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Zur Authentizität der Hörmaterialien in chinesischen DaF-Lehrwerken

  • Lu LIU

    ist Dozentin an der Beihang-Universität (Beijing), sie promovierte an der Universität Duisburg-Essen (Essen) mit dem Thema „Entwicklungen im Bereich des Hörverstehens in deutschen und chinesischen DaF-Lehrwerken“.

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Veröffentlicht/Copyright: 10. Mai 2019
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Zusammenfassung

Aufgrund der Annäherung an reale Kommunikationssituationen in DaF-Lehrwerken spielt die Authentizität der Hörmaterialien eine wichtige Rolle für die chinesischen Deutschlernenden, die die Studienvorbereitung als ihr Ziel ansehen. In dem Beitrag werden die Ergebnisse aus einem Vergleich ausgewählter chinesischer und deutscher DaF-Lehrwerke vorgestellt, indem die Hörmaterialien hinsichtlich ihrer Authentizität quantitativ und qualitativ untersucht werden. Die Ergebnisse liefern wichtige Vorschläge für die Optimierung der DaF-Hörmaterialien in China.

Abstract

The authenticity, approximity to real communication situations, of listening materials in textbooks is important to students who study German in China. This article shows the results of a comparative study of German-as-a-foreign-language textbooks from both China and Germany by evaluating the authenticity of the chosen listening materials. The article also makes suggestions for the improvement of German textbooks in China.

1 Authentizität von Hörmaterialien: zwischen Ideal und Realität

Seit den frühen 1980er Jahren, als die kommunikativen und interkulturellen Ansätze eine immer größere Rolle im Fremdsprachenunterricht (FU) zu spielen begannen, wurde auf die Authentizität von Lehrmaterialien immer größerer Wert gelegt, um eine möglichst große Nähe zu außerunterrichtlichen Sprachverwendungssituationen zu erreichen. Dies lässt sich auf den Streit und die Integration von Rationalismus und Empirismus im Bereich der Linguistik im 20. Jahrhundert und deren Einflüsse auf die Entwicklung der Fremdsprachendidaktik zurückführen (Klann-Delius 2016: 5). Der Einsatz von authentischen Materialien im FU ist daher in jüngerer Zeit zu einem der häufigsten Themen unter Praktikern und Theoretikern im Bereich Fremdsprachendidaktik geworden. Rüschoff (2003) zufolge sind „Authentizität sowie die Förderung von Lernautonomie und Sprachbewusstheit in Einheit mit dem Erwerb rein linguistischer (sprachlicher) Fertigkeiten mittlerweile fester Bestandteil fremdsprachendidaktischer Überlegungen“ (Rüschoff 2003: 9).

Aufgrund seiner Bedeutung für die interaktive alltägliche Kommunikation spielt das Hören eine wesentliche Rolle beim Fremdsprachenlernen. In der Realität bezeichnen authentische Hörmaterialien Originaltexte, die von Muttersprachlern (normalerweise für andere Muttersprachler) ohne fremdsprachlich-didaktische Absicht gesprochen werden, deren eigentliches Ziel die Befriedigung der eigenen kommunikativen Bedürfnisse ist. Nach Honnef-Becker seien Authentische Texte ohne Rücksicht auf die Voraussetzung und Bedürfnisse der Lerner produziert worden – im Unterschied zu bearbeiteten oder erstellten „Lerntexten“ (Honnef-Becker 1996: 49). Im Bereich der Fremdsprachendidaktik stehen authentische Texte im Gegensatz zu den didaktischen Texten, die als unterrichtsorientiert und meistens lehrbuchgebunden angesehen werden. Die didaktischen Hörtexte werden auf den Kenntnisstand der Lernenden zugeschnitten und vollständig zum Zweck des Spracherlernens „künstlich“ verfasst, indem bestimmte Vokabeln und Satzstrukturen absichtlich verwendet werden. Solche Texte werden normalerweise im Labor vorgelesen und aufgenommen oder von Lehrenden im FU vorgelesen. Im traditionellen FU dominieren die didaktischen Lernmaterialien, weil ihre Vorteile vor allem darin liegen, dass man sich vollständig auf das Lernen der sprachlichen Kenntnisse konzentrieren kann. Mittlerweile aber wird das Risiko erkannt, dass sich Fähigkeiten und Strategien, die zur Bewältigung von realen Situationen benötigt werden, bei den Lernenden nicht gut entwickeln können. Daher wurde im Bereich des Fremdsprachenlernens ein Konsens darüber erzielt, Hörmaterialien mit authentischem Charakter einzuführen.

Es existieren jedoch Differenzen in Bezug auf viele konkrete Fragen. Die Befürworter glauben, dass die Lernenden auf allen Niveaus authentische Texte hören sollten, um die Realität und den „Ernstfall“ außerhalb des Klassenzimmers zu erleben (vgl. Vences 1998: 154 und 158; Rüschoff 2003: 9). Die Kritiker sind der Meinung, dass die authentischen Texte mit Geräuschkulisse, Dialektfärbung, Redundanzen, unstabilem Sprechtempo usw. für manche Hörenden (insbesondere für die Anfänger) überfordernd sind und der Leistungsstand von Lernenden nicht beachtet wird. Die originalen Texte sollten entweder für die Lernenden bearbeitet, also vereinfacht, gekürzt oder sogar eigens für den Unterricht erstellt und in sogenannte halbauthentische Texte überführt oder nur mehr für Fortgeschrittene angewendet werden (vgl. Solmecke 1993: 38 und 2003: 4; Beile 1980: 9). Problematisch ist auch die textspezifische technische Schwierigkeit: Im Vergleich zu Radio- oder Fernsehsendungen können Alltagsgespräche und andere Texte, die alltägliche Inhalte und Umgangssprache aufweisen, unter natürlichen Kommunikationsbedingungen nur sehr schwer aufgenommen werden. Dies belegt Keim (1996: 164 f.): „Allerdings finden sich in der Literatur zum Thema ‚Einsatz von authentischen Texten im Fremdsprachenunterricht‘ fast ausschließlich Berichte zum Einsatz von Fernsehsendungen oder Radiointerviews.“

2 Didaktische Authentizität: eine Kompromisslösung

Um dem Ideal der Authentizität nahezukommen, werden verarbeitete Texte mit authentischen Charakteristika in den FU eingeführt, die entweder von authentischen Texten abgeleitet oder unter Beachtung adressatenspezifischer Kriterien als authentische Texte übernommen werden. Solche Texte werden von Honnef-Becker (1996) als didaktisch-authentische Texte bezeichnet, die die Merkmale der authentisch gesprochenen Sprache in alltäglichen Gesprächen aufweisen sollten.[1] Beim Bearbeiten der Originalmaterialien und der Produktion der didaktisch-authentischen Hörtexte muss deswegen die Vielfältigkeit der authentischen Merkmale berücksichtigt werden. Zusammenfassend kann man solche Merkmale in drei Arten unterteilen: inhaltliche, sprachliche und situative Merkmale.

Die inhaltlichen authentischen Merkmale sind zielgruppenorientiert. Die ausgewählten Materialien sollten in der Regel aktuell und für die jeweiligen Zielgruppen sinnvoll sein. Bei der sprachlichen Authentizität handelt es sich um linguistische Merkmale der gesprochenen Sprache unter natürlichen Kommunikationsbedingungen: phonetische, lexikalische sowie diskursive und pragmatische Elemente. Dafür wird ein Kriterienraster entwickelt (verändert von Liu 2016: 25):

  1. phonetische Elemente: syntaktische Phänomene spontaner Sprache (Ellipsen, Topikalisierung, Häsitationen, Zögern, Satzabbrüche, Selbstkorrekturen, Wiederholungen, Füllwörter und -formeln usw.), prosodische Merkmale spontaner Sprache (Melodie, Akzent, Rhythmus, Lautstärke, Sprechgeschwindigkeiten usw.);

  2. lexikalische Elemente: Beschränkung auf situativ mögliche Äußerungen, Berücksichtigung der sprachlichen Varietäten und der unterschiedlichen Register (Dialekte, Soziolekte, Idiolekte, Regiolekte usw.);

  3. diskursive und pragmatische Elemente: den Konventionen des Sprachgebrauchs entsprechende Gesprächseinleitungen und -beendigungen, typische Rückmeldesignale (Nachfragen, inhaltliche Bestätigung durch den Hörer, Bezugnahmen des Sprechers auf Reaktionen des Hörers usw.), Modelle für Missverständnisse und ihre Behebung, Elemente der Beziehungsregelung zwischen den Gesprächsteilnehmenden (Höflichkeit, Freundlichkeit, Vertrautheit, Fremdheit usw.), gesprächsorganisatorische Elemente (Sprecherwechsel, Sprecher- und Hörersignale, Störungen in der Kommunikation usw.).

Für das Hören im FU werden auch situative Merkmale gefordert, die auf die Textpräsentation ausgeweitet werden (vgl. Keim 1996: 164; Honnef-Becker 1996: 49). Das bedeutet, dass die Hörenden die Texte wie in einer realen kommunikativen Situation hören und verstehen sollten: Einerseits sollten die Materialien authentisch präsentiert werden. Ein Fernsehinterview sollte z. B. auf dem Bildschirm den Lernenden – aber nicht als Text oder Audiodatei – angeboten werden. Andererseits sollten die Hörenden wie echte Adressaten in der Hörsituation authentisch hören, verstehen oder sogar reagieren. Es reicht manchmal nicht aus, dass die Sprachlernenden nur zuhören, sondern sie müssen auch darauf vorbereitet werden, wie sie dem Muttersprachler in bestimmten Kontexten begegnen sollten. In diesem Sinne schreibt Solmecke (1996: 87 f.),

dass authentisches Hören und Verstehen fremdsprachlicher Texte zweierlei bedeuten kann: Zum einen hören und verstehen die Lernenden als sie selbst, vor dem Hintergrund ihrer eigenen Kultur, ihrer eigenen Perspektiven und Wertvorstellungen. Zum anderen müssen sie aber auch in die Lage versetzt werden, die fremde Perspektive und die fremden Wertvorstellungen in ihr Verstehen einzubeziehen, da ansonsten in Kommunikationssituationen Missverstehen wahrscheinlich wird.

In der realen Welt hört man meistens in einem bestimmten Kontext – das heißt, man hört nicht nur das Reden des Sprechers, sondern auch die Signale und Geräusche, die mit der Hörsituation verbunden sind, z. B. Geräusche vom Verkehr auf der Straße. Als Teil der authentischen Hörsituation sollten die situativen Merkmale bei der Schulung im FU berücksichtigt werden. Dafür spricht, dass die Lernenden sich daran gewöhnen müssen, auch unter authentischen Bedingungen, die nicht immer geräuschfrei sind, Sprache zu decodieren.

Kommunikation erfolgt nicht im leeren Raum, sondern in der realen Welt mit realen Gesprächspartnern. So findet – nach der Lehre der Pragmalinguistik – auch alles seinen Weg in das Gespräch, was als „Begleitumstände“ oder Redekonstellation die Umgebung ausmacht, in der das Gespräch stattfindet. (Ernst 2011: 34)

Trotz der wirksamen Kompromisslösung zwischen den realen und künstlichen Hörsituationen gibt es bei den didaktisch-authentischen Texten jedoch auch ein Problem: Wenn man einen Text nach den obigen Kriterien so realistisch wie möglich zu verfassen versucht, kann es das Hören wahrscheinlich erschweren, sodass der Text „wirklicher als die Wirklichkeit“, also „schein-authentisch“ (Solmecke 1991: 288 und 1993: 39) wird.

3 Authentizität der Hörmaterialien in deutschen und chinesischen DaF-Lehrwerken: Eine empirische Vergleichsuntersuchung

In einem lehrwerkorientierten DaF-Unterricht, der meistens in China anzutreffen ist, sollten die gut strukturierten didaktisch-authentischen Lehrwerksmaterialien eine Brücke über die Kluft zwischen dem Lernideal und der Realität schlagen. Um festzustellen, ob und wie diese Brücke funktioniert, ist es sinnvoll, eine Vergleichsstudie zwischen deutschen und chinesischen DaF-Lehrwerken durchzuführen. Anhand einer Tabelle wird in dieser Untersuchung quantitativ erörtert, in welchem Verhältnis die Anzahl der authentischen sowie der didaktisch-authentischen Hörtexte zu den ausschließlich didaktischen Hörtexten steht. Eine qualitative exemplarische Untersuchung soll Antwort auf die folgende Frage geben: Wie können/sollten die Merkmale der authentischen Sprache in didaktisch-authentischen Hörtexten verarbeitet werden?

3.1 Forschungskorpus und Datenerhebung

Im Rahmen dieser Studie werden chinesische junge Erwachsene als Zielgruppe definiert, die auch die größte Lernergruppe der deutschen Sprache in China darstellt. Als Forschungsgegenstände werden deswegen DaF-Lehrwerke für Erwachsene ausgewählt. Alle in dieser Arbeit analysierten Lehrwerke wurden seit dem Jahr 2000 veröffentlicht. Diese wurden ausgewählt, um die neueren didaktischen Ansätze der beiden Länder zu präsentieren. Die folgenden Bände werden analysiert:

Aus Deutschland:

  1. Ros-El-Hosni, Lourdes (2009a und 2009b): Aussichten, A1 und B1

  2. Daniels, Albert (2008): Mittelpunkt, C1

  3. Aufderstrasse, Hartmut; Bock, Heiko; Mertens, Meinolf (2003): Themen aktuell, A1

  4. Perlmann-Balme, Michaela (2008a und 2008b): em neu, B1 und C1

Aus China:

  1. Deutschkolleg-Zentrum zur Studienvorbereitung der Tongji-Universität (2007 und 2008): Stichwort Deutsch 3. 4. Aufl., Grundstufe 1, Mittelstufe 1, 2

Die deutschen DaF-Lehrwerke für Erwachsene zielen meistens entweder auf Anfänger (A1–B1) oder auf Fortgeschrittene (B2–C1) ab. Da hier auf eine gewisse methodische Kontinuität innerhalb eines Verlags geachtet wird, habe ich mich für Lehrwerke der verschiedenen Stufen aus demselben Verlag entschieden. Das ausgewählte chinesische DaF-Lehrwerk Stichwort Deutsch vom Zentrum zur Studienvorbereitung der Tongji-Universität wird oft in den Sprachkursen bzw. in den Studienvorbereitungskursen in China angewendet. Für eine qualitative Untersuchung, für die die konkreten Einzelhörtexte analysiert werden, ist es aus Kapazitätsgründen nicht möglich, alle Lektionen der ausgewählten Lehrwerke einzubeziehen. Da die Lektionen in allen Einzellehrwerken jeweils gleichartig aufgebaut sind, werden drei Lektionen exemplarisch von jedem Lehrwerk ausgewählt: jeweils eine Lektion zu Beginn, eine in der Mitte und eine zum Ende des Lehrwerkes. Diese Lektionen sind:

  1. Für Anfänger: Aussichten A1, Lektion 2, 5 und 9; Themen aktuell A1, Lektion 2, 5 und 9; Stichwort Deutsch Grundstufe 1, Lektion 2, 7 und 12.

  2. Für ein mittleres Niveau: Aussichten B1, Lektion 22, 25 und 29; em neu B1, Lektion 2, 5 und 9; Stichwort Deutsch Mittelstufe 1, Lektion 2, 7 und 12.

  3. Für Fortgeschrittene: Mittelpunkt C1, Lektion 2, 7 und 12; em neu C1, Lektion 2, 5 und 9; Stichwort Deutsch Mittelstufe 2, Lektion 16, 21 und 26.

Anhand eines tabellarischen Vergleichs (vgl. Tab. 1) der jeweiligen Anzahl der drei untersuchten Texttypen kann man insgesamt sagen, dass in allen untersuchten Lehrwerken die rein authentischen Texte (3,7 % aller Texte) nicht dominieren. Das heißt, Gespräche, Interviews oder Vorträge werden meistens entweder nicht in realen kommunikativen Situationen aufgenommen oder nicht authentisch präsentiert. Das Verhältnis der didaktisch-authentischen Hörtexte zu den ausschließlich didaktischen Hörtexten unterscheidet sich bei Lehrwerken aus Deutschland von denen aus China: Die häufigste Art an Hörtexten in den untersuchten Lehrwerken aus Deutschland (ohne Hintergrundfarbe) sind die didaktisch-authentischen Texte (92 % aller Texte). Demgegenüber dominieren die für das Lernen verfassten didaktischen Hörtexte (83 %) im chinesischen Lehrwerk Stichwort Deutsch (grauer Hintergrund).

Die Anteile der Hörtexte sind auch zwischen den Stufen unterschiedlich: Die authentischen Texte werden hauptsächlich in Lehrwerken auf höheren Niveaustufen angeboten (Z. 5, 7 und 8). Die Hörtexte für Anfänger sind in den untersuchten Lehrwerken in erster Linie noch didaktische und didaktisch-authentische Texte. Die authentischen Hörtexte in höheren Stufen sind auch keine alltäglichen Gespräche, sondern Radiosendungen, Vorträge, Vorlesungen usw.

Tab. 1

Vergleich der Hörtexte in Bezug auf Authentizität in deutschen und chinesischen DaF-Lehrwerken.

Anzahl der Texte von drei Texttypen
ZeileLehrwerkeauthentischdidaktischdidaktisch-authentischunklartotal
1Aussichten A1 KB0034034
2Themen aktuell A10041041
3Stichwort Deutsch G10104014
4Aussichten B1 KB0029029
5em neu B121126
6Stichwort Deutsch M107108
7Mittelpunkt C1 KB1017018
8em neu C111417
9Stichwort Deutsch 207007
total4261293164

Legende: G1= Grundstufe 1, M1 und M2 = Mittelstufe 1 und 2, KB = Kursbuch.

3.2 Authentische Merkmale in analysierten Hörtexten

Wie in Tabelle 1 gezeigt wird, stellen die didaktisch-authentischen Hörtexte die häufigste Textsorte in den ausgewählten Lehrwerken dar. Solche Texte sollten Merkmale der authentischen (gesprochenen) Sprache aufweisen, die man inhaltlich, sprachlich-kommunikativ und situativ unterscheiden kann. Im Rahmen einer qualitativen Beschreibung wird im Folgenden erörtert, wie Merkmale der authentischen Sprache verarbeitet werden können bzw. sollten.

3.2.1 Inhaltliche Authentizität

Im Rahmen des Fremdsprachenlernens sollte die sogenannte inhaltliche Authentizität zielgruppenangemessen sein. Im Kontext dieser Arbeit werden als Zielgruppe chinesische junge Erwachsene definiert, die ein Studium an einer Hochschule in Deutschland absolvieren wollen. Anhand von drei Abbildungen über die Themen in den untersuchten Lehrwerken wird analysiert, ob die Hörtexte der Zielgruppe entsprechen und ob die interkulturellen sowie kulturkontrastiven Aspekte berücksichtigt werden. Die Themen in Überlappungsbereichen werden dabei in den jeweiligen zwei bzw. drei Lehrwerken behandelt.

Abb. 1 Themen in den Lehrwerken auf der Stufe für Anfänger.
Abb. 1

Themen in den Lehrwerken auf der Stufe für Anfänger.

Abb. 2 Themen in den Lehrwerken auf der Mittelstufe.
Abb. 2

Themen in den Lehrwerken auf der Mittelstufe.

Abb. 3 Themen in den Lehrwerken auf der Stufe für die Fortgeschrittenen.
Abb. 3

Themen in den Lehrwerken auf der Stufe für die Fortgeschrittenen.

Allgemein kann man feststellen, dass die Themen und Inhalte der Hörtexte in Bezug auf die Merkmale der Lernenden zielgruppenrelevant sind. In den Lehrwerken innerhalb derselben Stufen sind Gemeinsamkeiten zu finden: Während sich die Themen auf der Stufe für Anfänger alle auf elementare und praktische Bedürfnisse im Alltagsleben fokussieren, werden die Erfahrungen und Ereignisse im gesellschaftlichen und beruflichen Leben sowie die persönlichen Interessen und Gedanken im Zuge des mittleren Niveaus thematisiert. In dem fortgeschrittenen Niveau wird in den verschiedenen Lehrwerken ein breites Spektrum von Themen angeboten: Wissenschaft und Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft, Studium und Ausbildung sowie Kunst und Literatur. Je höher die Niveaustufe ist, desto unterschiedlicher werden die Themen in den Einzellehrwerken. Wegen der Zielsetzung der Vorbereitung von chinesischen Studierenden auf ein Studium in Deutschland des chinesischen Lehrwerkes Stichwort Deutsch werden in diesem Lehrwerk gezielt spezifische Inhalte behandelt, welche für das Studium und das Leben in Deutschland sensibilisieren sollen. Das sind z. B. Themen wie „Studienfächer“ und „Lernstrategien“ in Stichwort Deutsch, Grundstufe 1; „Vorbereitung auf den Deutschland-Aufenthalt“ in Stichwort Deutsch, Mittelstufe 1; und „Studentenleben in Deutschland“, „Vorbereitung auf die DSH-Prüfungen“ in Stichwort Deutsch, Mittelstufe 2. In Bezug auf Interkulturalität wird den Lernenden im chinesischen Lehrwerk Stichwort Deutsch die Möglichkeit zur Darstellung ihres eigenen Landes und ihrer eigenen Kultur geboten, indem beispielsweise Fakten über China (z. B. über das Kulturerbe Chinas) als Hörtexte angeboten werden. Im Gegensatz zu Stichwort Deutsch werden die Lernenden in den deutschen Lehrwerken zu Äußerungen zu ihrem eigenen Land und der eigenen Kultur selten aufgefordert.

Bei der inhaltlichen Authentizität spielt für das DaF-Lernen auch der interkulturelle Kontrast eine wichtige Rolle. Müller (1996) zufolge sollten die Inhalte im Hinblick auf das „Interkulturelle“ in drei Bereiche aufgeteilt werden: Darstellung von interkulturellen Kommunikationssituationen, Darstellung von der Bedeutung als kulturgeformte Einheit[2] und Darstellung von interkulturellen kommunikativen Missverständnissen (Müller 1996: 95). In der Hauptsache ist das Fremdsprachenverstehen das Fremdverstehen, wobei das Wort „fremd“ Gedanken, Kultur, Menschen, Geschichte, Politik, Gesellschaft, Sitten, Religionen, Traditionen, Alltagsleben usw. beschreiben kann. Durch die (kulturellen) Unterschiede zwischen der chinesischen und der deutschen Welt kommt es zu den Schwierigkeiten beim Hörverstehen. Die interkulturellen kommunikativen Missverständnisse werden aber in allen Lehrwerken vernachlässigt. Wenn es um kulturkontrastive Aspekte in den untersuchten Lehrwerken geht, werden die konkreten Unterschiede meistens unmittelbar, z. B. in Info-Boxen (in Aussichten), vorgestellt. Die Interkulturalität in den Hörtexten wird nur auf der Ebene der Wissensvermittlung, nicht aber auf der Ebene der interkulturellen Kommunikation in Form von entsprechenden Gesprächen angeboten.

3.2.2 Sprachlich-kommunikative Authentizität

Damit sich die Lernenden an verschiedene Artikulationsformen und Sprechstile in authentischen Kommunikationssituationen gewöhnen können, sollten die Hörtexte vor allem nicht im ganzen Lehrwerk von denselben Sprechern gesprochen werden. In der Realität begegnen die Hörer verschiedenen Sprechern mit unterschiedlichen phonetischen, lexikalischen, syntaktischen und prosodischen Merkmalen – z. B. Vokalveränderung, Sprechgeschwindigkeit, Abtönungspartikeln, Ellipsen, Satzkonstruktionen –, die von Geschlecht, Alter, kulturellem Hintergrund, Bildungshintergrund und Eigenart der Sprechenden usw. beeinflusst werden. In einigen der ausgewählten Lehrwerke wird jedoch die Vielfältigkeit von Sprechern nicht ausreichend berücksichtigt: In dem chinesischen Lehrwerk Stichwort Deutsch werden die Hörtexte von wenigen Sprechern im Labor vorgelesen, ohne dass sprachlich-kommunikative Merkmale spontaner Sprache zu erkennen sind. In Aussichten und Mittelpunkt werden die Namen der Sprecherinnen und Sprecher angegeben: 27 Personen für Aussichten A1, 30 Personen für Aussichten B1, 17 Personen für Mittelpunkt C1. In den anderen deutschen Lehrwerken ist diese Information zwar nicht angegeben, aber nach einer Überprüfung kann festgestellt werden, dass die Hörtexte nicht von einem oder zwei identischen Sprechern gesprochen werden.

Die sprachlich-kommunikativen Merkmale der gesprochenen Sprache kann man phonetisch, lexikalisch, diskursiv und pragmatisch unterscheiden (s. Kriterienraster in Kapitel 2). Mit dem folgenden Beispiel 1 wird aufgezeigt, wie die phonetischen Merkmale der authentischen Sprache im Gespräch funktionieren.

Bsp. 1: Dialogausschnitt von „Annas Opa?!“. In Aussichten A1 (Lektion 5, S. 78).

(L = Lisa Vogel, die Mutter; M = Max, der Sohn; A = Anna, Schulfreundin von Max)

(Anmerkung: Die Großschreibung kennzeichnet in der Transkription intonatorisch hervorgehobene und betonte Wörter.)

(Telefon klingelt)

1 L: Ja?

2 M: Mama, kann ich nach der Schule bei ANNA spielen?

3 L: Wo wohnt Anna denn?

4 M: Am Stadtpark.

5 L: Em, Du weißt, der PAPA kommt heute Abend.

6 M: Ja, heute ABEND ... BITTE, Mama! Wir gehen vielleicht ins KINO?

7 L: ALLEINE?

8 M: Nein, mit Annas OPA. Der holt uns ab.

9 L: Hm.

10 M: BITTE! Der Opa hat ein Piercing. Und blaue Haare!

11 L: WAS (härter)?!

12 M: Ja, der Opa hat ein Piercing in der Lippe. Und blaue Haare! Hat Anna gesagt.

...

13 L: Also, Max, ich KENNE die Familie ja gar nicht.

14 M: Du kannst ja mit Anna reden ...

...

15 L: Ähm. Ich weiß nicht. Em. Was sagt denn dein Opa dazu?

16 A: Mein OPA?

17 L: Ja. Der kommt euch doch abholen.

18 A: Mein Opa?... Mein Opa ist tot.

19 L: Oh ... Ja, aber Max sagt doch, dein Opa kommt euch ABHOLEN? Dein Opa mit dem Piercing.

20 A: Mein Opa doch nicht! (Lacht) Das ist Claudia! Unser Au-pair! (Lacht)

Mit der Betonung auf „Bitte“ (Z. 6 und 10) und „Kino“ (Z. 6) wird deutlich, dass sich Max unbedingt mit Anna treffen möchte. Durch die Ellipse mit einem Akzent auf dem Wort „Abend“ (Z. 6) wird die Zeitangabe betont. Der Satz in Z. 15 sowie „Ähm“ (Z. 15) und „Hm“ (Z. 9) werden auf der CD deutlich langsamer und mit Pausen und Zögern gesprochen, um zu verdeutlichen, dass die Mutter noch unschlüssig ist, ob sie ihren Sohn gehen lassen soll. Das Wort „Was?!“ (Z. 11) wird lauter, schneller und gespannt gesprochen, um aufzuzeigen, dass die Mutter nicht glaubt, dass ein Opa so aussehen kann. Durch die Wiederholung „Mein Opa?“ (Z. 16, 18) wird dargestellt, dass Anna dadurch verwirrt wird, dass es um ihren toten Opa gehen soll. Annas Lachen (Z. 20) veranschaulicht, dass es für das kleine Mädchen sehr lustig ist, dass ihr Schulfreund „Au-pair“ und „Opa“ sprachlich verwechselt hat.

Bei der lexikalischen Authentizität handelt es sich um eine Beschränkung auf die situativ mögliche bzw. wahrscheinliche Äußerung und Berücksichtigung der sprachlichen Varietäten sowie der unterschiedlichen Register. Dabei sollten zwei Faktoren gleichzeitig berücksichtigt werden: die in didaktischen Empfehlungen (meistens in Curricula) vorgegebene Wortliste und die situativ möglichen Formulierungen. In manchen Lehrwerktexten (meistens Musterdialogen) wird der Satz mit neu zu erlernenden und bekannten Wörtern derart verdichtet, dass die Situation oft völlig unrealistisch erscheint. Als Beispiel kann man die Übung in Themen aktuell A1 (Lektion 2, S. 30) nennen, in der vier ähnlich aufgebaute Gespräche vorkommen. Wegen des gleichartigen Modells aller Dialoge in einer Übung, der begrenzten Formulierungen und der vagen Situation wirken solche Dialoge oft sehr hölzern und nicht authentisch, manchmal schlichtweg trivial. Die Musterdialoge in Lehrwerken stellen gewissermaßen den Lernenden die Handlungsanweisungen in zielsprachlichen Kommunikationssituationen zur Verfügung. Deswegen sollten sich die Musterdialoge der authentisch gesprochenen Sprache annähern – z. B. durch Angebote von Formulierungsvarianten, Einführung der Redensarten und Bekanntmachung der Gesprächssituation –, um Lernenden die Möglichkeiten anzubieten, sich in ähnlichen Zielsituationen angemessen und effektiv zu kommunizieren.

Bei den diskursiven und pragmatischen Merkmalen geht es um die Konventionen des Sprachgebrauchs in authentischen Gesprächen. Anhand des Beispiels 2 wird die Funktion der typischen diskursiv und pragmatisch authentischen Merkmale analysiert.

Bsp. 2: „Du siehst wie eine Pizza aus“. In Aussichten B1 (Lektion 22, S. 29).

(M = Markus, J = Jan)

1 M: Hm, riecht das gut!

2 J: Markus! Nimm den Finger da raus!

3 M: Hm, schmeckt auch gut! Ich wusste echt nicht, dass du kochen kannst, Jan.

4 J: Das Rezept ist von Kerstin.

5 M: Ach, deshalb.

6 J: Und deiner Claudia wird´s auch schmecken. (Geräusche vom Feuerzeug)

7 M: He, nicht rauchen!

8 J: Die Küche ist Raucherraum. Das haben wir doch so ausgemacht.

9 M: Aber Claudia hasst Zigarettenrauch.

10 J: Und sie hasst bestimmt auch eine Essenseinladung ohne Essen. Wenn ich koche, brauche ich zwischendurch Nervennahrung.

11 M: Hoffentlich mag sie Asiatisch!

12 J: Na, das musst du doch wissen.

13 M: Woher denn? Deshalb lad ich sie ja zum Essen ein. Um sie, um sie besser kennen zu lernen.

14 J: Na ja, dann passt Asiatisch in jedem Fall. Bei Italienischen kennt sie sich ja zu gut aus. Gib mir mal das Salz rüber!

15 M: Hier. Aber dass du ja rechtzeitig verschwindest! Um halb acht wollte sie kommen. Und die ist pünktlich. ... Oh ... mir ist so heiß.

16 J: Jetzt schon? (Lacht) ... Nee, ehrlich, was ist denn mit deinem Gesicht los?

17 M: Wieso? Was denn?

18 J: Du siehst aus wie eine Pizza. Mit viel Tomate ...

19 M: Boah. Und das juckt plötzlich. ... Sag mal, ... kann es sein, dass ... da Erdnüsse in der Soße sind?

20 J: Ja logisch. Wieso? ... Nein! Jetzt sag nicht, dass ...

21 M: Doch! ... Erdnussallergie!

In real gesprochenen Situationen werden die Sprecherwechsel durch „Selbstwahl oder nach Aufforderung durch den Gesprächspartner“ (Keim 1996: 175) natürlich realisiert. Die Gesprächspartner übernehmen die Sprecherrolle meistens durch Rückmeldesignale (z. B. Nachfragen, inhaltliche Bestätigung durch den Hörer, Bezugnahmen des Sprechers auf Reaktionen des Hörers) oder das gleichzeitige Sprechen und die Unterbrechung der Gesprächspartner (die beiden letzteren Arten hauptsächlich bei Gruppengesprächen). Im Beispielgespräch werden die Sprecherwechsel auch mit klaren Rückmeldesignalen natürlich vollzogen. Jan gibt die Sprecherrolle z. B. durch eine Aufforderung „Gib mir mal das Salz rüber!“ (Z. 14, 15) an Markus ab. Die Sprecher reagieren auch durch Nachfragen z. B. „Woher denn?“ (Z. 13), „Wieso? Was denn?“ (Z. 17). Die Reaktionen durch Konjunktionen und Partikel – z. B. „deshalb“ (Z. 5), „aber“ (Z. 9), „und“ (Z. 10), „Na ja“ (Z. 14) – kann man in diesem Text gut auffinden. Die inhaltliche Bestätigung des Hörers ist auch ein typisches Rückmeldesignal in diesem Text – z. B. „Ja logisch“ (Z. 20) und „Doch“ (Z. 21). Aus didaktischen Überlegungen wird in unterrichtlichen Situationen generell vermieden, das gleichzeitige Sprechen und die Unterbrechung in Gesprächen einzuführen. Zumindest sollte aber bei manchen Hörtexten diese Möglichkeit berücksichtigt werden, weil wegen des simultanen Sprechens sowie der schnell wechselnden Meinungen die Gruppengespräche (z. B. bei Treffen des Freundeskreises und bei Gruppendiskussionen in Seminaren) m. E. die schwierigsten Kommunikationssituationen für die chinesischen Studierenden in Deutschland sein können.

Ein anderes gesprächsorganisatorisches Element sind die Sprecher- und Hörersignale, welche die dialogsteuernde Rolle der Sprecher (z. B. „weißt du“) sowie die Aufmerksamkeit und Kommentare der Hörer (z. B. „ja, stimmt“) kennzeichnen. Es gibt Überlappungen zwischen den Sprecher- und Hörersignalen sowie Rückmeldesignalen. Beim untersuchten Beispiel fällt auf, dass die Sprecherwechsel durch Anwendung der Hörersignale vollzogen werden – z. B. „Na ja“ (Z. 14).

Ein richtiges Gespräch in einer realen Situation sollte eine Gesprächseinleitung und ein Gesprächsende haben und die Elemente der Beziehungsregelung zwischen den Gesprächsteilnehmenden (Höflichkeit, Freundlichkeit, Vertrautheit oder Fremdheit etc.) enthalten. Damit werden eine vollständige Konversationssituation und eine angemessene Hörerwartung aufgebaut. Im untersuchten Gespräch steigt Markus mit dem Kompliment „Hm, riecht das gut!“ (Z. 1) natürlich in die Konversation ein, während das Gespräch mit „Erdnussallergie“ (Z. 21) beendet wird, die als ein logisches Ergebnis aus „Du siehst wie eine Pizza aus.“ (Z. 18) angesehen werden kann. Die Beziehungsindikatoren kann der Hörer im Text sehr leicht auffinden – z. B. das Anreden mit Du, „Und deiner Claudia wird´s auch schmecken.“ (Z. 6), „Aber dass du ja rechtzeitig verschwindest!“ (Z. 15), aus dem die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass die beiden enge Freunde sind.

3.2.3 Situative Authentizität

Die typischen situativen Merkmale sind die möglichen Geräusche in Kommunikationssituationen. Diese Geräusche sind in zwei Arten zu unterscheiden: situative Signale und Signale in Verbindung mit Handlungen von Personen. In den analysierten Lehrwerken sind die typisch situativen Signale die Hintergrundgeräusche in der Hörsituation (ausführlich s. Liu 2016: 114): z. B. Geräusche auf der Straße, Türklingeln und Klopfen, laute Musik, Telefonklingeln, Tippen am Computer und Geräusche von Leitungswasser im Badezimmer. Die Signale in Verbindung mit Handlungen von Personen sind z. B. Lachen, Schreie, Weinen des Babys, Geräusche beim Kochen und menschliches Reden durch das Telefon.

Die geeigneten situativen Merkmale in den Hörtexten können die Hörer in die Hörsituation einführen und motivieren. Hier sei ein Negativ-Beispiel für die situative Erstellung des Hörtextes zu „Ein Gespräch über Fußball“ in Stichwort Deutsch Mittelstufe 1 (Lektion 2, S. 26) erwähnt. In diesem Gespräch diskutieren Lena und Tim über Fußball und Fußballspieler in Deutschland, während sie angeblich ein Fußballspiel im Fernsehen zusammen sehen. Auf der CD kann der Hörer aber nichts von der Fernsehübertragung hören. Erstens wird eine situative Einbettung des Textes angekündigt, die aber nicht stattfindet. Zweitens ist die Situation selbst absurd: Wenn sich zwei Personen ein Fußballspiel anschauen, konzentrieren sie sich normalerweise auf das Spiel und kommentieren ggf. Situationen des Spiels selbst (Pässe, Ballverluste, Torchancen und Tore usw.). Es ist situativ völlig unangebracht, sich in einer solchen Situation „allgemein“ über Fußball und Fußballspieler zu unterhalten – im Beispieltext über den Verdienst der Fußballspieler und Frauen-Fußballmannschaften in Deutschland. Drittens ist das Gespräch über bestimmte Spieler und Spiele etwas sehr Vergängliches: Nach kurzer Zeit ist häufig kein aktueller landeskundlicher Bezug mehr zu irgendeinem Spiel oder bestimmten Spielern herzustellen. Von daher wird das Prinzip der Herstellung eines inhaltlich aktuellen Bezuges verletzt.

4 Überlegungen zur Authentizität in DaF-Lehrwerken

Aufgrund der vorigen Analyse scheint es so, dass die rein-authentischen alltäglichen Gespräche nur sehr selten in Lehrwerken auftauchen, da es sehr problematisch ist, diese sinnvoll in Lehrwerke einzuführen. Das Hören der sogenannten authentischen Hörmaterialien im FU kann meistens nicht als authentisches Hören, sondern nur als Imitation von realen Hörsituationen angesehen werden. In den untersuchten Lehrwerken findet man fast nur den Einsatz von Fernsehsendungen, Radiogesprächen oder Vorträgen, weil das Aufnehmen von Alltagsgesprächen immer mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Die Fernsehsendungen oder Radiogespräche im FU können jedoch nicht immer als authentisch angesehen werden, weil die originale Hör- und Mitteilungsabsicht sowie die realen Hörsituationen häufig fehlen. Wenn z. B. irgendeine Fußballreportage aus früherer Zeit gehört wird, gibt es kein authentisches Hörinteresse der Lernenden, weil die Informationen nicht mehr gültig sind. Wenn aber ein Vortrag über die deutsche Gesellschaft des 20. Jahrhunderts reproduziert wird, beeinflusst das die Hörsituation wahrscheinlich wenig, obwohl der Vortrag schon vor Jahren aufgenommen sein kann. Dabei spielen die visuellen Faktoren – Raumwahrnehmung am Gesprächsort (z. B. beim Hören der Wegbeschreibung) und nonverbales Verhalten (z. B. Körpersprache der Sprecher) – auch eine wichtige Rolle. Deswegen sollten die authentischen Hörtexte in Lehrwerken die Elemente von Gesprächssituation und -atmosphäre mit authentischen Merkmalen einbeziehen. Wo es möglich und sinnvoll ist, wäre es didaktisch gesehen von Vorteil, wenn mehr Video-Materialien (oder wenigstens Bilder) in den Lehrwerken hinzugefügt würden, in denen die reale Hörsituation erkennbar ist. So können extralinguistische Faktoren sichtbar gemacht werden.

Weiterhin zeigt sich immer das Dilemma zwischen lernfreundlicher Didaktisierung und Authentizität, bei dem immer wieder ein Mittelweg gefunden werden muss. Manche in realen muttersprachlichen Situationen aufgenommene Hörtexte, für welche die Lernenden neue (wie z. B. sprachliche, kulturverbindende oder sachliche) Kenntnisse beim Hören brauchen, bedürfen einer guten Vorbereitung (z. B. mit Aufgaben vor dem Hören und einer Vermittlung von Hintergrundwissen mit Bildern und/oder Texten), um die Angst vor einem Originaltext zu nehmen und Frustrationen zu vermeiden. Dies macht aber das Hören eventuell nicht mehr so authentisch. Die authentischen Faktoren sollten deswegen angemessen in die Hörtexte integriert werden: Die Hörsituationen sollten damit so echt wie möglich gestaltet werden, aber es sollte vermieden werden, dass die Hörenden durch die authentischen Elemente überfordert werden, indem die situativen Stimuli und Informationen zu komplex werden. Schließlich dienen die authentischen Hörtexte zur Schulung des Hörverstehens und sind kein Selbstzweck. Darüber hinaus muss auch berücksichtigt werden, dass Nebengeräusche in authentischen Hörsituationen die Dekodierung sehr erschweren können und dass solche Störungen im Übertragungskanal bei der Reproduktion über Tonträger im Klassenzimmer die Dekodierung noch einmal zusätzlich belasten. Hierdurch werden der Authentizität Grenzen gesetzt.

5 Vorschläge für die chinesischen DaF-Lehrwerke

Die bisherigen ausführlichen Analysen haben gezeigt, dass die chinesischen Lehrwerke von den Inhalten her gute Ansätze haben, in denen die Besonderheiten für chinesische Lernende erkannt und berücksichtigt werden. Allerdings sind die methodischen Ansätze zur Realisierung dieser Inhalte im Vergleich zu den Entwicklungen im Bereich DaF in Deutschland nicht ausgereift und sollten weiterentwickelt werden. Um die realen Kommunikationssituationen besser zu imitieren und Hörmaterialien für DaF in China zu optimieren, werden im Folgenden Vorschläge zur Authentizität in chinesischen DaF-Lehrwerken gemacht. Diese Vorschläge werden auf verschiedene Lerngruppen bezogen.

Im Prinzip sollten von Anfang an die authentischen Hörmaterialien angeboten werden, die in der Regel aber didaktisiert werden sollten, um eine Überforderung der Anfänger zu vermeiden. Vor allem sollten für Anfänger die phonetischen Merkmale der gesprochenen Sprache besonders beachtet werden. Geeignete situative Merkmale in den Hörtexten können die Hörenden in die Hörsituation einführen sowie motivieren und werden deswegen empfohlen. Um die komplizierteren authentischen Hörmaterialien so früh wie möglich zu präsentieren, können sie mit einfacheren Übungen verbunden werden, die die Erfassung der einfachen Informationen oder ein globales Verständnis zum Ziel haben (ausführlich s. Liu 2016: 141).

Ab der mittleren Niveaustufe sollten die rein-didaktischen Hörtexte in den Lehrwerken vermieden werden. Die authentischen Hörtexte und von authentischen Texten abgeleitete didaktisch-authentische Hörtexte sollten dominieren. Die authentischen Elemente sollten für die mittlere Niveaustufe überwiegen und intensiver in Hörtexten eingesetzt werden. Um eine vollständige Konversationssituation aufzubauen, sollten die diskursiven und pragmatischen Merkmale der Authentizität berücksichtigt werden, indem das Gespräch gesprächsorganisatorische Elemente enthalten sollte. Außer den alltäglichen Gesprächen können ab dieser Lernstufe längere Hörmaterialien wie Fernsehsendungen, Radiogespräche oder Vorträge angemessen eingeführt werden. Um Ängste vor dem Hören eines Originaltexts zu nehmen und die fehlenden Kenntnisse zu ergänzen, bedarf es meistens einer guten Vorbereitung (z. B. mit Aufgaben vor dem Hören und einer Vermittlung von Hintergrundkenntnissen mit Bildern und/oder Texten).

Für Fortgeschrittene sollten die authentischen und didaktisch-authentischen Hörtexte den zentralen Platz einnehmen. Wegen der fehlenden originalen Hör- und Mitteilungsabsicht sollte bei der Auswahl der Hörmaterialien versucht werden, die Hörabsicht mit originalen Hörsituationen zu verbinden. Diese bestehen in der Regel aus längeren Texten, die von ihren Inhalten und ihrem sprachlichen Aufbau her komplex sind. Dabei bedarf es oft auch einer Vorbereitung, damit für die Hörenden die fehlenden sprachlichen, kulturellen oder sachlichen Kenntnisse ergänzt werden können. In dieser Stufe sollten den Lernenden Schritt für Schritt Möglichkeiten angeboten werden, alle Arten der authentischen Merkmale kennenzulernen.


Hinweise

Unterstützt vom Fundamental Research Funds of the Central Universities (YWF-17-SK-G-15). Die folgenden Ausführungen beruhen auf der Dissertation der Autorin (2016): „Entwicklungen im Bereich des Hörverstehens in deutschen und chinesischen Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache“.


Über den Autor / die Autorin

Dr. Lu LIU

ist Dozentin an der Beihang-Universität (Beijing), sie promovierte an der Universität Duisburg-Essen (Essen) mit dem Thema „Entwicklungen im Bereich des Hörverstehens in deutschen und chinesischen DaF-Lehrwerken“.

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Online erschienen: 2019-05-10
Erschienen im Druck: 2019-05-07

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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