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Entscheidungshilfe zum diabetischen Fußsyndrom unterstützt Zweitmeinungsverfahren

  • Dennis Fechtelpeter EMAIL logo and Klaus Koch
Published/Copyright: November 30, 2021

Zusammenfassung

Ärztinnen und Ärzte müssen ihre Patientinnen und Patienten vor bestimmten elektiven Eingriffen auf das Recht hinweisen, eine Zweitmeinung einholen zu können. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat für solche Situationen Entscheidungshilfen entwickelt, unter anderem zur Frage, ob bei einem diabetischen Fußsyndrom eine Amputation vermieden werden kann.

Abstract

Physicians must inform their patients of the right to obtain a second opinion before certain elective procedures. The Institute for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG) has developed decision aids for such situations, including the question of whether amputation can be avoided in diabetic foot syndrome.

Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (2015) wurde der Anspruch auf Einholung einer ärztlichen Zweitmeinung im Sozialgesetzbuch V verankert [1]. Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) konkretisierte Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren trat 2018 in Kraft [2]. Ärztinnen und Ärzte müssen ihre Patientinnen und Patienten demnach vor folgenden Eingriffen auf das Recht hinweisen, kostenlos eine zweite ärztliche Meinung einholen zu können:

  1. Gebärmutterentfernung

  2. Mandeloperation

  3. Schulterarthroskopie

  4. Knie-Gelenkersatz

  5. Amputation beim Diabetischen Fußsyndrom

Einige Krankenkassen bieten ihren Mitgliedern eine Zweitmeinung für weitere Eingriffe an, etwa für Operationen an der Wirbelsäule, an Knie und Hüfte. Die Inanspruchnahme der Zweitmeinung ist für Patientinnen und Patienten freiwillig. Ärztinnen und Ärzte, die eine Zweitmeinung anbieten, müssen eine besondere Qualifikation vorweisen. Sie dürfen zudem nicht in derselben Praxis oder Klinik wie der erste Arzt arbeiten. Und sie dürfen nicht an dem Krankenhaus beschäftigt sein, in dem die Operation stattfinden soll [2].

Ziele des Zweitmeinungsverfahrens

Die Überversorgung mit medizinischen Leistungen, auch Operationsverfahren, wurde in den letzten Jahrzehnten zunehmend als Problem erkannt [3]. Primäres Ziel des Zweitmeinungsverfahrens ist es, nicht notwendige Eingriffe zu vermeiden. Ein Indikator für Indikationsausweitungen ist beispielsweise die regionale Variation bei der Häufigkeit eines Eingriffs [4]. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) beschreibt in einem Rapid Report eine Reihe von elektiven Eingriffen, die sich für ein Zweitmeinungsverfahren eignen. Dazu gehören beispielsweise die Herzkatheter-Untersuchung und die Entfernung der Gallenblase [4].

Das Zweitmeinungsverfahren soll die Bedingungen verbessern, eine informierte Entscheidung treffen zu können. Dies soll erreicht werden durch die Option, sich durch eine andere Ärztin oder einen anderen Arzt beraten zu lassen. Zudem werden Informationsmaterialien bereitgestellt.

Ein Patientenmerkblatt des G-BA informiert allgemein zum Zweitmeinungsverfahren [5]. Ergänzend wurde das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vom G-BA beauftragt, Entscheidungshilfen zu erstellen, die im Rahmen des Zweitmeinungsverfahrens von den beratenden Ärztinnen und Ärzten gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten verwendet werden können. Das IQWiG stellt auf seiner Website zudem eine generische Entscheidungshilfe bereit, die unabhängig von der Art des Eingriffs bei der Entscheidungsfindung unterstützen kann [6].

Die Entscheidungshilfen sollen Nutzerinnen und Nutzer dabei helfen, eine informierte Entscheidung zu treffen und auch die ärztliche Beratung unterstützen. Studien zeigen, dass medizinische Entscheidungshilfen positive Effekte haben können. Sie verbessern die Einschätzung von Risiken und führen eher zu Entscheidungen, die den eigenen Präferenzen entsprechen [7]. Auch Kurzformate wie die in den USA entwickelten „Option Grids“ haben sich bewährt. Diese beschreiben die Vor- und Nachteile von Behandlungsoptionen auf ein bis zwei Seiten in tabellarischer Form. Die „Option Grids“ (Abbildung 1) dienten in diesem Projekt als Orientierung, da sie gezielt für die Verwendung in ärztlichen Konsultationen entwickelt wurden [8].

Abbildung 1: Ausschnitt aus der Entscheidungshilfe „Diabetisches Fußsydrom: lässt sich eine Amputation vermeiden?“.
(https://www.gesundheitsinformation.de/entscheidungshilfe-diabetisches-fusssyndrom-laesst-sich-eine-amputation-vermeiden.html).
Abbildung 1:

Ausschnitt aus der Entscheidungshilfe „Diabetisches Fußsydrom: lässt sich eine Amputation vermeiden?“.

(https://www.gesundheitsinformation.de/entscheidungshilfe-diabetisches-fusssyndrom-laesst-sich-eine-amputation-vermeiden.html).

Entscheidungshilfe zum diabetischen Fußsyndrom

In deutschen Krankenhäusern werden jährlich etwa 25.000 Amputationen bei einem diabetischen Fußsyndrom durchgeführt [9]. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl ambulanter Amputationen. Je nachdem, ob einzelne Zehen oder ein ganzer Fuß amputiert wird, hat der Eingriff weitreichende Folgen für Alltag und Lebensqualität. Auch bei länger bestehenden Wunden ist eine nicht operative Behandlung oft noch eine Alternative zur Amputation [10].

Das IQWiG hat eine 6-seitige Entscheidungshilfe im A4-Format entwickelt mit dem Titel „Diabetisches Fußsyndrom: Lässt sich eine Amputation vermeiden?“ [11]. Die Erstellung der Materialien folgte den Methoden des IQWiG zur Erstellung von Gesundheitsinformationen, die unter anderem beinhalten:

  1. Systematische Evidenzrecherche

  2. Verständliche Darstellung der für die Betroffenen relevanten Ergebnisse zu den Vor- und Nachteilen der Behandlungen

  3. Einbindung der Fachöffentlichkeit (durch fachliche Begutachtung und nicht öffentliches Stellungnahmeverfahren)

  4. Nutzertestung (im Rahmen leitfadengestützter Interviews mit einer Fokusgruppe) [12]

Die Entscheidungshilfe ist übersichtlich und in einfacher Sprache gehalten, um möglichst vielen Menschen einen Zugang zu den entscheidungsrelevanten Informationen zu ermöglichen. Sie kann vor, während oder nach der ärztlichen Konsultation gelesen und ausgefüllt werden. In der Entscheidungshilfe wird betont, dass sich Amputationen bei rechtzeitiger und evidenzbasierter Behandlung häufig vermeiden lassen. Mögliche Alternativen wie Revaskularisierung und Haut- und Gewebetransplantationen sind beschrieben. Hingewiesen wird auf die Bedeutung leitliniengerechter Behandlungen wie Druckentlastung, Wundversorgung und Infektionsbehandlung, die eine Voraussetzung für die Vermeidung von Amputationen sind. Zudem werden Patientinnen und Patienten auf zertifizierte Behandlungseinrichtungen wie Fußambulanzen hingewiesen. Die Entscheidungshilfe ist eingebettet in ein umfangreiches Themengebiet zu Diabetes auf der Website www.gesundheitsinformation.de [13]. Sie wird zudem durch einfache Grafiken ergänzt (Abbildung 2), in denen der Umgang mit einem diabetischen Fuß erläutert wird [14].

Abbildung 2: Ausschnitt aus der Grafik „Was tun bei einem diabetischen Fuß?“.
(https://www.gesundheitsinformation.de/was-tun-bei-einem-diabetischen-fuss.html).
Abbildung 2:

Ausschnitt aus der Grafik „Was tun bei einem diabetischen Fuß?“.

(https://www.gesundheitsinformation.de/was-tun-bei-einem-diabetischen-fuss.html).

Die Einbindung der Fachöffentlichkeit in die Entwicklung der Entscheidungshilfe und die Nutzertestung dienten sowohl der Qualitätssicherung als auch der zielgruppengerechten Aufbereitung der Materialien. Die Entscheidungshilfe und die ergänzenden Materialien auf der Website stießen sowohl bei Nutzerinnen und Nutzern als auch den stellungnehmenden Fachleuten auf hohe Akzeptanz. Die Entscheidungshilfe kann auf www.gesundheitsinformation.de kostenlos abgerufen oder als Broschüre bestellt werden.


*Korrespondenz: Dennis Fechtelpeter, M.Sc., Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Ressort Gesundheitsinformation, Im Mediapark 8, 50670 Köln, Germany

  1. Autorenerklärung

  2. Autorenbeteiligung: Alle Autoren tragen Verantwortung für den gesamten Inhalt dieses Artikels und haben der Einreichung des Manuskripts zugestimmt. Finanzierung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanzielle Förderung erhalten haben. Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein wirtschaftlicher oder persönlicher Interessenkonflikt vorliegt. Ethisches Statement: Für die Forschungsarbeit weder von Menschen noch von Tieren Primärdaten erhoben.

  3. Author Declaration

  4. Author contributions: All authors have accepted responsibility for the entire content of this submitted manuscript and approved submission. Funding: Authors state no funding involved. Conflict of interest: Authors state no conflict of interest. Ethical statement: Primary data for human nor for animals were not collected for this research work.

Literatur

1. Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung – § 27b Zweitmeinung. https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__27b.html.Search in Google Scholar

2. Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA). Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren. 27.05.2021. https://www.g-ba.de/richtlinien/107/.Search in Google Scholar

3. Brownlee S, Chalkidou K, Doust J, Elshaug AG, Glasziou P, Heath I, et al. Evidence for overuse of medical services around the world. Lancet 2017;390:156–68.10.1016/S0140-6736(16)32585-5Search in Google Scholar PubMed PubMed Central

4. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Auswahl von Eingriffen für das Zweitmeinungsverfahren nach § 27b SGB V. Rapid Report. Auftrag V20-01- IQWiG-Berichte Nr. 1068. 25.02.2021. https://www.iqwig.de/projekte/v20-01.html.Search in Google Scholar

5. Gemeinsamer Bundesausschuss. Patientenmerkblatt. Zweitmeinungsverfahren bei geplanten Eingriffen. https://www.g-ba.de/downloads/17-98-4765/2019-10-28_G-BA_Patientenmerkblatt_Zweitmeinungsverfahren_bf.pdfv.Search in Google Scholar

6. Gesundheitsinformation.de. Gewusst wie: Sich informieren und entscheiden. https://www.gesundheitsinformation.de/gewusst-wie-sich-informieren-und-entscheiden.html.Search in Google Scholar

7. Stacey D, Légarde F, Lewis K, Barry MJ, Bennett CL, Eden KB, et al. Decision aids for people facing health treatment or screening decisions. Cochrane Database Syst Rev 2017:Art. No.: CD001431.10.1002/14651858.CD001431.pub5Search in Google Scholar PubMed PubMed Central

8. Elwyn G, Lloyd A, Joseph-Williams N, Cording E, Thomson R, Durand M-A, et al. Option Grids: shared decision making made easier. Patient Educ Couns 2013;90:207–12.10.1016/j.pec.2012.06.036Search in Google Scholar PubMed

9. Spoden M, Nimptsch U, Mansky T. Amputation rates of the lower limb by amputation level – observational study using German national hospital discharge data from 2005 to 2015. BMC Health Serv Res 2019;19:8.10.1186/s12913-018-3759-5Search in Google Scholar PubMed PubMed Central

10. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale Versorgungsleitlinie: Therapie des Typ-2-Diabetes (S3-Leitlinie). AWMF-Registernr.: nvl-001g. 11.2014.Search in Google Scholar

11. Gesundheitsinformation.de. Entscheidungshilfe diabetisches Fußsyndrom: Lässt sich eine Amputation vermeiden? https://www.gesundheitsinformation.de/entscheidungshilfe-diabetisches-fusssyndrom-laesst-sich-eine-amputation-vermeiden.html.Search in Google Scholar

12. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Allgemeine Methoden Version 6.0. https://www.iqwig.de/ueber-uns/methoden/methodenpapier/.Search in Google Scholar

13. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Entscheidungshilfe zu Amputationen beim diabetischen Fußsyndrom. Rapid Report. 27.10.2020. https://www.iqwig.de/projekte/p20-02.html.Search in Google Scholar

14. Gesundheitsinformation.de. Was tun bei einem diabetischen Fuß? https://www.gesundheitsinformation.de/was-tun-bei-einem-diabetischen-fuss.html.Search in Google Scholar

Online erschienen: 2021-11-30
Erschienen im Druck: 2021-11-25

©2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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  27. Public Health Infos
Downloaded on 23.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/pubhef-2021-0098/html
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