
Neben der Military Balance ist der Armed Conflict Survey das zweite jährlich erscheinende Standardwerk des IISS. Auch hier basiert die Publikation auf einer seit Jahren bestehenden und fortentwickelten Datenbank (Armed Conflict Database), mit der das Institut alle Konflikte weltweit analysiert und versucht neue Entwicklungen aufzuzeigen. Entsprechend ist das Buch – ähnlich wie die Military Balance – ein Nachschlagewerk. Aber ähnlich wie die Military Balance enthält jeder Armed Conflict Survey Bewertungen, die die jüngste Entwicklungen betreffen und setzt einzelne Schwerpunkte.
Der Armed Conflict Survey ist deshalb interessant, weil er einerseits für das abgelaufene Jahr 2016 eine Bilanz der Gewalt und der damit verbundenen Opfer zieht, andererseits aber die politischen Hintergründe der Konflikte sowie der Versuche ihrer Bewältigung aufzeigt. Insofern unterscheidet er sich von Projekten, die primär auf die Erstellung und Verarbeitung quantitativer Daten abzielen.
Interessant sind die Globaldaten über die Opfer von Kriegen und Bürgerkriegen. Hier beginnt der Armed Conflict Survey mit einer für viele überraschenden Erkenntnis: im Jahr 2016 lag die Zahl der Todesopfer (ca. 157.000) deutlich unter derjenigen von 2015 (ca. 167.000) und die war schon geringer als im Jahr 2014 (180.000). Der Konflikt mit den meisten Todesopfern war der Krieg in Syrien, der alleine 2016 etwa 50.000 Tote gefordert hat, womit gemäß den Kalkulationen vom IISS der Syrien-Krieg insgesamt etwa 290.000 Todesopfer hervorgebracht hat. Als zweitschlimmsten Konflikt in Bezug auf Todesopfer nennt das IISS den Drogenkrieg in Mexiko (mit ca. 23.000 Toten alleine 2016). Diese Zahl hat das IISS allerdings in einer Rundmail an seine Mitglieder vom 23. Juni 2016 zurückgenommen, ohne bislang eine korrigierte Zahl vorzulegen. Offensichtlich sind in den 23.000 Toten auch die Opfer normaler Straftaten enthalten. Letztere heraus zu rechnen ist offenbar sehr schwer. Immerhin handelt es sich dort um einen Konflikt zwischen der Regierung und der organisierten Kriminalität. Die weiteren blutigen Konflikte sind laut IISS die Kriege und Konflikte im Irak (Islamischer Staat, Schiiten versus Sunniten) sowie in Afghanistan (17.000 bzw. 16.000 Todesopfer).
Die Anzahl der durch Krieg und Gewalt intern Vertriebenen ist naturgemäß höher: hier meldet das IISS eine Zunahme der internen Vertriebenen in Syrien um fast eine Million nur in der Zeit zwischen Januar und August 2016 – zu einer Zeit, wo Russland an der Seite des syrischen Regimes aktiv in die Kämpfe eingegriffen hat. Im Irak und in Afghanistan wurden im Jahr 2016 etwa 234.000 bzw. 260.000 Menschen innerhalb des Landes vertrieben. Auch im Sudan wurden im Jahr 2016 über 192.000 Menschen vertrieben. In Nigeria soll die Zahl der registrierten und der nicht-registrierten internen Vertriebenen zwischen 8 und 10 Millionen liegen.
Das IISS berichtet nicht nur über die in den Medien ausgiebig abgedeckten Konflikte, sondern auch über diejenigen, die derzeit nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit liegen. Darunter befinden sich neben Mexiko weitere zentralamerikanische Staaten: Honduras, El Salvador und Guatemala. Dort kamen 2016 zusammen etwa 16.000 Menschen bei Kämpfen zwischen bewaffneten Gangsterbanden oder zwischen Regierungskräften und diesen Banden ums Leben. Rivalisierende Banden wie Mara Salvatrucha oder Barrio 18 würden zehntausende von teilweise schwer bewaffneten Männern aufbringen können. Schätzungen über die Gesamtstärke dieser Banden in den drei Ländern schwanken zwischen 54.000 und 85.000. Diese Angaben sowie die Informationen über den „Drogenkrieg“ in Mexiko lassen erkennen, wie sehr die jahrzehntelange Nachfrage nach harten Drogen in den USA das organisierte Verbrechen hat so stark werden lassen, dass sie heute staatlichen Stellen gleichwertig gegenüberstehen. Die damit verbundene Zerstörung gesellschaftlicher und politischer Strukturen ist offenkundig und eine Abhilfe ist nicht in Sicht.
Weitere Konflikte, die behandelt werden, sind diejenigen in Nigeria, Sudan, Südsudan, Kongo, Somalia, Jemen, der Bürgerkrieg in der Türkei zwischen der Regierung und den Kurden, Libyen und der Islamische Staat. Der Islamische Staat habe, so das IISS, im Laufe des Jahres 2016 etwa ein Viertel des Territoriums Syriens und des Iraks verloren und befinde sich auf dem Rückzug. Die Zahl der Kämpfer des IS sei von mehr als 31.000 im Jahr 2014 auf etwa 12.000 im Sommer 2016 abgesunken. Der Armed Conflict Survey warnt aber davor, den Islamischen Staat zu früh abzuschreiben. Das Gewaltpotenzial bleibe enorm und nicht nur in Syrien und im Irak, sondern auch in anderen Teilen der Welt (Sinai, Libyen, Nigeria) bleiben die Islamisten gefährlich. In Nigeria stellt das IISS fest, dass die Zahl der Todesopfer gesunken ist, weil es der Zentralregierung gelungen ist Boko Haram zu schlagen und die Kontrolle in weiten Teilen des Landes wieder zu übernehmen. Aber auch dort wird dieser Ableger des Islamischen Staates keine Ruhe geben.
Ähnlich wie die Military Balance ist der Armed Conflict Survey des IISS Pflichtlektüre für alle, die Konflikte innerstaatlicher oder zwischenstaatlicher Natur jenseits der mehr oder weniger selektiven Berichterstattung in den Medien verfolgen und auf ihre strategische Relevanz hin beurteilen wollen. Das Verdienst des IISS ist es, die Informationen und Daten über die Konflikte mit dem notwendigen Abstand darzulegen und so aufzubereiten, dass die mittel- und langfristigen Perspektiven und Parameter erkennbar werden. Die dazu notwendige Offenheit und Objektivität ist dabei ein Markenzeichen des IISS geworden.
© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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