Reviewed Publication:
Jenkins Brian Michael The origins of America’s jihadists, Santa Monica, California; RAND Corporation 2017.
Jenkins untersucht in seiner Studie die Herkunft von Jihadisten, die Anschläge in den USA verübt oder geplant haben. Ebenfalls versucht der Autor, mögliche Motive und Ursachen des islamistischen Terrorismus in den USA zu ergründen, indem er biographische Faktoren aus den Lebensläufen der Jihadisten betrachtet. Übergreifendes Ziel der Analyse ist es, Einwanderungs- und Einreisebestimmungen sowie das Handeln amerikanischer Sicherheitsbehörden kritisch zu hinterfragen in Bezug auf ihre Fähigkeit, islamistische Anschläge zu verhindern.
Der Autor hat große Mühen investiert, die Herkunft von Jihadisten, die Anschläge in den USA geplant oder verübt haben, zu recherchieren. Als Datengrundlage dient eine vom Autor recherchierte Liste mit 178 Personen, die derartige Anschläge verübt oder geplant haben. Hierbei handelt es sich um keine Stichprobe, sondern um eine vollständige Auflistung aller an derartigen Vorfällen direkt beteiligten Personen seit dem 11. September 2001. Diese waren an 22 vollendeten und 86 unvollendeten Anschlägen mit insgesamt unter 100 Todesopfern beteiligt. In 72 % aller Fälle waren Einzeltäter involviert. Zentrale Schlussfolgerung des Autors hieraus ist, dass die amerikanischen Behörden relativ effektiv darin waren, in den Jahren nach dem 11. September islamistische Anschläge zu verhindern.
Insgesamt stellt Jenkins fest, dass 86 der 178 Jihadisten in den USA geboren sind. Unter den verbliebenen 92 wurde ein Großteil entweder in den USA eingebürgert (46) oder hielt sich als „permanent resident“ in den USA auf (23). Nur eine kleine Minderheit waren Asylantragsteller, illegale Einwanderer oder hielt sich mit einem temporären Visum in den USA auf. Von den im Ausland geborenen Jihadisten kamen nur 13 nach dem 11. September 2001 ins Land, nach dem die Einwanderungs- und Einreisebestimmungen für die USA verschärft wurden. Im Durchschnitt befanden sie sich zum Zeitpunkt des Anschlags bzw. dessen Planung bereits 12 Jahre im Land. Ihre Radikalisierung, so Jenkins, habe damit überwiegend in den USA stattgefunden und nicht im Ausland. Nur eine der Personen hat nach dem 11. September nachweislich an Training in einem Terrorcamp teilgenommen. Auch Rückkehrer aus Konfliktgebieten stellen somit nur eine relativ geringe Gefahr dar. Die im Ausland geborenen Jihadisten kamen aus 38 überwiegend muslimischen Staaten, wobei allerdings auch 11 aus Lateinamerika stammen. Nationalität sei daher ein schlechter Prädiktor für zukünftige terroristische Aktivitäten. Die derzeitigen Einwanderungs- und Einreisebestimmungen und damit verbundene Überprüfungsmaßnahmen werden daher insgesamt von Jenkins als ausreichend bewertet. Aufgrund der schlechter Vorhersehbarkeit einer zukünftigen Radikalisierung und der langen Dauer zwischen Ersteinreise in die USA und der Planung bzw. dem Verüben eines Anschlags, sei es utopisch zu glauben, strengere Einwanderungsbestimmungen könnten die Anzahl derartiger Anschläge signifikant verringern.
Jenkins diskutiert im weiteren Verlauf des Artikels auch Studien zum Radikalisierungspotenzial amerikanischer Muslime. So sehen nach einer Pew Research Umfrage 7 Prozent der amerikanischen Muslime Selbstmordanschläge als „manchmal“ oder „oft“ gerechtfertigt an. Die Zahlen seien dabei niedriger als in vergleichbaren Studien für europäische Länder. Der Autor argumentiert, dass dennoch nur ein Bruchteil derer mit radikalen Ansichten tatsächlich zu Gewalt greift und Radikalisierung an sich nie alleinerklärend für spätere terroristische Aktivitäten sei. Mindestens 38 % der Jihadisten sind laut Jenkins aber zum Islam konvertiert. Diese grundsätzlich interessante Beobachtung wird aber dadurch relativiert, dass unklar sei, welche Strategie einer höheren Prädisposition unter Konvertiten gegenüber radikalen Tendenzen und Terrorismus entgegenwirken könne.
Zwar werde oft vermutet, dass neben Radikalisierung sozio-ökonomische Faktoren auch eine Rolle in Bezug auf zukünftige Terroraktivitäten spielen können, es bestehen aber dem Autor nach keine besonderen Unterschiede zwischen dem Bildungsniveau der Jihadisten und anderen Amerikanern aus der gleichen Altersgruppe. Insgesamt unterscheide sich der sozio-ökonomische Hintergrund der Jihadisten nur geringfügig von der restlichen Bevölkerung. Einen besonderen Risikofaktor stelle aber Propaganda in sozialen Medien dar, die möglicherweise insbesondere Personen mit bestehenden psychischen Problemen anspricht.
Für den Leser etwas unbefriedigend liefert die Studie wenig bis keine handfesten Erkenntnisse dazu, was letztendlich Jihadisten in den USA zu Anschlägen bzw. Anschlagsversuchen bewegt hat. Risikofaktoren lassen sich aus der Studie nicht ableiten. Dies ist aber schlüssig zum restlichen Narrativ der Studie, wonach islamistische Terroranschläge als seltenes aber gleichzeitig mehrdimensionales Phänomen beschrieben werden, die mit verschiedensten Persönlichkeitsprofilen, Herkünften und sozio-ökonomischen Hintergründen der Jihadisten einhergehen. Auch wäre es vermessen zu erwarten, eine einfache Sammlung terroristischer Vorfälle und deren deskriptive Analyse könne ohne wesentlich aufwändigeres Forschungsdesign hierzu tatsächlich belastbarere Erkenntnisse liefern.
© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Artikel in diesem Heft
- Cover und Titelseiten
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- Editorial
- Editorial
- Aufsätze
- Abschreckung und Dialogbereitschaft – der Paradigmenwechsel der NATO seit 2014
- „Wenn Soldaten marschieren, ist es zu spät“ – Abschreckung 2.0 im Zeitalter hybrider Konflikte
- „Agile Abschreckung“ gegen Bedrohungen aus dem Cyber Raum – Optionen für deutsche Politik
- Deutschlands Rolle im internationalen Handel mit konventionellen Waffen und Rüstungsgütern: Sind wir die „Waffenkammer der Welt“?
- Berichte und Kurzdarstellungen
- Präsident Trumps Nuclear Posture Review
- Inwieweit war Russlands Anschluss der Krim historisch gerechtfertigt? Zur Problematik „realistischer“ Annexionsnarrative
- Strategischer Kommentar
- Das internationale Abkommen zum Verbot von Kernwaffen – was tun?
- Literaturberichte
- Russland und China – auf dem Weg zur strategischen Partnerschaft?
- Moskauer Analysen zur Politik gegenüber dem Westen
- Ergebnisse internationaler strategischer Studien
- Russland als militärische Herausforderung
- Anthony H. Cordesman: Putin and Russia’s New Nuclear Weapons: Whoever Dies with the Most Toys Wins?, Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies, 8. März 2018.
- James M. Acton, Alexey Arbatov, Vladimir Dvorkin, Petr Topychkanov, Tong Zhao, Li Bin: Entanglement: Chinese and Russian Perspectives on Non-Nuclear Weapons and Nuclear Risks, Carnegie Endowment for International Peace, November 8, 2017.
- Franklin D. Kramer/Hans Binnendijk: Meeting the Russian Conventional Challenge: Effective Deterrence by Prompt Reinforcement, Atlantic Council. Scowcroft Center for Strategy and Security.
- Terrorismus und Radikalisierung
- Brian Michael Jenkins: The origins of America’s jihadists., Santa Monica, California; RAND Corporation 2017.
- Donald Holbrook: What Types of Media Do Terrorists Collect? An Analysis of Religious, Political, and Ideological Publications Found in Terrorism Investigations in the UK. Den Haag: International Centre for Counter-Terrorism (ICCT Research Paper) 2017
- Zivil-militärische strategische Planung und Nation Building
- Anthony Cordesman: 21st Century Conflict: From „Revolution in Military Affairs“ to a „Revolution in Civil-Military Affairs”. Washington, D.C.: CSIS, Februar 2018
- Sarah Chayes: The Structure of Corruption: A Systemic Analysis Using Eurasian Cases. Washington, DC: Carnegie Endowment for International Peace, Publications Department: June 2016.
- Naher und Mittlerer Osten
- Esther Meininghaus: War in Syria: UN peacekeeping mission and deal with Russia are imperative. Bonn: Bonn International Center for Conversion (BICC) 2017.
- Suzanne Maloney: The Roots and Evolution of Iran’s Regional Strategy, Washington, D.C.: Atlantic Council, 2017.
- Nikolay Kozhanov: Russian Policy Across the Middle East. Motivations and Methods. London: Royal Institute of International Affairs – Chatham House (Research Paper) Februar 2018.
- Studien internationaler Organisationen
- United Nations Development Programme: Journey to Extremism in Africa. New York 2017
- Carlos Alberto dos Santos Cruz, William R. Phillips, Salvator Cusimano: Improving Security of United Nations Peacekeepers. Unabhängiger Bericht im Auftrag des VN-Generalsekretärs, New York, NY, Dezember 2017.
- Buchbesprechungen
- James E. Doyle: Renewing America’s Nuclear Arsenal. Options for the 21st Century. Abingdon, Oxon: Routledge 2017, 125 Seiten
- Die Welt im Jahr 2035. Gesehen von der CIA. Das Paradox des Fortschritts. München: C.H. Beck Verlag 2017, 318 Seiten.
- Roman Muzalevsky: Strategic Landscape 2050: Preparing the U.S. Military for New Era Dynamics. Carlisle, Pennsylvania: US Army War College September 2017, 104 Seiten
- Florian Hahn (Hrsg.): Sicherheit für Generationen. Herausforderungen der neuen Weltordnung. Berlin: Verlag Duncker & Humblot 2017, 110 Seiten
- Rainer Hermann: Arabisches Beben. Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 2018, 378 Seiten
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- Cover und Titelseiten
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- Editorial
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- Abschreckung und Dialogbereitschaft – der Paradigmenwechsel der NATO seit 2014
- „Wenn Soldaten marschieren, ist es zu spät“ – Abschreckung 2.0 im Zeitalter hybrider Konflikte
- „Agile Abschreckung“ gegen Bedrohungen aus dem Cyber Raum – Optionen für deutsche Politik
- Deutschlands Rolle im internationalen Handel mit konventionellen Waffen und Rüstungsgütern: Sind wir die „Waffenkammer der Welt“?
- Berichte und Kurzdarstellungen
- Präsident Trumps Nuclear Posture Review
- Inwieweit war Russlands Anschluss der Krim historisch gerechtfertigt? Zur Problematik „realistischer“ Annexionsnarrative
- Strategischer Kommentar
- Das internationale Abkommen zum Verbot von Kernwaffen – was tun?
- Literaturberichte
- Russland und China – auf dem Weg zur strategischen Partnerschaft?
- Moskauer Analysen zur Politik gegenüber dem Westen
- Ergebnisse internationaler strategischer Studien
- Russland als militärische Herausforderung
- Anthony H. Cordesman: Putin and Russia’s New Nuclear Weapons: Whoever Dies with the Most Toys Wins?, Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies, 8. März 2018.
- James M. Acton, Alexey Arbatov, Vladimir Dvorkin, Petr Topychkanov, Tong Zhao, Li Bin: Entanglement: Chinese and Russian Perspectives on Non-Nuclear Weapons and Nuclear Risks, Carnegie Endowment for International Peace, November 8, 2017.
- Franklin D. Kramer/Hans Binnendijk: Meeting the Russian Conventional Challenge: Effective Deterrence by Prompt Reinforcement, Atlantic Council. Scowcroft Center for Strategy and Security.
- Terrorismus und Radikalisierung
- Brian Michael Jenkins: The origins of America’s jihadists., Santa Monica, California; RAND Corporation 2017.
- Donald Holbrook: What Types of Media Do Terrorists Collect? An Analysis of Religious, Political, and Ideological Publications Found in Terrorism Investigations in the UK. Den Haag: International Centre for Counter-Terrorism (ICCT Research Paper) 2017
- Zivil-militärische strategische Planung und Nation Building
- Anthony Cordesman: 21st Century Conflict: From „Revolution in Military Affairs“ to a „Revolution in Civil-Military Affairs”. Washington, D.C.: CSIS, Februar 2018
- Sarah Chayes: The Structure of Corruption: A Systemic Analysis Using Eurasian Cases. Washington, DC: Carnegie Endowment for International Peace, Publications Department: June 2016.
- Naher und Mittlerer Osten
- Esther Meininghaus: War in Syria: UN peacekeeping mission and deal with Russia are imperative. Bonn: Bonn International Center for Conversion (BICC) 2017.
- Suzanne Maloney: The Roots and Evolution of Iran’s Regional Strategy, Washington, D.C.: Atlantic Council, 2017.
- Nikolay Kozhanov: Russian Policy Across the Middle East. Motivations and Methods. London: Royal Institute of International Affairs – Chatham House (Research Paper) Februar 2018.
- Studien internationaler Organisationen
- United Nations Development Programme: Journey to Extremism in Africa. New York 2017
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- Buchbesprechungen
- James E. Doyle: Renewing America’s Nuclear Arsenal. Options for the 21st Century. Abingdon, Oxon: Routledge 2017, 125 Seiten
- Die Welt im Jahr 2035. Gesehen von der CIA. Das Paradox des Fortschritts. München: C.H. Beck Verlag 2017, 318 Seiten.
- Roman Muzalevsky: Strategic Landscape 2050: Preparing the U.S. Military for New Era Dynamics. Carlisle, Pennsylvania: US Army War College September 2017, 104 Seiten
- Florian Hahn (Hrsg.): Sicherheit für Generationen. Herausforderungen der neuen Weltordnung. Berlin: Verlag Duncker & Humblot 2017, 110 Seiten
- Rainer Hermann: Arabisches Beben. Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 2018, 378 Seiten