Reviewed Publication:
Fried Daniel US sanctions policy: Lessons learned and recommendations for the new administration Washington, D.C. The Atlantic Council November 2020
Die Studie gibt einen Abriss der US-Sanktionspolitik in der jüngeren Vergangenheit, von der Obama-Administration bis heute. Hierzu macht der Autor, Daniel Fried, eine Bestandsaufnahme in Form von Fallstudien der wichtigsten Sanktionszielländer der USA, darunter Iran, Venezuela, Nordkorea, Russland und China. In einem eigenen Abschnitt werden menschenrechtsbezogene Sanktionsmaßnahmen zusammengefasst und kommentiert. Ziel ist es, Empfehlungen für eine Neuausrichtung der Wirtschafts- und Außenpolitik in den kommenden vier Jahren und darüber hinaus zu geben.
Folgende Haupterkenntnisse zieht Fried aus den aktuell zahlreichen Sanktionsregimen, in die die USA weltweit uni- und multilateral eingebunden sind: Die bereits unter Obama verhängten Iran-Sanktionen, zunächst noch innerhalb des UN-Sicherheitsrats, setzten den Ton für die Trump-Administration, die die Sanktionen nach Ausstieg aus dem Atomabkommen unilateral mit wenigen Ausnahmen (u. a. Medizinsektor) auf sämtliche Handels- und Finanztransaktionen ausgeweitet hat. Die Analyse kommt zum Schluss, dass die USA sich durch den Ausstieg selbst isoliert hätten und empfiehlt, einen Wiedereintritt zu einer Neuverhandlung zu nutzen und dabei Terrorismus- und menschenrechtsbezogene Sanktionen als Druckmittel aufrechtzuerhalten.
Fried sieht für die neue Biden-Administration einen schwierigen trade-off zwischen der Industrie- und Außenpolitik gegenüber Nordkorea und China, da Letzteres im Gegenzug für Kooperation in Bezug auf Nordkorea Zugeständnisse gegenüber dem eigenen Land erwarten dürfte. Gegen China gerichtete Sanktionen – u. a. bezogen auf Huawei, TikTok, WeChat und wichtige Infrastruktur wie Häfen – könnten zukünftig durch weitere Maßnahmen gegen den chinesischen Finanzsektor erweitert werden. Systemrelevante chinesische Großbanken sollten dabei ausgenommen werden, um zu deeskalieren und einen Rückstoß auf das amerikanische Finanzsystem zu vermeiden. Der Trump-Administration bescheinigt Fried einen überzogenen Einsatz von Sanktionen. Gegenüber China könne das Ziel weder ein Regimewechsel sein noch könne die Zerstörung des chinesischen Privatsektors angestrebt werden. Der Autor empfiehlt ein stärker multilaterales Vorgehen mit Fokus auf intellektuelle Eigentumsrechte und Technologietransfer.
Der größte Sanktionsblock gegen Russland sind die seit 2014 verhängten Maßnahmen in Folge der Krim-Besetzung. Sie wurden durch Obama verhängt und durch Trump ausgeweitet. Dies geschah sektoral (v. a. Energie und Verteidigung) und firmenbezogen. Letzteres betraf vor allem den Bereich der Cyberkriminalität, z. B. die Troll-Fabrik Internet Research Agency. Insgesamt sei ein unübersichtlicher Eindruck entstanden, da Sanktionsziele rhetorisch zum Teil durch den Präsidenten selbst unterlaufen worden wären und dieser primär durch innenpolitische und wahltaktische Überlegungen gesteuert erschiene. Fried erwartet, dass Sanktionen gegen Nordstream 2 (seit Dezember 2019) mit der Verabschiedung des National Defense Authorization Act auch zukünftig fortgesetzt werden, wovon zahlreiche europäische Unternehmen betroffen sind. Empfohlen wird der neuen Administration, Eskalationsspielraum bei Finanzsanktionen koordiniert mit Alliierten wahrzunehmen, sollte die Ukraine- oder Belarus-Politik Russlands dies erforderlich machen.
Der Fall von Venezuela wird von Fried als ein besonders ambitionierter Fall von Sanktionspolitik eingestuft, der durch eine breite internationale Koalition abgestützt wird (OAS, Lima-Gruppe). Parallele Aktivitäten, z. B. der EU, Kanadas und der Schweiz, seien aber weniger breit und nicht sektoral, sondern gegen Individuen ausgerichtet. Wenngleich der erwartete Kollaps des Regimes unter Maduro nicht eingetroffen wäre, gingen die seit Anfang 2019 verhängten Sanktionen weit über die punktuellen Maßnahmen Obamas hinaus und erfassten alle wichtigen Sektoren, darunter den Goldsektor und das staatliche Ölmonopol PdVSA und die damit verbundenen Aktivitäten des russischen Staatsunternehmens Rosneft in Venezuela. Hier lautet die Empfehlung, stärker humanitäre Ziele zu verfolgen, z. B. bezüglich Hilfslieferungen. Der Beitrag schließt mit der experimentellen Überlegung, ob der seit 1977 bestehende International Emergency Economic Powers (PEES) Act dem Präsidentenamt zu viel Handlungsspielraum für missbräuchlichen Sanktionseinsatz einräume.
Nicht eingegangen wird auf die Wirkung angedrohter im Vergleich zu durchgesetzten Sanktionen. Unilaterale Sanktionsdrohungen durch die USA seien wirksamer als solche durch die EU, die EU dagegen erfolgreicher in der Sanktionsdurchsetzung. Zu diesem Schluss kommt die jüngst erschienene Analyse von Weber und Schneider in der Zeitschrift Conflict Management and Peace Science. Die internationalen Verwerfungen durch sekundäre Sanktionen (die auf Basis des Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act – CAATSA gegen Drittländer gerichtet sind), werden durch den Beitrag nur gestreift. Erwähnt werden angedrohte (Iran), in Kraft gesetzte (Russland, Nordstream 2) und verworfene (Venezuela) sekundäre US-Sanktionen. Lobbying von Botschaftern aus sieben europäischen Ländern, einschließlich Deutschlands, und durch die EU hätten 2019 zur Aufhebung der US-Sanktionen gegen ein russisches Aluminiumkonglomerat geführt. Sekundär wären in diesen Ländern 75.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt betroffen gewesen, wie eine Analyse der Plattform German Practice in International Law (GPIL) anführt. Gleichwohl würden diese sekundären Sanktionen nicht gegen internationales Recht verstoßen, wie ebenfalls angemerkt wird, was jedoch häufig mit Bezug auf WTO-Recht in Frage gestellt wird.
© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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