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Justin Sherman: Cyber Defense across the Ocean Floor. The Geopolitics of Submarine Cable Security. Washington, DC: Atlantic Council, September 2021

  • Jakob Kullik

    Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand der Politikwissenschaft

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Published/Copyright: May 13, 2022

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Justin Sherman Cyber Defense across the Ocean Floor The Geopolitics of Submarine Cable Security. Washington, DC Atlantic Council September 2021


In den aktuellen Debatten um Cybersicherheit und die Vorherrschaft im digitalen Raum bleibt ein strategisches Segment der globalen Internetinfrastruktur oft unterbelichtet – die in den Ozeanen verlegten Unterseekabel, durch die über 95 Prozent der globalen Kommunikationsströme des Internets verlaufen. Justin Sherman, Autor des vom Atlantic Council herausgegebenen Berichts Cyber Defense across the Ocean Floor. The Geopolitics of Submarine Cable Security, hat daher recht, wenn er einführend feststellt: „The security and resilience of undersea cables and the data and services that move across them are an often understudied and underappreciated element of modern Internet geopolitics“ (S. 1). Folglich liegt der Fokus seiner Analyse auf der geopolitischen und geoökonomischen Bedeutung, die diese weltumspannenden Datenkabel für Unternehmen und Staaten haben. Sherman macht deutlich, dass Unternehmen, auch wenn sie zuvorderst kommerzielle Interessen verfolgen, mit dem Bau und Betrieb dieser kritischen Infrastruktur geopolitische Folgeeffekte erzeugen, die sich auf das gesamte Ökosystem des Internets auswirken können. Aus diesem Grund seien Unterseekabel „a major vector of influence that companies have on the global internet’s shape, behavior and security“ (S. 2). Und weil dies ein Machtfaktor sei, sind die Hauptadressaten seiner Empfehlungen die Regierung der Vereinigten Staaten, ihre Verbündeten und Partner. Der US-Regierung komme in enger Zusammenarbeit mit dem Privatsektor und ihren Alliierten die Hauptverantwortung zu, die Sicherheit und Resilienz der Unterseekabel zu gewährleisten und vor Störungen und Manipulationen zu schützen. Es werden drei Trends identifiziert, die aus Sicht des Autors die größten Risiken für die Unterseekabel darstellen. Zuvor wird noch ein knapper Überblick zur Geschichte und zum Status quo der Kabelinfrastruktur gegeben.

Derzeit sind weltweit 475 Unterseekabel in Betrieb, von denen 65 Prozent einem Besitzer und 33 Prozent mehreren Besitzern gehören, wobei ein Unterseekabel auch gleichzeitig mehrere Besitzer haben kann. Bei der Eigentümerstruktur ist es – Stand Dezember 2020 – so, dass 59 Prozent aller Seekabel privaten Unternehmen gehören und jeweils 19 Prozent in staatlicher Hand oder in staatlich-privatem Gemeinschaftsbesitz liegen. Hier sieht der Autor auch den ersten großen Trend, der nicht nur ein Risiko für die USA und den Westen darstellt, sondern auch für die gesamte globale Seekabelinfrastruktur: Autoritäre Regierungen übten zunehmend die Kontrolle über kabelbetreibende Unternehmen aus und veränderten damit die Machtbalance in der Struktur des Internets. Sherman nennt es „the Internet’s physical topology“ (S. 9). Obgleich er diesen ersten Trend recht breit als „Authoritarian Governments Reshaping the Internet through Companies“ (S. 9) bezeichnet, meint er – wenig überraschend – in erster Linie russische und chinesische Unternehmen. Dabei seien es aber vor allem Chinas Staatsunternehmen, die über die unterseekabelbesitzenden Unternehmen (cabel owner) und solche, die die Kabel bauen (cabel builder) zunehmend Einfluss und Kontrolle ausübten. Die Möglichkeiten der Einflussnahme umfassten dabei die digitale Spionage durch die Kabel und an diesen selbst, das Umleiten von Datenströmen auf das chinesische Festland, die Unterbrechung von Verbindungen sowie das Einbauen sogenannter Backdoors für spätere Manipulationszwecke. Pekings sogenannte Digitale Seidenstraße diene dem Zweck, die chinesischen Infrastrukturprojekte an Land durch die Kontrolle der Seekabel in den Ozeanen zu flankieren bzw. mit diesen zu verbinden. Damit verknüpfe die Volksrepublik ihre Machtansprüche in der analogen Welt strategisch geschickt mit der digitalen Sphäre. Einschlägige chinesische Unternehmen wie etwa China Mobile, China Telecom und Huawei Marine seien hierbei besonders aktiv. Letzteres Unternehmen baue und repariere etwa ein Viertel aller weltweit betriebenen Seekabel.

Der zweite Trend adressiert weniger die geopolitischen als die technologischen Risiken beim Betrieb und der Wartung der Kabel. Da mehr und mehr Unternehmen Fernwartungs-Software (remote management systems) einsetzten, um den Aufwand und die Kosten des Betriebs zu senken, entstünden gleichzeitig neue Möglichkeiten bzw. Einfallstore durch Cyberattacken. Hierdurch könnten die Kabel angegriffen und lahmgelegt werden, was einen teilweisen, regional konzentrierten Ausfall der Internetverbindungen – oder zumindest eine Abnahme der Übertragungsgeschwindigkeit – zur Folge hätte. Das Risiko von Schwachstellen und Angriffsvektoren steige, je mehr Unternehmen an den verschiedenen Seekabeln beteiligt seien. Der dritte Trend „Increasing Volume and Sensitivity of Data sent over Undersea Cables“ (S. 21) ist die direkte Folge der weltweiten Digitalisierung und zeigt das gestiegene Interesse der amerikanischen Tech-Giganten – den sogenannten hyper-scalers Amazon, Google und Microsoft (S. 22) – am Ausbau des Unterseekabelnetzwerks. Trotz zunehmender Investitionen seien amerikanische Unternehmen nur an 22 Prozent aller Seekabel weltweit beteiligt.

Im Schlussteil formuliert der Autor acht Empfehlungen, die er unter anderem an den US-Kongress, das Außenministerium und an amerikanische Seekabelbetreiberfirmen richtet. Zusammengefasst sollten mehr finanzielle und personelle Ressourcen zur Überwachung der weltweiten Unterseekabelinfrastruktur und der in diesem Markt agierenden Unternehmen bereitgestellt werden, um amerikanische Datenströme bestmöglich schützen zu können. Auch operative Mittel, wie das Bereithalten von Schiffen für schnelle Reparatureinsätze an Unterseekabeln, werden empfohlen. Die Erfolgsaussichten zur Schaffung internationaler Abkommen zum Schutz der Seekabel sieht Sherman skeptisch: „It is difficult to imagine Beijing and Moscow signing onto any agreement that would tie their hands“ (S. 27). Den gleichen Vorbehalt könnte man auch gegenüber den USA vorbringen. Insgesamt bietet die Studie nützliche Informationen zur Verletzlichkeit einer globalen Schlüsselinfrastruktur, deren Schutz und Funktionalität auch im deutschen und europäischen Wirtschafts- und Sicherheitsinteresse liegen.

https://www.atlanticcouncil.org/wp-content/uploads /2021/09/Cyber-defense-across-the-ocean-floor-The-geo politics-of-submarine-cable-security.pdf

About the author

Jakob Kullik

Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand der Politikwissenschaft

Published Online: 2022-05-13
Published in Print: 2022-05-09

© 2022 Kullik, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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