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Leonid Issaev: Russia’s „Return“ to the Middle East and the Arab Uprisings. Istanbul und London: Al Sharq Forum Research, Februar 2021

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Published/Copyright: June 3, 2021

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Issaev: Leonid Russia’s „Return“ to the Middle East and the Arab Uprisings Istanbul und London Al Sharq Forum Research Februar 2021


Der Autor, Lehrkraft an der Higher School of Economics und Senior Research Fellow am Institut für Afrikastudien des Zentrums für Zivilisations- und Regionalstudien der Russischen Akademie der Wissenschaften, geht davon aus, dass der Beginn der arabischen Revolutionen im Jahr 2011 nicht nur den Beginn einer neuen Ordnung im Nahen Osten, sondern auch den Beginn der „Rückkehr“ Russlands in diese Region markiert.

Insbesondere im Zusammenhang mit der russischen Militärintervention in Syrien ab September 2015 hätten westliche Forscher die Intervention hauptsächlich im Hinblick auf die geopolitischen Interessen Moskaus analysiert. Ein solcher Ansatz sei zwar nicht falsch, berücksichtige aber nicht die wichtigsten Motive und die darauf beruhenden Strategien Russlands in der Region. Diese lägen vor allem in den von der russischen Machtelite wahrgenommenen innenpolitischen Herausforderungen.

In seiner Beweisführung weist der Autor eingangs auf die enge Verbindung zwischen der Entwicklung in Libyen und der Entscheidung Moskaus hin, sich voll und ganz hinter Baschar al-Assad in Syrien zu stellen. In den ersten Monaten nach dem Beginn der Massendemonstrationen gegen das Regime Muammar al-Gaddafis am 15. Februar 2011 hätten der Kreml und die staatlichen Medien die Ursachen für die Unruhen und überhaupt für den „Arabischen Frühling“ im sozioökonomischen wie auch im politischen Bereich angesiedelt. Sie hätten die Bewegungslosigkeit der Führungen und politischen Eliten, das geringe Maß an sozialer Mobilität, den späten Beginn beziehungsweise sogar das Fehlen dringender Reformen, die hohe Arbeitslosigkeit, Korruption und andere gesellschaftliche Krankheiten dafür verantwortlich gemacht. Die internen Konfliktfaktoren hätten sich über viele Jahre angesammelt und seien dann explodiert. Derartige Interpretationen seien aber nach verschiedenen Entwicklungen in Russland im Zeitraum vom Herbst 2011 bis Frühjahr 2012 in den Hintergrund getreten. Was hatte sich in diesem Zeitraum ereignet?

Nach den Wahlen zur Duma im Dezember 2011 und den Präsidentschaftswahlen im März 2012 hatten Massendemonstrationen in Moskau, St. Petersburg und vielen anderen Städten gegen offensichtliche Manipulationen und Fälschungen der Wahlen stattgefunden. Die Proteste der meist jugendlichen Demonstranten und Angehörigen der Mittelschicht – erfolgreiche Unternehmer privater mittelständischer Betriebe, Ingenieure, Ärzte, Lehrer und sogar Staatsbedienstete – waren aber über den konkreten Bezug auf die Wahlen hinausgegangen und hatten das von Putin geschaffene politische System kritisiert. So nahmen sie die von ihm unterstützte Partei Einiges Russland als eine Versammlung von „Gaunern und Dieben“ aufs Korn und verlangten ein „Russland ohne Putin“. Die Ursachen für die Proteste in Russland waren im Grunde genommen identisch mit denen vom Kreml vorher diagnostizierten Ursprüngen des „Arabischen Frühlings“.

Als Folge dieser Entwicklung im eigenen Land, so der Autor, habe der Kreml sein Narrativ radikal geändert. Für die Demonstrationen in der arabischen Welt wurde nunmehr der Westen verantwortlich gemacht, insbesondere die USA. Washington hätte das Ziel verfolgt, die in der Nachbarschaft erprobte „Polittechnologie“ der „Farbrevolutionen“ auf den arabischen Raum zu übertragen, um dadurch seine geopolitischen Interessen zu fördern – in Syrien wie im Irak, im Jemen, in Tunesien und in Ägypten. Diesem Narrativ entsprechend sei Assad als der legitime Präsident Syriens und Garant für die Stabilität des Lands dargestellt worden, während die vom Westen unterstützte sogenannte „Opposition“ sich praktisch nicht von den Terroristen des sogenannten Islamischen Staates (ISIS) hätte unterscheiden lassen.

Überhaupt spiele der Begriff der „Stabilität“ sowohl für die Legitimierung der russischen Militärintervention in Syrien als auch des Systems Putin eine große Rolle. Seine Interpreten hätten aktiv die Idee gefördert, dass Stabilität als Hauptkriterium für die Bewertung eines politischen Regimes dienen solle. Auch dies erkläre, warum der Kreml diktatorische Regime wie Assad in Syrien, Abdel Fattah al-Sisi in Ägypten und Chalifa Haftar in Libyen unterstütze.

Seltsam allerdings, dass Issaev nicht auf die Bedeutung der Überschreitung des Mandats der UN-Resolution 1973 vom 17. März 2011 für Putins Eingreifen in Syrien hinweist. Das Mandat hatte die Mitgliedsstaaten ermächtigt, „alle notwendigen Maßnahmen“, also auch militärische, zu ergreifen, um von Angriffen bedrohte Zivilpersonen und von der Zivilbevölkerung bewohnte Gebiete zu schützen. Die militärische Unterstützung der NATO, insbesondere militärischer Kräfte der USA, Frankreichs und Großbritanniens, für den Kampf der Aufständischen gegen die Regierungstruppen endete allerdings – Moskau zufolge, vom Westen gezielt und geplant – mit dem Sturz Gaddafis. Präsident Putin hatte ohnehin schon gegen die von Dmitri Medwedew in seiner damaligen Eigenschaft als Präsident verfügte Enthaltung bei der Abstimmung über die UN-Resolution polemisiert. Zusätzlich zu den von Putin und der russischen Machtelite wahrgenommenen innenpolitischen Notwendigkeiten, war wohl der erzwungene Regimewechsel in Libyen ein weiterer Grund, in Syrien militärisch einzugreifen.

https://research.sharqforum.org/download/27286/

Published Online: 2021-06-03
Published in Print: 2021-06-01

© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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