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Patient:innen-Coaches als Brücke zwischen medizinischen Behandler:innen und Lebensalltag – Ein Bericht aus der Betroffenheitsperspektive

  • Matthias Nieft EMAIL logo
Published/Copyright: November 30, 2021

Zusammenfassung

Für das Projekt Patient:innen-Coach soll der bereits existierende „Diabetes Guide DDF“ in Kooperation mit weiteren Verbänden weiterentwickelt werden, um diese neue Form der Selbsthilfe standardisiert durchführen und deutschlandweit anbieten zu können. Diabetesbetroffene erhalten im Bereich des Selbstmanagements kompetente Unterstützung durch die Diabetes Guides. Ziele sind die Steigerung der Gesundheitskompetenz und die Motivation zu einer verbesserten Therapietreue, um Folgeerkrankungen möglichst zu vermeiden.

Abstract

To have a standardized training program able to be offered and run by any self-help organization the existing Project Diabetes Guide DDF will be advanced to the Patient Coach project in cooperation with other diabetes associations. People affected by diabetes receive competent support from the Diabetes Guides in self-management. The goals are to increase health literacy and motivation to improve adherence to therapy to avoid secondary diseases as far as possible.

Ausgangslage

Diabetesbetroffene sind bei der Bewältigung ihrer Krankheit im Alltag oftmals auf sich alleine gestellt. Diabetes mellitus erfordert die aktive Mitwirkung der Betroffenen bei der medizinischen Behandlung, denn diese hat entscheidende Auswirkungen auf den Verlauf der Krankheit [1]. Fach- oder Hausärzt:innen sind zwar erste Ansprechpartner:innen bei der medizinischen Betreuung, doch im Ärzt:innengespräch fehlt es oft an der nötigen Zeit für Fragen zur Umsetzung der gemeinsam vereinbarten Therapieziele im persönlichen Lebensalltag. Nicht nur die Einstellung der Blutzuckerwerte über Medikation, Ernährung und Bewegung gilt es dauerhaft zu bewältigen. Es treten auch viele Fragen auf: Welche Auswirkungen hat der Diabetes auf den ausgeübten Beruf, das gesellschaftliche Leben oder die Partnerschaft? Kann das Kind mit Diabetes weiterhin auf dieselbe Schule gehen und an Klassenfahrten teilnehmen? Auch die damit einhergehenden sozialen Aspekte und die psychische Belastung dürfen nicht unterschätzt werden. Gerade nach der ersten Diagnose sind die Betroffenen oft sehr verunsichert und niedergeschlagen und bei der Bewältigung ihrer Krankheit die meiste Zeit auf sich allein gestellt [2]. Obwohl dringend erforderlich, findet die sogenannte „Sprechende Medizin“ in unserem Gesundheitssystem viel zu wenig Berücksichtigung [3]. Hinzu kommt, dass die überwiegende Zahl der Typ-2-Diabetiker gar nicht oder nicht ausreichend geschult ist.

„Diabetes Guides DDF“ – Brücke zwischen medizinischer Behandlung und Diabetesalltag

Der Selbsthilfe-Bundesverband Deutsche Diabetes Föderation e.V. (DDF) hat, unterstützt von der Techniker Krankenkasse, das Projekt „Diabetes Guides DDF“ (www.deindiabetesguide.de) entwickelt, das genau an der in der Ausgangslage beschriebenen Situation ansetzt [4] (Abbildung 1). Es wurde ein Angebot geschaffen, das Patient:innen über das Internet die direkte Kontaktaufnahme mit erfahrenen und in der Selbsthilfe ehrenamtlich aktiven Betroffenen ermöglicht, um im Bereich des Diabetes-Selbstmanagements kompetente Unterstützung zu erhalten. Gleichzeitig ergibt sich das Potenzial, die zeitlichen Budgets der behandelnden Ärzt:innen sowie Diabetesberater:innen zu schonen, indem Patient:innen die nicht-medizinischen Aspekte der Erkrankung bereits außerhalb der Praxis besprechen können.

Abbildung 1: Logo des „Dein Diabetes Guide“ (Quelle: www.ddf.de.com/angebot-diabetes-guide).
Abbildung 1:

Logo des „Dein Diabetes Guide“ (Quelle: www.ddf.de.com/angebot-diabetes-guide).

Die Idee dahinter ist, den Patient:innen, die Fragen oder Probleme im Bereich des Selbstmanagements haben, erfahrene Betroffene als Ansprechpartner:innen mit größtmöglicher Empathie zur Seite zu stellen. Diese leisten punktuell, aber auch begleitend, kompetente Unterstützung bei der Bewältigung der verschiedenen Herausforderungen im Diabetes-Alltag. Neben der Steigerung der Gesundheitskompetenz, ist das Hauptziel der Diabetes Guides motivierend zu einer verbesserten Therapietreue beizutragen, um die sich schleichend entwickelnden schwerwiegenden und meist unumkehrbaren Folgeerkrankungen zu vermeiden und damit die Lebensqualität langfristig zu erhalten oder zu verbessern.

In der Qualifikation, die nach einer Prüfung mit der Zertifizierung zum „Diabetes Guide DDF“ abschließt, wird den Absolvent:innen in Seminaren von Fachreferent:innen ergänzendes Wissen aus der eigenen Betroffenheit vermittelt, um bei der Kontaktaufnahme zu Personen, die eine Unterstützung suchen, über fundierte Informationen zu verfügen. Hierzu zählen neben allgemeinen Informationen zu Diabetes mellitus auch Aspekte wie die medizinische Versorgung, z.B. von Diabetes-Technik sowie Krankenkassenleistungen, Behandlungsprogrammen, Präventionsmöglichkeiten oder die Bereitstellung von weiterführenden Kontakten wie sozialrechtlichen Beratungsstellen. Schulungen zur optimalen Wissensvermittlung und Rhetorik sowie zur Nutzung digitaler Kommunikations-Tools (Videokonferenz-Software und Social Media-Anwendungen) ergänzen das Qualifizierungsprogramm der Diabetes Guides.

Der nächste Schritt – „PaCo”

Derzeit wird, gemeinsam mit dem Diabetes Selbsthilfe-Bundesverband Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes e.V. (DDH-M), das Projekt „Diabetes Guide DDF“ unter dem Namen „Patient:innen-Coach (PaCo)“ weiterentwickelt. Geplant ist, die bereits existierenden Qualifikationsinhalte so zu erweitern, dass psychologische Faktoren (z.B. Angst vor Folgeerkrankungen, Stress am Arbeitsplatz oder an der Schule, Vorurteile von Mitmenschen), die den Erfolg des Coachings maßgeblich beeinflussen, mehr Berücksichtigung finden. Diese Fähigkeiten werden bei den Patient:innen-Coaches in entsprechenden Seminaren gezielt durch Fachpsycholog:innen gefördert. Neben der konkreten Hilfe sollen die Patient:innen-Coaches im Rahmen ihrer Tätigkeit auch das Bewusstsein der Betroffenen dafür schärfen, dass die Angebote der Diabetes-Selbsthilfe in großem Maße von Mitgliedsbeiträgen sowie vom Engagement derer abhängen, die sich ehrenamtlich für andere einsetzen. Hinzu kommt: Ausschließlich die organisierte Selbsthilfe darf Patientenvertreter:innen in die höchsten gesundheitspolitischen Entscheidungsgremien (zum Beispiel dem Gemeinsamen Bundesausschuss, G-BA) entsenden, damit diese sich für die Erhaltung und Verbesserung der Versorgung aller Diabetesbetroffenen mit den modernsten Behandlungsmethoden einsetzen können [5]. Die Tatsache, dass weniger als ein Prozent der über sieben Millionen Menschen mit Diabetes Mitglied in einem Selbsthilfeverband sind [6], zeigt, dass die Patient:innen-Coaches in diesem Bereich wertvolle Aufklärungsarbeit leisten können, damit die Stimme der Betroffenen mehr Gehör in Politik und Öffentlichkeit findet.

Ziel ist es, ein standardisiertes Curriculum zu entwickeln, mit dem die PaCo-Qualifikation verbandsübergreifend durchgeführt und damit deutschlandweit allen interessierten Diabetes-Selbsthilfe-Organisationen zur Teilnahme angeboten werden kann. Ein flächendeckendes Netz an Patient:innen-Coaches soll etabliert, den betroffenen Menschen bekannt gemacht und damit möglichst vielen Diabetiker:innen Unterstützung bei der Bewältigung des oft belastenden Diabetes-Alltags angeboten werden.

  1. Autorenerklärung

  2. Autorenbeteiligung: Der Autor trägt Verantwortung für den gesamten Inhalt dieses Artikels. Finanzierung: Der Autor erklärt, dass er keine finanzielle Förderung erhalten hat. Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein wirtschaftlicher oder persönlicher Interessenkonflikt vorliegt. Ethisches Statement: Für die Forschungsarbeit wurden weder von Menschen noch von Tieren Primärdaten erhoben.

  3. Author Declaration

  4. Author contributions: The author has accepted responsibility for the entire content of this submitted manuscript. Funding: The author states no funding involved. Conflict of interest: The author states no conflict of interest. Ethical statement: Primary data neither for human nor for animals were collected for this research work.

Literatur

1. Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. PatientenLeitlinie zur Nationalen VersorgungsLeitlinie „Therapie des Typ-2-Diabetes“, 1. Auflage. Version 1. 2015.Search in Google Scholar

2. Deutsche Diabetes Gesellschaft und diabetesDE – Deutsche Diabeteshilfe, Hrsg. Deutscher Gesundheitsbericht. Diabetes 2021. Die Bestandsaufnahme. Kirchheim & Co GmbH, 2020.Search in Google Scholar

3. Diabetologie online: „Sprechende Medizin“ kommt im ärztlichen Alltag zu kurz, 2017. https://www.diabetologie-online.de/a/sprechende-medizin-kommt-im-aerztlichen-alltag-zu-kurz-1812150.Search in Google Scholar

4. Deutsche Diabetes Föderation. Diabetes guides DDF. Diabetes-J 2019;8:60 f.Search in Google Scholar

5. Gemeinsamer Bundesausschuss. Patientenbeteiligung. https://www.g-ba.de/ueber-den-gba/wer-wir-sind/patientenbeteiligung/ (accessed on 12/10/2021).Search in Google Scholar

6. eigene Aussage nach Deutscher Diabetes Föderation e. V.Search in Google Scholar

Online erschienen: 2021-11-30
Erschienen im Druck: 2021-11-25

©2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Articles in the same Issue

  1. Frontmatter
  2. Editorial
  3. Diabetes mellitus – die stille Pandemie
  4. Diabetes-Surveillance am Robert Koch-Institut – Modellprojekt für den Aufbau einer NCD-Surveillance in Deutschland
  5. Aufklärungs- und Informationskampagnen zu Diabetes Mellitus – Systematische Recherche der Literatur und der sozialen Medien
  6. „Mein Wissen über Diabetes ist eigentlich, dass es gar nicht so schlimm ist.“ – Wissen und Awareness für das Typ-2-Diabetes-Risiko unter jungen Erwachsenen
  7. Bundesweite Präventionskampagne zur Früherkennung eines Typ-1-Diabetes im Kindes- und Jugendalter
  8. Digitale Prävention des Typ-2-Diabetes
  9. Diabetes-Aufklärung – Herausforderung für ÄrztInnen und ihre Teams
  10. Kinder mit Typ-1-Diabetes: Elternerfahrungen zur Teilhabe in Kita und Schule
  11. DiaLife – zusammen leben mit Diabetes: Schulungsprogramm für Angehörige
  12. Patient:innen-Coaches als Brücke zwischen medizinischen Behandler:innen und Lebensalltag – Ein Bericht aus der Betroffenheitsperspektive
  13. Schaffung gesunder Ernährungsumfelder: Ergebnisse des Food-EPI
  14. Gesunde Ernährung von Anfang an
  15. Ernährungsbezogener Lebensstil bei Diabetes
  16. Bewegung im Kindes- und Jugendalter
  17. Nationale Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung bei Diabetes
  18. Rauchen und Alkoholkonsum als Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes – Konsequenzen für die Prävention
  19. Gestationsdiabetes in Deutschland
  20. Corona-Pandemie: COVID-19 und Diabetes mellitus
  21. Psychosoziale Aspekte und Diabetes
  22. Leistungsinanspruchnahme und Kosten bei Menschen mit Diabetes und komorbider Depression
  23. Ein Scoping Review internationaler Diabetes-Leitlinien
  24. Disease-Management-Programme (DMP): ein Beispiel für erfolgreiches Qualitätsmanagement? Ergebnisse aus dem DMP Typ-2-Diabetes in Nordrhein-Westfalen
  25. Entscheidungshilfe zum diabetischen Fußsyndrom unterstützt Zweitmeinungsverfahren
  26. Nachruf für Beate Blättner
  27. Public Health Infos
Downloaded on 23.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/pubhef-2021-0084/html?lang=en
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