Reviewed Publication:
Rudolf Peter Der amerikanisch-chinesische Weltkonflikt Berlin SWP Oktober 2019.
Wie mit dem aufstrebenden China umzugehen sei, wird mehr und mehr zum Gegenstand europäischer Debatten. Eng damit verknüpft ist auch die Frage, wie sich europäische Länder hinsichtlich der sich intensivierenden amerikanisch-chinesischen Rivalität positionieren sollen. Dabei hält öfter die vereinfachte und zugespitzte Sichtweise Einzug, dass Europa vor der Wahl steht, sich für eine von zwei entstehenden Ordnungen entscheiden zu müssen – einer amerikanisch oder einer chinesisch dominierten. Vor dem Hintergrund solcher von Unsicherheit geprägten Debatten erhält Peter Rudolfs differenzierte und analytisch nüchterne Betrachtungsweise des Themas besondere Wichtigkeit.
In seiner im Oktober 2019 erschienenen SWP-Studie analysiert Rudolf die Entstehung und Dynamik der global geführten Auseinandersetzung zwischen den USA und China. Als empirische Grundlage dienen ihm Experten- und Elitendiskurse in beiden Ländern und die darauf basierende Planung und Gestaltung der jeweiligen Außenpolitik. Rudolf definiert das amerikanisch-chinesische Verhältnis als „komplexe strategische Rivalität“ und zerlegt es in seine Einzelteile. Durch die Bestimmung der konstitutiven Elemente und Ebenen des Konfliktes gelingt es ihm aufzuzeigen, worum es bei der Rivalität im Wesentlichen geht, was ihre Charakteristika sind – auch in Abgrenzung zum Ost-West-Konflikt – und wie andere Regionen und Länder von der Rivalität betroffen sind beziehungsweise welche Rolle ihnen in dieser strategischen Rivalität zufällt.
China und die USA verstehen sich heute sowohl als Machtkonkurrenten als auch als Systemantagonisten. Einerseits geht es beim gegenwärtigen Konflikt um geopolitische Macht und Einflussnahme, andererseits um ideologische Konkurrenz. Rudolf rechnet damit, dass letzterer Aspekt auf der amerikanischen Seite des Konfliktes an Bedeutung zunehmen wird, und zwar wegen seines (innen-) politischen Mobilisierungspotentials: Die USA positioniert sich verstärkt als liberale Demokratie gegenüber dem „digitalen Autoritarismus“ Chinas. China und die USA sehen sich zudem als potentielle militärische Kontrahenten. Besonders ausgeprägt und konkret ist dieser Aspekt des Konfliktes auf regionaler Ebene, das heißt im pazifischen Asien, wo die Mächte um die Vormachtstellung konkurrieren. Nebst der globalen und der regionalen Dimension hebt Rudolf die technologische Dimension des Konfliktes hervor: Eine Vorherrschaft im digitalen Zeitalter sichert nämlich weltwirtschaftliche Wettbewerbsvorteile und militärische Überlegenheit. In allen Dimensionen haben China und die USA unvereinbare Ziele und gegenseitige Bedrohungsvorstellungen, welche zur Konfliktdynamik beitragen.
Rudolf analysiert und hinterfragt Deutungsrahmen („Machtübergangstheorien“) und Narrative („Versagen der kooperativen Chinapolitik“), welche auf beiden Konfliktseiten vorherrschen. Sie bilden die Basis für die wechselseitigen außenpolitischen Strategien der Antipoden. Beispielsweise dominiert in der Rhetorik und Praxis der aktuellen amerikanischen Führung eine sicherheitspolitische Logik: Im Umgang mit China zählt die relative Nutzenverteilung. In der Vergangenheit dominierte eine wirtschaftliche Logik, wo die absoluten Nutzengewinne in den wirtschaftlichen Austauschbeziehungen mit China als relevant erachtet wurden. Rudolfs Studie streicht generell die Bedeutung von Wahrnehmungen und Interpretationsrahmen heraus und zeigt auf, wo und wie sie die politische Realität beeinflussen.
Die sich zuspitzende strategische Rivalität zwischen den USA und China hat Folgen für die internationale Politik, einschließlich Europa. Sie birgt das Risiko eines strukturellen Weltkonfliktes und einer daraus resultierenden De-Globalisierung. Rudolf weist daraufhin, wie und warum die USA wahrscheinlich versuchen werden, Europa in ihre Chinapolitik einzubinden: Exportkontrollen sind aus Sicht der Trump-Administration ein wichtiges Instrument, um China den Zugang zu militärisch nutzbaren Hochtechnologien zu verwehren. Um die Effektivität eines solchen Exportkontrollregimes zu gewährleisten, muss Europa aus Sicht der Trump-Administration, auf dessen Hochtechnologien China sonst ausweichen könnte, einbezogen werden. Dass dazu Druck seitens Washingtons notwendig sein wird, erklärt sich auch durch die abweichenden Bedrohungswahrnehmungen: Zwischen Europa und China besteht weder ein globaler Machtkonflikt noch ein potentieller militärischer Konflikt. Die sicherheitspolitische Perspektive dominiert daher nicht alle Bereiche der Beziehungen.
Rudolf analysiert den amerikanisch-chinesischen Weltkonflikt auf umfassende Weise und aus unterschiedlichen Perspektiven. Seine Studie zeichnet sich dadurch aus, dass sie (außen-) politischen Debatten und Entwicklungen in beiden Staaten nachgeht. Oft separat diskutierte Themen finden in dieser Studie zusammen. Als Amerika-Experte beleuchtet Rudolf die amerikanische Seite besonders fakten- und kontextreich und erlaubt ein vertieftes Verständnis der amerikanischen Sicht- und Vorgehensweise im Umgang mit China; mehr als umgekehrt. Es wäre spannend gewesen, mehr über konkrete Handlungsoptionen für Europa zu erfahren. Dass diese wenig Raum erhalten, liegt an Rudolfs Einschätzung: „Europa kann den amerikanisch-chinesischen Weltkonflikt nicht nennenswert beeinflussen“ – auch wenn dies angesichts der negativen Implikationen für Europa wünschenswert wäre.
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Artikel in diesem Heft
- Titelseiten
- Editorial
- Editorial
- Aufsätze
- Die internationale Ordnung: Bestandsaufnahme und Ausblick
- Wie das Unmögliche möglich wurde – Die erfolgreiche Schaffung einer funktionierenden internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg
- Doppelte Wendezeit
- Den Westen neu denken. Wege aus der Krise der freien Welt
- Kurzanalysen und Berichte
- Der INF-Vertrag im Epochenwandel
- Brauchen wir einen Europäischen Sicherheitsrat?
- Ergebnisse internationaler strategischer Studie
- Internationaler Systemwandel
- Kristi Raik/Mika Aaltola/Jyrki Kallio/Katri Pynnöniemi: The Security Strategies of the US, China, Russia and the EU. Living in Different Worlds, Helsinki: Finnish Institute of International Affairs, Juni 2018
- Peter Rudolf: Der amerikanisch-chinesische Weltkonflikt. Berlin: SWP, Oktober 2019.
- Bobo Lo: Greater Eurasia: The Emperor’s New Clothes or the Idea whose Time Has Come? Paris: Institut français des relations internationales (Ifri), Études de l’Ifri, Russie.Nei.Reports, No. 2, Juli 2019.
- Paul Dibb: How the geopolitical partnership between China and Russia threatens the West. Canberra: ASPI, November 2019
- Cheol Hee Park: Strategic Estrangement between South Korea and Japan as Barrier to Trilateral Cooperation. Washington, D.C.: Atlantic Council, 2019.
- Rüstungskontrolle und regionale Ordnung in Europa
- Samuel Charap/Jeremy Shapiro/Alexandra Dienes/Sergey Afontsev/Péter Balás/Rodica Crudu/James Dobbins/Vasyl Filipchuk/Diana Galoyan/Ulrich Kühn/Andrei Popov/Yauheni Preiherman/Pernille Rieker/Nikolai Silaev/Olesya Vartanyan/Andrei Zagorski: A Proposal for a Revised Regional Order in Post-Soviet Europe and Eurasia. Santa Monica, Cal.: RAND Corp., 2019
- Wolfgang Richter: Erneuerung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa. Vom Gleichgewicht der Blöcke zur regionalen Stabilität in der Krise. Berlin: SWP, Juli 2019
- Buchbesprechungen
- Sammelbesprechung „Entstehung und Verfall internationaler Ordnung“
- Joshua R. Itzkowitz Shifrinson: Rising Titans, Failing Giants. How Great Powers Exploit Power Shifts. Ithaca and London: Cornell University Press 2018, 276 Seiten
- Donald Stoker: Why America Loses Wars. Limited Wars and US Strategy from the Korean War to the Present. Cambridge: Cambridge University Press 2019, 336 Seiten
- Stefan Fröhlich: Das Ende der Selbstfesselung. Deutsche Außenpolitik in einer Welt ohne Führung. Wiesbaden: Springer Verlag 2019. 166 S.
- Bildnachweise
- Disarmament, Demobilization, and Reintegration – An underdeveloped diplomatic tool in Yemen
Artikel in diesem Heft
- Titelseiten
- Editorial
- Editorial
- Aufsätze
- Die internationale Ordnung: Bestandsaufnahme und Ausblick
- Wie das Unmögliche möglich wurde – Die erfolgreiche Schaffung einer funktionierenden internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg
- Doppelte Wendezeit
- Den Westen neu denken. Wege aus der Krise der freien Welt
- Kurzanalysen und Berichte
- Der INF-Vertrag im Epochenwandel
- Brauchen wir einen Europäischen Sicherheitsrat?
- Ergebnisse internationaler strategischer Studie
- Internationaler Systemwandel
- Kristi Raik/Mika Aaltola/Jyrki Kallio/Katri Pynnöniemi: The Security Strategies of the US, China, Russia and the EU. Living in Different Worlds, Helsinki: Finnish Institute of International Affairs, Juni 2018
- Peter Rudolf: Der amerikanisch-chinesische Weltkonflikt. Berlin: SWP, Oktober 2019.
- Bobo Lo: Greater Eurasia: The Emperor’s New Clothes or the Idea whose Time Has Come? Paris: Institut français des relations internationales (Ifri), Études de l’Ifri, Russie.Nei.Reports, No. 2, Juli 2019.
- Paul Dibb: How the geopolitical partnership between China and Russia threatens the West. Canberra: ASPI, November 2019
- Cheol Hee Park: Strategic Estrangement between South Korea and Japan as Barrier to Trilateral Cooperation. Washington, D.C.: Atlantic Council, 2019.
- Rüstungskontrolle und regionale Ordnung in Europa
- Samuel Charap/Jeremy Shapiro/Alexandra Dienes/Sergey Afontsev/Péter Balás/Rodica Crudu/James Dobbins/Vasyl Filipchuk/Diana Galoyan/Ulrich Kühn/Andrei Popov/Yauheni Preiherman/Pernille Rieker/Nikolai Silaev/Olesya Vartanyan/Andrei Zagorski: A Proposal for a Revised Regional Order in Post-Soviet Europe and Eurasia. Santa Monica, Cal.: RAND Corp., 2019
- Wolfgang Richter: Erneuerung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa. Vom Gleichgewicht der Blöcke zur regionalen Stabilität in der Krise. Berlin: SWP, Juli 2019
- Buchbesprechungen
- Sammelbesprechung „Entstehung und Verfall internationaler Ordnung“
- Joshua R. Itzkowitz Shifrinson: Rising Titans, Failing Giants. How Great Powers Exploit Power Shifts. Ithaca and London: Cornell University Press 2018, 276 Seiten
- Donald Stoker: Why America Loses Wars. Limited Wars and US Strategy from the Korean War to the Present. Cambridge: Cambridge University Press 2019, 336 Seiten
- Stefan Fröhlich: Das Ende der Selbstfesselung. Deutsche Außenpolitik in einer Welt ohne Führung. Wiesbaden: Springer Verlag 2019. 166 S.
- Bildnachweise
- Disarmament, Demobilization, and Reintegration – An underdeveloped diplomatic tool in Yemen