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Editorial

Published/Copyright: December 14, 2018

Das vorliegende Heft beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Russland als der derzeit größten Herausforderung europäischer Sicherheit. Russland stellt heute für europäische Sicherheit eine Reihe von fundamentalen Problemen dar. Dazu gehört in erster Linie die Anwendung hybrider Methoden zur Destabilisierung westlicher Gesellschaften, aber ebenso auch die zunehmende Abstützung auf militärische Mittel als Instrument der Beeinflussung der Staaten Europas. Was Letzteres betrifft, so lag der Schwerpunkt westlicher Befürchtung bislang bei den Bemühungen Russlands, eine gemischt hybrid-konventionelle militärische Invasionsfähigkeit im nordöstlichen Baltischen Raum aufzubauen. Die beiden ersten Beiträge dieses Heftes legen es nahe, den Blick auch auf die nukleare Dimension und die damit verbundenen Folgen zu legen, die weit über das Baltikum und über Europa hinausreichen. Der Beitrag von Matthew Kroenig befasst sich mit einer Dimension der russischen Militärstrategie in Europa, die in Deutschland und anderen europäischen Ländern gerne ausgeblendet wird, die aber nicht dadurch verschwindet, dass man sie verschweigt: Russland bereitet sich auf eine militärische Auseinandersetzung in Nordosteuropa vor, bei der es sich kurzfristig territoriale Gewinne erhofft, die es langfristig nur halten kann, wenn es die NATO mit der Androhung selektiver Nuklearschläge zu einem Waffenstillstand zu russischen Bedingungen zwingen kann. Diese Strategie stellt die NATO vor die Herausforderung vor selektiven Nuklearschlägen Russlands in Europa abzuschrecken. Der Beitrag stellt hierzu erste Überlegungen an, die den Beginn einer Debatte markieren, die leider unvermeidbar ist. Die Kurzanalysen von Thomas Nilsen und Hans Kristensen zeigen auf wie berechtigt diese Befürchtungen sind. In den vergangenen Jahren hat Russland seine Lagerkapazitäten für nukleare Waffen auf der Kola-Halbinsel massiv ausgeweitet und auch in der russischen Exklave Kaliningrad lassen sich Bauarbeiten beobachten, die erkennen lassen, dass Russland plant dort erneut Kernwaffen zu lagern, die dann direkt Deutschland bedrohen würden.

Der Beitrag von Oliver Thränert befasst sich ebenfalls mit der nuklearen Dimension, er weitet aber den Blick auf die globale Konkurrenz und die Rolle von Kernwaffen aus. Er geht davon aus, dass neue technologische Entwicklungen die Überlebensfähigkeit atomarer Arsenale gefährden können und dass nukleare strategische Fragen nicht mehr isoliert von Cyberfähigkeiten und Raketenabwehrfähigkeiten betrachtet werden können. Der Verfasser sieht das nukleare Gleichgewicht als gefährdet an und fragt nach den Möglichkeiten, dieses Gleichgewicht mit Hilfe von Rüstungskontrolle zu stabilisieren.

Einen anderen Aspekt der russischen Herausforderung thematisiert der Beitrag von Anders Åslund. Der bekannte Ökonom des Atlantic Council legt eine Schätzung der Schäden vor, die Russlands Aggressionspolitik gegen die Ukraine bislang verursacht hat. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass alleine die wirtschaftlichen Schäden bei knapp unter 100 Milliarden US Dollar anzusetzen sind und eigennützige wirtschaftliche Motive eine nicht unwesentliche Rolle in der russischen Politik spielen.

Der Beitrag von Hannes Adomeit setzt sich mit der Frage auseinander, ob das Gipfeltreffen zwischen US Präsident Donald Trump und dem russischen Präsidenten Vladimir Putin im Juli 2018 zu einer Verbesserung der amerikanisch-russischen Beziehungen beigetragen hat. Er gelangt zu der nüchternen Erkenntnis, dass dieser Gipfel eher das Gegenteil bewirkt habe. Ursachen seien der Dilettantismus des amerikanischen Präsidenten und die Intransigenz der russischen Politik. Für Russland ist Präsident Trump offenbar primär ein Instrument, mit dem sich die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft vorantreiben lässt, weniger ein Partner, mit dessen Hilfe sich die amerikanisch-russischen Beziehungen beruhigen ließen.

Die Analyse von Christian Nünlist setzt sich kritisch mit einer immer wieder zu hörenden Behauptung auseinander, wonach im Rahmen der 2+4 Verhandlungen führende westliche Politiker den Verzicht auf die Osterweiterung der NATO in Aussicht gestellt und somit die damalige sowjetische Führung getäuscht hätten. Das vorhandene Archivmaterial lasse diese Schlussfolgerung nicht zu, das Thema NATO-Osterweiterung habe nie auf der Agenda gestanden, lediglich die Ausweitung von integrierten NATO-Strukturen im Rahmen des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland sei Gesprächsthema gewesen und sei in dem Vertrag über die abschließenden Regelungen zur Einheit Deutschlands auch entsprechend festgeschrieben worden.

Weitere Beiträge dieses Heftes nehmen sich der Thematik „Russland“ an. Unter den vorgestellten Studien aus der Welt der strategischen Thinktanks befinden sich Analysen zu hybriden Bedrohungen und zur „politischen Kriegsführung“ mit Schwerpunkt auf Russland. Auch die Nutzung privater Sicherheitsdienste durch Russland und die Methoden der Beeinflussung von Medien und politischen Parteien in Osteuropa aber auch in Lateinamerika werden angesprochen. Auch wird eine Studie zur militärischen und patriotischen Mobilisierung in Russland vorgestellt und ein Buch zum System Putins.

Andere Themen, die in diesem Heft behandelt werden, sind der NATO Gipfel vom Juli 2018, den Rainer Meyer zum Felde bewertet, sowie die transatlantischen Beziehungen, die Gegenstand mehrerer Studien sind, die hier besprochen werden. Sehr lesenswert auch die ausführlichen Besprechungen zweier Studien des MERICS Instituts, die sich mit dem autoritären Aufbruch Chinas sowie der zunehmend aktiveren Rolle Chinas in den internationalen Beziehungen befassen.

Weiter ist ein Bericht von Jonathan Spyer hoch interessant, der von einer Reise in die kurdischen Gebiete im Nordosten Syriens berichtet. Dort steht die Entscheidung an, ob sich die USA weiterhin ihren kurdischen Verbündeten verpflichtet fühlen oder ob sie diese auf sich alleine gestellt belassen.

Die Herausgeber

Published Online: 2018-12-14
Published in Print: 2018-12-19

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Articles in the same Issue

  1. Titelseiten
  2. Editorial
  3. Editorial
  4. Aufsätze
  5. Russlands Nuklearstrategie gegenüber Europa – wie organisiert man Abschreckung gegen Deeskalation mit nuklearen Schlägen?
  6. Aktuelle nukleare Gefahren und die Probleme der Rüstungskontrolle
  7. Die ökonomischen Kosten der fortbestehenden russischen Aggression gegen die Ukraine
  8. Nach dem Helsinki Gipfel – trübe Aussichten für eine Verbesserung der russisch-amerikanischen Beziehungen
  9. Analysen und Berichte
  10. Erfolg und Desaster zugleich. Der NATO-Gipfel in Brüssel und seine Konsequenzen
  11. Krieg der Narrative – Das Jahr 1990 und die NATO-Osterweiterung
  12. Russland modernisiert Kernwaffendepot im Bezirk Kaliningrad
  13. Russland erweitert im großem Umfang seine Kernwaffenlager auf der Kola-Halbinsel
  14. Wie geht es weiter mit den kurdischen Gebieten im Nordosten Syriens? Bericht von einer Erkundungsreise im Sommer 2018
  15. Ergebnisse strategischer Studien
  16. Politische Kriegführung und Hybride Bedrohungen Seitens Russlands und anderer Akteure
  17. Gregory F. Treverton/Andrew Thvedt/Alicia Chen/Kathy Lee/Madeline McCue: Addressing Hybrid Threats. Stockholm: Swedisch Defence University und Center for Asymmetric Threat Studies, 2018
  18. Linda Robinson/Todd C. Helmus/Raphael S. Cohen/Alireza Nader/Andrew Radin/Madeline Magnuson/Katya Migacheva: Modern Political Warfare. Current Practices and Possible Responses. St. Monica: RAND Corporation, Mai 2018
  19. Todd C. Helmus/Elizabeth Bodine-Baron/Andrew Radin/Madeline Magnuson/Joshua Mendelsohn/William Marcellino/Andriy Bega/Zev Winkelman: Russian Social Media Influence. Understanding Russian Propaganda in Eastern Europe. St. Monica: RAND Corporation, April 2018
  20. Julia Gurganus: Russia: Playing a Geopolitical Game in Latin America, Washington, D.C.: Carnegie Endowment for International Peace, 2018.
  21. Sergey Sukhankin: „Continuing War by Other Means“: The Case of Wagner, Russia’s Premier Private Military Company in the Middle East. Washington, D.C.: The Jamestown Foundation, Juli 2018.
  22. International Crisis Group: Patriotic Mobilisation in Russia. Brüssel: ICG, Juli 2018
  23. Transatlantische Beziehungen
  24. Patricia Lewis/Jacob Parakilas/Marianne Schneider-Petsinger/Christopher Smart/Jeffrey Rathke/Donatienne Ruy: The Future of the United States and Europe. An Irreplaceable Partnership. London: The Royal Institute of International Affairs, April 2018
  25. Sylvie Matelly/Christian Mölling/Trevor Taylor: The Future Of Transatlantic Strategic Superiority. British, German and French Perspectives. Washington D.C.: GMF 2018/No.19
  26. Die Volksrepublik China als internationaler Akteur
  27. Thorsten Benner/Jan Gaspers/Mareike Ohlberg/Lucrezia Pogetti/Kristin Shi-Kupfer: Authoritarian Advance. Responding to China’s Growing Political Influence in Europe. Berlin: Global Public Policy Institute (GPPI) und Mercator Institute for China Studies (MERICS), Februar 2018.
  28. Mikko Huotari/Jan Gaspers/Thomas Eder/Helena Lagarda/Sabine Mokry: China’s Emergence as a Global Security Actor. Strategies for Europe. Berlin: Mercator Institute for China Studies (MERICS), Juli 2017.
  29. Mittlerer Osten
  30. Carina Schlüsing/Katja Mielke: Deutsches Engagement im Irak: Wie weniger mehr sein kann. Bonn: Bonn International Conversion Center (bicc Policy Brief 4), April 2018.
  31. Buchbesprechungen
  32. Margareta Mommsen: Das Putin-Syndikat. Russland im Griff der Geheimdienstler. München, C. H. Beck 2017
  33. Christian Deubner: Security and Defence Cooperation in the EU. A Matter of Utility and Choice. Baden Baden: Nomos Verlag 2017
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