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Editorial

Published/Copyright: May 13, 2022

Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat die internationalen Beziehungen grundlegend erschüttert. Die jahrelang geplante und scheinbar umfassend vorbereitete Invasion hat all diejenigen bestätigt, die schon seit über einem Jahrzehnt davor warnen, dass in Russland eine mafiaähnlich organisierte Machtvertikale herrsche, die sich selbst bereichere und die zum Zweck ihrer Machterhaltung einen strategischen Konflikt mit dem Westen nicht nur herbeirede, sondern auch herbeiführe. Was nur wenige vorausgesehen haben, war, wie sehr sich die Moskauer Machtelite in ein immer radikaler werdendes Narrativ hineingesteigert hat, welches als völkisch-nationalistisch und militaristisch charakterisiert werden muss. Im Sinne dieses Narrativ ist der Überfall auf die Ukraine konsequent, und die Ukraine sollte nur das erste Opfer sein.

Wir sind wieder mitten in einem Kalten Krieg, und es ist nicht mal ausgemacht, dass dieser auch „kalt“ bleiben wird. Der Leitartikel von Hannes Adomeit und Joachim Krause analysiert die politischen Zielsetzungen Russlands und deren Radikalisierung sowie die Umsetzung dieser Politik. Er legt die grundlegenden Fehler einer illusorischen westlichen (und vor allem deutschen) Russlandpolitik offen und versucht aufzuzeigen, wie sich der neue Kalte Krieg als strukturbildendes Element der internationalen Beziehungen auswirken könnte.

Der Beitrag von John Lough befasst sich kritisch mit der deutschen Russlandpolitik der vergangenen Jahrzehnte, die mit einer bemerkenswerten Unbeirrtheit trotz aller gegenteiligen Fakten davon ausging, dass man Russland zu einer echten Partnerschaft bewegen könne und die glaubte, dass wirtschaftliche Beziehungen den Frieden sicherer machen würden. Kein Land Europas, so der Verfasser, verfüge über bessere Erkenntnisse und Kontakte zu Russland als Deutschland – und kein Land habe sich so grundlegend geirrt, was die Politik Putins betraf.

Der neue Kalte Krieg hat auch eine weitere Dimension – das ist die Rolle Chinas als einer neuen, weltweit agierenden Großmacht. Russland sucht die Nähe Chinas, und in der Vergangenheit sind gerade die militärischen Beziehungen enger geworden. Viele gehen schon von einer de facto Allianz aus. Der Beitrag von Rainer Meyer zum Felde setzt sich mit der Frage auseinander, was die zunehmende Nähe Russlands und Chinas für die europäische Sicherheit zu bedeuten habe. Selbst wenn diese Allianz relativ oberflächlich bleiben sollte, seien erhebliche Anpassungen auf Seiten der europäischen Staaten notwendig, denn auf die alte Gewissheit, wonach die USA in Europa alles richten werden, könne man nicht mehr bauen. Auch und gerade Deutschland sei gefordert, sehr viel mehr für seine Verteidigung zu leisten.

Der Beitrag von Brian Carlson befasst sich mit der chinesisch-russischen Zusammenarbeit im Bereich der nuklearstrategischen Waffen und den Folgen für die internationale Sicherheit. Russland und China rücken in diesem sehr sensitiven Bereich zusammen, weil sie beide die Feindschaft zu den USA und den westlichen, freiheitlichen Gesellschaften eine. Aber es blieben gegenseitiges Misstrauen und Unsicherheit darüber, wie sicher man sich der Freundschaft der anderen Seite sein kann.

Die Kurzanalyse von Minna Ålander und Michael Paul analysiert die Auswirkungen der derzeitigen russischen Politik im Ostseeraum. Unter dem Eindruck russischer Ultimaten und der Invasion in der Ukraine könne man davon ausgehen, dass sich beide Länder dazu entschließen, der Nordatlantischen Allianz beizutreten.

Die Kurzanalyse von Heribert Dieter befasst sich mit dem grundlegenden Wandel der sicherheitspolitischen Lage im indopazifischen Raum und dessen Rückwirkungen auf die europäische Sicherheit. Anhand des geplatzten U-Boot-Geschäftes zwischen Australien und Frankreich zeigt der Verfasser auf, wie wenig in Paris und in anderen europäischen Hauptstädten die tiefgreifenden strategischen Wandlungsprozesse im westpazifischen Raum verstanden werden.

Die Kurzanalyse von Gerlinde Groitl befasst sich mit der Chinapolitik der USA ein Jahr nach Amtsantritt von Joseph Biden. Die demokratische Administration setze die grundlegend china-kritische Politik der Trump-Administration fort, bemühe sich aber mit Erfolg, eine widerspruchsfreie Politik zu betreiben, die auch Möglichkeiten der begrenzten Kooperation enthalte.

Im Dokumentationsteil finden sich ein Papier aus dem Jahr 2014, welches für den Global Review 2014 des Auswärtigen Amtes verfasst wurde und in dem darauf hingewiesen wurde, dass Russland aus innenpolitischen Motiven heraus den strategischen Konflikt mit dem Westen suche und in diesem Zusammenhang die Ukraine zerstören werde, sollte sich diese weiter der NATO annähern wollen. Des Weiteren findet sich eine Übersetzung eines Briefes ehemals hochrangiger russischer Militärs, die im Januar 2022 den russischen Präsidenten vor der Eröffnung eines Krieges gegen die Ukraine gewarnt hatten.

Im Besprechungsteil geht es hauptsächlich um Analysen zu den Großmachtbeziehungen im Dreieck zwischen China, Russland und den USA sowie zu Cyberwar und Künstlicher Intelligenz. Außerdem finden sich drei Buchbesprechungen. Am Ende diese Heftes findet sich ein Nachruf auf Dr. Hannes Adomeit, der am 25. April 2022 verstarb. Hannes Adomeit war ein häufiger Autor dieser Zeitschrift und hat auch in diesem Heft zwei Beiträge beigesteuert (als Koautor des Hauptbeitrags und als Übersetzer und Herausgeber der Dokumentation des Appells der russischen Offiziere gegen Putins Krieg gegen die Ukraine). Sein Tod reißt eine große Lücke und wir werden ihn sehr vermissen.

Die Herausgeber

Published Online: 2022-05-13
Published in Print: 2022-05-09

© 2022, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.

Articles in the same Issue

  1. Titelseiten
  2. Editorial
  3. Editorial
  4. Aufsätze
  5. Der neue (Kalte?) Krieg. Das russische Ultimatum vom Dezember 2021 und die Folgen für die westliche Allianz
  6. Deutschlands Russlandproblem
  7. Was ein Militärbündnis zwischen Russland und China für die NATO bedeuten würde
  8. Die chinesisch-russische Kooperation im Bereich der nuklearen Abschreckung
  9. Kurzanalysen und Berichte
  10. Finnland und Schweden rücken näher an die NATO. Auswirkungen der russischen Kriegspolitik im Hohen Norden
  11. AUKUS und die strukturellen Veränderungen der sicherheitspolitischen Lage im indo-pazifischen Raum
  12. Strategischer Wettbewerb und Systemrivalität: Die US-Chinapolitik unter Präsident Joe Biden im ersten Amtsjahr
  13. Dokumentation
  14. Global Review 2014: Warnungen vor Russland gab es zu genüge, sie wurden nur nicht beachtet
  15. Das Iwaschow Dokument: Appell zum Widerstand gegen Putins Kriegspläne in der Ukraine
  16. Ergebnisse internationaler strategischer Studien
  17. Großmachtkonkurrenz – das Dreieck China, Russland, USA
  18. Andrew Radin/Andrew Scobell/Elina Tryger/J.D. Williams/Logan Ma/Howard J. Schatz/Sean M. Zeigler/Eugeniu Han/Clint Reach: China-Russia Cooperation. Determining Factors, Future Trajectories, Implications for the United States. Research Report. Santa Monica, Calif.: The RAND Corporation, August 2021
  19. Giulia Neaher/David A. Bray/Julian Mueller-Kaler/Benjamin Schatz: Standardizing the Future. How Can the United States Navigate the Geopolitics of International Technology Standards? Washington, D.C.: The Atlantic Council, Oktober 2021
  20. Justin Sherman: Cyber Defense across the Ocean Floor. The Geopolitics of Submarine Cable Security. Washington, DC: Atlantic Council, September 2021
  21. Anthony H. Cordesman (with the Assistance of Grace Huang): Strengthening European Deterrence and Defense: NATO, not European Defense Autonomy, is the Answer – Working Draft. Washington, DC: CSIS, 20. September 2021
  22. Cybertechnologie und KI
  23. Jeff Cirillo/Lisa Curtis/Joshua Fitt/Kara Frederick/ Coby Goldberg/Ilan Goldenberg/Andrea Kendall-Taylor/Megan Lamberth/Martijn Rasser/Dania Torres: The Future of the Digital Order. Washington, D.C.: Center for a New American Security (CNAS), November 2021
  24. Edward Parker: Commercial and Military Applications and Timelines for Quantum Technology. Research Report. Santa Monica, Calif.: The RAND Corporation, 2021
  25. Peter Schirmer/Jasmin Léveillé: AI Tools for Military Readiness. Santa Monica: Calif.: RAND Corporation, 2021
  26. Buchbesprechungen
  27. Klaus von Dohnanyi: Nationale Interessen. Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche. München: Siedler Verlag, 2022, 240 Seiten
  28. Kristina Lunz: Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen. Berlin: Econ/Ullstein Buchverlage, 2022, 448 Seiten
  29. John Arquilla: Bitskrieg: The New Challenge of Cyberwarfare. London: Polity Press, 2021. 206 Seiten
  30. Nachruf Hannes Adomeit, PhD
  31. Bildnachweise
Downloaded on 10.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2022-2001/html
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