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Schindler Gerhard Wer hat Angst vorm BND? Warum wir mehr Mut beim Kampf gegen die Bedrohungen unseres Landes brauchen Eine Streitschrift. Berlin Econ 2020 1 256

Wenn ehemalige Nachrichtendienstler, noch dazu die Chefs großer Geheimdienste, ihre Memoiren veröffentlichen und über ihre Dienstzeit sinnieren, geht damit beim Leser womöglich der implizite Wunsch einher, etwas grundlegend Neues über die Weltlage und die komplexen internationalen Beziehungen zu erfahren. Man will endlich einmal die Informationen hinter den Informationen sehen, um die „tieferen“ Weltzusammenhänge im Meer der täglichen Nachrichtenmeldungen zu verstehen. Umso stärker ist die Neugier, wenn das Ausscheiden aus dem aktiven Dienst erst wenige Jahre zurückliegt. Legt man diese Erwartung als Bewertungsmaßstab zu Grunde, wird man beim Lesen des Buches von Gerhard Schindler, dem Präsidenten des Bundesnachrichtendiensts von 2012 bis 2016, nur teilweise auf seine Kosten kommen. Das ist jedoch kaum verwunderlich und schon gar nicht verwerflich, denn Schindler legt nicht etwa seine Memoiren vor, sondern eine erfahrungsgesättigte Streitschrift, die weit mehr ist als eine Abhandlung über seinen ehemaligen Dienst. Die dreizehn Kapitel des Buchs bilden zusammen eine Art essayistisches Kompendium, das deutlich über den Sektor der Nachrichtendienste und den Bereich der Sicherheitspolitik hinausgeht – diesen jedoch stets im Blick behält. Das stellt der Autor auch gleich zu Beginn klar. Und dies macht auch den Gewinn der Lektüre aus, denn Schindlers Streifzug durch die politischen Entwicklungen, Probleme, Debatten und Skandale nicht nur während seiner Amtszeit ist überaus lesenswert und macht nachdenklich. Besonders die geschilderten Schwächen in der deutschen Sicherheitsarchitektur sind stellenweise sehr besorgniserregend. Hin und wieder vermag Schindler es auch, den Leser mit einigen seiner Einschätzungen und Ansichten zu überraschen.
Die Frage im Titel des Buches – Wer hat Angst vorm BND? – soll provozieren, denn sie ist von dem richtigen Gedanken geleitet, den einzigen deutschen Auslandsnachrichtendienst zu entmystifizieren, notwendiges Wissen über seine Arbeit in die Öffentlichkeit zu bringen und dadurch Vorurteile ab- und Verständnis aufzubauen. Dieser Wille zur Schaffung von mehr Transparenz ist die eine, positive Lesart des Titels. Eine andere ist ernüchternder. Mit Fortgang der Lektüre stellt sich nämlich beim Leser zunehmend der Eindruck ein, dass es eigentlich nicht so sehr darum geht, wer vorm BND heutzutage (noch) Angst hat, sondern wer ihn überhaupt noch ernst nimmt. Der Kern von Schindlers Streitschrift – und seiner stellenweise herauszulesenden Verbitterung – ist die, durch vielerlei gesetzliche Regelungen beförderte, institutionelle Trägheit und das, durch gesellschaftliches Desinteresse amalgamierte Problemgeflecht, das die Arbeitsfähigkeit des Dienstes stark eingeschränkt und ihn international zum Außenseiter gemacht hat. Gewiss, bereits bei dieser Einschätzung scheiden sich hierzulande die Geister und Meinungen. Für die einen ist der BND – ebenso wie der Verfassungsschutz – ein intransparentes, kaum kontrollierbares und damit undemokratisches Gebilde inmitten des Rechtsstaates, das durch strenge Regularien und Kontrollen bestmöglich eingehegt werden sollte. Für die anderen steht der Umgang mit dem BND symptomatisch für die konfliktscheue und offen gewaltablehnende, sicherheitspolitische Kultur Deutschlands.
Wenn Schindler schreibt: „Sicherheit ist auf dem Weg, ein ‚Igitt-Thema‘ zu werden“ (S. 12) oder beklagt, „Man nimmt uns nicht mehr ernst oder wahr.“ (S. 246), kann man dies als bellizistische Zuspitzungen eines in den (Zwangs-)Ruhestand versetzten Sicherheits-Hardliners abtun. Mit Blick auf die wenigen konkreten Erfolge der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in den Konfliktregionen unserer Nachbarschaft ist ihm jedoch beizupflichten. Nachdenklich machen überdies seine Einschätzungen zu einigen Regelungen, unter anderem beim Datenschutz, die das Bundesverfassungsgericht dem BND im Ausland – seinem operativen Haupteinsatzgebiet – abverlangt. Hierdurch sei die internationale Zusammenarbeit mit (allen) anderen Geheimdiensten gefährdet. „Die Dienste etwa im Nahen oder Mittleren Osten, die die vom Gericht geforderten rechtlichen Standards nicht erfüllen, werden zukünftig lieber mit Briten, Franzosen oder Italienern zusammenarbeiten, als mit einem Dienst, der sich vor der Kooperation erst einmal über den rechtsstaatlichen Umgang mit Daten vergewissern will. Wir brauchen aber die Zusammenarbeit mit diesen Diensten, wenn wir deutsche Sicherheitsinteressen nicht nur in der Region wahren wollen. Umgekehrt gilt dies nicht! Die genannten Dienste können auf die Zusammenarbeit mit dem BND verzichten“ (S. 15). Es ist freilich schwer nachzuprüfen, ob diese Vorgaben in der Praxis tatsächlich so eingefordert werden. Der Gedanke, dass es so sei, entbehrt aber angesichts der Unrealisierbarkeit solch rechtlicher Fallstricke nicht einer gewissen Tragik. Schindler bezeichnet diese Entwicklung daher zu Recht als „bedenkliche Verabsolutierung deutscher Rechtspositionen“ (S. 14), die in Sicherheitskreisen im Ausland hinter vorgehaltener Hand (nur noch) mit Kopfschütteln quittiert würden. Seine grundsätzlichen Ausführungen zum eigentlichen gesellschaftlichen Wert von Sicherheit im Spannungsverhältnis zu Freiheit fallen mitunter etwas einseitig zu Gunsten der Sicherheit aus. Dennoch hat er Recht, wenn er auf Rechtstheoretiker und Innenpolitiker rekurrierend feststellt, dass Sicherheit die notwendige Grundbedingung für die Ausbildung freiheitlicher Grundrechte sei. Ob damit ein (Super-)Grundrecht auf Sicherheit begründet werden könne, wird gewiss weiter kontrovers diskutiert werden (S. 138–144).
Für den Fortgang seiner Ausführungen stellt dieser interessante, wenn auch kurze, Exkurs nur die Vorstufe für die Darlegung des eigentlichen, und für Schindler ungleich wichtigeren, Problems dar: dem fehlenden Sicherheitsdiskurs in Deutschland und dem mangelnden Mut von Politikern, sich unpopulären Sicherheitsthemen zu stellen. Mehrfach fragt er, wo denn nur die standhaften (Sicherheits-)Politiker seien, die „neuen ‚Schilys‘ und ‚Friedrichs‘, die den Mut haben, gegen den weich gespülten Mainstream anzutreten“ (S. 145). Bewundernd schaut er in die USA und nach Großbritannien, wo offen und unverkrampft über Sicherheitsthemen diskutiert werde. Die zahlreichen angelsächsischen Think Tanks fungierten dabei als diskursermöglichende Player in der Gesellschaft. Diese Beobachtung ist zwar zutreffend, aber solcherart Klagen über den Zustand einer bestimmten (Sicherheits-)Kultur sind leider wenig ertragreich.
Seine praktischen Vorschläge zur Verbesserung der (Zusammen-)Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden sind hingegen im besten Sinne diskussionswürdig. Bei Experten wie auch beim thematisch wenig vertrauten Leser dürften sie das eine oder andere Mal zustimmendes Nicken hervorrufen (S. 216–236). Einige Vorschläge, wie die organisatorische Unterstellung des Bundeskriminalamts in die Bundespolizei oder des BND in den Bereich des Verteidigungsministeriums (weg vom Kanzleramt), leuchten sofort ein. Andere Empfehlungen, wie die gesamte Bündelung der Terrorismusbekämpfung beim Bundesamt für Verfassungsschutz klingen zwar gut, wären aber wohl mit einigen erheblichen rechtlichen und operativen Schwierigkeiten verbunden. Und bei manchen Vorschlägen, wie der Bundesfinanzierung der IT-Systeme für Polizei und Nachrichtendienste oder der Gründung eines Nationalen Sicherheitsrats, fragt man sich, warum diese nicht schon längst umgesetzt wurden.
Neben diesen klugen Analysen und gelegentlichen Fehlereingeständnissen (Stichwort NSA-Affäre) hält das Buch auch eine Reihe – zumindest aus Sicht des Rezensenten – überraschenden Ausführungen bereit. Dazu zählen etwa Schindlers Ansichten zur besseren Integration der in Deutschland lebenden Türken bzw. Deutschen mit türkischer Abstammung. Seine Vorschläge zielen dabei auf ein „realitätsnahes Integrationskonzept“ (S. 232) ab, in dessen Kern es darum gehen müsse, die türkische Community besser zu integrieren, aber diese kulturell auch so zu akzeptieren, wie sie sei. So schlägt Schindler vor, türkischsprachige Schulen in Ergänzung zu deutschen zu erlauben und von der Forderung Abstand zu nehmen, dass in türkischen Moscheen nur auf Deutsch gepredigt werden dürfe. Es seien vielmehr die arabischen religiösen Zentren, auf die stärker zu achten sei. Deutsche (Sicherheits-)Behörden müssten freilich sowohl in den türkischsprachigen Schulen als auch in den Moschee-Gemeinden eine kontinuierliche Prüfung und Kontrolle gewährleisten. Beide Vorschläge überraschen dann doch, da sie von den üblichen Forderungen aus der Sicherheits-Community abweichen. Aber genau das ist der große Mehrwert des Buchs: bisher kaum wahrgenommene Vorschläge aus der Sicht eines erfahrenen Praktikers der Sicherheitspolitik vorzustellen, um dadurch die hiesige Sicherheits-(diskussions-)Kultur anzuregen und auch für unangenehme Themen zu sensibilisieren. Für sicherheitspolitisch Interessierte wie auch für Experten sei das Buch daher wärmstens empfohlen.
© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Artikel in diesem Heft
- Titelseiten
- Editorial
- Editorial
- Aufsätze
- Russland und der Westen: Von „strategischer Partnerschaft“ zur strategischen Gegnerschaft
- Die Modernisierung der russischen Streitkräfte
- Kurzanalysen und Berichte
- Perspektiven der Strategischen Rüstungskontrolle
- Eine normenbasierte Strategie zur Verringerung nuklearer Gefahren
- Abrüstung und Rüstungskontrolle im 21. Jahrhundert. Weshalb es zu nichts führt, das 20. Jahrhundert künstlich zu verlängern
- Deutsche Rüstungskontrollpolitik im strategischen Niemandsland
- Die Rüstungskontrolle den neuen Realitäten anpassen
- Können die Vereinigten Staaten einen Krieg um Taiwan verhindern?
- Ergebnisse strategischer Studien
- Russlands Politik im postsowjetischen Raum
- Dmitri Trenin: Moscow’s New Rules. Moskau: Carnegie Moscow Center, 11. November 2020
- Der Krieg um Nagorny-Karabach
- Anna Maria Dyner/Arkadiusz Legieć: The Military Dimension of the Conflict over Nagorno-Karabakh. Warschau: Polnisches Institut für Internationale Beziehungen (PISM), 26. November 2020
- Europa, das transatlantische Verhältnis und China
- Mikko Huotari/Jan Weidenfeld/Claudia Wessling: Towards a “Principles First Approach” in Europe’s China Policy. Drawing lessons from the Covid-19 crisis. Berlin: MERICS, September 2020
- Matthew Kroenig/Jeffrey Cimmino (Lead Authors): Global Strategy 2021: An Allied Strategy for China. Washington, D.C.: The Atlantic Council, Februar 2021
- Sanktionenpolitik
- Daniel Fried: US sanctions policy: Lessons learned and recommendations for the new administration. Washington, D.C.: The Atlantic Council, November 2020
- Europäische Sicherheit
- Mark Leonard/Jeremy Shapiro: Sovereign Europe, Dangerous World: Five Agendas to Protect Europe’s Capacity to Act. Berlin, London: European Council on Foreign Relations, November 2020.
- Hans-Peter Bartels/Rainer L. Glatz: Welche Reform die Bundeswehr heute braucht – Ein Denkanstoß. Berlin: SWP-Aktuell, Nr. 84, Oktober 2020
- Naher und Mittlerer Osten
- Thomas Clayton: Afghanistan – Background and U.S. Policy: In Brief. Washington D.C: Congressional Research Service Report, November 2020.
- Leonid Issaev: Russia’s „Return“ to the Middle East and the Arab Uprisings. Istanbul und London: Al Sharq Forum Research, Februar 2021
- Buchbesprechungen
- Clive Hamilton/Mareike Ohlberg: Die lautlose Eroberung. Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet. München: Deutsche Verlags-Anstalt 2020, 495 Seiten
- Thorben Lütjen: Amerika im Kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert. Darmstadt: WBG Theiss, 224 Seiten
- Gerhard Schindler: Wer hat Angst vorm BND? Warum wir mehr Mut beim Kampf gegen die Bedrohungen unseres Landes brauchen. Eine Streitschrift. Berlin: Econ 2020, 256 Seiten
- Bildnachweise
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- Titelseiten
- Editorial
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- Aufsätze
- Russland und der Westen: Von „strategischer Partnerschaft“ zur strategischen Gegnerschaft
- Die Modernisierung der russischen Streitkräfte
- Kurzanalysen und Berichte
- Perspektiven der Strategischen Rüstungskontrolle
- Eine normenbasierte Strategie zur Verringerung nuklearer Gefahren
- Abrüstung und Rüstungskontrolle im 21. Jahrhundert. Weshalb es zu nichts führt, das 20. Jahrhundert künstlich zu verlängern
- Deutsche Rüstungskontrollpolitik im strategischen Niemandsland
- Die Rüstungskontrolle den neuen Realitäten anpassen
- Können die Vereinigten Staaten einen Krieg um Taiwan verhindern?
- Ergebnisse strategischer Studien
- Russlands Politik im postsowjetischen Raum
- Dmitri Trenin: Moscow’s New Rules. Moskau: Carnegie Moscow Center, 11. November 2020
- Der Krieg um Nagorny-Karabach
- Anna Maria Dyner/Arkadiusz Legieć: The Military Dimension of the Conflict over Nagorno-Karabakh. Warschau: Polnisches Institut für Internationale Beziehungen (PISM), 26. November 2020
- Europa, das transatlantische Verhältnis und China
- Mikko Huotari/Jan Weidenfeld/Claudia Wessling: Towards a “Principles First Approach” in Europe’s China Policy. Drawing lessons from the Covid-19 crisis. Berlin: MERICS, September 2020
- Matthew Kroenig/Jeffrey Cimmino (Lead Authors): Global Strategy 2021: An Allied Strategy for China. Washington, D.C.: The Atlantic Council, Februar 2021
- Sanktionenpolitik
- Daniel Fried: US sanctions policy: Lessons learned and recommendations for the new administration. Washington, D.C.: The Atlantic Council, November 2020
- Europäische Sicherheit
- Mark Leonard/Jeremy Shapiro: Sovereign Europe, Dangerous World: Five Agendas to Protect Europe’s Capacity to Act. Berlin, London: European Council on Foreign Relations, November 2020.
- Hans-Peter Bartels/Rainer L. Glatz: Welche Reform die Bundeswehr heute braucht – Ein Denkanstoß. Berlin: SWP-Aktuell, Nr. 84, Oktober 2020
- Naher und Mittlerer Osten
- Thomas Clayton: Afghanistan – Background and U.S. Policy: In Brief. Washington D.C: Congressional Research Service Report, November 2020.
- Leonid Issaev: Russia’s „Return“ to the Middle East and the Arab Uprisings. Istanbul und London: Al Sharq Forum Research, Februar 2021
- Buchbesprechungen
- Clive Hamilton/Mareike Ohlberg: Die lautlose Eroberung. Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet. München: Deutsche Verlags-Anstalt 2020, 495 Seiten
- Thorben Lütjen: Amerika im Kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert. Darmstadt: WBG Theiss, 224 Seiten
- Gerhard Schindler: Wer hat Angst vorm BND? Warum wir mehr Mut beim Kampf gegen die Bedrohungen unseres Landes brauchen. Eine Streitschrift. Berlin: Econ 2020, 256 Seiten
- Bildnachweise
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