Die Studie ist Teil einer Reihe aktueller Analysen zum syrischen Bürgerkrieg, die allesamt von drei Experten mit einer beeindruckenden Erfahrung im Regierungssektor verfasst worden sind. Zwei von ihnen – James Dobbins und Philip Gordon – dienten sogar als Assistant Secretary of State, was der vierthöchsten Hierarchie-Ebene des amerikanischen Außenministeriums entspricht. Man merkt der Studie den entsprechenden Erfahrungshorizont der Autoren an, deren Ausführungen nicht zuletzt von der Frage nach der Machbarkeit verschiedener politischer Optionen bestimmt werden. Zugleich zeichnet sich die Analyse durch eine Reihe konkreter Vorschläge zur Eindämmung der Kriegshandlungen aus.
Was die Frage nach der politischen Machbarkeit betrifft, so argumentieren Dobbins, Gordon und deren Co-Autor Jeffrey Martini, dass die Chancen auf einen Machtwechsel in Syrien angesichts der gestärkten militärischen Position von Baschar al-Assad in absehbarer Zeit extrem gering sind. Assads Truppen beherrschen wieder große Teile des syrischen Westens und haben die Nachschubwege zahlreicher Oppositionsverbände mit der Einnahme Aleppos voneinander abgeschnitten. Jeder militärische Versuch, Assad ernsthaft zu schwächen, würde unter diesen Umständen nicht zu dem gewünschten Erfolg, sondern lediglich zu einer neuen Eskalation führen, da Russland und der Iran ihr Engagement zugunsten Assads entsprechend ausweiten würden. Das zentrale westliche Anliegen einer friedlichen Neuordnung Syriens ohne den Diktator sollte daher zunächst verschoben werden.
Mit Blick auf die Frage nach der Eingrenzung der anhaltenden Gewalt sehen die Autoren neuen Spielraum. Da ein Sturz von Assad bei dem aktuellen Frontverlauf praktisch ausgeschlossen ist, hätten der syrische Herrscher sowie seine Verbündeten Russland und Iran ihr wichtigstes Ziel erreicht. Der Anreiz, weitere offensive Schritte einzuleiten, dürfte für die pro-Assad-Koalition also deutlich geringer sein als in vorherigen Phasen des Bürgerkrieges. Die Autoren räumen unumwunden ein, dass die Gegner des syrischen Machthabers, die logischerweise die Leidtragenden von dessen neuer militärischer Stärke sind, weniger offen für Kompromisslösungen sein könnten. Genau aus diesem Grund wäre eine detaillierte Analyse der Motive und Zielsetzungen von Assads Gegenspielern im In- und Ausland wünschenswert gewesen, deren Rolle zumeist vergleichsweise knapp behandelt wird. Die Konzeption der anvisierten Kompromisslösung fällt dafür umso ausführlicher aus, womit die Studie zu ihrem innovativen Teil übergeht. Um der Komplexität der Situation Rechnung zu tragen, schlagen die Autoren vor, zwischen den entscheidenden Akteuren auf lokaler Ebene zu vermitteln und diese zur Aushandlung separater Waffenstillstandsabkommen zu bewegen.
Was zunächst wie einer der zahllosen Versuche klingt, eine abstrakte Formel für die Eindämmung eines zunehmend unübersichtlichen Bürgerkrieges zu finden, wird anschließend hinsichtlich einzelner regionaler Fixpunkte präzisiert. Mit Blick auf den Norden schlagen die Autoren beispielsweise vor, klar voneinander abgetrennte Zonen für kurdische Einheiten sowie die von der Türkei unterstützten arabischen Kräfte einzurichten, um die rivalisierenden Gruppierungen von Übergriffen abzuhalten. Eine zusätzliche Zone für moderate sunnitische Oppositionskräfte soll im Süden aufgebaut werden. Die größte Herausforderung stellt den Verfassern zufolge der Umgang mit dem Gebiet dar, das momentan von dem Islamischen Staat kontrolliert wird und dessen Eroberung von konkurrierenden Gruppierungen angestrebt wird. Aus Mangel an Alternativen schlagen Dobbins, Gordon und Martini vor, das Territorium zunächst unter internationale Verwaltung – möglichst unter dem Schutz einer UN-Blauhelmtruppe – zu stellen. Auch wenn diese Idee auf den erbitterten Widerstand einiger Akteure, die das Gebiet für sich reklamieren, stoßen und sich daher nur äußerst schwer umsetzen lassen dürfte, so stellt das oben umrissene Konzept einen ebenso pragmatischen wie detaillierten Ansatz zur Gewalteindämmung dar. Damit leistet die Studie einen außergewöhnlich durchdachten Beitrag zur Debatte über die westlichen Handlungsalternativen mit Blick auf die Lage in Syrien.
© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Articles in the same Issue
- Titelseiten
- Titelseiten
- Editorial
- Editorial
- Artikel
- ‚Make America Great Again‘? Die strategische Handlungs(un)fähigkeit der USA vom Ende des Kalten Kriegs bis zu Präsident Donald Trump
- Phoenix aus der Asche: Wie al-Qaida sich neu erfindet und wieder an Stärke gewinnt
- Libyen: Warum die NATO nicht an allem Schuld ist
- Die künftige internationale Einbettung der Ukraine: Sechs Sicherheitspolitische Szenarien für einen osteuropäischen Schlüsselstaat
- Aufstieg und Fall der „McNamara-Linie“: Aktuelle Lehren aus dem Vietnamkrieg
- Kommentare zur aktuellen strategischen Diskussion
- Kommentar – Die Rolle von Sanktion in der Politik gegenüber Russland – ein Dank an den amerikanischen Kongress
- Berichte und Dokumentation
- Demographie und die Krise der MENA-Region
- Ergebnisse strategischer Studien
- Eugene Rumer, Richard Sokolsky, Paul Stronski und Andrew S. Weiss: Illusions versus Reality: Twenty-Five Years of U.S. Policy Toward Russia. 2017. Carnegie Endowment for International Peace und Chicago Council on Global Affairs Joint Task Force: Guiding Principles for a Sustainable U.S. Policy Toward Russia. 2017. Kathleen H. Hicks und Lisa Sawyer Samp (Projektleiter): Recalibrating U.S. Policy Toward Russia: A Time for Choosing. 2017. Andrew C. Kuchins: Elevation and Calibration: A New Russia Policy for America. 2016.
- Richard Sokolsky: The New Nato-Russia Military Balance: Implications for European Security. 2017.
- Katarzyna Pełczyńska-Nałęczc und Piotr Buras: The Minsk (dis)agreement and Europe's security order. 2017. Katarzyna Pełczyńska-Nałęczc: How do you avoid others talking over your head? 2016. Sabine Fischer: Sanktionen als Dauerzustand? 2017. Nikolay Mitrokhin: Diktaturtransfer im Donbass: Gewalt und „Staatsbildung“ 2017. Katerina Bosko: Post-Minsk-Realität: die Folgen der Donbass-Blockade durch ukrainische Rechtsradikale und der „Nationalisierung“ von Unternehmen durch die „Volksrepubliken“ 2017.
- Nazrin Mehdiyeva: When Sanctions Bite: Global Export Leadership in a Competitive World and Russia's Energy Strategy to 2035. 2017.
- Ellie Geranmayeh und Kadri Liik: The New Power Couple. 2016.
- Anthony H. Cordesman: The Changing Gulf Balance and the Iranian Threat. 2016.
- Kathleen H. Hicks undMelissa G. Dalton (Hrsg.): Deterring Iran after the Nuclear Deal. 2017.
- Heiko Wimmen: Syria's Path from Civic Uprising to Civil War. 2016.
- James Dobbins, Philip Gordon und Jeffrey Martini: A Peace Plan for Syria III. Agreed Zones of Control, Decentralization, and International Administration. 2017.
- Anthony H. Cordesman: The War in Yemen. Hard Choices in a Hard War. 2017.
- Adam Baron: Yemen's Forgotten War. How Europe Can Lay the Foundations for Peace. 2016.
- Anthony H. Cordesman: The Human Cost of War in the Middle East. 2016.
- Dan Meridor: Time to Decide and Act. A Call for an Israeli Initiative. 2017.
- Buchbesprechungen
- International Institute for Strategic Studies: The Military Balance 2017. 2017.
- International Institute for Strategic Studies (IISS): Armed Conflict Survey. The Worldwide review of Political, Military and Humanitarian Trends in Current Conflicts. 2017.
- Bruno G. Hofbauer, Republik Österreich/Bundesminister für Landesverteidigung und Sport (Hrsg.),Moderne Seemacht. Grundlagen – Verfahren – Technik. 3. 2015.
- Leon Mangasarian und Jan Techau:Führungsmacht Deutschland. 2017.
- Seth A. Johnson:How NATO Adapts. Strategy and Organization in the Atlantic Alliance since 1950. 2016.
- Zur Diskussion gestellt
- Zur Diskussion gestellt
Articles in the same Issue
- Titelseiten
- Titelseiten
- Editorial
- Editorial
- Artikel
- ‚Make America Great Again‘? Die strategische Handlungs(un)fähigkeit der USA vom Ende des Kalten Kriegs bis zu Präsident Donald Trump
- Phoenix aus der Asche: Wie al-Qaida sich neu erfindet und wieder an Stärke gewinnt
- Libyen: Warum die NATO nicht an allem Schuld ist
- Die künftige internationale Einbettung der Ukraine: Sechs Sicherheitspolitische Szenarien für einen osteuropäischen Schlüsselstaat
- Aufstieg und Fall der „McNamara-Linie“: Aktuelle Lehren aus dem Vietnamkrieg
- Kommentare zur aktuellen strategischen Diskussion
- Kommentar – Die Rolle von Sanktion in der Politik gegenüber Russland – ein Dank an den amerikanischen Kongress
- Berichte und Dokumentation
- Demographie und die Krise der MENA-Region
- Ergebnisse strategischer Studien
- Eugene Rumer, Richard Sokolsky, Paul Stronski und Andrew S. Weiss: Illusions versus Reality: Twenty-Five Years of U.S. Policy Toward Russia. 2017. Carnegie Endowment for International Peace und Chicago Council on Global Affairs Joint Task Force: Guiding Principles for a Sustainable U.S. Policy Toward Russia. 2017. Kathleen H. Hicks und Lisa Sawyer Samp (Projektleiter): Recalibrating U.S. Policy Toward Russia: A Time for Choosing. 2017. Andrew C. Kuchins: Elevation and Calibration: A New Russia Policy for America. 2016.
- Richard Sokolsky: The New Nato-Russia Military Balance: Implications for European Security. 2017.
- Katarzyna Pełczyńska-Nałęczc und Piotr Buras: The Minsk (dis)agreement and Europe's security order. 2017. Katarzyna Pełczyńska-Nałęczc: How do you avoid others talking over your head? 2016. Sabine Fischer: Sanktionen als Dauerzustand? 2017. Nikolay Mitrokhin: Diktaturtransfer im Donbass: Gewalt und „Staatsbildung“ 2017. Katerina Bosko: Post-Minsk-Realität: die Folgen der Donbass-Blockade durch ukrainische Rechtsradikale und der „Nationalisierung“ von Unternehmen durch die „Volksrepubliken“ 2017.
- Nazrin Mehdiyeva: When Sanctions Bite: Global Export Leadership in a Competitive World and Russia's Energy Strategy to 2035. 2017.
- Ellie Geranmayeh und Kadri Liik: The New Power Couple. 2016.
- Anthony H. Cordesman: The Changing Gulf Balance and the Iranian Threat. 2016.
- Kathleen H. Hicks undMelissa G. Dalton (Hrsg.): Deterring Iran after the Nuclear Deal. 2017.
- Heiko Wimmen: Syria's Path from Civic Uprising to Civil War. 2016.
- James Dobbins, Philip Gordon und Jeffrey Martini: A Peace Plan for Syria III. Agreed Zones of Control, Decentralization, and International Administration. 2017.
- Anthony H. Cordesman: The War in Yemen. Hard Choices in a Hard War. 2017.
- Adam Baron: Yemen's Forgotten War. How Europe Can Lay the Foundations for Peace. 2016.
- Anthony H. Cordesman: The Human Cost of War in the Middle East. 2016.
- Dan Meridor: Time to Decide and Act. A Call for an Israeli Initiative. 2017.
- Buchbesprechungen
- International Institute for Strategic Studies: The Military Balance 2017. 2017.
- International Institute for Strategic Studies (IISS): Armed Conflict Survey. The Worldwide review of Political, Military and Humanitarian Trends in Current Conflicts. 2017.
- Bruno G. Hofbauer, Republik Österreich/Bundesminister für Landesverteidigung und Sport (Hrsg.),Moderne Seemacht. Grundlagen – Verfahren – Technik. 3. 2015.
- Leon Mangasarian und Jan Techau:Führungsmacht Deutschland. 2017.
- Seth A. Johnson:How NATO Adapts. Strategy and Organization in the Atlantic Alliance since 1950. 2016.
- Zur Diskussion gestellt
- Zur Diskussion gestellt