammenarbeit von Einzelunternehmen, die in wechselnden Allianzen Produkte und Dienstleistungen bereitstellen. Diese kooperative Organisationsform kann für Unternehmen, die ihre Marktposition durch strategische Allianzen und flexible Produktionsprozesse stärken, einen erheblichen Wettbewerbsvorteil bieten.

Das Forschungsprojekt „IntWertL – Intelligente Wertschöpfungsnetzwerke für Leichtbaufahrzeuge geringer Stückzahl“ bringt gut 20 Organisationen aus Wissenschaft und Wirtschaft – vom kleinen OEM über Ingenieurbüros und Zulieferer bis zum Softwareentwickler – zusammen, um die Grundlage für ein solches Ecosystem aufzubauen.

Geringe Stückzahl – Große Wirkung

Ökonomisch, ökologisch sowie soziokulturell unterliegt der Mobilitätssektor derzeit einem fundamentalen Wandel. Der globale Wettbewerbsdruck nimmt rasant zu, Nachhaltigkeit und Klimaschutz wandeln sich von einem Zusatznutzen zum obligatorischen Ziel, während die klassische, individuelle Mobilität zunehmend an Akzeptanz in der Gesellschaft verliert. Konzeptleichtbau bietet mit neuen Formen der Mobilität ressourcensparende und akzeptable Alternativen, hier mit der sogenannten Use Case-optimierten Mobilität. Neue Transportmittel und -konzepte liegen prototypisch vor, ihre Einführung scheitert jedoch meist an dem noch hohen Kosten- und Koordinationsaufwand sowie der Komplexität ihrer in kleinen Stückzahlen erforderlichen Produktion.

Der hier vertretene Ansatz der verteilten Entwicklungs-, Konstruktions- und Produktionskapazitäten kann hier unterstützen: Die Eintrittsbarriere als Fahrzeugintegrator aufzutreten wird drastisch reduziert, da keine milliardenschweren Vorinvestitionen in Produktionsanlagen notwendig sind. Dramatisch verkürzte und effektivere Entwicklungsprozesse senken die Kosten in die Entwicklung und Produktion eines Produktes und erlauben damit auch kleinen und eher investitionsschwachen Unternehmen als Kleinserien-OEM aufzutreten. Mit diesem neuen Ecosystem und der zu erwartenden Kostensenkung für die Entwicklung und Produktion von Fahrzeugen werden kundenindividuelle, ressourcenoptimierte Fahrzeuge ermöglicht. Gleichzeitig können bisher vernachlässigte Segmente, wie kleine Nutzfahrzeuge mit einem Gesamtgewicht von weniger als 3,5 Tonnen, bedient werden.

Radikale Zusammenarbeit von Ende-zu-Ende

Durch intelligente Wertschöpfungsnetzwerke werden gemeinschaftlich Leistungen erbracht, zu denen einzelne Unternehmen ohne kollaborative oder kooperative Zusammenarbeit nicht in der Lage wären. Dabei ist das Ergebnis nicht die bloße Summe der eingebrachten Fähigkeiten. Zusammenarbeit und gemeinschaftliche Wertschöpfung fördert Innovation, wodurch das rechnerische Level übertroffen werden kann [1]. Die intelligente Vernetzung verschiedenster Akteure skaliert diesen Effekt proportional zur Anzahl kooperierender Partner. Alle Teilnehmenden eines Wertschöpfungsnetzwerks treten gleichberechtigt, nicht-hierarchisch auf einer gemeinsamen Plattform in Interaktion. Im Verbund der Einzelunternehmen aus allen Bereichen des Ende-zu-Ende-Prozesses, von der Entwicklung über die Produktion bis zur Integration, entfaltet sich eine größere Wirksamkeit und gesteigertes Marktpotenzial. IntWertL bewirkt einen Wandel in der auf Konzerne und große OEMs ausgerichteten Fahrzeughersteller- und Zulieferindustrie. Insbesondere KMU werden im Verbund ihr Angebotsportfolio erweitern und können damit selbst als OEMs auftreten.

Im Kern des entstehenden Ecosystems steht die Vernetzung aller wichtigen Integrations-, Komponenten-, und Entwicklungsdienstleister. Durch radikale Zusammenarbeit in jedem der in Bild 1 dargestellten Prozessschritte wird das Innovationspotenzial der gesamten Wertschöpfungskette gehoben. Im Verbund können somit innovative und passgenaue Produkte vom Ecosystem angeboten werden. Es können sowohl physische Produkte wie ganze Fahrzeuge oder Teile eines Fahrzeugs, aber auch immaterielle Güter wie die Konstruktion und Simulation einer Baugruppe, sein. Jedes Produkt ist das finale Ergebnis eines eigenständigen Projektes, das alle Information zu diesem Produkt bündelt. Grundsätzlich können zwei Arten von Projekten unterschieden werden:

Bild 1 
Ende-zu-Ende-Prozess in der Domäne Individuelle Fahrzeugentwicklung
Bild 1

Ende-zu-Ende-Prozess in der Domäne Individuelle Fahrzeugentwicklung

  1. Typen-Projekte (TyPro) – Entwicklung (und ggf. Produktion) eines Fahrzeugkonzeptes, Baugruppe oder Komponente ohne direkten Endkundenbezug,

  2. Instanz-Projekte (InPro) – Herstellung eines individuellen Produktes mit direktem Bezug zu den Anforderungen eines Endkunden. Ein InPro greift auf die Vorentwicklungen (z. B. Fahrzeugplattform, Aufbautyp) aus den TyPros zu.

Projekte werden in der Regel von mehreren Nutzern des Ecosystems gemeinsam umgesetzt. Dabei übernehmen die verschiedenen Projektteilnehmer unterschiedliche Rollen. Der Rolle eines Integrators kommt dabei besondere Verantwortung zu. Integratoren sind Nutzer des Ecosystems, die Projekte anlegen und verantworten. Dabei vertritt er die Interessen des Endkunden in einem Projekt und übernimmt die Aufgaben eines Projektmanagers. Er ist zum einen für die Koordination, Kommunikation und Überwachung in der Projektabwicklung zuständig, zum anderen ist er auch für alle Aspekte des Produkts verantwortlich: Engineering, Produktion und Homologation. Klassische Integratoren sind Kleinserien-OEMs, Aufbauhersteller oder Systemlösungsanbieter. Durch das Ecosystem können aber alle KMU, vom Ingenieurbüro bis zum Komponentenfertiger, selbst die Verantwortung übernehmen, als Integrator aufzutreten. Zusätzlich benötigte Kompetenz kann über das Ecosystem bezogen werden oder wird sogar durch technologische Funktionalität unmittelbar bereitgestellt. Das dem Ecosystem inhärente Rollenwechselmodell erlaubt es jedem Nutzer, in unterschiedlichen Projekten in verschiedene Rollen zu schlüpfen.

Datenraum für ein Digitales Ecosystem

Diese Art der inter-organisationalen Zusammenarbeit wird erst durch den Aufbau eines Digitalen Ecosystems ermöglicht. Im Gegensatz zum klassischen Ansatz der Plattformökonomie, der hauptsächlich transaktionsorientiert ist und auf Skaleneffekten beruht, ermöglichen Digitale Ecosysteme, dass Teilnehmer interagieren und direkt zusammenarbeiten, um gemeinsam maßgeschneiderte Angebote zu entwickeln. So wird auf Basis geteilter Kernwerte eine Kultur der Open Innovation in Wertschöpfungsnetzwerken aufgebaut, die Flexibilität, Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit fördert. Gleichzeitig basieren Ecosysteme aber auch auf einem Wettbewerb zwischen den beteiligten Akteuren. Nur durch die erfolgreiche Gestaltung von Coopetition, d. h. Kooperation trotz Wettbewerb, wird das Ecosystem zu einem Impulsgeber und einer Plattform für Innovation und Wachstum.

Die technologische Grundlage jedes Digitalen Ecosystems bildet ein kollaborativer, offener und sicherer Datenraum. Darin schaffen die Konzepte von Gaia-X und der International Data Space Association (IDSA) für alle Nutzer einen gleichberechtigten und nicht-hierarchischen Zugang zu den Kernleistungen des Ecosystems. Auf der Basis standardisierter und zum Teil zentralisierter Basisfunktionen werden die Voraussetzungen für vertrauenswürdigen und souveränen Datenaustausch geschaffen. Der Datenraum selbst bietet in sich aber keinen direkten Mehrwert, sondern ist lediglich als Befähigung für das Nutzen der Kernleistungen des Ecosystems zu verstehen. Diese Kernleistungen sind Inhalt der Business Domain „Individual Vehicle Development“ und werden im kommenden Absatz detailliert beschrieben. Zunächst wird aber die Basisfunktionalität des Datenraums näher beleuchtet.

Die grundliegende Basisfunktionalität des hier beschriebenen Digitalen Ecosystems orientiert sich unmittelbar an Catena-X, denn „Catena-X bietet den ersten offenen und kollaborativen Datenraum für die Automobilindustrie“ [2]. Die wichtigsten Basisfunktionalitäten des Datenraums für das „Individual Vehicle Development“ sind Identitätsmanagement, Datenaustausch und Informationsmanagement [3].

Das Identitätsmanagement im Datenraum wird durch eine Umsetzung der Self-Sovereign Identity (SSI) umgesetzt. Diese Technologie, die das grundlegende Problem von Vertrauen im digitalen Raum adressiert, ist weitaus mehr als eine einzelne isolierbare Funktion. Je nach Anwendungsfall variiert demzufolge auch der Nutzen, den SSI mit sich bringt [4]. Kern der Technologie ist ein Wandel des zugrundeliegenden Identitätsmanagementmodells: Weg von einem Anbieterfokus und hin zu einem Nutzerfokus sowie einem vollständig dezentralen System, das auf Peer-to-Peer-Beziehungen aufbaut. Dadurch wird jedem Nutzer freigestellt, seine eigene digitale Identität selbst zu verwalten. Mit der Implementierung von SSI ist es somit möglich, eine sichere, dezentrale Identitätsprüfung im gesamten Datenraum bereitzustellen [5]. In Catena-X wird Identitätsmanagement durch „Identity Wallets“ umgesetzt [6].

Die zweite zentrale Funktionalität des Datenraums ist ein sicherer und integrierter Datenaustausch, der zusätzlich zur Souveränität der Identität auch Datensouveränität ermöglicht. Der Eclipse Dataspace Connector (EDC) ist eine bedeutende Entwicklung in diesem Bereich und wird auch von Catena-X eingesetzt [7]. Der EDC ermöglicht eine komplett dezentrale Datenhaltung und separiert dafür Metadaten und Nutzdaten. Zunächst wird auf der Vertragsebene ausschließlich anhand von Metadaten interagiert. Erst nach Abschluss eines Vertrages werden die Nutzdaten ausgetauscht [8]. Der EDC erfüllt somit auch die Anforderungen an einen IDSA-konformen Dataspace Connector.

Im Digitalen Ecosystem bietet der Digitale Zwilling (Digital Twin – DT) einen essenziellen Baustein für das effiziente Daten-, Informations- und Wissensmanagement [9]. DTs gibt es in sehr vielen unterschiedlichen Ausprägungen und Konfigurationen. Dementsprechend erfüllen verschiedene DTs auch unterschiedliche Aufgaben [10]. Um die Interoperabilität und durchgängige Nutzung von DTs im gesamten Datenraum zu gewährleisten, sind Standards für Semantik, Struktur und Schnittstellen notwendig. Einen zentralen Baustein dafür bieten die Verwaltungsschalen-Standards der IDTA [11]. Wie auch bei Catena-X wird bei IntWertL auf den Einsatz von DT-Systemen gesetzt. Sie dienen dazu alle Daten im Netzwerk so aufzubereiten, dass sie von anderen Teilnehmern des Digitalen Ecosystem gefunden und entsprechend bilateralen Vereinbarungen genutzt werden können.

Business Domain: Individual Vehicle Development

Die Kernleistungen des Digitalen Ecosystems lassen sich als Funktionen der Business Domain „Individual Vehicle Development“ zusammenfassen. Ziel ist es, mit diesen Kernleistungen wesentliche Aspekte der Entwicklung von individuellen Fahrzeugen als wertschöpfende Allianz technologisch zu unterstützen. Ziel ist es dabei nicht, unmittelbar in die Arbeit des Engineerings einzugreifen, sondern Kommunikation und Informationsaustausch so zu unterstützen, dass eine flexible und vertrauensvolle Zusammenarbeit erleichtert wird. Dafür werden in erster Linie Funktionen im Bereich von sechs Business Cases benötigt, die in Bild 2 aufgelistet sind und im Folgenden kurz erörtert werden.

Bild 2 
Business Cases des Geschäftsfeldes „Individual Vehicle Development“ – Gestrichelt umrandete Business Cases bauen auf Catena-X Use-Cases auf, während durchgezogene Kästen vollständige Neuentwicklungen aus IntWertL markieren
Bild 2

Business Cases des Geschäftsfeldes „Individual Vehicle Development“ – Gestrichelt umrandete Business Cases bauen auf Catena-X Use-Cases auf, während durchgezogene Kästen vollständige Neuentwicklungen aus IntWertL markieren

Engineering-as-a-Service (EaaS) bietet Unternehmen eine flexible Lösung für Ingenieurdienstleistungen auf Abruf. Durch digitale Engineering-Plattformen werden Ingenieurkapazitäten je nach Bedarf bereitgestellt und Experten mit spezifischem Fachwissen gezielt für passende Projekte eingesetzt. EaaS fördert Innovation, schafft Flexibilität und beschleunigt Entwicklungsprozesse, da Unternehmen auf eine breite Palette von Ingenieurdienstleistungen zugreifen können. (Teil-)Automatisierte Ansätze für das Anforderungsmanagement und netzwerkübergreifende Standards helfen dabei, auch große Projekte sinnvoll aufzuteilen und die richtigen Partner zu finden.

Manufacturing-as-a-Service (MaaS) verbindet Fertigungsanfragen mit den entsprechenden Fertigungskapazitäten über ein digitales, föderiertes Netzwerk. Dieses Netzwerk ermöglicht Unternehmen, bedarfsorientierte Fertigungsaufträge schnell und effizient zu vergeben. Über standardisierte Schnittstellen und Datenmodelle wird eine nahtlose Integration verschiedener Hersteller und Dienstleister ermöglicht. MaaS fördert die Nutzung freier Kapazitäten und reduziert den Aufwand für Angebotsprozesse. Gleichzeitig profitieren Hersteller von höherer Sichtbarkeit und gesteigerter Auslastung. Mithilfe von IT-gestützten Prozessen, wie etwa der automatisierten Angebotserstellung, wird die Digitalisierung der Fertigung vorangetrieben und der Weg zu einer flexiblen und vernetzten Produktion geebnet [12].

Modular Engineering schafft die Voraussetzungen für eine effiziente Zusammenarbeit im Engineering mit wechselnden Partnern. Es werden Standards geschaffen, die Schnittstellen zwischen Ingenieursdisziplinen und Komponenten und Baugruppen klar beschreibbar machen. Als Basis dafür werden Aspektmodelle eingesetzt die eine einheitliche Semantik schaffen. Durch die offene Modellierung bleiben diese aber anpassbar, wodurch auch innovative Produkte nicht aus organisatorischen Abwägungen ausgeschlossen werden. Modular Engineering reduziert den inter- und intraorganisationalen Koordinationsaufwand in einem Projekt und ermöglicht die verteilte und gleichzeitige Entwicklung (Concurrent Engineering).

Modular Production steigert die Flexibilität und Effizienz industrieller Fertigungsprozesse. Ziel ist es, durch modulare Produktionssysteme eine flexible Anpassung an wechselnde Anforderungen und kleinere Losgrößen zu ermöglichen. Durch den Einsatz standardisierter Schnittstellen und Datenmodelle kann die Produktionsplanung automatisiert und Ressourcen effizient orchestriert werden. Dies minimiert Kosten und Ausfallzeiten bei unvorhergesehenen Ereignissen. Modular Production ermöglicht Unternehmen, ihre Produktionsprozesse agiler zu gestalten und gleichzeitig eine hohe Produktqualität zu gewährleisten. So können neue Geschäftsmöglichkeiten erschlossen und bestehende Werte entlang der gesamten Wertschöpfungskette optimiert werden, indem Informationen zwischen Partnern ausgetauscht werden.

Product-Portfolio-Management sichert Transparenz und Effizienz im gesamten Fahrzeugentwicklungs- und -produktionsprozess. Durch die Nutzung von Echtzeitdaten wird es möglich, den Fortschritt der Projekte kontinuierlich zu überwachen und fundierte Entscheidungen zu treffen. Künstliche Intelligenz unterstützt die Analyse früherer Projekte und überträgt gewonnene Erkenntnisse auf aktuelle Vorhaben. Zudem werden potenzielle Risiken frühzeitig erkannt und eine effiziente Nutzung der vorhandenen Kapazitäten gewährleistet. Darüber hinaus ermöglicht der Lean-Budgeting-Ansatz eine detaillierte Zuordnung von Budgets bis auf die Ebene einzelner Aufgaben. Durch leistungsstarke Echtzeitberichte wird der Projektstatus über das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk konsolidiert und lückenlos nachverfolgt. Dies trägt dazu bei, dass Projekte innerhalb des digitalen Ecosystems effizient geplant, transparent verwaltet und kostenoptimiert durchgeführt werden.

Homologation stellt sicher, dass Produkte die notwendigen Zertifizierungen und Zulassungen für den deutschen oder internationalen Markt erhalten. Dieser Prozess ist besonders wichtig in regulierten Branchen wie der Automobilindustrie, in denen Sicherheits- und Umweltstandards streng überwacht werden. Die Business Case Homologation umfasst die digitale Zusammenarbeit mit Behörden und Prüfstellen, um sicherzustellen, dass Produkte den jeweiligen regulatorischen bzw. gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Durch standardisierte Verfahren wird der Zulassungsprozess effizient gestaltet, was Unternehmen hilft, Produkte schneller und sicher auf den Markt zu bringen.

Zusammenfassung und Ausblick

Das Digitale Ecosystem aus IntWertL ermöglicht eine effizientere Zusammenarbeit von KMU zur Entwicklung und Produktion von individuellen (Kleinserien-) Fahrzeugen. Technisch wird dieses neue Wertschöpfungssystem durch einen geteilten Datenraum ermöglicht. Dieser dient als Datendrehscheibe und zentrales Interaktions- und Kooperationswerkzeug. Der Ende-zu-Ende-Prozess wird komplett digital abgebildet und so eine radikale Zusammenarbeit ermöglicht. Starre Lieferketten mit starker Ausrichtung auf einzelne marktbeherrschende OEMs werden aufgebrochen und verteilte Wertschöpfungsnetzwerke etabliert. Durch vorgeschriebene Regeln und Standards wird gleichzeitig, trotz einer höheren Datendurchgängigkeit, ein größeres Maß an IT-Sicherheit und Schutz des geistigen Eigentums sichergestellt. Alle Akteure bleiben im Sinne der Datensouveränität zu jeder Zeit im Besitz von und in Kontrolle über ihre eigenen Daten.

In diesem intelligenten Wertschöpfungsnetzwerk können zudem neuartige (teil-)automatisierte IT-Services angeboten werden, die einen grundlegenden Wandel bestehender Geschäftsmodelle mit sich bringen. IntWertL ermöglicht es beispielsweise, das eigene Fahrzeug virtuell zu konfigurieren und effizient zu homologieren. Damit wird die Vision – das individuelle Fahrzeug auf Knopfdruck – Realität. Mehr dazu findet sich im zweiten Beitrag dieser Reihe im ZWF-Heft 1/2-2025.


Hinweis

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen von den Mitgliedern des ZWF-Advisory-Board wissenschaftlich begutachteten Fachaufsatz (Peer Review).



Tel.: +49 (0) 721 608-46622

Funding statement: Gefördert durch die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union. Zuwendungsgeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages sowie die Europäische Union. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.

About the authors

Jakob Bönsch

Jakob Bönsch, M. Sc., geb. 1993, studierte Maschinenbau mit Vertiefungsrichtung Produktionstechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informationsmanagement im Ingenieurwesen (IMI) des KIT.

Vladimir Jelschow

Vladimir Jelschow, M. Sc., studierte Maschinenbau an der Universität Stuttgart und ist seit 2018 Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Digitalisierungsstrategie und Technologiemanagement des Fraunhofer IPA in Stuttgart.

Moritz Haking

Moritz Haking, M. Sc., geb. 1999, studierte Industrial Engineering an der FH Aachen; Missouri State University und der Hochschule Osnabrück. Seit 2024 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Digitalisierungsstrategie und Technologiemanagement des Fraunhofer IPA in Stuttgart.

Sleiman Bobbou

Sleiman El Bobbou, M. Sc., geb. 1994, studierte Maschinenbau mit Vertiefungsrichtung Allgemeiner Maschinenbau am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informationsmanagement im Ingenieurwesen (IMI) des KIT.

Dipl.-Ing. (FH) Oliver Deisser

Dipl.-Ing. (FH) Oliver Deißer, geb. 1974, studierte Maschinenbau mit Fachrichtung Fahrzeugtechnik an der TH Augsburg. Nach dem Studium arbeitete er drei Jahre lang bei der smart GmbH in der Gesamtfahrzeug-Vorentwicklung, bevor er 2005 ans DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte in den Bereich Fahrzeugkonzepte und Komponentenleichtbau als Wissenschaftlicher Mitarbeiter wechselte.

Literatur

1 Al-Omoush, K; Lucas, A. de; del Val, M.: The Role of E-Supply Chain Collaboration in Collaborative Innovation and Value-Co creation. Journal of Business Research 158 (2023), S. 113647 10.1016/j.jbusres.2023.113647Suche in Google Scholar

2 Catena-X: Die Lösung: Catena-X! 2024Suche in Google Scholar

3 Siska, V.; Karagiannis, V.; Drobics, M.: Building a Dataspace: Technical Overview (2023). Online unter https://publications.ait.ac.at/de/publications/building-a-dataspace-technical-overview [Abruf am 01,10,2024]Suche in Google Scholar

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12 Schöppenthau, F; Patzer, F; Schnebel, B; Watson, K; Baryschnikov, N; Obst, B; Chauhan, Y.; Kaever, D.; Usländer, T.; Kulkarni, P.: Building a Digital Manufacturing as a Service Ecosystem for Catena-X. Sensors 23 (2023) 17, 7396 10.3390/s23177396Suche in Google Scholar PubMed PubMed Central

Published Online: 2024-12-10
Published in Print: 2024-12-20

© 2024 Jakob Bönsch, Vladimir Jelschow, Moritz Haking, Sleiman Bobbou und Oliver Deisser, publiziert von De Gruyter

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Artikel in diesem Heft

  1. Frontmatter
  2. Editorial
  3. Die Zukunft der Produktionsnetzwerke – effizient, flexibel, intelligent und nachhaltig
  4. Produktionsstrategien
  5. Simulation und Bewertung von Fahrzeug-Produktionsstrategien
  6. Mit vorausschauenden Produktionsstrategien Wachstum in sich wandelnden Märkten erreichen
  7. Produktionsnetzwerke
  8. Standortstrategieentwicklung und Roadmapping in globalen Produktionsnetzwerken
  9. Kreislauffähige Produktionsnetzwerke
  10. Produktionsplanung
  11. Auswirkungen von Laststeuerungsprogrammen auf Lieferketten
  12. Digitaler Produktpass
  13. Verursachungsgerechte CO2-Bilanzierung für den Digitalen Produktpass
  14. Digitales Ecosystem
  15. Intelligente Wertschöpfungsnetzwerke für individuelle Fahrzeugentwicklung
  16. Supply-Chain-Management
  17. Modulares Simulationsmodell für das operative Supply-Chain-Management
  18. Variantenmanagement
  19. Frühzeitige Bewertung von Auswirkungen bei der Einführung neuer Produktvarianten
  20. Wirtschaftlichkeit
  21. Nutzen- und Kostenbestimmung von Technologien
  22. Echtzeitkommunikation
  23. Rescheduling zyklischer Echtzeitkommunikation
  24. Presshärten
  25. Höhere Duktilität durch verhinderte Austenitisierung
  26. Künstliche Intelligenz
  27. Generative Künstliche Intelligenz als Assistenz in der Instandhaltung
  28. Prozessmodell zur Entwicklung KI-basierter Geschäftsmodelle
  29. Digitale Transformation
  30. Gemba-Digitalisierung 4.0? Digitale Transformation auf Japanisch
  31. Vorgehensmodell zur Analyse und Auswahl einer IoT-Plattform für KMU
  32. Datenmanagement
  33. IIoT-basierte Geschäftsmodelle für Komponentenhersteller
  34. Vorschau
  35. Vorschau
Heruntergeladen am 8.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zwf-2024-1173/html
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