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Russland modernisiert Kernwaffendepot im Bezirk Kaliningrad

  • Hans M. Kristensen EMAIL logo
Published/Copyright: December 14, 2018

In den letzten beiden Jahren hat das russische Militär umfassende Renovierungsarbeiten an einer offenbar aktiven Lagerstätte für Kernwaffen in der Region Kaliningrad, etwa 50 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt, durchgeführt. Ein über Getty Images gekauftes Satellitenbild des Unternehmens DigitalGlobe und etliche weitere Satellitenaufnahmen, die man auf TerraServer ansehen kann, zeigen, dass einer von drei unterirdischen Bunkern im Jahr 2016 nahe Kulikovo freigelegt und offensichtlich renoviert worden ist. Im Jahr 2018 wurde dieser wieder abgedeckt, so dass er vermutlich bald wieder einsatzfähig ist.

Zwischen 2002 und 2010 war der Standort schon einmal modernisiert worden; damals wurde der äußere Sicherheitsbereich gerodet. Diese Entwicklung wurde in einem früheren Bericht über US-amerikanische und russische Kernwaffen von 2012 beschrieben.[1] Die jüngste Modernisierung wirft offensichtlich Fragen hinsichtlich der Einsatzbereitschaft des Standorts auf. Lagern dort gegenwärtig Nuklearsprengköpfe für russische doppelt-verwendbare, nichtstrategische Waffensysteme, die in der Region stationiert sind – beziehungsweise haben sie in der Vergangenheit dort gelagert oder werden sie es zukünftig tun? Falls ja, signalisiert dies eine neue Entwicklung in der russischen Kernwaffenstrategie in Kaliningrad, oder ist es eine routinemäßige Modernisierung einer alternden Anlage, die für eine bestehende militärische Fähigkeit genutzt wird? Die Satellitenbilder liefern keine schlüssigen Antworten auf diese Fragen. Die russische Regierung hat bei zahlreichen Gelegenheiten erklärt, alle ihre nicht-strategischen Nuklearsprengköpfe würden in einer „zentralen“ Lagerstätte aufbewahrt, eine Formulierung, bei der man normalerweise an größere Lagerstätten tiefer im Innern Russlands denkt. Der Standort Kulikovo könnte also potentiell als vorgeschobene Lagerstätte dienen, die im Krisenfall aus zentralen Depots mit Sprengköpfen versorgt wird.

Die Merkmale des Standorts lassen darauf schließen, dass er möglicherweise Einheiten der russischen Luftwaffe oder Marine, die mit doppelt verwendbaren Waffensystemen ausgerüstet sind, als Nachschubbasis dient. Aber es könnte sich auch um einen gemeinsam genutzten Standort handeln, wo Nuklearsprengköpfe für Luftwaffe, Marine, Heer, Luft- und Küstenverteidigungskräfte in der Region gewartet werden. Es ist nach Wissensstand des Verfassers die einzige Lagerstätte für Kernwaffen in der Region Kaliningrad. Trotz der Schlagzeilen in den Medien ist die Präsenz atomwaffenfähiger Waffensysteme in diesem Gebiet nicht neu; während des Kalten Krieges stationierte Russland doppelt verwendbare Trägersysteme in Kaliningrad und hat dies auch danach getan. Fast all diese Waffensysteme wurden in jüngster Vergangenheit modernisiert bzw. sind im Prozess der Modernisierung.

Der Standort Kulikovo befindet sich:

  • etwa 8 Kilometer vom Luftwaffenstützpunkt Čkalovsk (54.7661°, 20.3985°) entfernt, der seit 2012 umfassend renoviert wird und auf dem möglicherweise Flugzeuge mit doppelt-verwendbaren Waffensystemen stationiert sind.

  • etwa 27 Kilometer vom Küstenverteidigungsstandort bei Donskoe (54.9423°, 19.9722°) entfernt, der vor kurzem vom SSC-1B Sepal auf das P-800-Bastion-Küstenverteidigungssystem umrüstete. Das Bastion-System verwendet die SS-N-26-Rakete (3M-55, Jachont), die nach Einschätzung der US-Nachrichtendienste „nuklearfähig“ ist.

  • etwa 35 Kilometer vom Stützpunkt der Baltischen Flotte in Baltisk (54.6400°, 19.9175°) entfernt, zu der kernwaffenfähige U-Boote, Zerstörer, Fregatten und Korvetten gehören.

  • etwa 96 Kilometer von der 152. Raketenbrigade in Černjachovsk (54.6380°, 21.8266°) entfernt, die unlängst von der SS-21-Kurzstreckenrakete auf die moderne SS-26 (Iskander)-Kurzstreckenrakete umgerüstet wurde. Im Unterschied zu anderen SS-26-Basen wurde allerdings in Černjachovsk (noch) kein neues Raketendepot gebaut.

  • Fast ein halbes Dutzend S-300- und S-400-Luftabwehreinheiten sind in der Region stationiert. In der aktualisierten Fassung der US-Nukleardoktrin von 2018 wird festgestellt, dass Waffensysteme der russischen Luftverteidigung doppelt verwendbar sind. Diese Standorte sind zwischen 20 und 98 Kilometern von dem Kernwaffendepot entfernt.

Es gibt also viele potentielle „Kunden“ des Kernwaffendepots in Kulikovo. Andere russische Kernwaffenlagerstätten wurden im Lauf der letzten zehn Jahre ebenfalls modernisiert, unter anderem die Atom-U-Boot-Basis auf der Halbinsel Kamčatka. Auch andere Waffendepots in der Region Kaliningrad werden gegenwärtig modernisiert, aber dort scheinen keine Kernwaffen zu lagern.

Die Frage der russischen nicht-strategischen Kernwaffen hat unlängst aufgrund der Revision der US-Nukleardoktrin durch die Regierung Trump neue Beachtung gefunden, denn darin wird Russland vorgeworfen, die Anzahl und die Typen seiner nicht-strategischen Kernwaffen zu erhöhen. Außerdem wird behauptet, Russland besitze „bis zu 2.000“ nicht-strategische Kernwaffen, was indirekt die Schätzung der Federation of American Scientists (FAS) bestätigt.

Die NATO fordert Russland seit mehreren Jahren auf, seine Kernwaffen weiter von den NATO-Grenzen zurückzuziehen. In Anbetracht der Tatsache, dass Russland seine konventionellen Streitkräfte modernisiert, gibt es nicht mehr, sondern noch weniger Gründe für die Modernisierung der Kernwaffen-Standorte in Kaliningrad.

Abb. 1: Eine unterirdische und verbunkerte Kernwaffenlagerstätte im Bezirk Kaliningrad wird seit 2016 renoviert.
Abb. 1:

Eine unterirdische und verbunkerte Kernwaffenlagerstätte im Bezirk Kaliningrad wird seit 2016 renoviert.

Abb. 2: Zwischen 2002 und 2010 wurde der Sicherheitsperimeter um das Kernwaffenlager Kulikovo gesäubert und leistungsfähiger gemacht.
Abb. 2:

Zwischen 2002 und 2010 wurde der Sicherheitsperimeter um das Kernwaffenlager Kulikovo gesäubert und leistungsfähiger gemacht.

Abb. 3: Ein Google street-Bild von 2017 zeigt ein militärisches Stoppzeichen an der Zufahrtsstraße zu dem mutmaßlichen Kernwaffenlager nördlich von Kaliningrad
Abb. 3:

Ein Google street-Bild von 2017 zeigt ein militärisches Stoppzeichen an der Zufahrtsstraße zu dem mutmaßlichen Kernwaffenlager nördlich von Kaliningrad


Anmerkung

Diese Veröffentlichung wurde durch großzügige Zuschüsse der John D. und Catherine T. MacArthur Foundation, des Ploughshares Fund, der New Land Foundation und der Carnegie Corporation of New York ermöglicht. Für die gemachten Aussagen und die geäußerten Meinungen ist ausschließlich der Autor verantwortlich. Ursprünglich erschienen dieser Bericht am 18. Juni 2018 auf dem Blog der Federation of American Scientists: https://fas.org/blogs/security/2018/06/kaliningrad/


Published Online: 2018-12-14
Published in Print: 2018-12-19

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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  17. Gregory F. Treverton/Andrew Thvedt/Alicia Chen/Kathy Lee/Madeline McCue: Addressing Hybrid Threats. Stockholm: Swedisch Defence University und Center for Asymmetric Threat Studies, 2018
  18. Linda Robinson/Todd C. Helmus/Raphael S. Cohen/Alireza Nader/Andrew Radin/Madeline Magnuson/Katya Migacheva: Modern Political Warfare. Current Practices and Possible Responses. St. Monica: RAND Corporation, Mai 2018
  19. Todd C. Helmus/Elizabeth Bodine-Baron/Andrew Radin/Madeline Magnuson/Joshua Mendelsohn/William Marcellino/Andriy Bega/Zev Winkelman: Russian Social Media Influence. Understanding Russian Propaganda in Eastern Europe. St. Monica: RAND Corporation, April 2018
  20. Julia Gurganus: Russia: Playing a Geopolitical Game in Latin America, Washington, D.C.: Carnegie Endowment for International Peace, 2018.
  21. Sergey Sukhankin: „Continuing War by Other Means“: The Case of Wagner, Russia’s Premier Private Military Company in the Middle East. Washington, D.C.: The Jamestown Foundation, Juli 2018.
  22. International Crisis Group: Patriotic Mobilisation in Russia. Brüssel: ICG, Juli 2018
  23. Transatlantische Beziehungen
  24. Patricia Lewis/Jacob Parakilas/Marianne Schneider-Petsinger/Christopher Smart/Jeffrey Rathke/Donatienne Ruy: The Future of the United States and Europe. An Irreplaceable Partnership. London: The Royal Institute of International Affairs, April 2018
  25. Sylvie Matelly/Christian Mölling/Trevor Taylor: The Future Of Transatlantic Strategic Superiority. British, German and French Perspectives. Washington D.C.: GMF 2018/No.19
  26. Die Volksrepublik China als internationaler Akteur
  27. Thorsten Benner/Jan Gaspers/Mareike Ohlberg/Lucrezia Pogetti/Kristin Shi-Kupfer: Authoritarian Advance. Responding to China’s Growing Political Influence in Europe. Berlin: Global Public Policy Institute (GPPI) und Mercator Institute for China Studies (MERICS), Februar 2018.
  28. Mikko Huotari/Jan Gaspers/Thomas Eder/Helena Lagarda/Sabine Mokry: China’s Emergence as a Global Security Actor. Strategies for Europe. Berlin: Mercator Institute for China Studies (MERICS), Juli 2017.
  29. Mittlerer Osten
  30. Carina Schlüsing/Katja Mielke: Deutsches Engagement im Irak: Wie weniger mehr sein kann. Bonn: Bonn International Conversion Center (bicc Policy Brief 4), April 2018.
  31. Buchbesprechungen
  32. Margareta Mommsen: Das Putin-Syndikat. Russland im Griff der Geheimdienstler. München, C. H. Beck 2017
  33. Christian Deubner: Security and Defence Cooperation in the EU. A Matter of Utility and Choice. Baden Baden: Nomos Verlag 2017
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