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Das Pflichtexemplar in Mecklenburg-Vorpommern

  • Barbara Unterberger

    Leitung Dezernat Erwerbung, Katalogisierung, Pflicht

    Fachreferentin Landesamt für Kultur und Denkmalpflege

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    and Gritt Brosowski

    Leitung Dezernat Benutzung, Digitalisierung, Landesbibliographie

    Fachreferentin Landesamt für Kultur und Denkmalpflege

Published/Copyright: November 12, 2024
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Zusammenfassung

Der Beitrag schildert das Sammlungsprofil der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern im Hinblick auf analoge Pflichtexemplare und die entsprechenden gesetzlichen Regelungen und praktischen Erfordernisse. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit den erforderlichen Prozessen und Entwicklungen, um in Mecklenburg-Vorpommern eine gesetzliche Regelung zur Sammlung von unkörperlichen Medienwerken zu ermöglichen und nimmt dabei dezidiert die Überlegungen und Bemühungen der vergangenen zehn Jahre in den Blick.

Abstract

This article introduces the collection profile of the Mecklenburg-Western Pomeranian State Library with a view to physical mandatory copies and related legal regulations and practical requirements. It also outlines processes and developments needed to facilitate a legal basis for the collection of non-physical media works in Mecklenburg-Western Pomerania, taking into account observations and efforts made during the past ten years.

Als regionale Pflichtexemplarbibliothek nimmt die Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern Günther Uecker (LBMV) – fußend auf den bestehenden, rechtsgültigen Grundlagen des Bundeslandes[1], Landespressegesetz und Druckablieferungsverordnung – den gesetzlich definierten Auftrag wahr, gedruckte Publikationen zu sammeln, zu erschließen, als schriftliches Kulturgut dauerhaft zu bewahren und zugleich für die Benutzung zur Verfügung zu stellen. Erstmals wird die Regierungsbibliothek Schwerin 1913 als Empfängerin von „deutschen Drucksachen“ benannt[2] und damit der Grundstock für die Sammlung mecklenburgischer Drucksachen gelegt. Mit 1955 und der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Entwicklung fortschrittlicher Literatur – Pflichtexemplare[3] wird die Landesbibliothek befähigt, für die DDR-Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg je ein Exemplar der innerhalb und außerhalb des Buchhandels erscheinenden Druckerzeugnisse zu sammeln.[4] Diese Einblicke in die Geschichte des Pflichtexemplars an der Landesbibliothek verdeutlichen, dass ihr Sammlungsauftrag inhaltlichen und formalen Veränderungen unterliegt: Geänderte räumlich-geographische Zuständigkeiten im Laufe der Jahrzehnte schlugen sich in verschiedenen Anpassungen wider.[5] Auch heute, im Jahr 2024, bedarf es einer weiteren Schärfung des Sammlungsprofils bzw. einer Novellierung des bestehenden Pflichtexemplargesetzes in Mecklenburg-Vorpommern und somit einer inhaltlichen Ausweitung des Sammlungsbegriffes auf unkörperliche Medien, Netzpublikationen und digitale Publikationen.[6] Aktuell beschränkt sich die Sammlung von Pflichtexemplaren auf gedruckte, analoge Medien in all ihrer Bandbreite und in Entsprechung zu den geltenden Erwerbungsrichtlinien. Die Pflichtablieferung hat dabei unaufgefordert binnen eines Monats nach dem Erscheinen eines Druckwerks zu erfolgen. Trotzdem wird ein nicht unerheblicher Teil der Pflichtexemplare u. a. wegen mangelnder Kenntnis über die geltende Rechtslage auf Seiten der abliefernden Personen/Einrichtungen über aktive Anforderungen (per E-Mail, telefonisch oder im Bedarfsfall mit offiziellem Anforderungsschreiben) durch die Landesbibliothek eingesammelt – ein Aufgabenbereich, dessen Wahrnehmung mit nicht unerheblichem Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden ist. Ein Spezifikum der Einrichtung kommt hier zudem zum Tragen: Pflichtexemplare mit gleichzeitig inhaltlich-thematischer Überschneidung zu landeskundlichen Themen werden in einem zweiten Exemplar erworben. Dafür wurde ein eigener Geschäftsgang installiert, um zeitaufwändigen Doppelstrukturen in der Beschaffung bzw. längeren Beschaffungswegen perspektivisch vorzubeugen. Pflichtexemplare können an der Landesbibliothek im Lesesaal benutzt und eingesehen werden, eine Ausleihe außer Haus ist bei beiden Sammlungsschwerpunkten, Pflichtexemplaren und Publikationen zur Landeskunde (Mecklenburgica), nur mit Einschränkungen möglich. Zudem besteht die Möglichkeit und gleichzeitig Verpflichtung, die Bestände über die Fernleihe zu bestellen. Die Ablieferung bzw. Sammlung/Archivierung von Pflichtexemplaren unterliegt den Maßgaben der seit 2017 geltenden Sammelrichtlinie für das Pflichtexemplar an der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern Günther Uecker. So werden beispielsweise Werbeschriften, Verkaufskataloge, Bedienungs- und Betriebsanleitungen, Newsletter, Pressespiegel, Schülerzeitschriften, Schulbücher, Hochschulprüfungsarbeiten, die nur innerhalb des Qualifikationsverfahrens entstehen und nicht zur Verbreitung bestimmt sind (z. B. Diplom- oder Masterarbeiten), Medienwerke mit bis zu acht Seiten Umfang etc. nicht in den Sammlungsbestand mit aufgenommen.

Darüber hinaus sammelt die Landesbibliothek auch Amtsdrucksachen von Kreisen, Gemeinden und Gemeindeverbänden.[7]

Eine Ausnahme im Bereich elektronischer Medien stellt seit 2020 die Teilnahme am sogenannten Regionalfenster[8] der DNB dar. Ziel in dem gemeinsamen Projekt zwischen DNB und der Arbeitsgemeinschaft der Regionalbibliotheken ist „das Erstellen einer technischen Infrastruktur für einen regionalspezifischen Zugriff auf die bei der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) archivierten E-Paper-Tageszeitungen durch die jeweilige sammlungsberechtigte regionale Pflichtexemplarbibliothek“.[9] Im Lesesaal der Landesbibliothek können die einzelnen Tagesausgaben regionaler Zeitungen als E-Paper im pdf-Format eingesehen werden; die Nutzung orientiert sich dabei an den vertraglichen Vereinbarungen zwischen der DNB und den Pflichtverlagen. Dies stellt eine nachhaltige Ergänzung zum Sammlungsbestand regionaler Zeitungen dar: Die Originalausgaben werden in Papierform archiviert, interessierten Nutzenden stellt die Bibliothek Mikrofilmausgaben für Recherchen bzw. Vervielfältigungen zur Verfügung und mit Projektbeginn besteht somit zusätzlich ein digitaler Zugang zu den regionalen Zeitungsbeständen.[10]

Selbst in einem gemessen an der Einwohnerzahl verhältnismäßig kleinen Bundesland wie Mecklenburg-Vorpommern mit einer überschaubaren Verlagslandschaft besteht stets die Gefahr, den Überblick über ablieferungspflichtige Neuerscheinungen zu verlieren – im Speziellen ist davon der Bereich der Grauen Literatur betroffen. Die Verlagswelt gestaltet sich sehr heterogen: Neben alt eingesessenen Verlagen sind vielfach Selbst- und Kleinstverlage zu finden, einzelne Verlage haben ihre Tätigkeit in den letzten Jahren eingestellt, sind mit Verlagen in anderen Bundesländern fusioniert oder haben ihre Schwerpunktsetzung in den Bereich elektronischer Publikationen verlagert. Nach wie vor ist eine aktive Anforderung von Pflichtexemplaren erforderlich – eine wichtige und grundlegende Aufgabe der sogenannten Pflichtstelle, welche an der Landesbibliothek aktuell von einem Mitarbeitenden wahrgenommen wird. Aufgrund einer mehrjährigen Unterbrechung und personellen Neubesetzung liegt der derzeitige Schwerpunkt in der Evaluierung bestehender Geschäftsgänge, der Neustrukturierung bzw. Neuausrichtung des Aufgabenbereiches sowie in der retrospektiven Anforderung und Bearbeitung von Pflichtliteratur, um eventuell entstandene Ablieferungslücken minimieren bzw. ausgleichen zu können. Wesentlich sind zudem Konzepte für die retrospektive Datenpflege, Aufbau und Etablierung von Kontakten zu Pflichtverlagen im Bundesland sowie die Mitarbeit an Konzepten zur zukünftigen Ausrichtung der Pflichtstelle. Bereits umgesetzt werden konnte die Überarbeitung des elektronischen Auftritts zum Pflichtexemplar mit dem Ziel, den Zugang nutzerfreundlicher, übersichtlicher und nach aktuellen Bedarfen zu gestalten. Häufig nachgefragte Sachverhalte wurden in einer FAQ-Liste hinterlegt, grundlegende Informationen schnell und barrierefrei zugänglich gemacht und in kurzer und übersichtlicher Form Antworten zum Thema „Pflichtexemplar an der Landesbibliothek“ aufbereitet.[11] So kann der Webauftritt für Abliefernde aus allen Bereichen als eine erste Anlaufstelle zur Einholung genereller Informationen zur Pflichtablieferung fungieren – orts- und zeitunabhängig.

Auch Maßnahmen zum Schutz des schriftlichen Kulturgutes zählen zu einem weiteren Aufgabenspektrum und einer Verpflichtung, welcher sich die Landesbibliothek stellt. So werden seit 2020 die Empfehlungen und Richtlinien der regionalen Kooperation AG Speicherverbund Nord[12] in der Arbeitspraxis umgesetzt. Mittels verteilter Archivierungsschwerpunkte soll die Bereitstellung von Medienbeständen perspektivisch dauerhaft gewährleistet werden, Aspekte wie Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit spielen dabei eine essentielle Rolle für die bibliothekarischen Einrichtungen, welche sich am Projekt beteiligen. Aktuell werden in der Landesbibliothek u. a. gedruckte Pflichtexemplare in der Verbunddatenbank K10plus mittels normierter Einträge markiert[13], dadurch verbundweit kenntlich und sichtbar gemacht. Mit der Kennzeichnung einher geht der Anspruch, markierte Sammlungsbestände langfristig/dauerhaft zu archivieren, deren Nutzung und Bereitstellung zu gewährleisten und hinsichtlich bestandserhaltender Maßnahmen prioritär zu behandeln. Vor dem Hintergrund erforderlicher Bestandsbereinigungen und mengenmäßiger Bestandsverkleinerungen im Rahmen zukünftiger Platzbedarfe ist dies von erheblicher Bedeutung.

Mecklenburg-Vorpommern hat im Jahr 2024 als eines der letzten verbleibenden Bundesländer in Deutschland noch keine an die moderne Medienwelt angepassten rechtlichen Regelungen.[14] Die LBMV hat im vergangenen Jahrzehnt viele verschiedene Wege beschritten, um die aus ihrer Sicht erforderliche Aufnahme unkörperlicher Medienwerke, das Webseitenharvesting sowie die Sammlung elektronischer Amtsdruckschriften in ihren Wirkungsbereich aufnehmen zu können. Neben zahlreichen Gesprächen mit verschiedenen Ministerien und Funktionsträgern des Landes sowie Landtagsabgeordneten etc. hat sich auch die Landeskanzlerkonferenz in diesen Prozess hilfreich eingebracht.

Dabei wurden zahlreiche Vorarbeiten, u. a. auch zu den elektronischen Pflichtexemplargesetzen in anderen Bundesländern und die damit verbundenen Erfahrungen der dortigen Kolleginnen und Kollegen ausgefertigt, sowie im Jahr 2018 ein umfassender Projektantrag gestellt. Dieser sollte in Ermangelung einer gesetzlichen Regelung für die elektronische Pflicht im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern im Rahmen eines Projektes die Konzeption und Umsetzung auf „freiwilliger Basis“ prüfen und umsetzen. Maßgeblicher Hintergrund des Antrages war, die für den Zeitpunkt des Vorliegens einer gesetzlichen Regelung erforderlichen und grundlegenden Vorarbeiten bereits geleistet zu haben und so anschließend mit der Umsetzung beginnen zu können. Die LBMV wollte damit auch dezidiert dem bestehenden digitalen Gedächtnisverlust auf amtlicher Ebene entgegenwirken.

In den Folgejahren 2019 bis 2021 wurden die Bemühungen zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage nochmals intensiviert. Der Vorstoß der Landeskanzlerkonferenz Mecklenburg-Vorpommern brachte Bewegung in den Prozess und führte zu verschiedenen Gesprächen im damaligen Bildungsministerium. Hier konnten von fachlicher Seite Missverstände ausgeräumt sowie Zielrichtungen präzisiert und überdies verdeutlicht werden, wie wichtig eine genaue gesetzliche Regelung für unkörperliche Medienwerke ist, damit sie archiviert und verarbeitet, kostenfrei zur Verfügung gestellt und für die die öffentliche Nutzung (in der Bibliothek) verwendet werden können.

Im Rahmen dieser Gespräche ist es zudem gelungen, die Notwendigkeit der E-Pflicht-Regelung im Zusammenhang mit den möglichen Kooperationen mit der DNB nachhaltig zu verankern. An die Landesbibliothek wurden und werden immer wieder Forderungen nach einer Kooperation mit der DNB im Bereich des Sammelns von E-Medien herangetragen. Mit der Umsetzung der E-Paper-Kooperation in der Landesbibliothek im Jahr 2020 verstärkten sich diese Wünsche weiter.

Die Landesbibliothek konnte klar verdeutlichen, dass die DNB zwar einen nationalen Archivierungsauftrag, aber eben dezidiert keinen regionalen Versorgungsauftrag hat und als bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts keine Aufgaben der Länder substituieren darf.

Um eine Kooperation mit der DNB in die Praxis umsetzen zu können, ist ein elektronisches Pflichtexemplargesetz für Mecklenburg-Vorpommern hingegen notwendige Voraussetzung.

Im Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz ist eine Kooperation zwischen der DNB und den Landesbibliotheken vorgesehen. Der regionale Zugriff bei der DNB setzt aber eine landesrechtliche elektronische Pflicht voraus. Mecklenburg-Vorpommern hat diese Möglichkeit zur Kooperation mit der DNB weiterhin nicht umgesetzt und muss somit derzeit auch einen Service für die Bürgerinnen und Bürger des Landes vorenthalten, weil die rechtliche Grundlage hierfür aussteht.

Eine Aufnahme zur Regelung der elektronischen Pflicht im neuen Koalitionsvertrag nach den Landtagswahlen im September 2021 fand nicht statt.

Die aktuelle Situation mit einer im Vergleich zu Vorjahren angespannteren Haushaltssituation vergrößert die Herausforderungen weiter. Ein Gesetz zu schaffen, welches neue Aufgaben entstehen lässt, die man aufgrund der bestehenden Haushalts- und Personallage in Mecklenburg-Vorpommern nur schwer wird bewältigen können, stößt auf einen geringen Resonanzraum. Im Ergebnis ist es bis heute in Mecklenburg-Vorpommern nicht gelungen, einen ausreichenden Willen auf allen notwendigen Ebenen zu erzeugen, der sich des Themas „Elektronisches Pflichtexemplar“ erfolgreich angenommen hätte.

Die Bemühungen zur gesetzlichen Regelung des Themas sind dennoch nicht abgerissen. Der dbv-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern hat sich im Rahmen seines Bestrebens um ein Bibliotheksgesetz für das Bundesland dezidiert auch mit der Frage des Sammelns unkörperlicher Medienwerke beschäftigt und unterstützt diesen Prozess seit vielen Jahren. Eric Steinhauer hat als juristischer Experte für Bibliotheks- und Pflichtexemplargesetze im Sommer 2023 Schwerin für einen Workshop besucht und begleitet den Prozess ebenfalls.

Zudem hat die AG Wissenschaftliche Bibliotheken beim Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten im Frühjahr 2023 nach Absprache einen eigenen Entwurf für eine gesetzliche Regelung zur Sammlung unkörperlicher Medienwerke eingebracht. Ein Ergebnis zum Thema steht gegenwärtig noch aus.

Bibliotheken verstanden als zentrale Infrastruktureinrichtungen der Wissensgesellschaft und der kulturellen Bildung verbunden mit digitaler Teilhabe benötigen für die Ausübung ihrer Dienstleistungen im digitalen Zeitalter stabile Rahmen- und Gelingensbedingungen. Dies zum einen rechtlich verankern zu lassen und zum anderen in eine produktive Praxis zu überführen, wird in den nächsten Jahren die größte Herausforderung für die LBMV bleiben.


Article Note

Der Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Joris Busch, Leiter der Pflichtstelle der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern Günther Uecker.


Über die Autoren

Dr. Barbara Unterberger

Leitung Dezernat Erwerbung, Katalogisierung, Pflicht

Fachreferentin Landesamt für Kultur und Denkmalpflege

Gritt Brosowski

Leitung Dezernat Benutzung, Digitalisierung, Landesbibliographie

Fachreferentin Landesamt für Kultur und Denkmalpflege

Online erschienen: 2024-11-12
Erschienen im Druck: 2024-11-08

© 2024 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 31.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bd-2024-0091/html?lang=en
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