Wie können die Gesundheitsversorgung, -förderung und Prävention regional optimiert werden? Die Entwicklung der Gesundheitsregionenplus in Bayern
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Malte Bodeker
, Timo Deiters
Zusammenfassung:
Die Vernetzung lokaler Akteure ist eine strukturelle Voraussetzung zur Optimierung der Gesundheitsversorgung, Pravention/Gesundheitsforderung und Regionalentwicklung. In 33 bayerischen Gesundheitsregionenplus werden hierzu Akteure aus dem Gesundheitswesen sowohl untereinander, als auch mit angrenzenden Politikbereichen vernetzt, um regionale Public Health-Probleme kooperativ zu losen und Synergiepotenziale zu erschließen.
Abstract
Linking local agents and stakeholders is a key requirement for improving health care, health promotion and prevention as well as integrated regional development. Therefore, 33 “Health Regionsplus” involving representatives from the health care sector and other policy areas have been established in Bavaria to innovate solutions for regional health issues and to tap into synergy potential.
Einleitung
Die Vernetzung lokaler Akteure ist eine strukturelle Voraussetzung, um die Gesundheitsversorgung, Prävention und Gesundheitsförderung vor Ort zu optimieren [1, 2] sowie gesundheitliche Belange stärker in die Regionalentwicklung integrieren zu können [3, 4]. Nach einer Übersicht aus dem Jahr 2015 verfügt jedoch erst ca. ein Drittel der Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland über Gesundheitskonferenzen, in denen die sektorenübergreifende Zusammenarbeit und der „Health in All Policies“-Ansatz [5] organisiert werden können [6].
In Bayern werden kreisfreie Städte und Landkreise durch das Förderprogramm Gesundheitsregionenplusdes Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (StMGP) über einen Zeitraum von fünf Jahren dabei unterstützt, regionale Netzwerkstrukturen aufzubauen, weiterzuentwickeln und zu verstetigen. In den Netzwerken wirken Entscheidungsträger und Akteure aus dem Gesundheitswesen und angrenzenden Politikbereichen mit, die vor Ort bei der Gesundheitsversorgung und -förderung eine wesentliche Rolle innehaben (vgl. Tabelle 1). Strukturiert wird die Zusammenarbeit dieser Akteure durch ein Gesundheitsforum zur strategischen Planung, Arbeitsgruppen zur Gesundheitsversorgung, Prävention/Gesundheitsförderung sowie weiteren (optionalen) Handlungsfeldern und vor Ort eingerichtete Geschäftsstellen zur Organisation und Koordination innerhalb der Gesundheitsregionenplus. Eine übergreifende wissenschaftliche Begleitung erfolgt durch die Fachliche Leitstelle Gesundheitsregionenplus im Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Sie berät teilnehmende Regionen, bietet Fortbildungen an, fördert den Wissenstransfer zwischen den regionalen Netzwerken und evaluiert das Programm [7, 8].
Akteure der Gesundheitsregionenplus.
Gesundheitspolitik/ Administration | Ambulante /stationäre Gesundheitsversorgung und -förderung | Sozialversicherungsträger | Sonstige | ||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
– | Kreistag bzw. Stadtrat | – | Ärztekammer /Kreisärzteschaft, Kassenärztliche Vereinigung | – | Gesetzliche Krankenversicherung | – | Selbsthilfe |
– | Landratsamt bzw. Gesundheitsamt | – | Zahnärztekammer/ Kreiszahnärzteschaft | – | Gesetzliche Pflegeversicherung | – | Patientenvertreter/ Patientenschutz |
– | Sozial- und Jugendhilfe | – | Apothekerkammer | – | Gesetzliche Rentenversicherung | – | Wohlfahrtsverbände |
– | Verkehr | – | Psychotherapeutenkammer | – | Gesetzliche Unfallversicherung | – | Universitäten, Hochschulen |
– | Umwelt | – | Heilberufe (Pflege, Hebammen, Ergo-/Physiotherapie, Logopädie) | – | Sportverbände | ||
– | Schule | – | Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge | – | Volkshochschulen | ||
– | Bildung | – | Stationäre Einrichtungen der Krankenversorgung, | – | Lokale Akteure | ||
– | Arbeit | Landeskrankenhausgesellschaft, ggf. Pflege-/Reha-Einrichtungen | – | Lokale Beauftragte | |||
– | Wirtschaft | – | Träger ambulanter nichtärztlicher, pflegerischer und sozialer Leistungen | – | Lokale Netzwerke | ||
– | Träger der Prävention und Gesundheitsförderung | – | Sozialpartner |
Quelle: Konzeptionelle Empfehlungen zum Akteursspektrum [7].
Erste Ergebnisse der Implementierungsphase
Seit dem Jahr 2015 wurden in Bayern 33 Gesundheitsregionenplus etabliert (Stand: Oktober 2016). Hierzu zählen drei kreisfreie Städte, 22 Landkreise und 8 kreisübergreifende Bündnisse von je zwei Gebietskörperschaften, die aufgrund räumlicher Bezüge und Mitversorgungseffekten gebildet wurden (vgl. Tabelle 2). Insgesamt sind damit bisher 41 der 96 Landkreise und kreisfreien Städte im Freistaat Teil der Gesundheitsregionenplus (Stand: Oktober 2016).
Dreiunddreißig Gesundheitsregionenplus in Städten, Landkreisen und Bündnissen Bayerns.
3 kreisfeie Städte | Fürth, Nürnberg, Straubing |
22 Landkreise | Berchtesgadener Land, Cham, Dillingen a.d. Donau, Donau-Ries, Ebersberg, Erding, Freising, Forchheim, Garmisch-Partenkirchen, Günzburg, Haßberge, Kronach, Landsberg am Lech, Miltenberg, Neustadt a.d. Aisch-Bad Windsheim, Passau, Regen, Rosenheim, Roth, Weilheim-Schongau, Weißenburg-Gunzenhausen, Wunsiedel i. Fichtelgebirge |
8 kreisübergreifende Bündnisse | Bäderland Bayerische Rhön (Bad Kissingen und Rhön-Grabfeld) sowie Zusammenschlüsse der Städte und Landkreise Ansbach, Bamberg, Coburg, Erlangen/Erlangen-Höchstadt, Hof, Regensburg, Würzburg |
Quelle: Fachliche Leitstelle Gesundheitsregionenplus am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Nürnberg.
Erste Erkenntnisse zur regionalen Umsetzung des Konzepts [7, 8] liegen aus Fortschrittsberichten der regionalen Geschäftsstellen und übergreifenden Analysen der Fachlichen Leitstelle Gesundheitsregionenplus vor. Die Berichte belegen, dass die Geschäftsstellen in kurzer Zeit errichtet werden konnten und sich die Gesundheitsforen sowie mindestens zwei obligatorische Arbeitsgruppen zur Gesundheitsversorgung und Prävention/Gesundheitsförderung erfolgreich in den Regionen konstituiert haben. Im Verlauf wurden weitere Arbeitsgruppen gegründet und durch Unterarbeits- oder Projektgruppen ergänzt bzw. ausdifferenziert. So konnten Stand Mai 2016 bereits in jeder zweiten Gesundheitsregionplus zusätzliche Gremien gebildet (durchschnittlich 2,8±1,0 AGs im Programmgebiet) und erste Projekte initiiert werden (3,3±3,0 Projekte). Zentrale Themen der Arbeitsgruppen wurden auf Basis regionaler Bedarfsanalysen unter Verwendung von „Gesundheitsatlas Bayern“ [9], Versorgungsatlanten [10], Erhebungen der Geschäftsstellen und Expertengesprächen ermittelt. Themenschwerpunkte aus dem Bereich der Gesundheitsversorgung waren u.a. die Haus- und fachärztliche Versorgung, Nachwuchs- und Fachkräftegewinnung sowie die Vernetzung zwischen ambulantem und stationärem Sektor. Im Bereich Prävention/Gesundheitsförderung lag der Fokus auf der gesundheitlichen Chancengleichheit, gesundem Altern und Aufwachsen (vgl. Tabelle 3). Darüber hinaus wurden die Jahresschwerpunkthemen des StMGP zur (psychischen) Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (2015, 2016) wie konzeptionell vorgesehen in allen Gesundheitsregionenplusdurch Gesundheitstage, Ausstellungen und Fachveranstaltungen umgesetzt.
Arbeitsgruppen im Programmgebiet der Gesundheitsregionenplus.
Handlungsfeld Prävention/Gesundheitsförderung | Handlungsfeld Gesundheitsversorgung | Weitere Handlungsfelder | |||
---|---|---|---|---|---|
– | Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen | – | Haus- und fachärztliche Versorgung | – | Pflege(-beratung) |
– | Gesunde Lebenswelten („Setting-Ansatz“) | – | Nachwuchs- & Fachkräftegewinnung | – | Gesundheitstourismus |
– | Kinder- und Jugendgesundheit | – | Ärztlicher Bereitschaftsdienst | – | Gesundheitswirtschaft |
– | Gesundheit im Alter | – | Ärztliche Weiterbildung | – | Rehabilitation |
– | Gesundheitliche Chancengleichheit | – | Rettungsdienst/Notfallversorgung | – | Telemedizin |
– | Gesundheit von Migranten | – | Krankenhausversorgung | – | Datenanalysen |
– | Bewegungsförderung | – | Vernetzung ambulant-stationärer Sektor | – | Gesunde Gemeinden |
– | Gesunde Ernährung | – | Hospiz- und Palliativversorgung (SAPV, AAPV) | ||
– | Suchtprävention | – | Onkologische Versorgung | ||
– | Gewaltprävention | – | Geriatrische Versorgung | ||
– | Betriebliche Gesundheitsförderung | – | Apotheken-/ Arzneimittelversorgung | ||
– | Versorgung Geflüchteter |
Quelle: Halbjährliche Fortschrittsberichte der Gesundheitsregionenplus an die Fachliche Leitstelle am LGL zum Stand Mai 2016. Berücksichtigt wurden die Berichte der 24 seit dem Jahr 2015 geförderten Regionen.
Diskussion
Die Gesundheitsregionenplus bieten sowohl ländlichen als auch städtischen Regionen die Möglichkeit, Problemstellungen in der Gesundheitsversorgung, Prävention/Gesundheitsförderung sowie angrenzenden Handlungsfeldern kooperativ zu lösen und Synergiepotenziale zu erschließen. Die ersten Ergebnisse aus der Implementierungsphase verdeutlichen, dass sich die Gesundheitsregionenplus ein breites Aufgabenspektrum auf die Agenda geschrieben haben. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt zeigen sich eine hohe Mitwirkungsbereitschaft der Akteure im Gesundheitswesen und eine zügige Implementierung der Geschäftsstellen, Gesundheitsforen und Arbeitsgruppen. Die Strukturqualität konnte damit in kurzer Zeit sichergestellt werden [vgl. 11].
Interessenkonflikt: Die Autoren sind in den Referaten des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege bzw. des Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit beschäftigt, in denen das Programm Gesundheitsregionenplus begleitet wird. Trotz des möglichen Interessenkonflikts ist der Beitrag unabhängig und produktneutral.
Forschungsförderung: Die Autoren erklären, dass sie keine Forschungsförderung erhalten haben.
Autorenbeteiligung: Alle Autoren tragen Verantwortung für den gesamten Inhalt dieses Artikels und haben der Einreichung des Manuskripts zugestimmt.
Literatur
1. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Koordination und Integration – Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens. Bonn, 2009.Search in Google Scholar
2. Nationale Präventionskonferenz. Bundesrahmenempfehlungen nach § 20d Abs. Köln & Berlin: 3 SGB V, 2016.Search in Google Scholar
3. Böhme C. Gesundheit und integrierte Stadtentwicklung. Public Health Forum 2012;20:2.e1–2.e4.10.1016/j.phf.2012.03.003Search in Google Scholar
4. Weth C. Die Bedeutung von Gesundheit in der Stadtentwicklungsplanung aus Sicht des Gesunde Städte-Netzwerkes. Public Health Forum 2012;20:15.e1–e3.10.1016/j.phf.2012.03.018Search in Google Scholar
5. McQueen DV, Wismar M, Lin V, Jones CM, Davies M. Intersectoral Governance for Health in All Policies: Structures, Actions and Experiences. Copenhagen: WHO Regional Office for Europe, 2012.Search in Google Scholar
6. Hollederer A. Gesundheitskonferenzen in Deutschland: ein Überblick. Gesundheitswesen. 2015;77:161–7.10.1055/s-0033-1361109Search in Google Scholar PubMed
7. Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. Konzept Gesundheitsregionenplus. Broschüre, Stand 09.03.2016. München: StMGP, 2016.Search in Google Scholar
8. Hollederer A, Eicher A, Pfister F, Stühler K, Wildner M. Vernetzung, Koordination und Verantwortung durch Gesundheitsregionenplus: Neue gesundheitspolitische Ansätze und Entwicklungen in Bayern. Gesundheitswesen 2015(EFirst). Epub 13.08.2015.10.1055/s-0035-1555892Search in Google Scholar PubMed
9. Schulz R, Scholz S, Kuhn J. „Gesundheitsprofile Bayern“ – Interaktive Gesundheitsberichterstattung auf Basis des „Gesundheitsatlas Bayern“. Gesundheitswesen 2013;75:V7.10.1055/s-0033-1337458Search in Google Scholar
10. Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB). Versorgungsatlas – Analyse aus erster Hand. Verfügbar unter: https://www.kvb.de/ueber-uns/versorgungsatlas/[26.09.2016].Search in Google Scholar
11. Hollederer A. Regionale Gesundheitskonferenzen und Gesundheitsregionenplus in Deutschland: Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualitäten. Public Health Forum 2016:24:22–25.10.1515/pubhef-2016-0008Search in Google Scholar
©2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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