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Editorial

Published/Copyright: September 5, 2025

Die Maxime „Global denken – lokal handeln“ stammt aus der Umweltbewegung der 1960er-Jahre, wurde aber rasch auch in anderen Kontexten genutzt (erstere ist die grammatikalisch korrekte Version, zweitere wird aber auch häufig verwendet). Das Motto wird in zwei Richtungen verwendet: ursprünglich entstand es bottom-up als Graswurzelbewegung im Sinne einer Aufforderung, globale Auswirkungen lokalen Handelns zu bedenken. Es ist als Gegenpol zum Nihilismus oder der Ablehnung von Verantwortung für das eigene Tun zu sehen, das vorgeblich in der großen Masse der Aktivitäten der Menschen unterginge und dessen Wirkung irrelevant sei (https://en.wikipedia.org/wiki/Think_globally,_act_locally, abgerufen am 26.06.2025, 14:13 Uhr; Wikipedia).

Das Motto kann und wird aber auch in die andere Richtung, top-down, gelesen: übergeordnete, eher abstrakte Ziele auf globaler oder nationaler Ebene werden in Maßnahmen aufgeschlüsselt, die in Städten, Gemeinden oder Quartieren unter der Vorstellung umgesetzt werden, dass nur vor Ort gezieltes und damit zielführendes Handeln möglich ist.

Das kann auch als Alignment-Fragestellung gelesen werden. Unter Alignment wird beispielsweise in der Biologie das Ausrichten des Individuums in der Gruppe (bspw. Fische in einem Schwarm) verstanden, im Militär die Ausrichtung einzelner Aktionen am übergeordneten Kriegsziel (damit nicht die Schlacht gewonnen und der Krieg verloren wird) und in der KI-Forschung die Programmierung von Algorithmen derart, dass das Programm übergeordnete Ziele oder Vorstellung der Menschen unterstützt und nicht das Wohlergehen von Einzelnen, Gruppen oder gar der Menschheit gefährdet (wie das durch Facebook-Algorithmen gepuschte Pogrom gegen die Rohingya in Myanmar; siehe UN-Bericht unter https://iimm.un.org/wp-content/uploads/2024/03/Hate-Speech-Report_EN.pdf). Dabei geht es nicht um blinden Gehorsam oder stures Handeln nach Vorgaben. Der Fokus liegt darauf, den Geist der übergeordneten Ziele zu verstehen und lokales Handeln in dieser Hinsicht auszurichten.

In letzterem Sinne haben wir die aktuelle Ausgabe des Public Health Forums unter dieses Motto gestellt. Hierbei ist für uns von großem Interesse, wie globale oder nationale Public Health-Ziele an der Basis umgesetzt werden; wie eng sich die Umsetzung an der ursprünglichen Idee orientiert, und wie hilfreich übergeordnete Vorgaben sich im täglichen Handeln auswirken.

Das Heft umfasst drei Schwerpunkte:

Gesundheitssicherheit

Wir starten mit einem Beitrag von Julian Fischer et al., der die Frage stellt, durch welche Herangehensweise der Gefährdung der menschlichen Gesundheit in zunehmend unsichere Lagen entgegengewirkt werden kann. Er verdeutlicht, welche Ressourcen und Ansätze hilfreich sein können, um Kommunen und Gemeinden Methoden zum Aufbau von Resilienz an die Hand zu geben und damit die Gesundheit und das Wohlergehen insbesondere benachteiligter Gruppen zu ermöglichen. Der Beitrag von Martin Dirksen-Fischer et al. beleuchtet die Auswirkung einer global unsichereren Lage auf den Hafengesundheitsdienst und Möglichkeiten der Gegensteuerung. Peter Tinnemann et al. zeigen in ihrem Beitrag auf, welche strukturellen Änderungen für Gesundheitsämter empfehlenswert sind, um auf immer wahrscheinlichere Krisen vorbereitet zu sein. In einem zweiten Beitrag zusammen mit Hannah Höglund-Braun konkretisiert Peter Tinnemann, wie eine solche Vorbereitung auf bioterroristische Lagen gelingen kann. Julia Schilling et al. fassen in ihrem Beitrag die Sicht des RKI auf die zunehmende Gefahr einer Mensch-zu-Mensch-Übertragung der Vogelgrippe zusammen, und Ulrich Wagner et al. stellen an einem Beispiel aus einem lokalen Gesundheitsamt das konkrete Vorgehen nach einer Verdachtsmeldung von Vogelgrippe dar. Diese Beiträge zeigen, wie gut die konkrete Umsetzung von Maßnahmen vor Ort den globalen Ideen folgt.

Health in and for all policies – Gesundheit in und für alle/n Politikbereiche/n und gesellschaftlichen Sektoren

Der zweite Teil beinhaltet Fragestellungen und Szenarien, die noch stärker in andere Politikfelder hineinreichen als die im ersten Teil. Eine der bekanntesten und umfassendsten politischen Leitideen sind die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen (United Nations). Der Artikel von Ekberg et al. beschreibt, welche „Quick wins“ auf nationaler Ebene möglich sind, um bis 2030 die vorzeitigen Todesfälle um ein Drittel zu reduzieren und damit das SDG 3.4 zu erreichen. Die lokale Umsetzung wird in den Beiträgen von Ricarda Brender et al. und Claudia Röhl et al. vorgestellt – einmal in der Lebenswelt „Schulen“, zum anderen als Darstellungen der Handlungsoptionen für den Öffentlichen Gesundheitsdienst. Francesca Racioppi stellt den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Auswirkungen des Klimawandels her, und Sarah Messer legt dar, wie eine Maßnahme zum gesundheitlichen Hitzeschutz in einer Großstadt gelingen kann.

Die folgenden Beiträge fokussieren auf die Auswirkung von Lebensstil als Gesundheitsrisiko, nämlich die Entwicklung chronischer, nicht ansteckender Erkrankungen (non-communicable diseases, NCD). Beschrieben wird die Gestaltung gesunder Lebenswelten in unterschiedlichen Settings, um die Entwicklung von NCDs zu verlangsamen oder gar zu verhindern und gleichzeitig nachhaltig zu wirken.

Ulla Walter et al. stellen in ihrem Beitrag die Forschungsverbünde FIGENA in ihrer Gesamtheit vor. Einer dieser Verbünde, Salus Transform, ein multilokuläres integriertes Stadtentwicklungskonzept, wird in dem Beitrag von Gabriele Bolte et al. näher beleuchtet. Ein zweiter Verbund, die Kiez-Transform-Studie im Beitrag von Andrea Sarafoglu et al., legt den Schwerpunkt auf soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit, indem der Stadtraum durch gesundheitsförderliche Anpassungen optimiert wird.

Die Arbeit von Mirko Brandes et al. widmet sich gezielten Interventionen zur Bewegungsförderung in Grundschulen, und Meike Heming et al. beschreiben die Wirkung naturbasierter Interventionen in der betrieblichen Gesundheitsförderung. Sophia Beierl et al. schließlich stellen mit Urban Soundwalks ein neues Instrument zur Evaluierung gesundheitsförderlicher Aspekte in Lebensräumen vor.

In diese Beitragsreihe gehört auch das große Thema der psychischen Gesundheit – von Daniela Fuhr aus der globalen Perspektive und von Ina Zimmermann in dem bundesweiten, multizentrischen, partizipativ ausgerichteten und gut etablierten Präventionsprogramm „Verrückt – na und?“ für Jugendliche ab Klasse 8 am Beispiel der Stadt Nürnberg.

Ethische Fragestellungen in der Öffentlichen Gesundheit

Im letzten Abschnitt des Heftes werden die Auswirkungen staatlicher Regelungen auf Individuen reflektiert. Emmanuelle Brua et al. diskutieren, welche Rolle ethische Überlegungen insbesondere im Zielkonflikt zwischen hoheitlicher Tätigkeit auf der einen Seite und Beratung und Unterstützung von Bürgerinnen und Bürgern andererseits in der täglichen Arbeit des Öffentlichen Gesundheitsdiensts spielen. Andreas Gold et al. erörtern die besonderen Schutzbedarfe von Geflüchteten und inwieweit sie adressiert werden können. Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich ein Zielkonflikt zwischen formal umfassenden Standards durch das Gemeinsame Europäische Asylsystem auf der einen Seite und engen nationalen Vorgaben auf der anderen Seite. An dieser Stelle ist der Geist der europäischen Idee (noch) nicht in entsprechendes Handeln an der Basis umsetzbar: dieser Zielkonflikt trägt sehr deutlich die Schrift der politischen Unsicherheiten und Umwälzungen, die aus gesellschaftlichen Gründen ein sehr restriktives Vorgehen fordern.

Die in diesem Heft aufgezeigten Spannungsfelder werden die im ÖGD und Public Health-Bereich Tätigen in den folgenden Jahren in ihrer Arbeit begleiten und herausfordern – vielleicht ist die eine oder andere Anregung dabei, die hierbei unterstützen kann.

Die Redaktion

Published Online: 2025-09-05
Published in Print: 2025-09-25

©2025 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Articles in the same Issue

  1. Frontmatter
  2. Editorial
  3. Der Hafenärztliche Dienst in einer sich wandelnder Zeit – Schweres Wetter voraus
  4. Lokale Perspektive: Bioterroristisches Ereignis – Was mache ich als lokales Gesundheitsamt
  5. Lokale Vorbereitungen der Gesundheitsämter auf eine veränderte Lage der Gesundheitssicherheit
  6. How lifelong learning systems for human security can empower people and communities to think globally and act locally
  7. Think global, act local – eine globale Perspektive auf die Vogelgrippe
  8. European perspective on climate change and health
  9. Hitzetelefon der Stadt Köln: eine lokale Antwort auf den Klimawandel
  10. Sustainable Development Goals in der lokalen Umsetzung: Whole School Approach FREI DAY
  11. One and Planetary Health – neue Impulse für den Öffentlichen Gesundheitsdienst vor Ort
  12. Tackling NCDs in the WHO European Region: accelerating progress toward 2030 and beyond
  13. Lebenswelten gesund und nachhaltig gestalten: Forschungsverbünde FIGENA
  14. Bremen Active Schools: Promoting physical activity in primary school children
  15. Global Mental Health: The relevance of implementing low intensity psychological interventions in Germany
  16. „Verrückt? Na und!“ – Psychisch fit in der Schule – Gesundheitsamt Stadt Nürnberg
  17. Ethische Reflexion als integraler Bestandteil des Alltags im Öffentlichen Gesundheitsdienst
  18. Identifizierung und Adressierung besonderer Schutzbedarfe geflüchteter Menschen
  19. Using soundwalks to promote salutogenetic urban environments
  20. Entwicklung einer gesunden Stadt für alle: Verbundprojekt SalusTransform
  21. Quasi-experimentelle Evaluation der Effekte von Kiezblocks in der KiezTransform Studie
  22. Naturbasierte Interventionen in der betrieblichen Gesundheitsförderung
  23. Public Health Infos
Downloaded on 8.11.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/pubhef-2025-0070/html?lang=en
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