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Editorial

Published/Copyright: November 9, 2022
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Das Thema „Dritter Ort“ ist bei Bibliotheksneubauten quasi omnipräsent. Dies bezieht sich bisher aber in erster Linie auf öffentliche Bibliotheken, die zuerst mit der zurückgehenden Nutzung von gedruckten Materialien konfrontiert waren und deshalb das Konzept der „Bestandsbibliothek“ frühzeitig aufgegeben haben. Inzwischen sind es nicht mehr nur Veränderungen bei den Bestandsformen, es ist ein grundsätzlich neues Selbstverständnis öffentlicher Bibliotheken, das Prinzip des „Dritten Orts“ zu verwirklichen. Bekanntlich hat der amerikanische Soziologe Ray Oldenburg den Begriff des „Dritten Orts“ geprägt. Ein „Dritter Ort“ zeichnet sich dadurch aus, dass er leicht zugänglich und einladend ist, dass man sich am Eingang nicht erklären muss, warum man diese Institution aufsucht, dass er regelmäßig genutzt wird und den Austausch sowie das informelle Zusammenkommen fördert. Der „Dritte Ort“ bietet damit einen Ausgleich zum Familien- und Arbeitsleben und ist ein Treffpunkt für die Nachbarschaft. Die Einrichtungen, die sich diesem Prinzip verschrieben haben, wollen das Gefühl eines zweiten Zuhauses vermitteln und ihre Communities gezielt mit Raumangeboten unterstützen. Zugleich arbeiten sie darauf hin, durch diesen Community-Ansatz wesentlich mehr Besucherinnen und Besucher anzusprechen und in ihre Räume zu holen. Mit dieser Zielstellung gelingt es ihnen auch, sich der Unterstützung der politischen Entscheidungsträger zu versichern.

Auf wissenschaftliche Bibliotheken, die sich als ein Ort des wissenschaftlichen Arbeitens verstehen, lässt sich das Prinzip des „Dritten Orts“ weniger unmittelbar anwenden, auch wenn es von einzelnen schon praktiziert wird. In der letzten Zeit war häufiger von wissenschaftlichen Bibliotheken zu lesen, die in ihren Räumen das Prinzip des „Dritten Orts“ umsetzen wollen. Das war zunächst die Bibliothek im Haus der Geschichte in Bonn, die bei ihrer umfassenden Neueinrichtung die zwanglose Aufenthaltsqualität priorisiert hat. Die Bibliothek im Haus der Geschichte will dennoch in ihren Kernfunktionen bestehen bleiben und auch weiterhin das konzentrierte wissenschaftliche Arbeiten ermöglichen. Zuletzt haben die Vorarlberger Landesbibliothek in Bregenz und die Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek in Kiel in dieser Richtung von sich reden gemacht. Beide wurden gebeten, ihr Verständnis des „Dritten Orts“ in ABI Technik darzustellen. Lässt sich in Bregenz nach dem Umbau schon einiges direkt in Augenschein nehmen und vor Ort erleben, befinden sich die Kieler Kolleginnen und Kollegen noch in einem umfangreichen Konzeptionsprozess, an dem sie uns teilhaben lassen.

Das Prinzip des „Dritten Orts“ ist jedoch nicht nur eine Frage der reinen Innenarchitektur, wie es manchmal den Anschein haben kann. Dahinter stehen auch veränderte Arbeitsprozesse in den Häusern, die sich darauf richten, die eigenen Zielgruppen besser anzusprechen und die Räume inhaltlich zu bespielen sowie als Lehr-Lern-Orte erlebbar zu machen. Der „Dritte Ort“ ist also durchaus personalintensiv und setzt voraus, dass neben den gestalterischen Aspekten die Räume nicht nur lediglich offengehalten werden, sondern auch ein vielfältiges Angebot existiert, das die Strahlkraft der Architektur ergänzt und das Interesse der Zielgruppen trifft.

Konstanze Söllner

Published Online: 2022-11-09
Published in Print: 2022-11-08

© 2022 bei der Autorin, publiziert von De Gruyter.

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 25.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/abitech-2022-0042/html
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