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Rechtspopulismus als soziale Bewegung

  • Dieter Rucht

    Dieter Rucht, em. Professor für Soziologie, war bis Mitte 2011 am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin und an der Freien Universität tätig. Seit 2012 ist er Vorstandsvorsitzender des Vereins für Protest- und Bewegungsforschung, aus dem 2015 das unabhängige Institut für Protest- und Bewegungsforschung hervorging.

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Veröffentlicht/Copyright: 26. August 2017
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Zusammenfassung

Der Beitrag zielt auf die Entfaltung eines sozialwissenschaftlichen Erklärungsrahmens für die Konjunktur rechtspopulistischer Strömungen. Rechtspopulismus wird als Produkt einer makrostrukturellen Konstellation und seiner Form nach als soziale Bewegung bestimmt. Entlang seines Verhältnisses zu den Kriterien Menschenwürde, soziale Gleichheit, Nationalismus und Ethnozentrismus, der liberal-repräsentativen Demokratie, den gesellschaftlichen Eliten sowie dem staatlichen Gewaltmonopol wird er analytisch gefasst. Stärker als andere Strömungen im rechten Spektrum kennzeichnet den Rechtspopulismus eine systematische Ambivalenz gegenüber diesen Aspekten. Zugleich erweist sich der Rechtspopulismus als spezifische Formation innerhalb einer umfassenderen rechten Bewegung und weist in vielfacher Form Verbindungen zu genuin rechtsradikalen Strömungen auf. Verbreitete Ad-hoc-Erklärungen können die Entwicklung des Rechtspopulismus insbesondere in international vergleichender und längere Zeiträume umfassender Perspektive allerdings nicht hinreichend plausibilisieren. Ein universell angelegter Erklärungsrahmen erfordert daher jenseits zeit- und anlassbedingter Manifestationen des Rechtspopulismus die Berücksichtigung längerfristiger Tiefenströmungen und ihrer spezifischen Überlagerungen. Hierbei handelt es sich um ökonomisch-materielle Deprivation, politische Entfremdung und kulturelle Desorientierung.

Abstract

The contribution aims to develop a social science framework to explain the rise of right wing populist tendencies. Right wing populism is determined as the product of a macrostructural constellation that takes the form of a social movement. It is analyzed in terms of its relation to the criteria of social equality, nationalism and ethnocentrism, liberal-representative democracy, societal elites and the state monopoly on the use of force. Stronger than other tendencies, right wing populism is characterized by a systematic ambivalence in relation to these aspects. At the same time, right wing populism proves to be a specific formation within a more comprehensive right wing movement and manifests many links to genuinely right wing radical tendencies. Common ad hoc explanations, however, are not able to plausibly explain the development of right wing populism in a comparative perspective that also encompasses international and longer-term observations. A universal framework therefore, apart from time and occasion specific manifestations of right wing populism, needs to consider longer-term deep tendencies and their specific overlaps. These are economic material deprivation, political alienation and cultural disorientation.

Über den Autor / die Autorin

Dieter Rucht

Dieter Rucht, em. Professor für Soziologie, war bis Mitte 2011 am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin und an der Freien Universität tätig. Seit 2012 ist er Vorstandsvorsitzender des Vereins für Protest- und Bewegungsforschung, aus dem 2015 das unabhängige Institut für Protest- und Bewegungsforschung hervorging.

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Online erschienen: 2017-8-26
Erschienen im Druck: 2017-6-27

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Artikel in diesem Heft

  1. Frontmatter
  2. Editorial
  3. Die neue Normalität?
  4. Aktuelle Analyse
  5. Allzeit fern des Durchschnitts: Politische Ansichten der AfD-Anhänger
  6. Aktuelle Analyse
  7. Tabubruch, Provokation, Opferstatus: Wie die AfD jenseits ihrer „bürgerlichen“ Fassade Politik betreibt, offenbart ihr Strategiepapier für das Wahljahr 2017
  8. Themenschwerpunkt
  9. Rechtspopulismus als soziale Bewegung
  10. Themenschwerpunkt
  11. Linkspopulismus – die andere Seite der populistischen Medaille
  12. Themenschwerpunkt
  13. In Bewegung gegen rechte Bewegungen
  14. Themenschwerpunkt
  15. Ist ein Dialog mit Pegida (noch) möglich?
  16. Themenschwerpunkt
  17. Das schwächste Glied der Kette
  18. Themenschwerpunkt
  19. Angst-Traum „Angst-Raum“
  20. Themenschwerpunkt
  21. Ethnos vs. Demos: Der exkludierende ‚Volks‘-Begriff und dessen Anschlussstellen für antimuslimische Positionen im zeitgenössischen Rechtspopulismus
  22. Themenschwerpunkt
  23. Engagement- und Demokratiepolitik vor der rechtspopulistischen Herausforderung
  24. Sonderschwerpunkt Privatheit und Demokratie
  25. Privatheit und Demokratie
  26. Sonderschwerpunkt Privatheit und Demokratie
  27. Das Vermessen kommunikativer Räume
  28. Sonderschwerpunkt Privatheit und Demokratie
  29. Privatheit und Transparenz in der Demokratie
  30. Sonderschwerpunkt Privatheit und Demokratie
  31. Transparenz und Anonymität: Potentiale, Grenzen, Irrtümer
  32. Sonderschwerpunkt Privatheit und Demokratie
  33. Anonymität und Demokratie
  34. Sonderschwerpunkt Privatheit und Demokratie
  35. Ökonomisierung von Nutzerverhalten – historische Entwicklung und aktueller Stand
  36. Sonderschwerpunkt Privatheit und Demokratie
  37. Privatheit, Entfremdung und die Vermarktung persönlicher Daten
  38. Sonderschwerpunkt Privatheit und Demokratie
  39. Online-Privatheitskompetenz und deren Bedeutung für demokratische Gesellschaften
  40. Sonderschwerpunkt Privatheit und Demokratie
  41. Demokratische Privacy by Design
  42. Pulsschlag
  43. Analyse: Die „dunkle Seite der Zivilgesellschaft“ – Weniger Empörung, mehr Aufklärung bitte!
  44. Pulsschlag
  45. Analyse: Zivilgesellschaftliches Engagement gegen Abschiebungen in Brandenburg
  46. Pulsschlag
  47. Analyse: Reaktionen auf (geplante) Unterkünfte für Geflüchtete
  48. Pulsschlag
  49. Tagungsbericht: „Rechtspopulismus als Bewegung?“ – Jahrestagung des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung
  50. Pulsschlag
  51. Nachwuchspreis: FORENA-Nachwuchspreis
  52. Pulsschlag
  53. Analyse: Vorbeugen statt Reparieren?
  54. Literatur
  55. Rezensionen: Eine globale Revolte gegen den humanistischen Universalismus
  56. Literatur
  57. Der Wandel der extremen Rechten in Europa
  58. Literatur
  59. Pegida im Prisma der Sozialwissenschaft
  60. Literatur
  61. Die AfD: Der Freiheitsrausch verwandelt sich in Autoritarismus
  62. Literatur
  63. Sachliche Einordnung in aufgeheizten Zeiten
  64. Literatur
  65. Aufbegehren in der Abstiegsgesellschaft
  66. Literatur
  67. Der Aufstieg des Front National als Psychogramm
Heruntergeladen am 30.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/fjsb-2017-0024/html
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