Zusammenfassung
Es gilt als unbestritten, dass die Grammatik der historischen Sprachstufen im Allgemeinen und des Mittelhochdeutschen im Besonderen durch ihre Nähe zur „Mündlichkeit“ geprägt ist. Die „orale Syntax“ des Mittelhochdeutschen in der Grammatikschreibung zu berücksichtigen, ist jedoch trotz intensiver Forschung im Bereich historischer Mündlichkeit immer noch eine große Herausforderung, da unklar ist, wie sich die heterogenen Phänomene, die als mündlich angesehen werden, auf systematische Weise erfassen lassen. Schwierigkeiten ergeben sich dabei insbesondere vor der Frage, wie das allgemeine Bedingungsgefüge von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in den älteren Sprachstufen empirisch untersucht werden kann. Der Beitrag nähert sich dieser Frage, indem er einen Ansatz zur automatisierten Erkennung konzeptioneller Mündlichkeit auf das Mittelhochdeutsche überträgt, der von Ortmann & Dipper (2024) für die Sprachstufe zwischen 1700 und 1900 angewendet wurde. Bei der Übertragung auf das Mittelhochdeutsche zeigt sich im Vergleich, dass die Korrelation zwischen manueller und automatisierter Bewertung von Nähetexten sowie der Voraussagewert der einzelnen Merkmale geringer ist als für die neuhochdeutsche Sprachstufe. Dieses Ergebnis bildet die Basis für eine Diskussion, welche Implikationen daraus für die historische Grammatikschreibung gezogen werden können.
6 Literatur
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Artikel in diesem Heft
- Frontmatter
- Frontmatter
- Einleitung
- Grammatikographische Gelehrtennetzwerke im Umbruch
- Berücksichtigung regionaler Variation und historischer Sprachstufen des Deutschen in Schulgrammatiken des 19. Jahrhunderts
- Zur Rolle sprachreflexiver Werke des 17. und 18. Jahrhunderts bei der Durchsetzung der n-Flexion im Gen.Sg.Mask. und Neutr.
- Norm und Schreibgebrauch bei Adjektiv-Verb-Verbindungen um das Jahr 1900
- Aus der Werkstatt der Mittelhochdeutschen Grammatik: Phonologie und Graphematik. Herausforderungen und Lösungsansätze
- Visuelle historische Grammatiken
- Genusresolution von mittelhochdeutsch beide im Referenzkorpus Mittelhochdeutsch
- Negationspartikeln auf Abwegen: ne zwischen Exzeption, Koordination und Negation
- Chaos in der Ordnung? Ansätze zur Deklinationsklassenzuordnung von apokopierten Maskulina im Vergleich
- Funktionale Unterschiede der Perfektkonstruktionen mit hebben und wēsen im Mittelniederdeutschen
- Korpusdaten und Fragebogendaten kontrastiv: Diachrone und diatopische Perspektiven auf die vokalische Deklination
- ‚Nähe und Distanz‘ in der (germanistischen) Sprachgeschichtsforschung: Nutzen, Nutzung, Neuansatz
- Grammatikschreibung und historische Mündlichkeit: Data Mining im Mittelhochdeutschen
- Register als variationsgrammatische Kategorie. Korpusbasierte Registermodellierung in den Werken Otfrids von Weißenburg und Martin Luthers
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