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Konfuzius oder Nürnberger Trichter?

Überlegungen zur Didaktik und Methodik des DaF-Unterrichts in China
  • Ulrich STEINMÜLLER

    ist Professor i. R. der Technischen Universität Berlin im Fachgebiet Deutsch als Fremd- und Fachsprache. Seit mehr als 30 Jahren kooperiert er mit zahlreichen chinesischen Universitäten zur Verbesserung des Unterrichts Deutsch als Fremdsprache und zur Steigerung der Qualifikation chinesischer DaF-Lehrer. Er ist Professor h. c. der Tongji-Universität/Shanghai und war fünf Jahre Dekan der Fremdsprachenfakultät der Zhejiang-Universität/Hangzhou.

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Published/Copyright: May 10, 2019

Zusammenfassung

Ein langlebiger und gern zitierter Mythos besagt, dass Unterrichtsorganisation und didaktische Konzepte des DaF-Unterrichts in China durch andauernde konfuzianische Traditionen geprägt seien und dass daher „moderne“, „westliche“ didaktische und methodische Konzepte nur schwer umzusetzen seien. Eine genauere Analyse zeigt allerdings, dass vor allem ausländische Einflüsse sowie mangelhafte didaktische Qualifikation chinesischer DaF-Lehrer für die beobachteten Schwierigkeiten ursächlich sind. Der vorliegende Artikel fordert daher eine Verstärkung der chinesischen didaktischen Forschung und eine intensive Umsetzung ihrer Ergebnisse in den chinesischen DaF-Unterricht.

Abstract

A persistent myth claims an ongoing influence of confucian traditions on classroom organization and on foreign language teaching in China. Closer analyses nevertheless show foreign influences and insufficient teacher training as sources for the obstacles of teaching German as a foreign language in China. This paper therefore suggests to intensify research on the didactics of foreign language teaching and the improvement of teacher training.

1 Bedeutungsverluste der deutschen Sprache?

Seit längerer Zeit und immer wieder wird über den Bedeutungsverlust des Deutschen als Sprache der Wissenschaft und als internationale Verkehrssprache geklagt (vgl. z. B. Ammon 1991), in jüngster Zeit erst wieder durch den Preisträger 2017 des Jacob-Grimm-Preises Deutsche Sprache, Norbert Lammert, hier allerdings unter einem interessanten neuen Aspekt, nämlich nicht als resignierendes Klagen, sondern als Aufforderung, diesem Trend entgegenzuwirken (Lammert 2017). Wenn auch unbestritten ist, dass Englisch als die dominierende Sprache in fast allen Formen der internationalen Kommunikation verwendet wird, so gilt der Bedeutungsverlust der deutschen Sprache nicht in allen Ländern, wie z. B. in China zu beobachten ist. Zwar ist auch hier Englisch als erste Fremdsprache in den Bildungsinstitutionen etabliert, die deutsche Sprache erlebt aber seit einer ganzen Anzahl von Jahren einen deutlichen Bedeutungszuwachs.

2 Deutsch in China

Die Anfänge des Deutschunterrichts in China sind bis in die letzten Jahre des 19. Jahrhunderts zurückzuverfolgen (vgl. Xu 2002; Steinmüller 2013: 467 ff.). Über viele Jahre war er Bestandteil des chinesischen Bildungswesens, sowohl in den letzten Jahren der Kaiserzeit, als auch in den Jahren der Republik. Einen gravierenden Einschnitt stellten der japanisch-chinesische Krieg sowie der 2. Weltkrieg dar, nicht nur den Deutschunterricht betreffend. Nach zögerlichen Anfängen in der Volksrepublik und mit Unterstützung der DDR zur Wiedereinführung des Deutschunterrichts an chinesischen Universitäten stellte die Kulturrevolution eine erneute Zäsur dar. Erst im Rahmen der sog. Öffnungspolitik unter Deng Xiaoping nach dem Ende der Kulturrevolution fand ein stetiger Ausbau des Deutschunterrichts an chinesischen Hochschulen statt (vgl. Ammon/Reinbothe/Zhu 2007). Während im Jahr 1997 Germanistik bzw. Deutsch als Hauptfach an 25 Hochschulen angeboten wurde, waren es im Jahr 2009 bereits ca. 100 Hochschulen mit diesem Angebot (vgl. Wang 2011: 33 f.). Im Jahr 2014 war deren Zahl bereits auf 104 angewachsen mit einer Anzahl von ca. 20 000 Germanistikstudierenden. Auch im Bereich des öffentlichen Schulwesens gibt es einige, dem deutschen Sekundarbereich entsprechende Mittelschulen mit Deutsch als Fremdsprache, allerdings ist ihre Zahl bezogen auf die ca. 1,3 Milliarden Chinesen verschwindend gering. Hinzu kommt insbesondere in Großstädten der stetig wachsende Bereich der privaten Sprachschulen, in denen ebenfalls Deutschunterricht angeboten wird, sodass das Goethe-Institut in einer Erhebung im Jahr 2015 zu der Schätzung von ca. 45 000 Deutschlernern in China kommt (Goethe-Institut 2015).

3 Chinesische Lerngewohnheiten?

Es überrascht daher nicht, dass angesichts dieser Entwicklungen ein starkes Interesse an der Gestaltung des DaF-Unterrichts in China besteht. Allerdings muss konstatiert werden, dass spätestens seit der Untersuchung von Mitschian über die Lerngewohnheiten chinesischer Studierender (vgl. Mitschian 1991) das Interesse vor allem auf die Deutschlernenden gerichtet ist. Zahlreiche Untersuchungen bis hin zu Masterarbeiten (vgl u. a. Tian 2016: 40 ff.) widmen sich diesem Aspekt des DaF-Unterrichts. Die didaktische Grundlegung und methodische Gestaltung des Unterrichts tritt dabei in den Hintergrund. Ursächlich hierfür können die zahlreichen Darstellungen zurückgekehrter DAAD-Lektoren sein, die über ihre Unterrichtserfahrungen und die Reaktionen ihrer Studierenden auf den von ihnen gestalteten Unterricht in mehreren Heften der Zeitschrift Info DaF seit Mitte bis Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts berichten (vgl. z. B. Kleppin 1987).

In vielen dieser Lektorenberichte taucht wie ein Basso continuo die Klage über das passive Verhalten der chinesischen Studierenden im Unterricht auf sowie die Feststellung, dass ein an modernen didaktischen und methodischen Vorstellungen orientierter Unterricht, wie z. B. der kommunikative Unterricht, mit chinesischen Studierenden nicht möglich sei – wegen ihres typisch chinesischen Lernverhaltens. Und sehr schnell wird dann als Erklärung gefunden, dass dieses Lernverhalten geprägt sei durch die konfuzianischen Bildungs- und Erziehungstraditionen, eine Behauptung, die auch sehr gern und oft von chinesischen Studierenden und ihren Lehrern aufgegriffen und mit Stolz gegen die „westlichen“ Einflüsse angeführt wird.

Sind es tatsächlich diese unterstellten konfuzianischen Bildungs- und Erziehungstraditionen, die die Grundlage der didaktischen und methodischen Konzepte des heutigen chinesischen DaF-Unterrichts sind und die das passive Lernverhalten chinesischer Studierender verursachen? Ich will hier nicht die Frage diskutieren, ob es sinnvoll und zielführend ist, didaktische und methodische Konzepte, die in einem bestimmten Wissenschafts- und Bildungskontext entwickelt wurden, zu exportieren und zu versuchen, sie unter ganz anderen Wissenschafts- und Bildungsbedingungen eins zu eins umzusetzen (vgl. hierzu Steinmüller 1990: 16 f. und auch Gu 2004: 92), ich möchte vielmehr hier der Frage nachgehen, welche methodischen Konzepte dem gegenwärtigen chinesischen DaF-Unterricht zugrunde liegen und aus welchen Quellen sie sich speisen.

4 Konfuzianische Lehrtraditionen und was daraus wurde

Besonders zählebig ist der Mythos von der andauernden Wirkung konfuzianischer Unterrichtsprinzipien, ohne diese allerdings präziser zu benennen, mit Ausnahme der Ehrfurcht vor dem Lehrer (was z. B. angeblich ein Nachfragen im Unterricht oder gar die Verteidigung einer eigenen Meinung ausschließe) und des hohen Stellenwerts des Auswendiglernens. Bei genauerer Betrachtung von Konfuzius’ Lern- und Erziehungstheorie (vgl. Mitschian 1991: 116 ff.) werden allerdings andere Elemente seiner Unterrichtsmethodik deutlich:

  1. Lernziel ist die Anleitung der Studierenden zu eigenständigem Studium und zu selbständigem Lernen,

  2. die Anleitung zum selbständigen Lernen, nicht die Erklärung ist die hauptsächliche Funktion des Lehrers,

der Lerner soll dazu befähigt werden, sich selbst den Sinn des zu Erlernenden zu erschließen. Kernpunkt dieses Verständnisses des Lehr-/Lernprozesses ist es, eine intrinsische Motivation der Lerner zu wecken und zu erhalten. In diesem Sinne entspricht die konfuzianische Lerntheorie eher konstruktivistischen als instruktivistischen Prinzipien. Nicht die Methode des Unterweisens mit dem „Nürnberger Trichter“, mit dem einem passiven Lerner vom allwissenden Lehrer das Wissen „eingetrichtert“ wird, sondern das eigenständige entdeckende Lernen unter Anleitung des Lehrers ist Konfuzius’ Unterrichtsprinzip. In diesem Kontext kommt dann dem Studium der klassischen Texte die Funktion zu, das dort formulierte Wissen als Basis für eigenes, weiterführendes Denken zu nutzen.

Durch die zunehmende Bedeutung der Beamtenprüfungen im kaiserlichen China und deren starke Formalisierung wurde z. B. die Funktion, die Konfuzius der Beschäftigung mit den klassischen Texten zuschrieb, Basis für das weitere Lernen und Erkennen zu werden, in ihr Gegenteil verkehrt. Die Beschäftigung mit ihnen wurde zu einem reinen Selektionsinstrument.

Die Formalisierungen des Lehr- und Lernprozesses, die vor allem in der Qing-Zeit, also seit der Mitte des 17. Jahrhunderts bis 1911, eintraten, wurden dann unterstützt durch die Übernahme ausländischer Erziehungs- und Bildungsvorstellungen. Hier kommt vor allem der Übernahme des japanischen Bildungswesens Bedeutung zu, das im Zuge der Meiji-Restauration im Jahr 1868 grundlegend nach preußischen und französischen Vorbildern reformiert worden war (Hirano 1978) und das sich stark an die Lehren des deutschen Pädagogen Herbart bzw. die 5-Stufen-Lehre seiner Rezipienten anlehnte. Die Orientierung an diesen Stufen der Organisation des Lehrprozesses führt zu einer Systematisierung der Unterrichtsgestaltung, zugleich aber auch zu einem festgefügten Ablaufschema der einzelnen Unterrichtsschritte, in dem für spontane Äußerungen oder ungeplante Kommunikation kein Platz ist.

5 Ausländische Einflüsse

Versuche, Gedanken und didaktisch-methodische Konzepte der USA in den Jahren der Republik nach dem Sturz des Kaiserreichs in das chinesische Bildungswesen zu integrieren, konnten nicht nachhaltig gelingen, denn für die Umsetzung des Dalton-Plans (einer Unterrichtsorganisation mit freiem Stundenplan, Gruppenarbeit und individuellem Arbeitsverlauf) waren die am Herbart’schen Stufensystem ausgebildeten Lehrkräfte ebenso wenig qualifiziert wie für die Projektmethode nach Dewey. Ansätze, mit Hilfe dieser Methodenübernahme aus den USA dem Unterricht in China eine demokratische Orientierung zu geben, schlugen daher fehl. Geblieben sind allerdings einige organisatorische Elemente wie z. B. die Gliederung des chinesischen Bildungssystems nach dem Muster 6-3-3-4 (Grundschule – untere Mittelschule – obere Mittelschule – Universität), das dort praktizierte Credit-System und die Gliederung des Studiums in ein Bachelor- und ein darauf aufbauendes Masterstudium.

Die Wirkung des an Herbart orientierten Verständnisses von Unterricht, das aus Japan übernommen worden war, wurde dann in der Volksrepublik durch die Beeinflussung des chinesischen Bildungswesens durch das der Sowjetunion bestärkt und gefestigt, in dem ebenfalls die Herbart’sche Stufenlehre strukturierendes Konzept war. Sowohl der Einsatz zahlreicher sowjetischer Dozenten als auch sowjetischer pädagogischer Literatur bewirkten eine Übernahme dieses detailliert normierten Lehr- und Lernsystems, in dem der Frontalunterricht und der Lehrervortrag eines dominierenden Lehrers Kennzeichen waren. Dem sowjetischen Pädagogen Makarenko folgend wurden der Glaube an die Allmacht der Methode wirksam sowie ein restriktives, detailliertes Lehr- und Lernsystem (Hillig/Krüger-Potratz 1986: 318).Die sich daraus ergebende autoritäre Stellung des Lehrers und die Passivität der Lerner sind, trotz oberflächlicher Ähnlichkeiten, in keiner Weise mit dem pietätvollen Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler in der konfuzianischen Tugendlehre zu vergleichen.

Vieles, was heute mit dem Namen Konfuzius verbunden wird, ist tatsächlich nicht auf dessen eigene Gedanken zurückzuführen, sondern auf Uminterpretationen in späteren Zeiten, den jeweiligen Herrschaftsinteressen folgend, und insbesondere auch auf ausländische Einflüsse auf das chinesische Bildungswesen. „Auf keinen Fall kann von einer über 2000 Jahre langen Tradition im Unterrichtswesen ausgegangen werden“ (Mitschian 1991: 136).

6 Qualifikation chinesischer Deutschdozenten

Die oben angesprochene Ausweitung des Angebots an Germanistik bzw. Deutsch Lernen an chinesischen Hochschulen hatte und hat allerdings auch einen negativen Aspekt bezüglich der Qualifikation der Lehrkräfte für diesen Unterricht. Generell ist zu konstatieren, dass es auch heute noch keine systematische Ausbildung in Hochschuldidaktik oder Fremdsprachdidaktik für dieses Lehrpersonal gibt: Eine „systematische, pädagogische und didaktische Ausbildung“ wird nirgends in der Rahmenplanung des Germanistikstudiums vorgesehen (vgl. Yang 2007: 61). Ausschlaggebendes Qualifikationsmerkmal für DaF-Dozenten ist ein Hochschulabschluss in Germanistik, oft sogar nur auf dem BA-Niveau. Auch wenn einige der führenden Universitäten inzwischen dazu übergegangen sind, wissenschaftliches Personal nur noch mit Promotion einzustellen, wie z. B. die Zhejiang-Universität in Hangzhou, gilt dies für die meisten Hochschulen nicht. Hier werden oft sogar gezielt Berufsanfänger für den Deutschunterricht ausgewählt, weil deren Gehälter niedriger sind als bei höher qualifizierten, erfahrenen Dozenten und weil von ihnen erwartet wird, dass sie sich eher in bestehende Hierarchiestrukturen einfügen als Berufserfahrene, die bereits an anderen Institutionen unterrichtet haben.

Da insbesondere an kleineren oder außerhalb der urbanen Zentren in der Provinz gelegenen Universitäten die Fremdsprachenabteilungen weder personell noch finanziell gut ausgestattet sind, kommt es oft vor, dass es nur ein oder zwei Lehrkräfte für Deutsch gibt, die dann, vor allem in den Kursen für Deutsch als Zweite Fremdsprache (Steinmüller 2013: 469 f.), mit übergroßen Lernergruppen mit bis zu 80 Studierenden arbeiten müssen, in denen der Lehrervortrag oft als einzige methodische Möglichkeit erscheint (zum Unterricht in großen Lernergruppen vgl. Loo 2007). Für diese Berufsanfänger ist wegen der fehlenden qualifizierenden fachdidaktischen Ausbildung die Orientierung an dem selbst erfahrenen Unterricht im Prinzip die einzige relevante Bezugsgröße, sodass die in China vornehmlich praktizierten Unterrichtsmethoden zu Recht als „traditionell“ bezeichnet werden können: nicht, weil sie sich etwa auf konfuzianische Erziehungsprinzipien bezögen, sondern, weil sie aufgrund der mangelnden spezifischen Ausbildung im Laufe der schulischen Lernzeiten von einer Lehrergeneration auf die nächste zwar nicht explizit vermittelt, wohl aber über das Beispiel und die Nachahmung tradiert werden (Mitschian 1991: 215).

Dieses Phänomen ist nicht neu und nicht auf China beschränkt, denn bereits Neuner konstatiert auch für deutsche DaF-Lehrer, dass

wir das, was wir selbst (während unserer Schulzeit bzw. während unserer Ausbildung zu Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern) gelernt haben, und wie wir gelernt haben, als festen Erfahrungsbesitz gespeichert haben und darauf auch gerne zurückgreifen, wenn wir selbst unterrichten. (Neuner 1997: 38)

Eine klare Analyse der Mängel in der methodischen Qualifikation von chinesischen Deutschlehrern liefert Gu (2004: 93). Und er kommt zu der Erkenntnis, dass diese Defizite nicht nur bei den jüngeren Dozenten zu beobachten sind, sondern auch „ältere Kollegen sind an ihre alte Lehrweise so gewöhnt, dass sie nicht gern bereit sind, neue Dinge zu lernen und sie dann auch in die Tat umzusetzen. Es ist sehr schwer, sie von den modernen Unterrichtsprinzipien zu überzeugen“ (ebd.). Und Mitschian stellt fest: „In der Unterrichtsmethodik unterscheiden sich ältere und jüngere Lehrer nur tendenziell. Beide unterrichten nach einem überkommenen Grundmuster, das jedoch [...] verändert werden muß“ (Mitschian 1991: 215).

7 Neuere Entwicklungen zur Verbesserung der Unterrichtsqualität

Bemühungen, die DaF-Methodik an chinesischen Universitäten aus dieser Sackgasse herauszuholen, gibt es zahlreich und schon seit geraumer Zeit. So verweist z. B. Gu auf die Bemühungen der Erziehungskommission (heute: Erziehungsministerium) der Regierung in Peking, seit 1992 durch die Entwicklung von zielgruppenspezifischen Curricula und daran orientierten Lehrbüchern den DaF-Unterricht zu professionalisieren (Gu 2004: 89 ff.; Wang 2011: 37 ff.; Steinmüller 2013: 468 ff.). Allerdings zeigten diese Bemühungen bis zum Curriculum von 2006 (vgl. Wang ebd.) den Mangel, dass sie zentralistisch verordnet wurden, sodass eine tatsächliche Zielgruppenorientierung nicht möglich war. Außerdem orientierten sie sich durch die starre Stufenvorgabe und Lernzieldefinitionen noch immer an den herbartschen/sowjetischen Unterrichtsprinzipien, und es fehlte an einer systematischen Anleitung des Lehrpersonals zum Umgang mit den neuen Curricula und den Lehrbüchern, sodass der Unterricht im Prinzip, trotz neuer Vorstellungen, „traditionell“ blieb. Erst mit dem Curriculum von 2006 wurden genügend Freiräume für didaktische und methodische Entscheidungen der jeweiligen Universität und des jeweiligen Lehrpersonals eröffnet, sodass es auch zu einer neuen Generation von Lehrwerken kam, die Möglichkeiten für eine flexible Unterrichtsgestaltung boten, wie z. B. das mehrbändige Lehrwerk Klick auf Deutsch (Zhu et al. 2007). Eine systematische Ausbildung während des Studiums als Vorbereitung auf den Beruf als Fremdsprachendozent fand allerdings auch jetzt noch nicht statt.

Auch eine inzwischen beachtliche Gruppe von an deutschsprachigen Universitäten ausgebildeten chinesischen DaF-Dozenten brachte neue Ideen zur Gestaltung eines modernen DaF-Unterrichts mit an ihre Heimatuniversitäten in China zurück. Allerdings gelang und gelingt es ihnen nicht immer, sich damit gegen die Hierarchie der Deutschabteilungen und das bereits von Gu (2004: 93) beklagte Beharrungsvermögen älterer Kollegen durchzusetzen, sodass sie oft gegen besseres Wissen (und bessere Ausbildung) sich resignierend den „traditionellen“ Vorgaben fügen.

Aber auch institutionelle Rahmenbedingungen stellen oft ein Hindernis für eine flexiblere Unterrichtsgestaltung dar: Einem Dozenten wird von der zentralen Raumvergabe der Universität das Sprachlabor mit abgetrennten Kabinen als Unterrichtsraum zugewiesen, weil im Curriculum der Kurs als „Sprechübung“ gekennzeichnet ist, obwohl der Dozent einen kommunikativen Unterricht als Diskussionsrunde im Stuhlkreis geplant hat – Vorrang des Curriculums vor didaktisch-methodischer Entscheidung des Dozenten. Auch das Gegenteil konnte ich beobachten, die mangelnde Bereitschaft oder auch Fähigkeit, den zur Verfügung stehenden Freiraum für eine eigenständige, flexible Unterrichtsgestaltung zu nutzen: In einem Unterrichtsraum mit Gruppentischen, PC für jeden Studierenden und allen modernen Medien sitzt der Dozent auf einem erhöhten Lehrerpult, schreibt wortlos aus dem geöffneten Lehrbuch einen Text in seinen PC, wirft ihn per Beamer an die Wand und die Studierenden schreiben diesen Text ebenso wortlos von der Wand ab in ihren eigenen PC – DaF-Unterricht mit modernen Medien.

8 Mittlerorganisationen und Kooperationen mit deutschen Universitäten

Eine wichtige Rolle bei den Bemühungen zur Verbesserung des DaF-Unterrichts an chinesischen Universitäten kommt auch den Mittlerorganisationen wie DAAD und Goethe-Institut zu sowie den Kooperationen mit deutschen Universitäten. So hat z. B. die Technische Universität Berlin schon in den frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts durch die Einrichtung sog. Deutscher Sprachzentren an der Zhejiang-Universität in Hangzhou, an dem Beijing Institute of Technology in Peking und später durch intensive Kooperation mit der Tongji-Universität in Shanghai über viele Jahre hinweg systematische Weiterbildung der dortigen DaF-Dozenten betrieben, sowohl durch die Entsendung eigener Dozenten an diese Zentren, als auch durch Stipendien für Weiterbildungsaufenthalte in Berlin. Als Konsequenz dieser Aktivitäten ist inzwischen das didaktisch-methodische Know-how der dortigen Dozenten auch chinaweit anerkannt, sodass sie immer wieder zu Weiterbildungsveranstaltungen an andere Universitäten eingeladen werden, z. B. auch, um nach dem Erscheinen neuer Lehrwerke den Umgang mit ihnen zu erläutern und einzuüben.

In ähnlicher Weise sind auch DAAD und Goethe-Institut aktiv durch Weiterbildungen zu bestimmten didaktisch-methodischen Themen in China, aber auch durch die Vergabe von Stipendien zu Weiterbildungsveranstaltungen in Deutschland. Der DAAD ist darüber hinaus durch die Einrichtung zahlreicher Lektorate an chinesischen Universitäten um die Verbesserung des DaF-Unterrichts und die Qualifikation der DaF-Dozenten bemüht.

9 Anspruch und Wirklichkeit im chinesischen DaF-Unterricht

Aber diese Angebote allein, so wichtig sie im Einzelnen sind, können den grundsätzlichen Missstand der mangelnden Qualifikation der Deutschlehrenden in China nicht verbessern (vgl. Yang 2007). So zeigen sich zahlreiche DaF-Dozenten trotz wiederholter Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen überfordert, die dort erfahrenen Methoden und Konzeptionen im eigenen Unterricht anzuwenden, wie eine empirische Untersuchung von Tian (2016) zeigt. So erkennt zwar die große Mehrheit der von ihr befragten Lehrkräfte die Bedeutung einer methodisch flexibleren Unterrichtsgestaltung mit mehr Lerneraktivitäten an, verwendet aber trotzdem nach wie vor Frontalunterricht und die Grammatik-Übersetzungsmethode, auch wenn sie einen kommunikativen Unterricht für wünschenswert halten und die absolute Mehrheit der befragten Studierenden dieser Dozenten sich mehr Gelegenheiten wünscht, in aktiver Unterrichtsatmosphäre Deutsch zu lernen, d. h. in eigener Aktivität die deutsche Sprache anzuwenden und zu üben.

Diese Studierendenerwartung steht denn auch in krassem Gegensatz zu dem Ergebnis von Tians Untersuchung, dass hinsichtlich der verwendeten Unterrichtssprache mehr als die Hälfte der befragten Lehrpersonen angab, dass sie in ihren gegenwärtigen Deutschkursen eher häufig ihre Muttersprache verwendeten. Die genaue Analyse von Tian zeigt sogar, dass ca. 70 % des Lehrervortrags im Frontalunterricht in chinesischer Sprache stattfanden und nur ca. 30 % in deutscher Sprache. In Bezug auf die Fortbildungserfahrung gaben alle von Tian befragten Lehrkräfte an, dass sie mindestens zweimal an Fortbildungsveranstaltungen der Partneruniversität in Deutschland teilgenommen hatten und darüber hinaus an Veranstaltungen des DAAD und des Goethe-Instituts in China. Auf die Frage, ob es für die Lehrkräfte nötig und hilfreich sei, regelmäßig an Lehrerfortbildungen teilzunehmen, um die Lehrerkompetenz zu fördern, kreuzten alle befragten Lehrkräfte in Tians Fragebogen „Ja“ an. Als Begründungen führten sie an: „Wir können viele neue Methoden kennenlernen“; „Wir können von den erfahrenen Deutschlehrern (Muttersprachlern) mehr Kenntnisse über Methodik erfahren“; „Wir können immer etwas Neues lernen, um die Lehrfähigkeit zu verbessern“ (Tian 2016: 105).

Hier ist also exemplarisch eine große Diskrepanz zwischen curricularen Möglichkeiten und Lernererwartungen auf der einen Seite und tatsächlicher Unterrichtsgestaltung auf der anderen Seite nicht zu übersehen ebenso wenig wie die Diskrepanz zum tatsächlichen unterrichtlichen Verhalten von Lehrkräften trotz erfolgter Weiterbildungen.

10 Fazit

Der Blick weg von den sog. chinesischen Lerngewohnheiten der Studierenden auf die Gestaltung des Unterrichts und das Lehrverhalten der Dozenten zeigt ein vielfältiges Bild der Didaktik und Methodik des DaF-Unterrichts an chinesischen Universitäten. Seine Bedingungen befinden sich im stetigen Wandel und waren und sind den verschiedensten Einflüssen ausgesetzt. Die Hochschulen und Universitäten verfügen über sehr unterschiedlich qualifiziertes Lehrpersonal. Die Situation hat sich bis heute noch nicht geändert (vgl. Yang 2007: 61). Es gibt Universitäten, an denen hochqualifizierte Lehrende arbeiten, demgegenüber existieren immer noch viele andere Universitäten mit einem massiven Mangel an gut ausgebildeten Deutschlehrkräften.

Vorschläge zur Verbesserung der Unterrichtsmethodik finden sich in der einschlägigen Literatur immer wieder, so z. B. bei Gu (2004: 94 f.) und auch bei Tian (2016: 45 ff. oder auch 171 ff.), wie auch die oft wiederholte Forderung nach einer systematischen Ausbildung nicht nur im Fach, sondern besonders auch in der Didaktik und Methodik des DaF-Unterrichts. Auch die Forderung nach Intensivierung von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für bereits im Beruf befindliche DaF-Dozenten ist hier angebracht. Ziel muss es sein, nicht immer wieder Modelle oder Ideen früherer Zeiten oder aus dem Ausland unreflektiert zu übernehmen – diese Versuche sind, wie ich versucht habe zu zeigen, bisher in der Regel fehlgeschlagen –, sondern eine eigenständige, landesspezifische und an den Interessen und Zielen der Studierenden wie der Gesellschaft orientierte Didaktik und Methodik zu entwickeln. Es ist sehr erfreulich zu beobachten, dass dazu in den zurückliegenden Jahren die Forschung in China zunehmend intensiviert wurde, wie auch die zahlreichen fachdidaktischen Dissertationen junger chinesischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an deutschen Universitäten belegen. Ein beeindruckendes Beispiel ist auch die im Jahr 2007 an der Zhejiang Universität in Hangzhou durchgeführte Tagung „Deutsch als Fremdsprache aus internationaler Perspektive“, die nicht nur die Vielfalt didaktischer Forschung und der Entwicklung eigenständiger Konzeptionen für den DaF-Unterricht weltweit dokumentierte, sondern auch ein deutliches Bild der in China stattfindenden Diskussionen über die Inhalte und Ziele des DaF-Unterrichts und seine didaktisch-methodische Fundierung zeichnete (Fan/Li 2009).

Allerdings ist damit noch nicht erreicht, dass diese Erkenntnisse und neuen Konzepte auch in die Tat umgesetzt, also im Unterricht realisiert werden. Dazu sind wichtige Entscheidungen in der Formulierung von Curricula genauso nötig wie ihre Umsetzung in den Studienordnungen und Ausbildungsgängen.

Wenn dies gelingt, ist zu erwarten oder mindestens zu hoffen, dass der „Nürnberger Trichter“ als methodische Konzeption, sei es als uminterpretierte konfuzianische Erziehungstheorie oder als unreflektierter Herbartianismus, bald ausgedient haben wird.

Über den Autor / die Autorin

Prof. Dr. Ulrich STEINMÜLLER

ist Professor i. R. der Technischen Universität Berlin im Fachgebiet Deutsch als Fremd- und Fachsprache. Seit mehr als 30 Jahren kooperiert er mit zahlreichen chinesischen Universitäten zur Verbesserung des Unterrichts Deutsch als Fremdsprache und zur Steigerung der Qualifikation chinesischer DaF-Lehrer. Er ist Professor h. c. der Tongji-Universität/Shanghai und war fünf Jahre Dekan der Fremdsprachenfakultät der Zhejiang-Universität/Hangzhou.

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Online erschienen: 2019-05-10
Erschienen im Druck: 2019-05-07

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 17.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/infodaf-2019-0015/html
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