Home Florian Hahn (Hrsg.): Sicherheit für Generationen. Herausforderungen der neuen Weltordnung. Berlin: Verlag Duncker & Humblot 2017, 110 Seiten
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Florian Hahn (Hrsg.): Sicherheit für Generationen. Herausforderungen der neuen Weltordnung. Berlin: Verlag Duncker & Humblot 2017, 110 Seiten

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Published/Copyright: June 8, 2018

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Hahn Florian Sicherheit für Generationen. Herausforderungen der neuen Weltordnung Verlag Duncker & Humblot Berlin 1 110 2017


Als Wissenschaftler ist man froh, wenn die Ergebnisse der eigenen Arbeit (oder der der Kollegen und Kolleginnen) in der Politik überhaupt wahrgenommen werden. Besonders Wissenschaftler, die sich mit Fragen der internationalen Politik und mit strategischen Entwicklungen befassen, tun sich in dieser Hinsicht schwer, weil sie häufig mit düsteren Prognosen aufwarten oder mit Ergebnissen, die nicht in das partnerschaftlich geprägte Bild der Politik der Bundesregierung passen. Insofern ist es zu begrüßen, dass Bundestagsabgeordnete wie Florian Hahn die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft suchen, um die Perspektiven deutscher und europäischer Sicherheit zu reflektieren. Hahn ist außen- und sicherheitspolitischer Sprecher der CSU im Deutschen Bundestag und hat Experten und Expertinnen aus Wissenschaft und Politik in diesem Sammelband zusammengebracht, um einen kritischen Blick auf die internationale Lage und die daraus resultierenden Probleme zu werfen. Allerdings lässt der schmale Umfang (angesichts der 17 weiteren, teilweise renommierten Autoren und Autorinnen) des Buches den Erwartungshorizont sinken, denn auf derart knappem Raum lässt sich wenig aussagen – oder die Komprimierung der Texte führt zu einer Banalisierung der Aussagen.

Hahn betont einleitend, wie gefährdet die internationale Ordnung sei. Daher sei ein vernetzter Ansatz der Bundesregierung notwendig, der sich auf unterschiedliche Gefährdungsmomente einstelle und nicht nur die russische Aggressivität, sondern auch die vielen strukturellen Probleme in der europäischen Nachbarschaft berücksichtige. Er fordert zudem mehr Resilienz in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik und arbeitet dabei teilweise mit Begriffen, die zwar zum Berliner Sprachgebrauch gehören, die allerdings nicht mit Substanz ausgefüllt werden. Aber das ist erst einmal nicht schädlich, denn so ein Buch kann dazu beitragen, dass politische Alltagsschablonen mit Inhalt angefüllt werden.

Es ist nicht möglich, alle Beiträge zu würdigen, aber einige seien kurz erwähnt. So malt der Historiker Michael Stürmer in seinem Artikel („Wendezeiten – Krisenzeiten – Vorkriegszeiten“) ein eher düsteres Bild der Gegenwart und gelangt zu dem Ergebnis, dass es von den Großmächten abhänge, ob die Welt in Chaos versinke oder nicht. Das ist in dieser Allgemeinheit vermutlich zutreffend, aber sehr viel anfangen lässt sich mit dieser Aussage derzeit nicht. Mit Blick auf Russland ist das Hauptproblem eher, dass die dortige Führung ihre innenpolitischen Widersprüche in außenpolitische Feindseligkeit umsetzt. Da trifft der Appell an die Verantwortlichkeit der Großmächte für Stabilität auf taube Ohren.

Carlo Masala schreibt über die unterschiedlichen Stabilitätswahrscheinlichkeiten unter Bedingungen von Uni- und Multipolarität. Das sind kluge Überlegungen, die neugierig machen, aber auch an dieser Stelle bleibt der Leser etwas ratlos zurück, weil der Artikel an der Stelle abbricht, an der es interessant wird. Es ist bedauerlich, dass dem Autor nicht etwas mehr Platz gewährt wurde. Ähnlich verhält es sich mit dem Aufsatz von James Bindenagel über die transatlantischen Beziehungen. Seiner Überzeugung, wonach Amerikaner und Europäer weiterhin aufeinander angewiesen sein werden, lässt sich ohne Weiteres zustimmen. Offen bleibt aber, wie dafür Sorge zu tragen ist, dass dieses Verständnis auf beiden Seiten des Atlantiks politisch mehrheitsfähig ist.

Der Beitrag von Saskia Hieber bleibt trotz der gebotenen Kürze präzise und balanciert. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass China zwar noch keinen globalen Machtanspruch geltend mache (Frage: Wie lange gilt das noch?), aber weltweite Wirtschaftskorridore anstrebe, seine außenpolitischen Interessen immer selbstbewusster und aggressiver verfolge und zu einem Faktor werde, der regionale Konflikte anheizen könne.

Ebenso klug und abgewogen ist der Kurzbeitrag von Margarete Klein über Russland. Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, dass die angestrebte Partnerschaft mit Russland wohl für längere Zeit eine Vision bleiben werde. Derzeit gehe es darum, dessen Machtstreben einzuhegen, ohne dabei den Kontakt abreißen zu lassen. Auch der Artikel von Reinhard Meier-Walser über die Regionalmächte Türkei, Iran und Saudi-Arabien zeichnet sich durch kühle Beobachtung und eine ausgewogene Analyse aus.

Der Beitrag von Guido Steinberg zum Terrorismus ist in gewohnter Weise präzise und klar auf die strategischen Fragestellungen bezogen. Er gelangt zu der zutreffenden Feststellung, dass der Westen akzeptieren sollte, dass der islamistische Terrorismus lediglich die Spitze einer gesellschaftlichen Krise der nah- und mittelöstlichen Welt sei und die westliche Politik hierauf nur wenig Einfluss nehmen und diesen auch nicht beseitigen könne. Angesichts der Gefährdung durch den salafistischen Extremismus empfiehlt er, die Einwanderungspolitik vorsichtig zu gestalten.

Der Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik Arne Schönbohm gibt einen Überblick über das, was das Bundesamt in den nächsten Jahren zu tun gedenkt, um den vielfältigen Herausforderungen im Cyberspace gerecht zu werden. Der Beitrag ist zu kurz und wenig analytisch. Auch zu kurz geraten ist der Artikel von Markus Kaiser über hybride Bedrohungen.

Ein eher kontroverser Artikel ist der von Maximilian Terhalle, der einleitend bemerkt, dass es in der deutschen Politik – wie im Übrigen auch in der Wissenschaft – an einer strategischen Debatte mangele. Damit hat er zweifelsohne Recht, der deutschen Politik fehlen gerade im Bereich der internationalen Beziehungen die strategischen Prioritäten (wenn man von der Klimapolitik und dem Bekenntnis zum Multilateralismus absieht). Aber die vom Verfasser präsentierten Vorschläge sind weit von einer aufgeklärten strategischen Debatte entfernt. Die Idee, nuklearstrategische deutsche U-Boote in der Ostsee patrouillieren zu lassen, dürfte nicht sehr hilfreich sein.

Benedikt Franke von der Münchner Sicherheitskonferenz unterscheidet in seinem interessanten Beitrag über sicherheitspolitische Herausforderungen jenseits der aktuellen Debatte zwischen „schwarzen Schwänen“ und „grauen Nashörnern“. Erstere sind Bedrohungen, die als höchst unwahrscheinlich gelten und dann doch eintreten. „Graue Nashörner“ hingegen sind latente Risiken, die ignoriert werden, bis es zu spät ist. Auch hier wäre es schön gewesen, wenn der Verfasser mehr Raum gehabt hätte, um manche seiner Gedanken weiterzuentwickeln. Es wäre zum Beispiel interessant gewesen zu fragen, wie die Mechanismen beschaffen sind, die dazu führen, dass gerade in der deutschen Debatte zur Sicherheitspolitik so viele Themen ausgeblendet und dadurch zu „grauen Nashörnern“ gemacht werden. Er fordert ein höheres Bewusstsein für „schwarze Schwäne“ und „graue Nashörner“ in der Politik und bietet die Münchener Sicherheitskonferenz als geeigneten Ort dafür an (ein klarer Fall von Produktwerbung).

Die übrigen vier Beiträge von Markus Söder (der die Sicherheitspolitik als wichtige Staatsaufgabe definiert und Bayern als positives Bild hinstellt), Geza von Geyr (der das Weißbuch 2016 vorstellt), Holger Mey (über die Rolle der Wirtschaft) und Markus Ferber (der die Rolle Europas thematisiert) runden das Bild ab. Insgesamt handelt es sich um ein Buch, das interessante Beiträge zur Strategiedebatte enthält, aber schon aufgrund des geringen Umfangs mehr Fragen aufwirft als Antworten liefern kann und dem es gut getan hätte, wenn es weniger politische und institutionelle Produktwerbung enthielte.

Published Online: 2018-6-8
Published in Print: 2018-6-5

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Articles in the same Issue

  1. Cover und Titelseiten
  2. Cover und Titelseiten
  3. Editorial
  4. Editorial
  5. Aufsätze
  6. Abschreckung und Dialogbereitschaft – der Paradigmenwechsel der NATO seit 2014
  7. „Wenn Soldaten marschieren, ist es zu spät“ – Abschreckung 2.0 im Zeitalter hybrider Konflikte
  8. „Agile Abschreckung“ gegen Bedrohungen aus dem Cyber Raum – Optionen für deutsche Politik
  9. Deutschlands Rolle im internationalen Handel mit konventionellen Waffen und Rüstungsgütern: Sind wir die „Waffenkammer der Welt“?
  10. Berichte und Kurzdarstellungen
  11. Präsident Trumps Nuclear Posture Review
  12. Inwieweit war Russlands Anschluss der Krim historisch gerechtfertigt? Zur Problematik „realistischer“ Annexionsnarrative
  13. Strategischer Kommentar
  14. Das internationale Abkommen zum Verbot von Kernwaffen – was tun?
  15. Literaturberichte
  16. Russland und China – auf dem Weg zur strategischen Partnerschaft?
  17. Moskauer Analysen zur Politik gegenüber dem Westen
  18. Ergebnisse internationaler strategischer Studien
  19. Russland als militärische Herausforderung
  20. Anthony H. Cordesman: Putin and Russia’s New Nuclear Weapons: Whoever Dies with the Most Toys Wins?, Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies, 8. März 2018.
  21. James M. Acton, Alexey Arbatov, Vladimir Dvorkin, Petr Topychkanov, Tong Zhao, Li Bin: Entanglement: Chinese and Russian Perspectives on Non-Nuclear Weapons and Nuclear Risks, Carnegie Endowment for International Peace, November 8, 2017.
  22. Franklin D. Kramer/Hans Binnendijk: Meeting the Russian Conventional Challenge: Effective Deterrence by Prompt Reinforcement, Atlantic Council. Scowcroft Center for Strategy and Security.
  23. Terrorismus und Radikalisierung
  24. Brian Michael Jenkins: The origins of America’s jihadists., Santa Monica, California; RAND Corporation 2017.
  25. Donald Holbrook: What Types of Media Do Terrorists Collect? An Analysis of Religious, Political, and Ideological Publications Found in Terrorism Investigations in the UK. Den Haag: International Centre for Counter-Terrorism (ICCT Research Paper) 2017
  26. Zivil-militärische strategische Planung und Nation Building
  27. Anthony Cordesman: 21st Century Conflict: From „Revolution in Military Affairs“ to a „Revolution in Civil-Military Affairs”. Washington, D.C.: CSIS, Februar 2018
  28. Sarah Chayes: The Structure of Corruption: A Systemic Analysis Using Eurasian Cases. Washington, DC: Carnegie Endowment for International Peace, Publications Department: June 2016.
  29. Naher und Mittlerer Osten
  30. Esther Meininghaus: War in Syria: UN peacekeeping mission and deal with Russia are imperative. Bonn: Bonn International Center for Conversion (BICC) 2017.
  31. Suzanne Maloney: The Roots and Evolution of Iran’s Regional Strategy, Washington, D.C.: Atlantic Council, 2017.
  32. Nikolay Kozhanov: Russian Policy Across the Middle East. Motivations and Methods. London: Royal Institute of International Affairs – Chatham House (Research Paper) Februar 2018.
  33. Studien internationaler Organisationen
  34. United Nations Development Programme: Journey to Extremism in Africa. New York 2017
  35. Carlos Alberto dos Santos Cruz, William R. Phillips, Salvator Cusimano: Improving Security of United Nations Peacekeepers. Unabhängiger Bericht im Auftrag des VN-Generalsekretärs, New York, NY, Dezember 2017.
  36. Buchbesprechungen
  37. James E. Doyle: Renewing America’s Nuclear Arsenal. Options for the 21st Century. Abingdon, Oxon: Routledge 2017, 125 Seiten
  38. Die Welt im Jahr 2035. Gesehen von der CIA. Das Paradox des Fortschritts. München: C.H. Beck Verlag 2017, 318 Seiten.
  39. Roman Muzalevsky: Strategic Landscape 2050: Preparing the U.S. Military for New Era Dynamics. Carlisle, Pennsylvania: US Army War College September 2017, 104 Seiten
  40. Florian Hahn (Hrsg.): Sicherheit für Generationen. Herausforderungen der neuen Weltordnung. Berlin: Verlag Duncker & Humblot 2017, 110 Seiten
  41. Rainer Hermann: Arabisches Beben. Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 2018, 378 Seiten
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