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Anthony Cordesman: 21st Century Conflict: From „Revolution in Military Affairs“ to a „Revolution in Civil-Military Affairs”. Washington, D.C.: CSIS, Februar 2018

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Veröffentlicht/Copyright: 8. Juni 2018

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Anthony Cordesman 21st Century Conflict: From „Revolution in Military Affairs“ to a „Revolution in Civil-Military Affairs” Washington, D.C.: CSIS, Februar 2018


In einer seiner neusten Publikation widmet sich Tony Cordesman der Notwendigkeit umfassender zivil-militärischer Strategien als Antwort auf die komplexen Herausforderungen von asymmetrischen Gewaltkonflikten, extremistischen Ideologien und versagenden staatlichen Institutionen in zahlreichen Ländern. Mit der Anspielung auf den Begriff „Revolution in Military Affairs“, welche sich auf den aufgrund militärtechnischer Überlegenheit unerwartet schnellen amerikanischen Sieg in der konventionellen „Desert Storm“ Kampagne von 1991 bezieht, fordert Cordesman eine „Revolution in Civil-Military Affairs“. Diese sieht er als Weg, um auch in den vielgestaltigen unkonventionellen Kriegen der heutigen Zeit wieder etwas wie einen Sieg erringen zu können. Sein Plädoyer für eine solche „RCMA“ beginnt mit einer Darstellung der Probleme, die seit je her mit fragiler Staatlichkeit, starkem Bevölkerungswachstum, korrupten Regierungen und asymmetrisch operierenden nicht-staatlichen Gewaltakteuren einhergehen. Auch die kritische Rolle der Zivilbevölkerung, um deren Unterstützung eine Regierung einerseits und Aufständische andererseits in fragilen Staaten ringen, wird betont. Es überrascht, dass Cordesman diese seit Jahren bekannten Herausforderungen zum großen Teil als etwas Neues darstellt, denn es existiert ein wohlbekannter Literaturkanon, in dem jeder Aspekt der von Cordesman geforderten „Revolution“ seit über zehn Jahren umfassend diskutiert wurde. Dies schließt die Rolle von Technologie und digitalen Medien, welche im Zuge des Aufstiegs von Daesh und russischer hybrider Kriegsführung verstärkt Aufmerksamkeit erlangte, mit ein.

Interessanter ist der zweite Teil der Studie, in dem Cordesman Empfehlungen an das Militär und an zivile Entscheidungsträger, d. h. Diplomaten und Politiker ausspricht. An militärische Entscheidungsträger richtet Cordesman fünf Botschaften. Erstens ist davon auszugehen, dass nichtstaatliche Gewaltakteure zunehmend militärische Potentiale entwickeln, welche denen staatlicher Streitkräfte gleichkommen. Cordesman hätte allerdings klarstellen müssen, dass hier ausschließlich von bodengebundenen nichtstaatlichen Kräften die Rede ist und der Vergleich nur für Armeen von Entwicklungs- und einigen Schwellenländern gelten kann. Cordesmans zweite Botschaft hat zu einem Zeitpunkt, in dem sich westliche Staaten in Krisenländern verstärkt darauf konzentrieren, mit Instrumenten der Sicherheitssektorreform (SSR) aus zweiter Reihe zu agieren, besonderes Gewicht: Er macht unmissverständlich deutlich, dass die Ertüchtigung der Sicherheits- und Verteidigungskräfte von Drittstaaten nur dann Erfolge erzielen kann, wenn westliche Ausbilder die lokalen Sicherheitskräfte direkt im Einsatz begleiten und beraten. Ausbildung, die ausschließlich auf gut geschützten Ausbildungsgeländen stattfindet, bereitet lokale Sicherheitskräfte nicht ausreichend auf die Einsatzrealität „outside the wire“ vor, wie in den letzten Jahren gelernt wurde. Da die Bundeswehr wie auch deutsche Polizisten im Rahmen des Ertüchtigungsansatzes zunehmend in SSR Missionen eingesetzt werden, hat diese Botschaft für deutsche politische Entscheidungsträger besondere Relevanz.

Drittens weist Cordesman mit Bezug auf Syrien darauf hin, dass vollständige Luftüberlegenheit in zukünftigen militärischen Interventionen westlicher Streitkräfte keine Selbstverständlichkeit mehr sein wird. Umso mehr sollte laut Cordesman der Vorteil der Luftüberlegenheit genutzt werden, wenn er sich bietet.

Dies passt zur vierten Botschaft von Cordesman: Ist die politische Entscheidung für eine Intervention gefallen, sollte von Beginn an mit „decisive force“ eingegriffen werden um so den Konflikt schnell zu entscheiden, anstatt zuerst den kleinstmöglichen Kräfteansatz zu wählen nur um anschließend lagebedingt gezwungen zu sein, die Truppenzahl schleichend zu erhöhen. So wird das entscheidende militärische Moment zu Beginn der Intervention vertan, während strategischen Antagonisten viele Handlungsräume geboten werden. Die politische Entscheidung für oder gegen eine Intervention soll somit vom Grundsatz „ganz oder gar nicht“ geleitet werden.

Cordesmans letzter Punkt kann nicht ohne Kritik stehenbleiben. Er argumentiert, dass der Missbrauch der Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde heute zur Normalität geworden ist. Militärische Zurückhaltung und Handlungsunfähigkeit westlicher Kräfte führt nach Cordesmans Meinung dazu, dass sich ein Konflikt noch mehr in die Länge zieht, wodurch am Ende auch mehr Zivilisten leiden. In anderen Worten: Cordesman empfiehlt westlichen Entscheidungsträgern, das humanitäre Völkerrecht zugunsten militärischer Wirkung zu ignorieren. Als Vorbild dient Cordesman hier offensichtlich der zynische militärische Erfolg russischer Bombardements in Syrien, bei dem der Tod von zahlreichen Zivilisten billigend in Kauf genommen wird. Ganz abgesehen davon, dass solche Entscheidungen den moralischen Kompass einer Nation stark infrage stellen, verwundert es, dass Cordesman als Zeitzeuge des Vietnam-Krieges scheinbar vergisst, dass eine solche Art der Kriegsführung die lokale Bevölkerung im Einsatzland in die Arme der Aufständischen treibt und die demokratische Unterstützung für einen Auslandseinsatz im eigenen Land – zu Recht – erodieren lässt.

Cordesmans Empfehlungen an die zivilen Entscheidungsträger entsprechen den wesentlichen Lehren, die aus den umfassenden Stabilisierungsengagements in Irak und Afghanistan gezogen wurden. Wenn auch nicht neu, sollen Cordesmans wichtigste Botschaften aufgrund ihrer uneingeschränkten Aktualität und Dringlichkeit an dieser Stelle genannt werden: Schlechte Regierungsführung und Korruption sind genauso verantwortlich für Instabilität und Unsicherheit wie die terroristischen Gruppierungen selbst, welche von der Frustration der Zivilbevölkerung massiv profitieren. Politischer Wille zur Reform ist entscheidend für den erfolgreichen Kampf gegen Extremismus. Die Regierung im Einsatzland muss willens sein, die zeitlich begrenzte internationale Intervention zu nutzen, um nachhaltige Fähigkeiten zur eigenständigen Bereitstellung grundlegender staatlicher Dienstleistungen aufzubauen. Gleichsam müssen nicht nur die politischen Eliten, sondern alle gesellschaftlichen Gruppen in einem Land einen gewaltfreien politischen Minimalkonsens finden: “No amount of outside partner military force can save a host country from its people“, so Cordesman.

Mit Blick auf zivile Stabilisierungsprojekte und Entwicklungszusammenarbeiten in Krisengebieten fordert Cordesman – wie viele andere – eine konsequente Evaluierung aller Maßnahmen durch begleitendes Wirkungsmonitoring. Erfolgreiche Programme müssen auf dieser Basis gefördert werden, während an wirkungslose Programme keine Steuergelder mehr verschwendet werden dürfen. Cordesman kritisiert zu Recht, dass es sich bei zivilen Projekten in Krisenkontexten viel zu oft um öffentlichkeitswirksame Leuchtturmprojekte handelt als um Maßnahmen, die schnellstmöglich Wirtschaftswachstum generieren. Da Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven junge Männer in die Arme von Milizen und Extremisten treiben, ist die Schaffung von Arbeitsplätzen eine zentrale zivile Aufgabe in im Sinne eines vernetzten Stabilisierungsansatzes. Wie viele andere Studien dieser Art beschränkt sich Cordesman allerdings auf die Forderung „we must address unemployment“. Die eigentliche Frage, nämlich wie dies in einem Krisengebiet unter den denkbar schwierigsten Bedingungen konkret realisiert werden kann, lässt auch Cordesman unbeantwortet.

Cordesman spricht sich vor diesem Hintergrund grundsätzlich und trotz aller bekannten Schwierigkeiten für die Notwendigkeit von „Statebuilding“ aus (in der Studie wird analog der Begriff „nation building“ verwendet). Doch er plädiert nachdrücklich dafür, dass die Unterstützung von Regierungen in Krisenländern konsequent an Konditionalitäten im Bereich guter Regierungsführung gebunden werden muss. Darüber hinaus weist er darauf hin, dass massive Geldtransfers im Sinne eines „Marshall Plans“ nur funktionieren, wenn das Empfängerland zuvor bereits einen Entwicklungsstand hat, der einen verantwortungsbewußten Umgang mit dem Geld sicherstellt. Dass Cordesman hier auf den vom deutschen Entwicklungsminister Müller geforderten „Marshall Plan für Afrika“ anspielt, ist allerdings unwahrscheinlich.

Am Ende lässt sich die von Cordesman geforderte „Revolution in Civil Military Affairs“ auf einen zentralen Punkt reduzieren: Eine integrierte zivil-militärische Strategie mit einer gemeinsam definierten Ziel-Weg-Mittel Relation ist unabdingbar, um Krisenländer zu stabilisieren. Cordesmans Studie unterstreicht somit ein weiteres Mal einen seit gut zehn Jahren bestehenden Konsens in der strategischen Debatte, der von politischen Entscheidungsträgern aus unterschiedlichen Gründen jedoch bis heute nicht konsequent berücksichtigt wird. Somit bleibt es letztendlich eine offene Frage, ob Cordesmans Forderung nach strategischer Kohärenz bei zivil-militärischen Interventionen revolutionär ist, oder nicht doch einer längst bekannten Einsicht entspricht.

https://www.csis.org/analysis/revolution-civil-military-affairs

Published Online: 2018-6-8
Published in Print: 2018-6-5

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Artikel in diesem Heft

  1. Cover und Titelseiten
  2. Cover und Titelseiten
  3. Editorial
  4. Editorial
  5. Aufsätze
  6. Abschreckung und Dialogbereitschaft – der Paradigmenwechsel der NATO seit 2014
  7. „Wenn Soldaten marschieren, ist es zu spät“ – Abschreckung 2.0 im Zeitalter hybrider Konflikte
  8. „Agile Abschreckung“ gegen Bedrohungen aus dem Cyber Raum – Optionen für deutsche Politik
  9. Deutschlands Rolle im internationalen Handel mit konventionellen Waffen und Rüstungsgütern: Sind wir die „Waffenkammer der Welt“?
  10. Berichte und Kurzdarstellungen
  11. Präsident Trumps Nuclear Posture Review
  12. Inwieweit war Russlands Anschluss der Krim historisch gerechtfertigt? Zur Problematik „realistischer“ Annexionsnarrative
  13. Strategischer Kommentar
  14. Das internationale Abkommen zum Verbot von Kernwaffen – was tun?
  15. Literaturberichte
  16. Russland und China – auf dem Weg zur strategischen Partnerschaft?
  17. Moskauer Analysen zur Politik gegenüber dem Westen
  18. Ergebnisse internationaler strategischer Studien
  19. Russland als militärische Herausforderung
  20. Anthony H. Cordesman: Putin and Russia’s New Nuclear Weapons: Whoever Dies with the Most Toys Wins?, Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies, 8. März 2018.
  21. James M. Acton, Alexey Arbatov, Vladimir Dvorkin, Petr Topychkanov, Tong Zhao, Li Bin: Entanglement: Chinese and Russian Perspectives on Non-Nuclear Weapons and Nuclear Risks, Carnegie Endowment for International Peace, November 8, 2017.
  22. Franklin D. Kramer/Hans Binnendijk: Meeting the Russian Conventional Challenge: Effective Deterrence by Prompt Reinforcement, Atlantic Council. Scowcroft Center for Strategy and Security.
  23. Terrorismus und Radikalisierung
  24. Brian Michael Jenkins: The origins of America’s jihadists., Santa Monica, California; RAND Corporation 2017.
  25. Donald Holbrook: What Types of Media Do Terrorists Collect? An Analysis of Religious, Political, and Ideological Publications Found in Terrorism Investigations in the UK. Den Haag: International Centre for Counter-Terrorism (ICCT Research Paper) 2017
  26. Zivil-militärische strategische Planung und Nation Building
  27. Anthony Cordesman: 21st Century Conflict: From „Revolution in Military Affairs“ to a „Revolution in Civil-Military Affairs”. Washington, D.C.: CSIS, Februar 2018
  28. Sarah Chayes: The Structure of Corruption: A Systemic Analysis Using Eurasian Cases. Washington, DC: Carnegie Endowment for International Peace, Publications Department: June 2016.
  29. Naher und Mittlerer Osten
  30. Esther Meininghaus: War in Syria: UN peacekeeping mission and deal with Russia are imperative. Bonn: Bonn International Center for Conversion (BICC) 2017.
  31. Suzanne Maloney: The Roots and Evolution of Iran’s Regional Strategy, Washington, D.C.: Atlantic Council, 2017.
  32. Nikolay Kozhanov: Russian Policy Across the Middle East. Motivations and Methods. London: Royal Institute of International Affairs – Chatham House (Research Paper) Februar 2018.
  33. Studien internationaler Organisationen
  34. United Nations Development Programme: Journey to Extremism in Africa. New York 2017
  35. Carlos Alberto dos Santos Cruz, William R. Phillips, Salvator Cusimano: Improving Security of United Nations Peacekeepers. Unabhängiger Bericht im Auftrag des VN-Generalsekretärs, New York, NY, Dezember 2017.
  36. Buchbesprechungen
  37. James E. Doyle: Renewing America’s Nuclear Arsenal. Options for the 21st Century. Abingdon, Oxon: Routledge 2017, 125 Seiten
  38. Die Welt im Jahr 2035. Gesehen von der CIA. Das Paradox des Fortschritts. München: C.H. Beck Verlag 2017, 318 Seiten.
  39. Roman Muzalevsky: Strategic Landscape 2050: Preparing the U.S. Military for New Era Dynamics. Carlisle, Pennsylvania: US Army War College September 2017, 104 Seiten
  40. Florian Hahn (Hrsg.): Sicherheit für Generationen. Herausforderungen der neuen Weltordnung. Berlin: Verlag Duncker & Humblot 2017, 110 Seiten
  41. Rainer Hermann: Arabisches Beben. Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 2018, 378 Seiten
Heruntergeladen am 22.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2018-2015/html
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