Zusammenfassung
Auf Grundlage der sich verändernden rechtlichen Gegebenheiten seit Gründung des Bundeslandes wird die heutige Sammelpraxis in den rheinland-pfälzischen Pflichtexemplarbibliotheken und insbesondere die praktische Etablierung der elektronischen Pflicht dargestellt.
Abstract
In light of changes in legal conditions since the founding of Rhineland-Palatinate, the current collection mandate and practice in the state’s repository libraries is outlined in this article, with a focus on the implementation of a recently introduced additional mandate to collect electronic deposit copies.
1 Geschichte und Gesetzesregelungen
Rheinland-Pfalz zählt zu den nach dem Zweiten Weltkrieg neu geschaffenen Bundesländern, so dass auch die Frage des Pflichtexemplars aus den bisherigen territorialen Zusammenhängen herausgelöst wurde und neue Zuständigkeiten zu schaffen waren. War von der Landesregierung ursprünglich die Universitätsbibliothek Mainz zentral für das gesamte Land als zuständige Pflichtexemplareinrichtung vorgesehen,[1] kamen mit der gesetzlichen Verankerung der Abgaberegelungen im Landespressegesetz von 1965[2] und mit der entsprechenden Durchführungsverordnung von 1966[3] ein zweiter Kreis von Empfangsberechtigten hinzu: die Regionalbibliotheken, die jeweils nur für ihren eigenen Sprengel das Pflichtexemplar innehatten. Für den nördlichen Bereich des Landes, ehedem Teil der preußischen Rheinprovinz und Hessen-Nassaus, war die traditionsreiche Stadtbibliothek Trier[4] zuständig, für Rheinhessen, das vorher zu Hessen-Darmstadt resp. dem Volksstaat Hessen gehört hatte, die nicht minder traditionsreiche Stadtbibliothek Mainz und für die ehemals bayerischen Landesteile in der Pfalz die erst 1921 gegründete Pfälzische Landesbibliothek (PLB) in Speyer. 1992 kam die Rheinische Landesbibliothek (RLB) hinzu, die seit 1987 in Koblenz aufgebaut wurde und den Nordwesten des Landes, den Regierungsbezirk Koblenz, von der Trierer Stadtbibliothek übernahm.
Mit dem Landesmediengesetz (LMG) von 2005[5] wurde die im Pressegesetz vorgesehene Anbietungspflicht zu einer Ablieferungspflicht ausgeweitet. Entgegen der bislang nicht geregelten Entschädigung in Höhe der Selbstkosten wurde grundsätzlich die unentgeltliche Ablieferung verfügt. Eine Verwaltungsvorschrift zur Gewährung von Zuschüssen bei Härtefällen ergänzte das Regelungswerk. Die UB Mainz fiel mit der zugehörigen Durchführungsverordnung 2006[6] aus dem Empfängerkreis heraus, so dass die Ablieferungspflichtigen im Bundesland nurmehr ein Exemplar abzugeben hatten.
Trotz der frühen Bemühungen in Rheinland-Pfalz, auch die Online-Publikationen in die Ablieferungspflicht einzubeziehen (der Musterentwurf der Arbeitsgemeinschaft der Regionalbibliotheken für ein solches Gesetz war maßgeblich von Dr. Ernst-Ludwig Berz, dem damaligen Leiter der RLB vorangetrieben worden), wurde die E-Pflicht in Rheinland-Pfalz erst mit dem Landesbibliotheksgesetz von 2014 (LBibG)[7] etabliert. Empfangsberechtigt ist seitdem allein das Landesbibliothekszentrum (LBZ), deren Teile die PLB und die RLB seit 2004 sind. Die beiden Stadtbibliotheken behalten jedoch ihre Zuständigkeit für die gedruckten Pflichtexemplare aus ihrem Bereich mit der Landesverordnung zur Durchführung der §§ 3 und 4 des LBibG von 2017 und 2022[8]. Die UB Mainz fällt endgültig aus dem Kreis der empfangsberechtigten Bibliotheken, da sie auf die Sammlung von Amtsdruckschriften verzichtet. Die Abgabe amtlicher Veröffentlichungen ist – eine weitere Neuerung im LBibG – nun auch hier geregelt. Abweichend von der bisherigen Verwaltungsvorschrift (s. nächster Abschnitt) unterliegen seitdem auch die kommunalen Amtsdruckschriften der Ablieferungspflicht (vorher galt hier nur eine Empfehlung). Darüber hinaus erlaubt die Verordnung dem LBZ, Ausnahmen bei der zweifachen Dopplung – parallele Sammlung von Druck- und Online-Version sowie bei den amtlichen Veröffentlichungen in RLB und PLB – zu machen.

Die rheinland-pfälzischen Pflichtexemplarbibliotheken mit ihren Zuständigkeitsbereichen (Druckexemplare).
2 Amtsdruckschriften und amtliche Veröffentlichungen des Landes
Zuvor war die Abgabe mit einem Runderlass bzw. in einer eigenen Verwaltungsvorschrift geregelt worden: 1969, 1972,[9] 1995[10] und 2004[11]. Im Gegensatz zum regulären Pflichtexemplar war im Bereich der Amtspflicht bereits 2004 die Abgabe von Medienwerken in unkörperlicher Form festgelegt worden. Zudem war legitimiert worden, dass die „elektronischen Veröffentlichungen und Web-Sites“ „dauerhaft der Öffentlichkeit online zur Verfügung gestellt“ werden. Eine ähnlich deutliche Aussage fehlt indes im § 4 LBibG.
3 E-Pflicht praktisch
Im Vorgriff auf die rechtlichen Regelungen begannen bereits 2002/2003 in der RLB die Vorarbeiten für die erforderliche Ausweitung des Sammelauftrags auf die elektronische Pflicht. Mit dem Hochschulbibliothekszentrum in Köln (HBZ) wurde ein technischer Kooperationspartner für den Aufbau eines Archivservers gefunden, auf dem elektronische Pflichtstücke und landeskundliche Websites auf freiwilliger Basis gesammelt werden sollten. Unter dem Namen edoweb (Elektronische Dokumente und Websites Rheinland-Pfalz) wurde das neue Angebot Ende 2003 für die Öffentlichkeit freigeschaltet, 2004 erhielt das Projekt mit der erwähnten Verwaltungsvorschrift die rechtlichen Weihen.[12]
Als technische Basis dienten ursprünglich zwei OPUS-Systeme, getrennt nach Dokumenten und Websites. 2006 erfolgte der Umzug zum Exlibris-Produkt Digitool, das erstmals die einheitliche Speicherung und den Anschluss des edoweb an die Verbunddatenbank sowie den lokalen Katalog sicherstellte. Mit dem von Exlibris verkündeten Ende von Digitool beauftragte das LBZ das HBZ mit der Entwicklung eines Ablösesystems, so dass ab 2015 sukzessive der Wechsel zum Fedora-basierten Dokumenten- und Publikationsservice to.science (ehemals REGAL) begann. Das Frontend für Bearbeitung und Öffentlichkeit wird über das CMS Drupal realisiert, die Suche mit Elastic Search.
Mit der LBZ-Gründung wurde die Sammlung von E-Pflicht auch in der PLB aufgenommen. Da die Verlagslandschaft in Rheinland-Pfalz überschaubar war und ist, galten die vorrangigen Bemühungen den amtlichen Veröffentlichungen. So wurden einerseits Absprachen mit dem ebenfalls empfangsberechtigten Landeshauptarchiv getroffen, das eine alleinige Sammlung und Bereitstellung der elektronischen Versionen dem LBZ überließ. Andererseits wurden die Ministerien, Ämter und Institutionen zwischen beiden Landesbibliotheken aufgeteilt, um Doppelarbeit auf dem neuen Arbeitsgebiet zu vermeiden.
Bei den Verlagspublikationen galt bei parallelen Publikationsformen der Vorrang der gedruckten, um sich schrittweise dem neuen Sammelgut anzunähern. Eine Ausnahme bestand für die Verlage oder Selbstverleger, sofern sie großzügigere Nutzungskonditionen als den vom Gesetz vorgesehenen Lesesaalzugriff einräumten.
Für das Aufgabengebiet der Verlagsbestellungen bietet das vom HBZ angebotene Erwerbungsinstrument ELi:SA wertvolle Unterstützung. Ursprünglich für den Einsatz im Fachreferat gedacht, bietet die Software mit ihren Selektionsmechanismen für Verlage eine praktische Hilfe, um regelmäßig automatisiert Neuerscheinungslisten von Pflichtexemplaren zu erzeugen und gegen den vorhandenen Bibliotheksbestand zu prüfen.
Mit den gewonnenen Erfahrungen aus den schrittweisen Aufgabenerweiterungen wurden die Geschäftsgänge jeweils optimiert und in einer nächsten Etappe damit begonnen, die E-Pflicht in den Trierer und rheinhessischen Bereichen auszuweiten. Seit 2022 wird auch das Feld der kommunalen amtlichen Veröffentlichungen verstärkt bestellt.
4 Sammlung
Da für die Einführung der E-Pflicht im Gegensatz zu anderen Bundesländern keine weiteren Personalstellen bewilligt worden waren, bildeten die Sammelrichtlinien neben dem etappenweisen Voranschreiten ein probates Mittel, den Arbeitsanfall zu steuern.
Nach dem Vorbild der NRW-Landesbibliotheken wurde ein internes Sammelprofil für Rheinland-Pfalz geschaffen, das in körperliche und unkörperliche Medien, Websites und amtliche Veröffentlichungen gegliedert ist. Die verschiedenen Publikationsformen werden mit einem Punktesystem zwischen 1 und 4 bewertet (von „aktiv und umfassend“ bis „nicht zu sammeln“), das den Bearbeiterinnen und Bearbeitern die Sammelintensität anzeigt, ohne eine gewisse Flexibilität einzubüßen. Das Profil wird stetig fortgeschrieben und dem Pflichtanfall entsprechend nachgeschärft und ist mit den beiden Stadtbibliotheken abgestimmt. Generelle Ausnahmen bestehen für landeskundliche Publikationen, für die großzügigere Kriterien gelten (z. B. beim erforderlichen Umfang).
Die Möglichkeiten, die sich durch die Erweiterung der Landesverordnung 2022 aufgetan haben, sich auf die Sammlung amtlicher Veröffentlichungen in Koblenz oder Speyer oder auf die alleinige Sammlung der Online-Fassung zu beschränken, stehen erst am Anfang und werden schrittweise angegangen.
Eine andere Variante, kleinteilige graue elektronische Veröffentlichungen mit vergleichsweise geringem Aufwand zu sammeln, besteht darin, an ihrer Stelle die gesamte Website des herausgebenden Vereins, der Institution etc. zu harvesten. Eine Verzeichnung in der ZDB unterbliebe sowie die aufwendige Eingangsüberwachung einzelner Hefte. In der Titelaufnahme der Website wäre ein Enthält-Vermerk unterzubringen. Das Verfahren ist für Publikationen bedenkenswert, deren Erhalt wünschenswert ist, eine weniger gute Recherchierbarkeit oder eventuell auftretende Lücken jedoch vertretbar sind.
5 Websites
Seit dem Aufbau des edoweb-Servers gehörten landeskundliche Websites zu den bevorzugten Publikationsformen. Mit dem Erlass der Amtsdruckschriftenverwaltungsvorschrift rückten zudem die vorrangig repräsentierenden Websites[13] der Landeseinrichtungen in den Blick, deren Sammlung rechtlich gedeckt war. Im Sommer 2024 waren im edoweb 2.212 Websites archiviert, deren Großteil regelmäßig automatisiert in meist sechsmonatigem Turnus neu geharvestet wird.[14]
6 Zugriff
Bei Start des edoweb stand das Ziel vor Augen, die im Internet frei verfügbaren Dokumente und Websites genauso unbeschränkt in der archivierten Version zur Verfügung zu stellen. Für Verlagsproduktionen war dagegen diese Zielsetzung nicht realistisch. Zumindest war angedacht, bei aufgeschlossenen Verlagen eine Remote access-Lösung für die Nutzerschaft des LBZ zu erhandeln.
Da anfänglich keine rechtliche Grundlage für die E-Pflicht bestand, wurden Einverständniserklärungen der Websitebetreiber eingeholt, um einen weltweit freien Zugriff zu ermöglichen. Mit der bald erfolgten Ermächtigung der Verwaltungsvorschrift von 2004, die amtlichen Veröffentlichungen dauerhaft online zur Verfügung zu stellen, wurde hier ganz auf die Einholung von Einverständniserklärungen verzichtet.
Das Inkrafttreten des Landesbibliotheksgesetzes 2014 verankerte zwar erstmals die E-Pflicht rechtlich, sicherte jedoch zur Nutzung lediglich einen Zugang in den Räumlichkeiten der Bibliothek. Für die weitergehende Verbreitung war weiterhin das urheberrechtlich ohnehin nötige Einholen einer Einverständniserklärung erforderlich.
Nach wiederholten Abmahnversuchen, meist unter Hinweis auf Bildrechte, beauftragte das LBZ eine auf Urheberrecht spezialisierte Anwaltskanzlei in Koblenz mit einem Gutachten. In der Folge kam es 2022 zu einer Beschränkung aller Inhalte des edowebs auf eine Benutzung in den Bibliotheksräumen. Nach intensiven rechtlichen Prüfungen mit Bibliotheksrechtsexpert*innen wurden im Herbst des Jahres alle Veröffentlichungen des Landes (Ministerien und nachgeordnete Dienststellen) wieder freigegeben. Unterdes haben überarbeitete Einverständniserklärungen die Grundlage für die erneute Öffnung auch für die Websites geschaffen, für die das Einverständnis des Betreibers vorliegt. Momentan steht eine technische Lösung dafür noch aus.
Bei der Entleihbarkeit der gedruckten Pflichtexemplare verhält es sich weniger einheitlich: Während die PLB und die Stadtbibliothek Mainz mit Ausnahme von Kapselschriften großzügig entleihen, werden in der RLB und der Stadtbibliothek Trier erwartbar schwierig erneut zu beschaffende Titel auf die Lesesaalnutzung beschränkt und ggf. ein entleihbares Exemplar gekauft (letzteres ist auch in Mainz Praxis).
7 Tageszeitungen
In allen rheinland-pfälzischen Pflichtexemplarbibliotheken werden Haupt- und Nebenausgaben der jeweiligen Tageszeitungen im Druck gesammelt. Unterschiede gibt es bei der Sicherheitsverfilmung: Die Stadtbibliotheken Mainz und Trier verfilmen die Hauptausgaben, das LBZ/RLB Koblenz die Hauptausgabe und zukünftig nur noch zwei Nebenausgaben (nach Ausstieg der Rhein-Zeitung aus der kooperativen Verfilmung), das LBZ/PLB Speyer hat die Verfilmung bereits seit ein paar Jahren eingestellt. Nach der Insolvenz von Mikropress ist über eine Fortsetzung der Verfilmung nicht entschieden.
Auf die rheinland-pfälzischen E-Paper der DNB-Kooperation kann in allen LBZ-Bibliotheken zugegriffen werden und auf die Mainzer Titel zudem in der STB Mainz.
8 Perspektive
Um einen breiten Zugriff auf elektronische amtliche Veröffentlichungen im Sinne der Transparenzgesetzgebung des Landes zu gewährleisten, ist eine Novellierung des LBibG 2014 (LBibG) erforderlich.
Parallel dazu sind Anpassungen im Urheberrecht und ggf. im Datenschutzrecht anzustoßen, welche die Arbeit archivierender Institutionen rechtlich absichern und u. a. von aufwendigen Vorprüfungen freistellen.
Über den Autor / die Autorin

Lars Jendral
© 2024 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
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