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James E. Doyle: Renewing America’s Nuclear Arsenal. Options for the 21st Century. Abingdon, Oxon: Routledge 2017, 125 Seiten

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Published/Copyright: June 8, 2018

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Doyle James E. Renewing America’s Nuclear Arsenal. Options for the 21st Century Routledge Abingdon, Oxon 1 125 2017


Im April 2009 erklärte der damalige Präsident Barack Obama in einer Rede in Prag, dass die USA bereit wären, „den Frieden und die Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen anzustreben.“ Im Rahmen jahrelanger Konsultationen mit der russischen Regierung und mit China wurde versucht, beide Kernwaffenmächte dazu zu bewegen, an einem gemeinsamen Programm zur Reduzierung der Rolle von Kernwaffen in militärischen Doktrinen und zu ihrem schrittweisen Abbau mitzuwirken. Abgesehen vom New-START-Vertrag, der neue Obergrenzen für US-amerikanische und russische strategische Angriffswaffen vorsah, ist nichts geschehen. Die Regierung in Moskau ließ erkennen, dass sie an der vollständigen Abschaffung von Kernwaffen nicht interessiert sei. Auch aus Beijing war die Antwort negativ. Zudem signalisierten wichtige Alliierte und strategische Partner der USA, dass sie angesichts der regionalen Bedrohungen, denen sie ausgesetzt seien, das Ende der nuklearen Sicherheitsgarantie der USA fürchteten. Einige gingen so weit anzukündigen, dass sie im Fall eines US-amerikanischen Rückzugs aus der Rolle der Atommacht eigene Kernwaffen beschaffen würden.

Angesichts der seit den 1990er-Jahren kaum noch modernisierten strategischen Kernwaffenarsenale der USA und des gleichzeitigen massiven Abbaus von strategischen und der fast vollständigen Zerstörung nicht-strategischer (früher „taktische“ genannten) Kernwaffen entschloss sich die Obama Administration während ihrer zweiten Amtszeit zu einer umfassenden Modernisierung des eigenen Kernwaffenarsenals. Diese soll dazu dienen, veraltete Trägersysteme, nukleare Sprengköpfe, die nukleare Infrastruktur und vor allem die Kommando- und Kontrolleinrichtungen zu erneuern. Erklärtes Ziel war es, die vorhandenen Fähigkeiten auf einem niedrigen Niveau beizubehalten und im Rahmen der mit Russland geschlossenen Abrüstungsverträge zu bleiben. Das bedeutet, es sollen keine neuen Fähigkeiten im strategischen Gegenüber zu Russland (und auch China) angestrebt werden (insbesondere keine Waffen, die einen nuklearen Entwaffnungsschlag ermöglichen würden). Anstelle der weitgehend nicht mehr existenten nicht-strategischen Kernwaffen sollten allerdings Waffensysteme eingeführt werden, die es den USA erlauben würden, erweiterte Abschreckung für weit entfernte Verbündete in einer Weise auszuüben, die erkennbar selektiv sein wird.

Das Programm der nuklearen Modernisierung wird etwa über 30 Jahre andauern und in verschiedenen Phasen ablaufen. Die Trump-Administration hat verdeutlicht, dass sie im Wesentlichen die Festlegungen der Obama-Administration übernehmen will. Die wichtigsten Elemente des Modernisierungsprogramms sind:

  • Die Beibehaltung der nuklearstrategischen Triade aus landgestützten Interkontinentalraketen (ICBM), U-Boot-gestützten ballistischen Langstreckenraketen (SLBM) sowie strategischen Langstreckenbombern mit variablen Bewaffnungen.

  • Die Ersetzung der 14 strategischen SLBM-U-Boote der Ohio-Klasse durch 12 neue U-Boote der Columbia-Klasse, die mit weniger ballistischen Raketen ausgestattet sein werden.

  • Die Ersetzung der landgestützten Minuteman-Raketen durch ein neues Programm an ballistischen Raketen mit nur einem Sprengkopf (keine MIRV Fähigkeiten).

  • Die Ersetzung der B-1-Langstreckenbomber und der B-52-Bomber (der letzte wurde 1961 in Dienst gestellt) durch die noch zu entwickelnden B-21-Langstreckenbomber.

  • Die Entwicklung luftgestützter und seegestützter weitreichender Marschflugkörper, die in der Lage sein sollen, in regionalen Kontexten erweiterte Abschreckung für Alliierte und strategische Partner zu ermöglichen (vor allem in Asien).

  • Lebensverlängerungsprogramme für existierende Kernwaffentypen beziehungsweise Anpassungen bestehender Kernwaffentypen an neue Trägersysteme.

  • Eine umfassende Modernisierung der Infrastruktur, insbesondere der Kommando- und Kontrolleinrichtungen.

  • Kein Ausbau der bestehenden begrenzten Raketenabwehrsysteme zu einem nationalen Raketenabwehrsystem oder gar zu einem neuen SDI.

Diese Modernisierung wird teuer, weil über drei Jahrzehnte nichts erneuert worden ist und die Funktionsfähigkeit des US-Arsenals irgendwann infrage gestanden hätte. Die Kosten über den gesamten Zeitraum werden auf mehrere hundert Milliarden US-Dollar veranschlagt, dürften aber den Rahmen nicht sprengen – Schätzungen zufolge werden weniger als drei Prozent des jährlichen US-Verteidigungsbudgets dadurch betroffen sein.

Das vom Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS) in London herausgegebene Buch des Nichtverbreitungsexperten James E. Doyle unternimmt eine kritische Bewertung der Kosten und der strategischen Konsequenzen des Programms. Er stellt das strategische Modernisierungsprogramm in seinen Kernelementen dar und entwickelt dann drei alternative Programme, von denen er meint, dass diese die Ziele der strategischen Politik der USA auch erfüllen könnten. Jede der vier diskutierten Modelle wird anhand der Kriterien (1) strategische Stabilität und Rüstungskontrolle, (2) Sicherheit der Waffen und Nichtweiterverbreitung sowie (3) Kosten beziehungsweise Opportunitätskosten überprüft. Im Ergebnis gelangt der Verfasser zu der Erkenntnis, dass das Modernisierungsprogramm viel zu umfassend und teuer sei und zudem mit dem politischen Ziel der Nichtverbreitung, das die USA verfolge, nicht kompatibel wäre. Zudem werde das Programm die strategische Stabilität im Verhältnis zu Russland beschädigen und dazu beitragen, den Rüstungskontrollprozess zu stören. Die anderen von ihm vorgeschlagenen Modelle – insbesondere diejenigen, in denen der Verzicht auf die landgestützte Komponente der strategischen Triade vorgesehen ist – würden den strategischen Zielen der USA besser dienen.

Die Thesen Doyles lassen erst einmal aufhorchen, denn keiner will, dass neue strategische Instabilitäten entstehen, die nukleare Nichtverbreitungspolitik Schaden nimmt und zudem der US-amerikanische Steuerzahler unnötige Kosten auf sich nehmen muss. Wenn man sich die jeweiligen Begründungen anschaut, dann stellt sich allerdings Ernüchterung ein. So wird nicht begründet, warum die Beibehaltung einer landgestützten Komponente bei den strategischen Angriffswaffen destabilisierend sei. Dieses wäre der Fall, wenn die landgestützten Raketen den USA – und sei es auch nur theoretisch – die Fähigkeit zur Entwaffnung Russlands durch einen umfassenden Erstschlag ermöglichen würde. Dies ist aber offensichtlich nach allen bekannten Kalkülen des strategischen Gleichgewichts nicht der Fall und wird auch offensichtlich in Russland nicht als Hauptproblem gesehen. Dort herrscht eher die Furcht vor, dass die USA ein umfassendes Raketenabwehrsystem installieren würden – aber das genau ist in dem Modernisierungsprogramm nicht vorgesehen. Doyle gibt keine Anhaltspunkte dafür, warum seine Behauptung korrekt sein soll. Seine Methode besteht leider vorwiegend darin, etwas zu behaupten, ohne dafür eine stichhaltige Begründung vorzulegen.

Ebenso wenig überzeugt die Behauptung, dass das derzeitige Modernisierungsprogramm zu Entwendungsrisiken bei Kernwaffen oder zur Gefährdung der Rüstungskontrolle oder der Nichtverbreitungspolitik beitrage. Auch hier finden sich lediglich Behauptungen, ohne einen Nachweis oder auch nur den Versuch einer differenzierten Begründung, die sich an ausgewiesenen Kriterien strategischer Stabilität orientiert. Sein Vorschlag, anstelle von neuen see- oder luftgestützten Marschflugkörpern mit großer Reichweite bestehende Systeme der US-Luftwaffe oder der Marine mit Kernwaffen zu bestücken, kann auch nicht überzeugen, weil es das Ziel der US-amerikanischen Streitkräfte spätestens seit 1990 ist, nicht in der ganzen Welt mit Kernwaffen umherzufahren.

Überzeugend ist der Hinweis darauf, dass ein abgespecktes Modernisierungsprogramm billiger wäre. Das ist aber keinesfalls eine besonders neue Erkenntnis und kann nicht das einzige Kriterium für die Einschätzung des Programms sein. Alles in allem ist dies ein teilweise interessantes Buch, weil es die anstehende Modernisierung des US-amerikanischen strategischen und nicht-strategischen Nuklearpotenzials zumindest in den Grundzügen korrekt wiedergibt. Aber der Verfasser bleibt oberflächlich und stellt Behauptungen auf, die er nicht belegen geschweige denn beweisen oder plausibel machen kann. Von einer durch das IISS herausgegebenen Schrift wäre in dieser Hinsicht eine bessere Qualität zu erwarten gewesen.

Published Online: 2018-6-8
Published in Print: 2018-6-5

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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