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Das Pflichtexemplar in Thüringen

  • Thomas Mutschler

    Dr. Thomas Mutschler

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Published/Copyright: November 12, 2024
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Zusammenfassung

Der Beitrag bietet einen Überblick über die historische Entwicklung, den aktuellen Stand und die zukünftige Entwicklung der Pflichtexemplar-Sammlung in Thüringen. Beleuchtet werden die Rolle der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena im Kontext des Pflichtexemplars in Thüringen, die Bedeutung der Digitalisierung und die Herausforderungen, denen sich die Bibliothek gegenübersieht. Zudem werden Kooperationen mit anderen Institutionen, wie der Deutschen Nationalbibliothek, vorgestellt.

Abstract

This article traces the history of mandatory deposit collections in Thuringia and explores the transformative effects of digitization on these practices. It highlights the role of the Thuringian State and University Library and collaborations with other institutions, while also discussing future challenges and opportunities in this field.

1 Einleitung

Bestandsaufbau und Sammelpraxis sind in den Pflichtexemplarbibliotheken durch die digitale Transformation erheblich in Bewegung geraten. Die auf gesetzlicher Basis beruhende, kostenfreie Pflichtablieferung durch Verlage und Informationsanbieter an Bibliotheken umfasst längst nicht mehr nur gedruckte Literatur, sondern bezieht auch digitale Ressourcen ein. In Thüringen werden digitale Pflichtexemplare neben konventionellen Ausgaben auf der Basis des 2008 verabschiedeten Thüringer Bibliotheksgesetzes gesammelt, mit dem Ziel der dauerhaften Sicherung als kulturelle Überlieferung. Verantwortlich für die Sammlung, Erschließung, Verfügbarmachung und dauerhafte Sicherung der Pflichtexemplare im Freistaat Thüringen ist die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB). Dieser Beitrag bietet einen Überblick über die historischen und rechtlichen Grundlagen des Pflichtexemplars in Thüringen und stellt die aktuelle Sammelpraxis vor. Die Darstellung der Kooperationen, welche die ThULB mit der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) im Kontext des Pflichtexemplars unterhält, sowie die Herausforderungen und Chancen für das Pflichtexemplar im Rahmen der sich dynamisch entwickelnden Digitalisierung runden diesen Beitrag ab.

2 Historische Entwicklung und rechtliche Grundlagen des Pflichtexemplars in Thüringen

Die Ursprünge des Thüringer Pflichtexemplars reichen bis in das 16. Jahrhundert zurück. Erstmalig geregelt wurde die Pflichtabgabe in Thüringen 1591 in den Statuten der Universität Jena: Hierin wurde bestimmt, dass Pflichtstücke von der Truckerey undt Buchladenn an die Jenaer akademische Bibliothek abzugeben seien (Zitat bei Pflaume, S. 225). Die mit der Sammlung von Pflichtexemplaren beauftragte Jenaer akademische Bibliothek war als Vorgängerin der heutigen ThULB aus der Sammlung der sächsischen Kurfürsten hervorgegangen und wurde der 1548/58 gegründeten Universität Jena für die Nutzung zur Verfügung gestellt. Die Besonderheit der Thüringer Pflichtexemplarregelung bestand darin, dass der Jenaer akademischen Bibliothek nicht nur die Aufgabe übertragen wurde, Pflichtstücke selbst zu sammeln, sondern dass diese fortan auch für die Verteilung von Pflichtexemplaren an die Thüringer Fürstenhöfe verantwortlich zeichnete. Noch Johann Wolfgang von Goethe, der seit 1790 die Oberaufsicht über die Weimarer herzogliche Bibliothek wahrnahm, beschrieb die Thüringer Pflichtexemplarpraxis in einem Schreiben an den Weimarer Geheimrat Christian Gottlob Voigt. 1799 setzte Goethe den Geheimrat darüber in Kenntnis, dass die Zahl der Pflichtstücke inzwischen auf sechs Exemplare angewachsen sei, die auch weiterhin dem Jenaer akademischen Bibliothekar abzuliefern seien, der die Versendung an die Fürstenhöfe vorzunehmen habe (vgl. ebenda, S. 227).

Es darf davon ausgegangen werden, dass die von Goethe geschilderte Praxis bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in Übung blieb, ehe die an die Konzessionspflicht geknüpfte Pflichtabgabe 1868 im Zuge der Marktliberalisierung auch in den Thüringer Staaten aufgehoben wurde. Der Zustand der Abgabefreiheit tat der Sammlung von Literatur aus und über Thüringen durch die Thüringer Bibliotheken zwar keinen Abbruch, erschwerte jedoch durchaus den systematischen Bestandsaufbau und überdauerte das Ende der Monarchie sowie die Gründung des Landes Thüringen, das aus dem Zusammenschluss der Thüringer Staaten 1920 hervorgegangen war. Eine neue Regelung für die Abgabe von Pflichtstücken wurde dann erst wieder 1935 in der Zeit des Nationalsozialismus gefunden: Erneut ging der Sammelauftrag an die Universitätsbibliothek Jena über. Ein Jahr später wurde auch die Sammlung von Zeitungen eigens geregelt: Hiermit wurden die thüringischen Staatsarchive beauftragt, wobei die Auswahl der zu sammelnden Zeitungstitel durch die Universitätsbibliothek Jena erfolgte, und die Archive gegenüber der Bibliothek zur bibliografischen Berichterstattung verpflichtet wurden. Bei dieser Praxis verblieb es bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Deutschlands und der Gründung der DDR wurde die Abgabe von Pflichtstücken 1953 novelliert: Angeordnet vom Amt für Literatur und Verlagswesen, sah die neue Regelung die Abgabe je eines Pflichtexemplars nicht mehr wie zuvor an die Universitätsbibliothek Jena vor, sondern beauftrage die damalige Thüringische Landesbibliothek Weimar mit der Sammlung der Pflichtexemplare aus den Bezirken Erfurt, Gera und Suhl, die im Zuge der Verwaltungsreform 1952 nach der Auflösung des Landes Thüringen geschaffen worden waren.

Bis zum Beginn der 1980er Jahre blieb diese Aufteilung in Kraft und wurde erst im Zuge der weiteren Profilierung des Bibliothekswesens der DDR verändert: Nach der 1969 erfolgten Umwidmung der Thüringischen Landesbibliothek Weimar zur Zentralbibliothek der deutschen Klassik, der heutigen Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar (HAAB), wurden sämtliche Regionalfunktionen, einschließlich der Sammlung der Pflichtexemplare und der Erstellung der Thüringen-Bibliographie, 1983 wieder an die Universitätsbibliothek Jena übertragen. Die Neugründung des Bundeslands Thüringen im Kontext der deutschen Einheit tat der bis dahin geübten Abgabepraxis keinen Abbruch, so dass das Thüringer Pflichtexemplarrecht durch die Verabschiedung des Landespressegesetzes 1991 auf ein neues Fundament gestellt werden konnte: Verleger mit Sitz in Thüringen wurden dazu verpflichtet, mit Beginn der Verbreitung eines Druckwerks je ein Exemplar an die ThULB abzuliefern, welche zusätzlich zu Ihrer Rolle als Hochschulbibliothek der Friedrich-Schiller-Universität Jena mit der Landesfunktion ausgestattet worden war.

3 Das Thüringer Pflichtexemplar auf dem Weg in das digitale Zeitalter

Der kurze historische Abriss lässt deutlich werden, dass das Pflichtexemplar auch in Thüringen längst aus dem Schatten der Tätigkeit staatlicher Kontrollbehörden herausgewachsen war: Die Sammlung von Pflichtexemplaren diente fortan in erster Linie kulturpolitischen Zielen – gesammelt wurde nicht mehr für die Zensur, sondern für das kulturelle Gedächtnis. Der politische Wandel brachte indes nicht die einzigen Veränderungen: Dadurch, dass das World Wide Web mit der in den 1990er Jahren einsetzenden Digitalisierung praktisch von jedem als Publikationsplattform genutzt werden konnte, veränderten sich auch die Anforderungen an die Sammlung der Pflichtexemplare grundlegend. Nicht nur die DNB erweiterte ihre Sammeltätigkeit und bezog ab 2008 Netzpublikationen in ihren Bestandsaufbau ein, sondern auch viele Landesbibliotheken folgten diesem Beispiel und begannen damit, Pflichtexemplare in digitaler Form zu sammeln. Gleichzeitig sahen sich die Pflichtexemplarbibliotheken angesichts der Digitalisierung mit schwierigen Fragen konfrontiert: Was soll und kann künftig von wem noch in welcher Vollständigkeit gesammelt werden? Was ist unter einer digitalen Publikation im Sinne des Pflichtexemplars überhaupt zu verstehen? Wie bilden Bibliotheken die rechtlichen Anforderungen ab, die mit der Sammlung von Netzpublikationen verbunden sind? Wie wird die Langzeitarchivierung digitaler Pflichtexemplare sichergestellt?

Die ThULB ebnete den Weg zur digitalen Pflichtabgabe in Thüringen bereits seit 2002 durch den Aufbau einer Infrastruktur für das digitale Publizieren. Dieses neue Angebot war zunächst auf den Hochschulbereich zugeschnitten, wurde bald jedoch auch dafür genutzt, digitale Pflichtexemplare zu sammeln. 2008 entsprach der Gesetzgeber im Freistaat Thüringen dem rasant fortschreitenden kultur- wie bildungspolitischen Wandel im Bereich der Bibliotheken durch die Verabschiedung des deutschlandweit ersten Bibliotheksgesetzes. In diesem Kontext wurde durch eine Erweiterung des Pressegesetzes auch der Sammelauftrag der ThULB für Pflichtexemplare auf digitale Publikationen ausgeweitet: Zur Ablieferung von Pflichtexemplaren wurden zukünftig auch diejenigen Stellen verpflichtet, die Datenträger und Netzpublikationen wie Verleger öffentlich zugänglich machen und ihren Sitz in Thüringen haben. Konkretisiert wurde diese Regelung drei Jahre später durch eine dazugehörige Rechtsverordnung. Eine Neufassung des seit 2008 geltenden Bibliotheksgesetzes trat 2023 in Kraft. In diesem Zuge wurde § 12 Thüringer Pressegesetz aufgehoben und die wortgleiche Vorschrift in § 4 Thüringer Bibliotheksgesetz verschoben. Wesentliches Argument waren sach- wie gesetzessystematische Gründe, an der bestehenden Pflichtexemplarpraxis gab es keine Änderungen. Die Sammlung der von staatlichen Organen und Behörden ausgehenden Amtsdrucksachen durch die dazu beauftragten Archive und Bibliotheken wurde in Thüringen 2008 per Verwaltungsvorschrift geregelt und bezog ebenfalls digitale Formate ein. Auch wenn diese Regelung nur bis 2013 in Kraft war, bietet sie der ThULB bis heute Orientierung.

Im Zuge der Etablierung digitaler Medien hat die ThULB ihr Sammelprofil inzwischen diversifiziert und verfolgt beim Pflichtexemplar einen hybriden Ansatz, der sowohl gedruckte als auch digitale Ressourcen umfasst. Im Bereich der Verlagsliteratur spielt die Digitalstrategie der ThULB eine eher untergeordnete Rolle, da Thüringen als Land von Kleinst- und Kleinverlagen zu gelten hat und die meisten Verlage nicht über die notwendige digitale Publikationsinfrastruktur verfügen, um E-Books zu veröffentlichen. Umso wichtiger ist das Digitale für die Bibliothek jedoch im Bereich der Grauen Literatur. Hinsichtlich der außerhalb des Buchhandels erscheinenden Literatur, beispielsweise von Behörden, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen, verfolgt die ThULB eine e-only- oder zumindest e-preferred-policy und sammelt hier bevorzugt digitale Publikationen. Die Sammlung, Erschließung, Speicherung und Präsentation der digitalen Pflichtexemplare wird im Rahmen der auf dem Open-Source-Framework MyCoRe basierenden institutionellen Repositorien der ThULB realisiert. Für selbständig erscheinende Veröffentlichungen steht die Digitale Bibliothek Thüringen zur Verfügung, für Zeitschriften beziehungsweise Periodika die Publikationsplattform Journals@UrMEL.

4 Sammlungsaufbau, Erschließung und Bestandserhaltung

Gegenwärtig verfügt die ThULB über einen Gesamtbestand von circa 4,2 Millionen physischen Medieneinheiten, einschließlich ihrer historischen Bestände, und bietet Zugang zu einer Vielzahl digitaler Informationsressourcen.[1] Die digitalisierten Sammlungen, welche die ThULB in Zusammenarbeit mit Archiven, Museen und Bibliotheken in den vergangenen Jahren aufgebaut hat und die über das Regionalportal kulthura verfügbar sind, umfassen inzwischen mehr als eine Million Objekte digitalisierter Kulturgüter. Im Discoverysystem der ThULB sind aktuell 53.053 Titeldaten zu Thüringer Pflichtexemplaren recherchierbar, die seit der Einführung der kooperativen Katalogisierung im Verbundrahmen am Ende der 1990er Jahre erfasst wurden. Ergänzt wird dieser Datenpool um die Nachweise zum älteren Pflichtexemplarbestand der ThULB. Im Bereich der Zeitschriften und Zeitungen hält die ThULB rund 1.000 laufende Pflicht-Abonnements, davon nahezu 600 in digitaler Gestalt – letztere mit steigender Tendenz. Der jährliche Zuwachs an konventionellen und digitalen Pflichtexemplaren liegt bei durchschnittlich circa 7.800 Medieneinheiten. Das durchschnittliche prozentuale Jahreswachstum der digitalen Pflichtexemplare lag in den vergangenen zehn Jahren bei rund 15 bis 20 Prozent. Über ihre Repositorien bietet die ThULB darüber hinaus Zugang zu mehr als 50.000 digitalen Pflichtexemplaren, die im Volltext vorliegen.

Erschlossen werden die Pflichtexemplare der ThULB in der Datenbank des Gemeinsamen Bibliotheksverbunds K10plus. Damit sind die Titeldaten über das Discoverysystem der ThULB recherchierbar, gedruckte Exemplare können hierüber zur Ausleihe bestellt werden. Zeitschriften und periodisch erscheinende Medien werden in der Zeitschriftendatenbank (ZDB) katalogisiert, die Titeldaten zu elektronischen Ausgaben finden sich zusätzlich in der Elektronischen Zeitschriftenbibliothek (EZB). Landesbibliografisch relevante Materialien werden zudem klassifikatorisch erschlossen und erhalten eine verbale Sacherschließung. Metadaten zu den digitalen Pflichtexemplaren der ThULB werden in den dafür vorgesehenen Repositorien erfasst. Hier erhalten die digitalen Objekte auch einen persistent identifier, damit sie dauerhaft referenzierbar sind und langzeitarchiviert werden können. Für den Austausch der Metadaten unterstützt die Digitale Bibliothek Thüringen das Open Archives Initiative Protocol for Metadata Harvesting (OAI-PMH).

Die gedruckten Pflichtexemplare der ThULB werden im 2001 eröffneten Bibliothekshauptgebäude magaziniert, während die Speicherung der digitalen Pflichtexemplare auf Systemen des Universitätsrechenzentrums Jena erfolgt. Hinsichtlich der Langzeitarchivierung ihrer digitalen Sammlungen kooperiert die ThULB mit dem Digitalen Archiv Nordrhein-Westfalen (DA NRW). Für die konservatorische Betreuung ihrer historischen Bestände verfügt die ThULB zudem über eine Restaurierungswerkstatt. Gesetzlich definiert ist die Sammlungs- wie Archivierungspflicht in § 3 Abs. 2 Thüringer Bibliotheksgesetz. Obgleich im Gesetz zwischen Thuringica (Nr. 1), Pflichtexemplaren (Nr. 3) und für das Land unverzichtbarem Bibliotheksgut (Nr. 4) differenziert wird, ist die bibliotheksfachliche Sorge für alle drei Fallgruppen selbstverständlich gleich. Flankierend wurde in die 2020 verabschiedete „Richtlinie über die Archivierung und Aussonderung von Bibliotheksgut durch die Hochschulbibliotheken des Freistaats Thüringen“ die last-resort-Funktion der ThULB für Letztexemplare aus Thüringer Hochschulbibliotheken und die Archivierungspflicht für Thüringer Pflichtexemplare durch die Landesbibliothek aufgenommen.

5 Kooperationen mit der Deutschen Nationalbibliothek

Um Ressourcen zu bündeln und Technologien gemeinsam zu nutzen, kooperiert die ThULB im Kontext des Pflichtexemplars seit einigen Jahren mit der DNB. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Einrichtungen bezieht sich zum einen auf die Sammlung und Archivierung von E-Paper-Ausgaben Thüringer Tageszeitungen, zum anderen auf landeskundlich relevante Websites. Im Rahmen des E-Paper-Projekts der DNB bietet die ThULB über die regionale Fensterlösung der DNB Zugang zu den digital vorliegenden Ausgaben Thüringer Tageszeitungen, ohne dass die ThULB die Digitalausgaben selbst hosten und das Rechtemanagement steuern muss. Dadurch, dass sich die physische Sammlung der ThULB seither auf übergreifende Regionalausgaben beschränkt und für den Zugriff auf die diversen Lokalausgaben die Plattform der DNB genutzt wird, lassen sich Kosten für die Buchbindung und das Magazinieren gedruckter Zeitungsausgaben einsparen. Aktuell besteht im Rahmen des E-Paper-Portals der DNB Zugriff auf 118.069 Ausgaben, die sich auf 59 Zeitungstitel verteilen.

Eine weitere Kooperation ist die ThULB mit der DNB in Verbindung mit der Sammlung und Archivierung landesspezifischer Websites eingegangen. Da die Webarchivierung durch die ThULB nicht im Alleingang zu bewerkstelligen ist, profitiert sie seit 2018 von dem Service der DNB und bietet Nutzenden die Möglichkeit, auf ausgewählte, regelmäßig gespiegelte Websites zuzugreifen, deren Zugriff auf die Räume der Bibliothek beschränkt ist. Der ThULB fällt im Rahmen der Kooperation die Aufgabe der inhaltlichen Auswahl sowie die Abstimmung ihres Sammelprofils mit der DNB zu, während die DNB das regelmäßige Harvesten der Websites veranlasst und die archivierten Kopien der Websites als separate Sammlung in ihrem Webarchiv zugänglich macht. Momentan werden insgesamt 438 Webpräsenzen im Webarchiv Thüringen verzeichnet. Zu diesen Websites wurden von der DNB bisher rund 3.500 Zeitschnitte archiviert. Jährlich kommen knapp 500 Zeitschnitte dazu.

6 Chancen und Herausforderungen für das Pflichtexemplar (nicht nur) in Thüringen

Nach diesem Überblick gilt es abschließend, ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige Aspekte zur Zukunft des Pflichtexemplars aufzuzeigen und auf die Chancen und Herausforderungen einzugehen, die sich für das Pflichtexemplar zukünftig ergeben. Welche Desiderata bestehen für die Weiterentwicklung des digitalen Pflichtexemplars in Thüringen? Wie ist das Sammelprofil für Pflichtexemplare an eine sich dynamisch entwickelnde Medienlandschaft anzupassen? Welche Konsequenzen hat Open Access für das Thema? Wie wirkt sich der digitale Wandel auf die Bibliothek aus? Diese Fragen werden in den folgenden Punkten kurz angerissen:

  • Lizenzpflichtige E-Books und E-Journals: Die systematische Zugänglichmachung lizenzpflichtiger E-Books und E-Journals Thüringer Verlage in der Landesbibliothek stellt nach wie vor ein sehr dringendes Desiderat dar. Lizenzpflichtige Medien werden von der DNB zwar vollständig gesammelt, auf Landesebene jedoch noch nicht systematisch und urheberrechtskonform zugänglich gemacht. Auch wenn die ThULB bereits mit einzelnen Verlagen kooperiert, besteht für lizenzpflichtige E-Ressourcen nach wie vor keine flächendeckende Lösung. Die Option der Nutzung anbieterseitiger Lösungen für das eigene Hosting lizenzpflichtiger Materialien wurde zwar geprüft, jedoch nicht weiterverfolgt, so dass von der ThULB auch hier eine Kooperation mit der DNB auf der Basis der regionalen Fensterlösung angestrebt wird.

  • Öffnung des Sammelprofils: Das aktuelle Sammelprofil für digitale Medien im Bereich des Pflichtexemplars orientiert sich noch zu stark am Druckzeitalter, da vorwiegend druckbildähnliche E-Publikationen als Pflichtexemplare eingesammelt werden. Eine solche Sammelpraxis entspricht nicht mehr den Realitäten des digitalen Zeitalters. Deshalb ist es nötig, den gesetzlichen Sammelauftrag im Sinne einer repräsentativen Auswahl nicht nur inhaltlich, sondern auch hinsichtlich der Vielfalt der Medienformate weiterzuentwickeln und Formate wie Podcasts, Social-Media-Beiträge und Videos stärker zu integrieren.

  • Dynamische Medienformate: Eine weitere Herausforderung besteht im Umgang mit digitalen Formaten, die sich dynamisch entwickeln wie Datenbanken oder Websites, die kontinuierlich aktualisiert werden, oder feeds sozialer Medien, die sich durch das Hinzufügen oder Löschen von Kommentaren ebenfalls laufend verändern. Auch für die Sammlung und Archivierung ganzer Datenbanken und deren Inhalten werden dringend Kompetenzen und pragmatische Lösungen benötigt.

  • Forschungsdaten: Die Sammlung, Erschließung, Verfügbarmachung und Archivierung von Forschungsdaten spielen nicht nur im universitären Kontext eine zusehends wichtigere Rolle, sondern sind auch für die Zukunft des Pflichtexemplars relevant. Für die Weiterentwicklung des Thüringer Pflichtexemplars wäre die Öffnung des unter Federführung der ThULB jüngsthin entwickelten Repositoriums für Forschungsdaten der Thüringer Hochschulen, REFODAT, höchst wünschenswert. Eine Erweiterung um „Pflichtdaten“ wäre nach dem Muster des institutionellen Repositoriums denkbar. Dass hier durchaus Handlungsbedarf besteht, zeigt beispielsweise der Blick auf landesbezogene Geodaten und digitale Karten, die von Landesbehörden veröffentlicht werden.

  • Open Access: Die Schaffung des freien Zugangs zu Daten sowie die Nutzung offener Schnittstellen und Lizenzen ist in den vergangenen Jahren auch für die Landesbibliothek zu einem wichtigen Anliegen geworden. Dies betrifft insbesondere die Nutzung der institutionellen Publikationsdienstleistungen der ThULB durch außeruniversitäre Forschungs-, Wissenschafts- und Kultureinrichtungen. Der Ausbau von Repositorien als primäre oder sekundäre Publikationsplattformen für Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung hätte wertvolle Synergien sowohl für die abgebenden Stellen als auch für die Bibliothek zur Folge.

  • Rechtliche Fragen: Die freie Verfügbarmachung im Sinne des Open Access wirft auch im Kontext des Pflichtexemplars wichtige rechtliche Fragen auf. Dies gilt für Pflichtexemplare jedweder Herkunft, die auf den Systemen der Bibliothek zweitveröffentlicht werden. Die Verwendung entsprechender freier (z. B. Creative-Commons) Lizenzen als einfache Möglichkeit, Nutzungshandlungen wie Vervielfältigung und offene Zugänglichmachung im Netz zu gestatten, sollte auch hinsichtlich der Pflichtexemplare stärker in den Fokus gerückt werden. Im Bereich der staatlichen Organe ist das Thema im Zeichen von Open Government zum Teil angekommen; viele kleinere Anbieter und Verlage sind mit der Thematik jedoch noch nicht ausreichend vertraut.

  • Auswirkungen des digitalen Wandels in der Bibliothek: Mit dem digitalen Wandel gehen neue Anforderungen an das Bestandsmanagement und den Personaleinsatz einher. Einige klassische Techniken und Kompetenzen werden im Zuge der digitalen Transformation überflüssig, während andere weiterentwickelt werden müssen und neue hinzukommen. Im Bereich der klassischen Erwerbung entfallen mit zunehmender Digitalität eine Reihe der traditionellen Arbeitsschritte, so dass Ressourcen auf neue Aufgaben umgelenkt werden können und neue digitale Kompetenzen entwickelt werden müssen. Die Erschließung der Ressourcen mittels Metadaten bleibt bei digitalen Ressourcen auch zukünftig eine Kernaufgabe der Bibliothek, allerdings wird sie angesichts knapper werdender Ressourcen nicht mehr in der Lage sein, ihre klassischen Erschließungsroutinen in gewohntem Umfang weiterzuführen. Hier gilt es, die Zusammenarbeit mit anderen Bibliotheken, Archiven und Museen weiter zu intensivieren und neue Wege bei der Erschließung digitaler Ressourcen unter Einbeziehung automatisierter Erschließungsverfahren zu beschreiten.

7 Quellen

Digitale Bibliothek Thüringen: https://www.db-thueringen.de

Journals@UrMEL: https://zs.thulb.uni-jena.de/content/below/index.xml

kulthura – Digitales Kultur- und Wissensportal Thüringen: https://www.kulthura.de

REFODAT – Repositorium für Forschungsdaten in Thüringen: https://refodat.de

Webarchiv der Deutschen Nationalbibliothek: https://webarchiv.dnb.de

Über den Autor / die Autorin

Dr. Thomas Mutschler

Dr. Thomas Mutschler

8 Literatur

Mutschler, Thomas: Thüringen. In: Bibliotheksdienst 47.8–9 (2013), S. 659–663, https://doi.org/10.1515/bd-2013-0078.10.1515/bd-2013-0078Search in Google Scholar

Mutschler, Thomas: Zum Stand der kooperativen Webarchivierung in Thüringen: Gemeinsames Sammeln von landeskundlich relevanten Websites der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek und der Deutschen Nationalbibliothek, in: o-bib 7.4 (2020), https://doi.org/10.5282/o-bib/5632.Search in Google Scholar

Pflaume, Heinz: Zur Geschichte des Pflichtexemplars in Thüringen. In: Roloff, Heinrich (Hrsg.): Bibliothek, Bibliothekar, Bibliothekswissenschaft. Festschrift Joris Vorstius. Leipzig 1954, S. 225–231.Search in Google Scholar

Richtlinie über die Archivierung und Aussonderung von Bibliotheksgut durch die Hochschulbibliotheken des Freistaats Thüringen, 21.09.2020. In: Thüringer Staatsanzeiger 41 (2020), S. 1260.Search in Google Scholar

Thüringer Bibliotheksgesetz (ThürBibG) vom 16. Juli 2008. In: GVBl. 2008, S. 243.Search in Google Scholar

Verordnung über die Ablieferung digitaler Publikationen an die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek vom 8. Februar 2011. In: GVBl. 2011, S. 18.Search in Google Scholar

Verwaltungsvorschrift des Thüringer Kultusministeriums über die Abgabe amtlicher Veröffentlichungen an Bibliotheken und das Hauptstaatsarchiv vom 19.11.2008. In: Abl. TKM 19.1 (2009), S. 3.Search in Google Scholar

Online erschienen: 2024-11-12
Erschienen im Druck: 2024-11-08

© 2024 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 31.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bd-2024-0099/html
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