Wie der Titel bereits andeutet, verzichtet Anthony H. Cordesman auf eine eigenständige Analyse und präsentiert stattdessen Daten und Einschätzungen von internationalen Organisationen und amerikanischen Behörden über die humanitären Folgen der Bürgerkriege im Nahen Osten. Insofern unterscheidet sich die Zusammenstellung von Cordesman gravierend von anderen Think Tank-Studien, die im Regelfall die strategischen Hintergründe aktueller Ereignisse erfassen und auf dieser Basis Handlungsempfehlungen ausarbeiten. Wenngleich die Publikation keinen Anspruch auf analytische Tiefe erheben kann, so ist die Dichte der gesammelten Informationen, die unter anderem von dem Office for the Coordination of Humanitarian Affairs der Vereinten Nationen, der Weltbank sowie der Central Intelligence Agency stammen, dennoch beeindruckend.
Die Lesbarkeit der Zusammenstellung leidet jedoch unter der Vielzahl zum Teil widersprüchlicher Statistiken. Einige Daten weichen beispielsweise voneinander ab, weil sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten erhoben worden sind, ohne dass dies näher diskutiert wird. Derartige Unstimmigkeiten sind das Ergebnis einer sehr groben Strukturierung. Cordesman untergliedert seine Zusammenstellung zwar in verschiedene Themenblöcke wie Flucht und Vertreibung oder Länderanalysen, bereitet die vorhandenen Zahlen und Berichte innerhalb dieser Bereiche aber nicht näher auf, sondern reiht sie lediglich aneinander. Die daraus resultierende Verwirrung ist nicht zuletzt deshalb ein immenser Verlust, weil bei näherer Betrachtung deutlich wird, wie gravierend die humanitären Folgen von Kriegen sind.
So ist die Anzahl der Menschen, die ihren Wohnsitz aufgegeben haben, weil sie vor Kampfhandlungen und Verfolgung nicht mehr sicher waren, weltweit gesehen beispielsweise auf rund 60 Millionen angestiegen. Allein 2014 sind 14 Millionen vertrieben worden. Die mit Abstand größten Fluchtbewegungen waren im Nahen und Mittleren Osten zu beobachten, weshalb sich Cordesman in den Länderanalysen konsequenterweise mit den Bürgerkriegen in Libyen, Syrien, im Irak und im Jemen beschäftigt. Besonders katastrophal seien die Lebensbedingungen in Syrien, wo das Regime von Baschar al-Assad mit russischer und iranischer Unterstützung zutiefst aggressiv gegen die Opposition vorgeht. Den aktuellen Zahlen zufolge hat der syrische Bürgerkrieg bereits Hunderttausende an Toten sowie über vier Millionen internationaler Flüchtlinge und mehr als siebeneinhalb Millionen weiterer Vertriebener gefordert, die sich innerhalb der Landesgrenzen aufhalten. Über 12 Millionen Syrier sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Was die Frage nach den Todesopfern und den ins Ausland geflohenen Einwohnern betrifft, so finden sich mit Blick auf die drei übrigen Länder keine vergleichbaren Informationen, was die unbefriedigende Systematik der Zusammenstellung untermauert. Die anderen Eckpunkte belegen die enorme humanitäre Notlage aber ebenfalls mehr als deutlich. So liegt die Zahl der Hilfsbedürftigen und Vertriebenen in Libyen jeweils bei rund zweieinhalb Millionen, im Irak benötigen über acht Millionen Menschen humanitäre Hilfe und mehr als drei Millionen sind vertrieben worden, während im Jemen gar über 21 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind und über zwei Millionen außerhalb ihrer Heimatgemeinde Schutz suchen.
Da Cordesman keine eigenen analytischen Überlegungen präsentiert, identifiziert er auch keine grenzübergreifenden Ursachen für das enorme Leid der Bevölkerung in Bürgerkriegsgebieten, obwohl die enorme Menge an empirischem Material dafür eine hervorragende Basis gewesen wäre. Beim Lesen der Berichte über die wirtschaftlichen Folgen der Bürgerkriege fällt jedoch die immense Abhängigkeit aller Länder vom Rohöl-Export auf. Im Zuge der Kampfhandlungen musste die Förderung von Rohöl in allen Staaten mit Ausnahme des Iraks, wo sie nach dem Sturz Saddam Husseins nie dauerhaft an Fahrt aufnehmen konnte, drastisch reduziert werden, was desaströse ökonomische und humanitäre Konsequenzen hatte. Der deutliche Fall des Ölpreises in den letzten Jahren tat sein Übriges. Somit liegt zumindest ein Ansatzpunkt für die Strukturierung ausländischer Hilfsmaßnahmen vor, falls die politischen Rahmenbedingungen einen Wiederaufbau ermöglichen sollten.
https://www.csis.org/analysis/human-cost-war-middle-east-graphic-overview
© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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- Titelseiten
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- ‚Make America Great Again‘? Die strategische Handlungs(un)fähigkeit der USA vom Ende des Kalten Kriegs bis zu Präsident Donald Trump
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- Libyen: Warum die NATO nicht an allem Schuld ist
- Die künftige internationale Einbettung der Ukraine: Sechs Sicherheitspolitische Szenarien für einen osteuropäischen Schlüsselstaat
- Aufstieg und Fall der „McNamara-Linie“: Aktuelle Lehren aus dem Vietnamkrieg
- Kommentare zur aktuellen strategischen Diskussion
- Kommentar – Die Rolle von Sanktion in der Politik gegenüber Russland – ein Dank an den amerikanischen Kongress
- Berichte und Dokumentation
- Demographie und die Krise der MENA-Region
- Ergebnisse strategischer Studien
- Eugene Rumer, Richard Sokolsky, Paul Stronski und Andrew S. Weiss: Illusions versus Reality: Twenty-Five Years of U.S. Policy Toward Russia. 2017. Carnegie Endowment for International Peace und Chicago Council on Global Affairs Joint Task Force: Guiding Principles for a Sustainable U.S. Policy Toward Russia. 2017. Kathleen H. Hicks und Lisa Sawyer Samp (Projektleiter): Recalibrating U.S. Policy Toward Russia: A Time for Choosing. 2017. Andrew C. Kuchins: Elevation and Calibration: A New Russia Policy for America. 2016.
- Richard Sokolsky: The New Nato-Russia Military Balance: Implications for European Security. 2017.
- Katarzyna Pełczyńska-Nałęczc und Piotr Buras: The Minsk (dis)agreement and Europe's security order. 2017. Katarzyna Pełczyńska-Nałęczc: How do you avoid others talking over your head? 2016. Sabine Fischer: Sanktionen als Dauerzustand? 2017. Nikolay Mitrokhin: Diktaturtransfer im Donbass: Gewalt und „Staatsbildung“ 2017. Katerina Bosko: Post-Minsk-Realität: die Folgen der Donbass-Blockade durch ukrainische Rechtsradikale und der „Nationalisierung“ von Unternehmen durch die „Volksrepubliken“ 2017.
- Nazrin Mehdiyeva: When Sanctions Bite: Global Export Leadership in a Competitive World and Russia's Energy Strategy to 2035. 2017.
- Ellie Geranmayeh und Kadri Liik: The New Power Couple. 2016.
- Anthony H. Cordesman: The Changing Gulf Balance and the Iranian Threat. 2016.
- Kathleen H. Hicks undMelissa G. Dalton (Hrsg.): Deterring Iran after the Nuclear Deal. 2017.
- Heiko Wimmen: Syria's Path from Civic Uprising to Civil War. 2016.
- James Dobbins, Philip Gordon und Jeffrey Martini: A Peace Plan for Syria III. Agreed Zones of Control, Decentralization, and International Administration. 2017.
- Anthony H. Cordesman: The War in Yemen. Hard Choices in a Hard War. 2017.
- Adam Baron: Yemen's Forgotten War. How Europe Can Lay the Foundations for Peace. 2016.
- Anthony H. Cordesman: The Human Cost of War in the Middle East. 2016.
- Dan Meridor: Time to Decide and Act. A Call for an Israeli Initiative. 2017.
- Buchbesprechungen
- International Institute for Strategic Studies: The Military Balance 2017. 2017.
- International Institute for Strategic Studies (IISS): Armed Conflict Survey. The Worldwide review of Political, Military and Humanitarian Trends in Current Conflicts. 2017.
- Bruno G. Hofbauer, Republik Österreich/Bundesminister für Landesverteidigung und Sport (Hrsg.),Moderne Seemacht. Grundlagen – Verfahren – Technik. 3. 2015.
- Leon Mangasarian und Jan Techau:Führungsmacht Deutschland. 2017.
- Seth A. Johnson:How NATO Adapts. Strategy and Organization in the Atlantic Alliance since 1950. 2016.
- Zur Diskussion gestellt
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