Jeff Cirillo/Lisa Curtis/Joshua Fitt/Kara Frederick/ Coby Goldberg/Ilan Goldenberg/Andrea Kendall-Taylor/Megan Lamberth/Martijn Rasser/Dania Torres: The Future of the Digital Order. Washington, D.C.: Center for a New American Security (CNAS), November 2021
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Cirillo Jeff Curtis Lisa Fitt Joshua Frederick Kara Goldberg Coby Goldenberg Ilan Kendall-Taylor Andrea Lamberth Megan Rasser Martijn Torres: Dania The Future of the Digital Order Washington, D.C. Center for a New American Security (CNAS) November 2021
Die zehnköpfige Gruppe des am CNAS ansässigen Countering High-Tech Illiberalism Projects richtet eine klare Nachricht an die Entscheidungsträger im Weißen Haus und ihre demokratischen Verbündeten. Die vorangestellten zweiseitigen Handlungsempfehlungen gleichen einer Warnung: „The United States needs to put it’s own digital house in order to effectively shape and promote a liberal digital order around the world“ (S. 2). Liberale Normen drohten zu erodieren und müssten durch den Schulterschluss mit demokratischen Partnern formuliert und gestärkt werden. Es gehe nicht mehr darum, das Zepter nicht zu verlieren, als vielmehr darum, den Anschluss gegenüber den nicht-demokratischen Digitalmächten – China, Russland und im Mittleren Osten – nicht zu verpassen. Obgleich die Beurteilung in den drei Fällen auch die unterschiedlichen Interessen der Akteure herausstellen, verfolgen sie unmittelbar oder zumindest mittelbar in der Summe einen Ansatz gegen eine liberale digitale Ordnung. Eine demokratische Alternative müsse her und dazu sollten die USA eine politische Antwort unter Einbeziehung der europäischen und indo-pazifischen Partner anbieten.
Die nicht liberalen Akteure nutzten primär drei Säulen, um die zukünftige digitale Ordnung nach ihrem Interesse zu gestalten. Dazu gehören Informationskontrolle, Überwachung und die Governance der Technologie (S. 4). Anhand dieser drei Säulen nimmt das Team eine systematische Bewertung für China, Russland und den Mittleren Osten vor. Eine genannte Möglichkeit der Informationskontrolle sei die Einrichtung von nationalen Datenarchitekturen und zentralisierten Datenbanken, wodurch personenbezogene Daten gesammelt und zugänglich gemacht werden. Wenn autoritäre Staaten für „Datensouveränität“ eintreten, verfolgten sie damit den Zweck, Informationen und den Zugang zu Informationen zu begrenzen. So könne mittelbar Einfluss auf Wahlen und Proteste genommen werden (S. 4). Damit könnten repressive Regierungen, auch in Verbindung mit Technologien, die Einfluss auf das Verhalten nehmen (behavior-shaping-technologies), Methoden zur Kontrolle einsetzen, die weniger offensichtlich sind. Überwachungstechnologien werden unabhängig vom Regierungstyp eingesetzt. Dabei wird die klassische Kameraüberwachung durch Technologien der Gesichtserkennung, biometrische Datenerhebung und -analyse oder dergleichen erweitert. Weniger freie Regime neigten dazu, diesen Überwachungsapparat weitreichender, u. a. über Smart City Initiatives, auszubauen.
Mit Technology Governance ist die Tendenz autoritärer Regierungen gemeint, über technologische Standardsetzung auch Einfluss auf die transportierten Werte zu nehmen. Sie seien „infused with values that reject democratic imperatives of openness and transparency“ (S. 4). Alle drei untersuchten Fälle wiesen jeweils ihre Spezifika auf, wie sie auf ihre eigene Bevölkerung digital-regulierend wirken und wie sie Einfluss auf internationale Regelsetzung nehmen. China weite z. B. über die Körperschaft Subcommittee 42 der International Organization for Standardization and the International Electrotechnical Commission seinen Einfluss auf die Standards zur Anwendung von Künstlicher Intelligenz aus. 2018 wurde zudem der ehemalige Huawei-Mitarbeiter Wael Diab zum Vorsitzenden gewählt (S. 9). Im Zuge der Seidenstraßen-Projekte (Belt and Road Initiative) wurde die Plattform SAC gegründet (Standardization Administration of China); bereits 2020 sollen mit 49 Ländern und Regionen 85 Standardisierungsvereinbarungen getroffen worden sein (S. 9). Auch Russland habe sich schon mit alternativen Normenangeboten an der Regelsetzung der internationalen Informationsarchitektur beteiligt. 2011 und 2015 schlug Russland z. B. mit China, Tadschikistan und Usbekistan einen International Code of Conduct for Information Security vor. Dabei solle hart gegen die Verbreitung von Informationen vorgegangen werden, die das politische, gesellschaftliche und ökonomische System anderer Staaten untergraben (S. 16). Ähnlich dem Ausbau digitaler Infrastruktur Chinas verfolge auch Russland größere ICT-Projekte (Information and Communications Technology) mit den BRICS-Ländern, wie z. B. Unterwasserkabel-Projekte. 2015 einigten sich Xi und Putin bilateral auf gemeinsame Normen der Cybersouveränität (S. 17).
Mit Blick auf China werden in der Studie Technologien unter dem Mantel der Digitalen Seidenstraße gesondert hervorgehoben (S. 10). Hierzu zählen z. B. die flächendeckende Überwachungsinfrastruktur über die Agenda Safe Cities, der Ausbau und die Anwendung KI-gestützter Analysesoftware für Gesichtserkennung durch das Unternehmen Yitu in Südostasien oder auch spezielle Gesundheitstechnologien, wie Wärmebildkameras. Neben einem US-amerikanischen Anbieter seien durch die Pandemie verstärkt fünf Unternehmen hervorgetreten: Hikvision, Dahua, Sunell TVT und YCX.
Chinas Modell treffe besonders in fragilen Demokratien auf Zuspruch. Speziell werden die benachbarten Philippinen und Malaysia sowie das entfernte Tansania und Uganda erwähnt. Für das russische Modell wird die größte Exportfähigkeit in die nähere Umgebung vermutet, da einige angrenzende Staaten bereits das SORM-System angenommen hätten. SORM steht für System of Operative Search Measures und bezeichnet das Überwachungs- und Filterinstrument für Inhalte im Internet. Inwieweit aber die aufgezählte Ukraine nach den jüngsten Ereignissen noch ein geeignetes Beispiel darstellt, ist fraglich.
Auch in Russland werde die Zukunft nach Präsident Putin über die Künstliche Intelligenz entschieden, „not only for Russa, but for all humankind“ (S. 11). Obgleich der russische und der chinesische Präsident eine Vision für die „digitale Autokratie“ beschwören würden, unterschieden sich die Modelle im Detail. Während Chinas Überwachungssystem auf die Erhebung von Unmengen von Daten zur Kontrolle der Bürger ausgerichtet sei, sei Russlands Modell hingegen zwar weniger ausgeklügelt, dafür aber möglicherweise anpassungsfähiger und beständiger. So sei die Informationskontrolle auch nach militärischer Doktrin vor allem in modernen Konflikten ausschlaggebend. Um gezielte Informationskampagnen durchzuführen, bezahle der Kreml „menschliche Trolle“ und unterhalte KI-gestützte social media bots (S. 12). Obgleich eine Überprüfung schwer vorzunehmen sei, behauptet das Team, die Anstrengungen dienten dazu, mehr Uneinigkeit in der Bevölkerung zu schüren und von Anti-Kreml-Erzählungen abzulenken.
Eine andere Art der Herausforderung für die USA stelle der Mittlere Osten dar. Abgesehen von Iran und Syrien handele es sich um Partner der USA, die dennoch Technologien zur Stärkung ihrer autoritären Regierungen einsetzen. Zensur und Falschinformation spielten eine große Rolle, wie z. B. der am ägyptischen Supreme Council verhandelte Fall belegt, bei dem die Berichterstattung über sensitive Nachrichten verboten wurde (S. 20). Auch die personalisierte Überwachung durch Spionagesoftware auf privaten Kommunikationsgeräten komme regulär zum Einsatz. So wurde z. B. der Menschenrechtsaktivist Ahmed Mansoor ausspioniert und 2017 final „für seine Posts auf Facebook und Twitter“ inhaftiert (S. 22). Abgesehen von business-to-business (B2B) Regulationsrichtlinien sähen Staaten des Mittleren Ostens jedoch keine Regulationen oder klare Richtlinien für den grenzüberschreitenden Datenverkehr vor (S. 24).
Die schwerwiegendste Auswirkung auf regionale Trends für die Gestaltung der digitalen Ordnung wird daher auch vor dem Hintergrund der wachsenden Annäherung zwischen China und Russland gesehen. Die wachsende Angleichung werde „gefährliche digitale Synergien“ hervorbringen (S. 24). Dabei werden drei zentrale Auswirkungen angeführt: (1) Die digitale Autokratie werde einer breiteren Menge an Staaten zugänglich, (2) digitale Innovation werde vorangetrieben und zum kritischen Konfliktraum mit den USA und (3) mittelfristig würden die liberalen Normen innerhalb der Institutionen erodieren, bis hin zu einem „zersplitterten Internet“, dem splinternet (S. 25.). Insgesamt ergebe sich durch die Fülle der Herausforderungen und Entwicklungen ein Dilemma für die USA, wenn die Technologien für autoritäre Zwecke genutzt werden. Zwar könne mit finanziellen Anreizen für eine liberale Kooperation geworben werden, eine klare Handlungsperspektive zur Lösung des Dilemmas bleibt an dieser Stelle jedoch aus.
Der Studie sind insgesamt zehn Seiten Quellen- und Referenzen beigefügt, zumeist handelt es sich um Verweise auf Medienberichterstattungen. Bilder runden die Studie ab, allerdings wäre eine aussagekräftige Überblickstabelle zu den drei präsentierten Fällen wünschenswert gewesen. Dennoch wird die Botschaft klar: Gerade im digitalen Bereich dürften demokratische Staaten das Feld nicht den autokratischen Akteuren überlassen.
https://www.cnas.org/publications/reports/the-future-of-the-digital-order
© 2022 Perkuhn, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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