Woher wir kommen, wo wir stehen, wohin wir gehen
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Joachim-Felix Leonhard
Die Deutsche Gesellschaft für Information und Wissen feiert in diesen Tagen ihren 75. Geburtstag und kann dabei auf eine in mehrfacher Hinsicht vielfältige, anregende, zuweilen auch aufregende und erfolgreiche Geschichte zurückblicken. Lassen Sie mich dazu – als Historiker und früherer Präsident – ein paar Anmerkungen machen.
Ganz so einfach, wie es nach außen scheint, wenn es um die Bezifferung von runden Geburtstagen geht, ist die Geschichte unserer Gesellschaft nicht: sie hat nämlich auch eine Vorgeschichte, die mitten in der nationalsozialistischen Terrorherrschaft mit der Gründung einer Deutschen Gesellschaft für Dokumentation (DGD) begann und die nicht wenig im Dienste der damaligen Zeit und Herrschaft stand und so zu sehen ist. Wenn unsere Gesellschaft nun das Jahr 1948 zum Ausgangspunkt einer 75-jährigen Geschichte gewählt hat, so geschah dies zu recht, denn der Nationalsozialismus war bis dahin verschwunden, wenngleich noch nicht überwunden, der von Deutschland ausgehende Zweite Weltkrieg war gerade einmal drei Jahre zuvor von außen beendet worden, und nach der zwölfjährigen Zeit der Unfreiheit sollte nun ein nicht nur materieller, sondern vor allem geistiger Wiederaufbau eine von den Alliierten ausgehende Re-education der Deutschen zu Demokratie und Freiheit erfolgen. Das hatte schon im Jahr 1945 begonnen, als vor allem rückkehrende Emigranten dazu beitrugen, diese Re-education erst über den Rundfunk, bald aber auch über die bald wiedererscheinenden Zeitungen, Zeitschriften und Bücher und nicht zuletzt über das gesprochene Wort individuell und Kollektiv zu initiieren.
1948 war aber auch das Jahr, in dem sich neue Bedrohungen für Freiheit und Demokratie durch die Abriegelung Berlins durch die Sowjetunion abzeichneten und Ernst Reuter, der Erste Bürgermeister von Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg, die Worte „Völker der Welt schaut auf diese Stadt“ ins Mikrofon sprach. 1948, das war auch die Zeit der Währungsreform in den Westzonen, 1948 war aber auch die Zeit der Konzeption eines freiheitlich-demokratischen Staates, zu dem sich die Vertreter aus damals elf Ländern auf Schloss Herrenchiemsee in Oberbayern zusammenfanden, um die Grundlagen für eine Verfassung für einen Bundesstaat zu entwickeln. Sie brachten ihre Gedanken in den Entwurf eines Grundgesetzes ein, das später vom Parlamentarischen Rat beraten und verabschiedet und damit auch zum politisch-historischen Rahmen für die Gründung einer Bundesrepublik Deutschland wurde. 1948 fanden auch nicht wenige ehrgeizige Besprechungen in der Frage statt, wo eine künftige Bundesregierung einen stets als „provisorisch“ bezeichneten Sitz haben sollte. Eine Entscheidung, aus der bekanntlich Bonn mit dem endgültigen Beschluss im Parlamentarischen Rat am 10. Mai 1949 als Sieger hervorging.
Und nun noch einmal ein Blick auf das Jahr 1948: in diesem Jahr nämlich kamen in dieser bewegten Zeit in Köln Fachvertreter aus dem Dokumentations- und Informations-, Bibliotheks- und Archivwesen zusammen, um eine auf Inhalte und Formen von Informationen und Dokumenten in Theorie und Praxis angelegte Fachgesellschaft zu gründen. Das war mehr als nötig, denn um diese Zeit markierten, die um 1935 in verschiedenen Ländern dieser Welt entwickelten neuen Rechen- und Rechnersysteme, die später den Namen Computer erhielten, Hinweise darauf, dass sich in der inhaltlichen und formalen Gestaltung, Erschließung und Vermittlung von Informationen und Dokumenten eine revolutionäre Entwicklung andeutete. Ein neuerlicher dokumentarischer Evolutionsschritt Mitte des 20. Jahrhunderts, nicht unähnlich einer Erfindung um die Mitte des 15. Jahrhunderts zuvor, die Johannes Gutenberg mit dem Druck von beweglichen Lettern zur größeren Verbreitung von Inhalten und Texten eingeleitet hatte.
Um 1948 hatten die Bibliothekare und Archivare jener Zeit alle Hände voll zu tun, sich dem Wiederaufbau ihrer Bibliothek zuzuwenden, doch haben sie den Erfindungen eines Z 3 von Konrad Zuse als einem Beispiel unter anderen offensichtlich nicht ausreichend Beachtung gewidmet, sondern verharrten nicht wenig in den überkommenen Methoden, mit denen sie Informationen und Dokumente erschlossen und an Nutzer vermittelten. Wie auch immer: die Dinge gerieten, wie die Zeitumstände, so auch hier in Fluss, was die Methodik anging und die Folgezeit der 1950er und 1960er Jahre bestimmen würden. Dann aber ging´s eigentlich so richtig los, und zwar unabhängig in beiden deutschen Ländern: hatte man dabei in der DDR die Zeichen der Zeit und die neuen Erfordernisse etwas früher erkannt und als Zentralstaat bald ein Zentralinstitut für Informationswissenschaft am 8. August 1963 gegründet, so dauert die Entwicklung in der föderalen und in ihren politischen Zuständigkeiten dezentral angelegten Bundesrepublik länger. Dann aber war es 1974, im Übrigen ein Jahr nach dem 25-jährigen Jubiläum der DGD, als die Bundesregierung das Programm der Bundesregierung zur Förderung von Information und Dokumentation 1974–1977 in grün-weißem Umschlag veröffentlichte. Bald wurde eine überregionale Gesellschaft für Information und Dokumentation (GID) und, damit im Zusammenhang, ein entsprechendes Institut in St. Augustin bei Bonn, gegründet. Auch wurden an nicht wenigen Universitäten wie z. B. in Konstanz und Fachhochschulen wie z. B. in Darmstadt Institute für Informationswissenschaft mit Lehrstühlen und Professuren eingerichtet. Es entstanden Fachinformationszentren (FIZ), die nicht selten mit den fachlich ausgerichteten Sondersammelgebieten, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) an ausgewiesenen überregionalen Bibliotheken förderte, zusammen arbeiteten. Ein Beispiel dafür war das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) in Köln, wo man sich neben den sich entwickelnden elektronischen Diensten zugleich (und auch deswegen) mit Fragen von Normdateien, Klassifikationen, Nomenklatur und manchem mehr zu beschäftigen hatte.
Es war also Bewegung in eine Sache gekommen, die sich zugleich auch als wesentliches Element einer sich entwickelnden Dienstleistungsgesellschaft verstand bzw. zu verstehen hatte: die konzentrierte Aufbereitung und Vermittlung von Informationen wurde im bipolaren Nebeneinander von analogen und digitalen Dokumenten als wesentlicher Faktor für Forschung, Lehre und Anwendung, aber auch für Planung, Entwicklung und Produktion in Unternehmen erkannt. Sie wurden in einer Zeit, in der sich das veröffentlichte Wissen nach den damaligen Berechnungen des amerikanischen Wissenschaftlers Derek de Solla Price bereits alle 5,2 Jahre verdoppelte, zum festen Bestandteil einer auf Rationalität ausgelegten und zukunftsorientierten Infrastruktur. Wo stünden wir heute, da sich das veröffentlichte Wissen über Publikationen und über das Internet nochmals beschleunigt hat und in erheblich kürzeren Zeiträumen verdoppelt, ohne diese fachliche Initialzündung Anfang der 1970er Jahre, an der auch unsere Fachgesellschaft nicht unwesentlich mitgewirkt hat.
Gehen wir mit Blick auf die Entwicklung der mit Informationen und Dokumenten befassten Fachverbände noch einmal kurz zurück auf die Nachkriegszeit: 1948 war aber auch etwas ganz Anderes im Fluss, nämlich der Veranstaltungsort in Köln. Die Gründungsversammlung der DGD fand auf einem Schiff auf dem Rhein statt, was dem Gründungsakt anlässlich des sich wandelnden informatorisch-dokumentarischen Umfelds eine besondere, metaphorisch ansprechende Bedeutung verlieh. Von nun an widmeten sich innerhalb der jungen DGD Fachleute aus verschiedenen wissenschaftlichen Feldern und Gebieten den sich abzeichnenden neuen Herausforderungen, fanden über Beratungen Wege und Lösungen zur Implementation von Empfehlungen, die unsere damalige DGD-Gesellschaft nicht nur in den allgemeinen Diskurs einbringen, sondern auch als Gegenstand von Politikberatung in Förderprogramme von Regierung(en) etc. einbringen konnte. Die Vielfalt der fachlich-beruflichen Provenienz zeichnete sich schon damals bei den einzelnen Mitgliedern in Fachgruppen und Arbeitsgruppen ab und war auch im Vorstand bis hin zu den einzelnen Präsidenten gegeben. Dass Kolleginnen und Kollegen aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich wie aus Unternehmen, Geisteswissenschaftler und Ingenieure und Naturwissenschaftler in einzelnen Fachgruppen zusammenkommen, erscheint mir in der rückwärtigen Betrachtung als ein wichtiges Markenzeichen der DGI, das es in den beiden Nachbarfachverbänden der Bibliothekare bzw. Archivare so ausgeprägt nicht gibt.
Die folgenden 25 Jahre waren geprägt von einer deutlichen Ausweitung von Informationswissenschaft in Theorie und Praxis in Deutschland und, im Verständnis globaler Anwendungen, weit darüber hinaus. Eine wesentliche Neuerung bot dabei insbesondere der Einsatz des Internets und, in Verbindung damit, auch eine deutlichen Ausweitung der elektronischen Kommunikation und medialen Vermittlung. Das bedeutete nicht mehr und nicht weniger als eine erhebliche Erhöhung und Migration der Komplexität von bisher gewohnten Funktionen in einen sich immer weiter als Netzwerk von Millionen von Anwendern vollziehenden Prozess, was gleichwohl aber auch neue Fragen und Probleme aufwarf. Dies erforderte nicht wenig Umstellung bereits in der Ausbildung und im Studium von Dokumentaren, für die die DGD wie die heutige DGI stets Entwicklungen für Berufsbilder und curriculare Konzepte betrieb, aber auch in der Weiter- und Fortbildung, für die in Fachgruppen unserer Fachgesellschaft Empfehlungen erarbeitet wurden. Im Grunde genommen gilt dies bis heute, da die technologische Entwicklung im Informationsbereich weiterging und stets entsprechende methodische Anpassung in den Curricula, aber auch in konkreter Anwendung erforderte. Um ein Beispiel herauszugreifen: schon vom Anfang zunehmend immateriell werdender Informationstechnologie stellte sich im Blick auf die Nachhaltigkeit im Umgang mit Dokumenten auch die Frage nach dem „Was“, „Wie“ und „Wo“ der Archivierung elektronischer Daten in Massenspeichern und anderen Speichern bis hin zur heutigen Cloud. Bezogen sich die ersten und früheren Überlegungen dabei auf Festplatten und physische Träger wie CD-ROM, so machte der rasant zunehmende E-Mail-Verkehr schon in der Vor-Internetzeit deutlich, dass es eben nicht nur genügte, elektronische Post gleichsam kumulativ abzulegen, sondern auch mit einem entsprechenden Retrieval System wieder auffindbar zu machen. Als mir als späterem Leiter einer Behörde Anfang der 2000er Jahre der Vorschlag gemacht wurde, man könne doch zwecks Einsparung von Platz, Zeit und Personal die in sich sehr divergierende Eingangspost schlicht digitalisieren, konnte ich als Bibliothekar, Archivar und Dokumentar darauf hinweisen, dass es ohne eine entsprechende Indexierung bzw. Verschlagwortung kaum möglich sein würde, die solchermaßen digitalisierten Bestände später auch wieder zugriffsfähig zu machen.
Diese Frage nach dem Retrieval hat sich in heutigen Zeiten von Cloudarchivierung vermutlich deutlich reduziert, doch kommt es auch hier darauf an, bestimmte Ordnungsprinzipien und Klassifikationen so verlässlich vorzuhalten, dass die in der Zwischenzeit ja auch gewaltig gestiegenen Massen von Dokumenten überhaupt wieder zur Nutzung hervorgeholt werden können. Mit derartigen Fragen hatte man sich ab den 1970er und 1980er Jahren von der fachlichen Seite in entsprechenden Fachgruppen der DGD intensiv beschäftigt, ja auch als Fachgesellschaft beschäftigen müssen und dies ist auch erfolgreich geschehen. Auch konnten im Verlauf der deutschen Wiedervereinigung bisher in Ost und West getrennte Fachverbände und Sichtweisen zu einem neuen Ganzen zusammengeführt werden, was nicht nur für die DGD galt, sondern auch im weiteren Umfeld neue Entwicklungen freisetzte: so wurde beispielsweise das bis dahin in Frankfurt angesiedelte Lehrinstitut für Dokumentation nach Potsdam verlagert, als dort innerhalb der neu gegründeten Fachhochschule Potsdam ein Fachbereich für Archivwesen, Bibliothekswesen und Dokumentationswesen eingerichtet wurde. Daran hatten vor allem unser Ehrenmitglied Prof. Hempel, der damalige Gründungspräsident der Fachhochschule Prof. Dr. Knüppel und ich erfolgreich mitwirken und den damaligen Wissenschafts- und Kuturminister des Landes Brandenburg Dr. h.c. Hinrich Enderlein bei seinen Entscheidungen mit Rat und Tat unterstützen können.
Desungeachtet und, unabhängig von den inhaltlich-methodischen Diskussionen und Diskursen innerhalb der Fachgesellschaft, war die DGD noch in den Jahren vor der Wiedervereinigung in nicht unerhebliche Schwierigkeiten geraten. Diese waren nicht zuletzt materiell-finanzieller Art, und diese bewältigt zu haben, ist das große Verdienst des damaligen Präsidenten Arnoud de Kemp, der von 1990 bis 1996 amtierte und das DGD-Schiff aus seinen Turbulenzen wieder in ruhige Wasser führte.
Unabhängig davon waren für die DGD auch inhaltliche und strukturelle Reformen angesagt. Das zeigte sich insbesondere darin, dass die Zahl von Arbeitsgruppen über einige Jahre ein gehöriges Maß angenommen hatte, sodass über die einzelnen Aufgabenfelder von Fach- und Arbeitsgruppen der Gesamtüberblick verloren zu gehen drohte. So beschloss der Vorstand unter dem nachfolgend von 1996 bis 1999 amtierenden Präsidenten Prof. Dr. Joachim-Felix Leonhard, diese inhaltlich strategischen Ziele anzugehen und unsere Fachgesellschaft einem Reformprozess unter Beteiligung aller Mitglieder zu unterziehen. Weniger sollte es darauf ankommen, wer von welcher Fach- und Arbeitsgruppe her Fragen der Informationswissenschaft in Theorie und Praxis betrachtete, als vielmehr darum, Inhalte und Vermittlungsformen nutzerorientiert in den Vordergrund zu rücken. Das bedeutete auch, bald 50 Jahre nach Gründung unserer DGD und von ihr aus, interdisziplinär den Kontakt zu den bibliothekarischen und archivarischen Berufsverbänden aufzunehmen, die ihrerseits mit ähnlichen Themen der modernen Informations- und Dokumentverwaltung und -vermittlung befasst waren und entsprechend strategische Konzeptionen aufbauten. Ein erstes Ergebnis neuer Zusammenarbeit war ein von der DGD initiierter und mit allen sechs bibliothekarischen Fachverbänden lange vorbereiteter und im Marz 2000 ausgerichteter erster gemeinsamer Kongress mit dem bezeichnenden Thema „Information und Öffentlichkeit“, der in Leipzig auf dem dortigen Messegelände stattfand. Zum ersten Mal fanden sich damit Dokumentare und Bibliothekare zum fachlichen Austausch über gemeinschaftliche Themen zusammen, wo sonst vergleichbare Themen auf eigenständigen Fachtagungen der Bibliotheksverbände und der DGD stattgefunden hatten.
Innerhalb der DGD brachten die intensiven Erörterungen zu strategischen Fragen der Zukunftsentwicklung aber auch die Frage auf, ob die Bezeichnung „Deutsche Gesellschaft für Dokumentation“ angesichts des gewachsenen inhaltlichen Bezugs auf „Information“ in Wissenschaft und Praxis für die weitere Zeit noch sinnvoll sein könne. Man näherte sich Ende der 1990er Jahre dem 50-jährigen Geburtstag unserer Fachgesellschaft und damit einer für die folgenden Jahre maßgeblichen Mitgliederversammlung, die, wie hätte es nach der Gründungsversammlung 1948 anders sein können, am Rhein in Bonn stattfand. Zwar begab man sich diesmal nicht auf ein Schiff, sondern diskutierte in der Bonner Universität intensiv, ausgiebig und nicht zuletzt auch leidenschaftlich die vom Vorstand vorgetragenen Thesen zur inhaltlichen Ausrichtung für die Zukunft. Es war eine denkwürdige Veranstaltung, die viel neue Orientierung in Sachfragen, aber auch in der Neuordnung von Fachgruppen, regionalen Arbeitskreisen und in den Verbindungen zu verschiedenen anderen Berufsverbänden erbrachte. Als eine bedeutsame Veranstaltung kann hier die von der DGD und verschiedenen anderen Fachverbänden wie der Gesellschaft für Informatik, aber auch von pädagogischen Institutionen getragene Konferenz angesehen werden, die sich mit der Frage, „was die Informatik für das Lernen im Schulunterricht bedeuten könne“, zwei Tage in Erfurt befasste. Darüber wurde, wie auch sonst über alle möglichen Themen, unter der stets sachkundigen Redaktion von Marlies Ockenfeld in der Zeitschrift „Nachrichten für Dokumentation“ (nfd) berichtet. Stets war es um diese Zeit das Bestreben des Vorstands, Netzwerkbildung innerhalb unserer Fachgesellschaft mit den regionalen Arbeitskreisen, aber auch außerhalb mit den Verbänden der Bibliothekare und Archivare zu betreiben, um die Themen von Informationswissenschaft und Informationspraxis zu diskutieren und nicht zuletzt aus fachlicher Kompetenz heraus die interessierte (auch politische) Öffentlichkeit im Sinne der Politikberatung anzusprechen. Es nimmt deshalb kaum Wunder, dass in Bonn 1998 auch über den Namen intensive und leidenschaftliche Erörterungen stattfanden, die am Ende in der mit großer Mehrheit angenommenen Veränderung des Namens der Fachgesellschaft in Deutsche Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis mündeten.
Seit dieser Mitgliederversammlung in Bonn sind nun wieder 25 Jahre vergangen, und die DGI hat in der Zwischenzeit die Erfordernisse der Anpassung an veränderte Nutzerinteressen und vor allem an informationstechnologische Erfordernisse angenommen. Die Beziehungen zu den bibliothekarischen Fachverbänden haben sich bedauerlicherweise wieder gelöst, doch könnte sich dies ja auch wieder eines Tages in andere Richtung ändern. Wesentlich ist etwas anderes: während im Jahre 1948 die Neuartigkeit der elektronischen Informationsverarbeitung und -vermittlung als wesentlicher Ausgangspunkt für innovative Informationsangebote und Nutzungsmöglichkeiten auf die Agenda genommen und diese anschließend entsprechend entwickelt wurden, hatte man nach den ersten 25 Jahren, auch im Rahmen des erwähnten IuD-Programms der Bundesregierung, dies mit entsprechender fachlicher Expertise und Innovation begleiten können. Hatte man nach dem 50-jährigen Jubiläum in den vergangenen 25 Jahren bis vor kurzer Zeit noch das Prinzip der Weiterentwicklung vor Augen haben können, so werden nicht wenige Aufgaben bleiben, die auch schon in der Vergangenheit zu lösen waren, doch kommt nun revolutionär Neues mit dem Aufkommen von Artificial Intelligence bzw. Künstlicher Intelligenz hinzu, denn: KI wirft grundsätzliche Fragen auf: Wie wird es mit der Authentizität und Echtheit von Dokumenten sein, wenn ein Autor oder eine Autorin und Gruppe nicht mehr erkennbar sind? Was ist wahr und was ist unwirklich und falsch oder schlicht fake? Wie steht es mit dem Schutz des geistigen Schöpfertums im Blick auf Urheberrechte und Leistungsschutzrechte? Das sind nur drei von vielen Fragen, die diese neue Revolution im Informationswesen und bei der Behandlung von Dokumenten in Inhalt und Form aufwerfen.
So merkwürdig es klingen mag: Es scheint eine gewisse Regelmäßigkeit mit Blick auf die jeweiligen Jubiläumstermine unserer Fachgesellschaft gegeben zu haben, wenn alle 25 Jahre innerhalb der jetzt mittlerweile 75 Jahre, die unsere DGI zählt, jeweils große und vergleichsweise revolutionäre Änderungen und Anpassungen ankamen und jetzt wieder anstehen. Ging es bei den bisherigen Veränderungen im Umfeld um von Menschen erzeugte Informationen und Dokumente und deren Verwaltung und Vermittlung, so geht es hier um mehr: wie bei allen evolutionären Sprüngen seit einigen Jahrhunderten, geht es hier darum, dass Regulative entwickelt werden, auf dass der Mensch immer noch die Technik beherrscht und nicht die Technik ihn.
Am Abend des Zusammenseins anlässlich des Jubiläums-Symposiums hier in Frankfurt mag deshalb ein Satz aus Goethes Egmont stehen: „was hilft es, auf den eigenen Gedanken zu beharren, wenn sich die Welt um uns herum ändert“. Ich füge diesem, schon allein zum Nachdenken anregenden Satz, noch einen Aphorismus von Goethes hessischem Landsmann Georg Christoph Lichtenberg aus Ober-Ramstadt bei Darmstadt bei, der einmal formulierte: „wer nichts als die Chemie versteht, versteht auch die nicht recht“. Bis heute denke ich über beide Sätze nach, denn die Goethe´sche Sentenz hat mich zum Nachdenken gebracht, als mich die Einführung der Datenverarbeitung und modernen elektronischen Informationsvermittlung Ende der 1980er Jahre an der Universitätsbibliothek Tübingen beschäftigte, und Lichtenbergs Bemerkung noch viel früher, als der Aphorismus Thema meines Abituraufsatzes war.
Über beides nachzudenken, könnte gerade jetzt angesichts neuerlichen Wandels und Einflusses angesichts Künstlicher Intelligenz lohnenswert sein – für die Mitglieder der DGI und für uns alle.
© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Artikel in diesem Heft
- Frontmatter
- 75-Jahre DGI
- Woher wir kommen, wo wir stehen, wohin wir gehen
- Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation
- Die Qualifizierung zum „Wissenschaftlichen Dokumentar“ am Lehrinstitut für Dokumentation 1966 bis 1991 – berufsbegleitende Weiterbildung der DGD als Strukturmodell
- Arbeitsausschüsse, Komitees, Fachgruppen: Inhaltliche Arbeit der DGD
- Open Access
- Openess anders denken
- Benutzerforschung
- Der Backlink als Indikator für Wissenstransfer in Infrastrukturen: Eine explorative Studie am Deutschen Bildungsserver (DBS)
- Personalie
- Andreas Heinecke – Wissenschaftlicher Dokumentar und Sozialunternehmer
- Buchbesprechung
- Terminologie der Information und Dokumentation Grundwortschatz, 3., neu bearbeitete Ausgabe (TID 3.1). Axel Ermert, Monika Hagedorn-Saupe, Barbara Müller-Heiden, Marlies Ockenfeld (Redaktion). Fachgruppe Arbeitskreis Terminologie und Sprachfragen (AKTS) der Deutschen Gesellschaft für Information und Wissen (DGI). – Frankfurt am Main 2023, (DGI-Schrift Informationswissenschaft – 13; ISSN 0940 6662). – XII + 144 Seiten, Register, Verzeichnis englischer und französischer Benennungen. – ISBN Gebundene Ausgabe 978-3-925474-74-3, ISBN E-Book (PDF) 978-3-925474-75-0, 19,80 Euro (für DGI-Mitglieder 15,80 Euro)
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