Die Sprache neu denken?
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Jürgen Trabant
Abstract
Sprachen (langues) sind heute vielfach politischem Druck zur Erneuerung ausgesetzt. Unwillkommenes Altes soll aus ihnen verschwinden. Diese Erneuerungswut verdankt sich einer Sicht auf die Sprachen, die vor Jahrhunderten neu war: nämlich der großen neuzeitlichen Entdeckung, dass Wörter nicht nur – wie Aristoteles dachte – verschiedene Laute sind, sondern dass sie – ungenaues und partikulares – „Denken“ enthalten. Die philosophische Kritik dieser Entdeckung übertreibt die Abhängigkeit des Denkens von der (unwillkommenen) Semantik der Sprachen und verfehlt damit die positive – und immer noch neue – Einschätzung ihrer Verschiedenheit als „wunderbare Vielfalt des Geistes“ (Leibniz). Unbeantwortet bleibt die Frage, ob die aktuellen neuen Formen der Kommunikation eine neue Sprache (langage) und einen neuen Menschen schaffen.
Literatur
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© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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- Zum Werden des ökologischen Phänomens Mensch
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- Redefining Humanity in the Era of AI – Technical Civilization
- II. Tier, Körper, Sprache
- Über den Menschen, der kein Tier sein will, und den Menschen auf Verwandtensuche
- Was für ein Tier ist der Mensch?
- Von der Überwindung des Ressentiments
- Die vier Körper des gedopten Athleten
- Emotionen: Zwischen Romantisierung und Technologisierung
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- Die Sprache neu denken?
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- Die alte Hoffnung auf den neuen Menschen
- Wassergeschichten
- Sonus und Persona
- Die ästhetischen Grundlagen der historischen Anthropologie
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