Reviewed Publication:
Cruz Carlos Alberto dos Santos Phillips William R. Cusimano Salvator Improving Security of United Nations Peacekeepers Unabhängiger Bericht im Auftrag des VN-Generalsekretärs, New York, NY, Dezember 2017
Der Bericht ist das Ergebnis eines vom Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres initiierten Prozesses zur Untersuchung der Hintergründe des Anstiegs der Verluste in jüngeren Peacekeeping-Einsätzen der Vereinten Nationen. Vor allem unter dem Eindruck der seit 2013 bestehenden MINUSMA-Mission in Mali, die bereits jetzt als die tödlichste Operationen in der jüngeren Geschichte des VN-Peacekeepings gilt, soll der Bericht „nüchterne, praktische, kurz- und längerfristige Handlungsempfehlungen zur Reduzierung der Verluste“<fnote> S. 2.</fnote> und der Verbesserung der Sicherheit von Peacekeeping-Personal im Feld liefern.
Das Autorenteam unter Führung des brasilianischen Generalleutnants Carlos Alberto dos Santos Cruz – daher die inoffizielle Bezeichnung Cruz-Report – stützt seine Untersuchung auf interne Berichte und Datenerhebungen der Vereinten Nationen sowie mehr als 160 Interviews. Als ehemaliger Force Commander der VN-Missionen MINUSTAH in Haiti und MONUSCO in der demokratischen Republik Kongo verfügt Cruz über Erfahrung im Umgang mit bewaffneten Bedrohungen von Angehörigen von Peacekeeping-Einsätzen. Die Wahl Cruz’, der aufgrund seiner Ansichten zum Einsatz von militärischen Mitteln im Kontext von VN-Einsätzen und mit Blick auf seine Vita als VN-Kommandeur in Krisenkontexten als Falke gilt, liefert einen ersten Hinweis auf die weiteren Schlussfolgerungen des Berichts.
Nach einer anfänglichen Analyse der Daten zu Verlusten unter Angehörigen von Peacekeeping-Einsätzen, die sich lediglich auf absolute Zahlen beschränkt, identifizieren die Autoren vier Bereiche, in denen sie Handlungsbedarf sehen:
die Notwendigkeit eines Mentalitätswandels, der ein verändertes Risikobewusstsein und die Befähigung von Missionsangehörigen zur Abschreckung, Prävention und Begegnung von Angriffen beinhaltet;
eine Verbesserung der Kapazitäten, d. h. die Ausrüstung und Ausbildung von Missionsangehörigen für Hochrisiko-Einsätze;
ein der Bedrohung entsprechender Fußabdruck für Peacekeeping-Missionen (mission footprint), der einerseits dem Mandat gerecht wird und anderseits bedrohungsreduzierend wirkt; sowie
eine Erweiterung der Rechenschaftspflicht, damit diejenigen, die Verluste im Sinne der planerischen und operationellen Verantwortung verhindern können, hierfür auch tatsächlich verantwortlich gemacht werden.
Ausdrückliches Ziel der Autoren ist es, spezifische, „praktische, umsetzbare und effektive“<fnote> Ebd.</fnote> Empfehlungen zur Veränderung von Peacekeeping-Einsätzen zu liefern. Dazu identifizieren sie 18 Problembereiche, für die sie kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen vorschlagen und individuell verantwortlichen Akteuren zuweisen. Bereits die erste Kategorie von Empfehlungen berührt dabei die Grundprinzipien von Friedenseinsätzen. Um dem Umstand gerecht zu werden, dass heute „Blauhelm und VN-Flagge keinen natürlichen Schutz bieten, sondern Ziele darstellen“<fnote> S. 10.</fnote>, fordern die Autoren eine Anpassung der Peacekeeping-Grundsätze an die Bedingungen von Krisenkontexten. Im Sinne eines risikogerechten Bewusstseinswandels sollen die Anforderungen des Sicherheitsumfeldes und nicht denjenigen der Truppenstellernationen mit geringer Risikobereitschaft ausschlaggebend für die Operationsplanung sein. Dazu gehöre, eine proaktive Haltung zur Selbstverteidigung einzunehmen und hinsichtlich der Anwendung von Gewalt über die Möglichkeit zu verfügen, die Initiative zu ergreifen, um Bedrohungen zu begegnen, die Straflosigkeit von Angriffen auf Angehörige der Mission zu beenden sowie Vorkehrungen gegen neue Bedrohungen wie IEDs und Hinterhalte zu ergreifen. Die zu aktualisierenden Prinzipien von Peacekeeping sollen – so formulieren es die Autoren in für VN-Dokumente ungewöhnlich klaren Worten – den proaktiven und präemptiven Einsatz von überwältigender Gewalt (overwhelming force) einschließen. Die Autoren gehen noch weiter und diagnostizieren der Organisation sowie einigen Truppenstellern ein „Kapitel VI-Syndrom“<fnote> S. 11.</fnote>, das zu einem Planungsverhalten führe, welches den veränderten Sicherheitsrisiken im Feld keine Rechnung trage und noch immer von einem traditionellem Umfeld von Peacekeeping-Einsätzen ausgehe, das durch die Abwesenheit feindlich eingestellter Akteure gekennzeichnet ist. Hierin sehen sie ein Paradoxon aus prinzipieller Risikoaversität von Truppenstellern bei gleichzeitigem ungewollt risikohaftem Verhalten im Einsatz, das auf mangelnde Sicherheitsvorkehrungen und fehlende Einhaltung grundlegender Vorsichtsmaßnahmen und Sicherheitsprozeduren zurückgeführt wird und das Leben von Peacekeepern gefährde.
Für Cruz und seine Co-Autoren braucht es daher Veränderungen bei der Aufstellung, im Verhalten, der Führung und der Initiative auf allen Ebenen – vom UN Hauptquartier in New York bis hin zu den Truppen im Feld –, um Verluste zu reduzieren und die Umsetzung von Mandaten zu verbessern. Der Schwerpunkt der Ressourcen sollte ihrer Meinung nach im Feld liegen, die Hauptquartiere lediglich ein Minimum an Personal und Ressourcen verbrauchen. Der Kapazität und Ausstattung kommt hier eine besondere Relevanz zu, da sich die Mentalität der Truppensteller in Ausstattung und Verhalten besonders deutlich widerspiegelt. Ginge es nach den Autoren des Berichts, sollten die Vereinten Nationen die Möglichkeit bekommen und nutzen, gegenüber Angeboten offensichtlich mangelhaft ausgestatteter und ausgebildeter Truppen „Nein“ zu sagen. Dazu gehört u. a. auch, caveats bzw. nationale Vorbehalte hinsichtlich ihres Einsatzes nicht zu akzeptieren.
Zusammengenommen stellt der Cruz-Bericht ein Dokument dar, das die Verfehlungen in und Probleme von Friedenseinsätzen in für Dokumente der Vereinten Nationen ungewöhnlich deutlicher Sprache benennt. Hierbei handelt es sich um die vielleicht zentrale Neuigkeit. Viele der enthaltenen Empfehlungen sind so oder so ähnlich bereits in unterschiedlichen Reformdokumenten und Untersuchungsberichten ausgesprochen worden. Anders als bisherige Berichte zur Reform und Verbesserung von Peacekeeping-Einsätzen, die vor allem die zivile Perspektive und Sprache von Entwicklungsexperten und Mediatoren widerspiegeln, bringt der Cruz-Bericht die militärische Perspektive zurück in die Debatte um die Zukunft von Peacekeeping-Einsätzen.
In welcher Form und zu welchem Grad die im Bericht gemachten Empfehlungen unter den Mitgliedstaaten und entscheidenden Truppenstellern tatsächlich Resonanz finden werden und ob das Urteil, dass die „Ära der Kapitel-VI Peacekeeping-Missionen vorbei [ist]“<fnote> S. I.</fnote>, allseits akzeptiert wird, wird sich in der Umsetzung zeigen. Der Bericht selbst stellt lediglich die erste Phase der Initiative des VN-Generalsekretärs zur Verbesserung der Sicherheit von Peacekeepern dar, die zweite Phase soll der Implementierung der im Bericht gemachten Empfehlungen dienen. Hierzu haben die Abteilungen des VN-Sekretariats für Friedenssicherungseinsätze und für die Unterstützung von Feldeinsätzen sowie die einzelnen Friedensmissionen bereits Aktionspläne verabschiedet und Verantwortliche zur Umsetzung benannt.
Jenseits dieser Maßnahmen ist der Cruz-Report bereits jetzt Bestandteil einer Debatte über das Für-und-Wider eines robusteren und durch eine stärkere Rolle militärischer Mittel geprägten Typs von Peacekeeping-Einsätzen. Dabei stellt sich nicht nur die Frage, wie seine Empfehlungen mit der Präventionsagenda von Generalsekretär Guterres vereinbar sind und sich zum im HIPPO-Bericht<fnote> Gemeint ist der noch von Ban-Ki Moon 2014 beauftragte und 2015 veröffentlichte High-Level Independent Panel on Peace Operations (HIPPO).</fnote> als bisher maßgeblichem Peacekeeping-Reformdokument hervorgehobenen Primats der Politik verhalten. Ebenfalls berührt ist die Frage des Verhältnisses von VN-Peacekeeping zu Bemühungen der Terrorismusbekämpfung sowie der Bewältigung des gewaltbereiten Extremismus.
© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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