Zusammenfassung
Im Umgang mit der Konjunktur des Populismus schlagen sich derzeit ein beginnender Prozess der Entglobalisierung und der Glaubwürdigkeitsverlust des kosmopolitischen Narrativs des Neoliberalismus nieder. Obzwar Populismus derzeit vor allem von rechts mobilisiert wird, zeigen sich auch zahlreiche Ansätze eines Gegenpopulismus von links. Als „dünne Ideologie“ im Sinne Michael Freedens ist Populismus richtungspolitisch keineswegs festgelegt. Im Kern beruht er auf einer Volte gegen das Establishment und die Eliten im Namen des „Volkes“, dessen „Souveränität“ es wieder herzustellen gelte. Er findet seinen Resonanzraum aufgrund der Auflösung der großen politischen Subkulturen und der Fokussierung der Volksparteien auf die Mitte und kann sich seit den 1970er-Jahren dauerhaft verselbständigen. Im europäischen Kontext ist der genuine Linkspopulismus nicht in Absehung von der jeweiligen Einstellung zur EU zu verstehen. Der Beitrag skizziert vor diesem Hintergrund eine differenzierte Phänomenologie der linkspopulistischen Strömungen in Europa (Podemos, Syriza, Parti de gauche und La France insoumise) und geht auf Vordenker wie Mouffe und Laclau ein. Mit der neoliberalen Globalisierung rücke der Linkspopulismus zugunsten eines Partikularismus des Patriotismus auch vom Universalismus ab. Ein gravierender Unterschied zum Populismus von rechts besteht jedoch in der Richtung, in die mobilisierte Frustationen abgeleitet werden: Während der linke Populismus Machtaggregate wie die EU oder die Banken thematisiere, kennzeichnet die Berufung auf ethnische oder kulturelle Homogenität den rechten Populismus auch da, wo er vereinzelt linksliberale Positionen zu integrieren versucht.
Abstract
Attempts to address the rise in populism are currently characterized by a beginning process of de-globalization and loss of credibility of the cosmopolitan narrative of neo-liberalism. Although populism currently chiefly mobilizes on the right side of the political spectrum, there are also many signs of a counter-populism on the left. As „thin ideology“ as defined by Michael Freedens, populism does not have a firm direction. At its core, it consists of opposition to the establishment the elites in the name of the „people“ whose „sovereignty“ is to be restored. It resonates because the large political subcultures have crumbled and the focus of large parties is now on the center and has been unable to establish itself permanently since the 1970s. Against this background, the contribution lays out a differentiated phenomenology of left-wing populist tendencies in Europe (Podemos, Syriza, Parti de gauche and La France insoumise), drawing on thinkers like Mouffe and Laclau. With neoliberal globalization, left wing populism moves away from universalism in favor of a particularism of patriotism. A significant difference to right wing populism is in the direction which mobilized frustrations take: while left wing populism broach power aggregates like the EU or banks, right wing populism insists on ethnic or cultural homogeneity even where it tries to integrate specific liberal leftist positions.
Über den Autor / die Autorin
Prof. Dr. Karin Priester ist emeritierte Professorin am Institut für Soziologie der Universität Münster.
Literatur
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© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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- Die AfD: Der Freiheitsrausch verwandelt sich in Autoritarismus
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- Aufbegehren in der Abstiegsgesellschaft
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