René Tanner, Adrian K. Ho, Monika Antonelli, Rebekkah Smith Aldrich (Ed.): Libraries and Sustainability. Programms and Practices for Community Impact. Chicago: ALA Editions, 2022. 156 S., (softcover), ISBN: 978-0-8389-3794-5, $49.99
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Tanner René Ho Adrian K. Antonelli Monika Smith Aldrich Rebekkah Libraries and Sustainability. Programms and Practices for Community Impact Chicago ALA Editions 2022 (softcover) 978-0-8389-3794-5 $49.99 1 156
Nachhaltigkeit spielt seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten eine nennenswerte Rolle in der Theorie und Praxis bibliothekarischen Handelns. Vorträge zu diesem Thema auf den jährlichen IFLA-Konferenzen lassen sich schon 2009 nachweisen. Die damals gegründete Special Interest Group Environment, Sustainability and Libraries wurde allerdings erst 2020 zur offiziellen Sektion erhoben. Seit 2016 unterstützt die IFLA die Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit besonderem Nachdruck. Wegweisend für die Popularisierung des Themenkreises war der 2013 in der Reihe IFLA-Publications erschienene Band „The Green Library – Die grüne Bibliothek. The Challenge of Environmental Sustainability – Ökologische Nachhaltigkeit in der Praxis“, der von Petra Hauke, Karen Latimer und Klaus Ulrich Werner herausgegeben worden ist. Im selben Jahr 2013 hat die American Library Association ihren Sustainable Round Table gegründet, aus dem 2015 die Sustainable Initiative hervorging. 2019 erklärte die ALA Nachhaltigkeit zum „Core Value of Librarianship“ und gründete 2021 ein permanentes Beratungskomitee zur Nachhaltigkeit. An diesem kurzen Rückblick ist abzulesen, dass Nachhaltigkeit inzwischen einen festen und prominenten Platz im Bibliothekswesen errungen hat.
Dem trägt der hier anzuzeigende Band Rechnung, in dem 12 sehr unterschiedliche Beiträge aus zumeist US-amerikanischer Sicht versammelt sind. In der Einleitung betonen die Herausgeber, dass das ursprüngliche Konzept einer „Green Library“ inzwischen abgelöst worden ist von einer komplexeren Zielverstellung, der zufolge Nachhaltigkeit Grundlage des Handelns, der Programmatik und des Dienstleistungsportfolios der Bibliotheken werden muss. Das bedeutet zum einen, dass es nicht mehr nur darum geht, die Bibliothek und ihr Gebäude im Sinne erklärter Nachhaltigkeitskriterien umzugestalten. Es soll darüber hinaus darum gehen, in der Rolle des Vorbilds intensiv auf die öffentliche Meinung einzuwirken und das Bewusstsein der Bürger*innen um die elementare Bedeutung nachhaltigen Wirtschaftens und Lebens zu wecken, um sie als Mitstreiter*innen zu gewinnen. Idealerweise strebt die lokale Bibliothek danach, von der Öffentlichkeit als erste Anlaufstelle in Sachen Nachhaltigkeit wahrgenommen zu werden. Zum anderen sollen Konzepte entwickelt werden, die Nachhaltigkeit in einer Balance ökologischer Effektivität, sozialer Verträglichkeit und ökonomischer Machbarkeit realisieren.
Die Mehrzahl der Beiträge besteht aus Fallstudien, in denen detailliert berichtet wird, wie einzelne Bibliotheken verschiedene Nachhaltigkeitsprojekte umgesetzt haben. Dabei geht es z. B. um so unterschiedliche Maßnahmen wie die Installation von Solarzellen, die Sammlung und Verwertung von Bioabfällen, die Einrichtung von Feuchtbiotopen, die Bereitstellung von Ladestationen für E-Autos und E-Bikes, die Anlage eines Bibliotheksnutzgartens, die Organisation einer Samen- und Pflanzentauschbörse, den Betrieb eines Repair-Cafés oder einer Fahrradreparatur-Station. Weitere Themen sind Nachhaltigkeit bei der Durchführung von Veranstaltungen in der Bibliothek. Dabei werden so naheliegende Aspekte erwähnt wie der Verzicht auf Einweggeschirr und -trinkgefäße, die Verwendung von Stofftischdecken oder die Organisation der Essensausgabe über ein Buffet, um Einzelverpackungen zu vermeiden. Lan Ying Ip, Tamar Warburg, Lauren Stara, Andrea Bunker stellen in ihrem Beitrag drei Fallstudien vor, in denen es darum geht, wie ambitionierte Nachhaltigkeitsziele in historischen Bibliotheksgebäuden, in modernen Anbauten und in Neubauten verwirklicht werden können. Leitaspekte dabei sind Energieersparnis durch eine entsprechende Gebäudehülle, Reduktion des Wasserverbrauchs und des CO₂-Ausstoßes, Nutzung erneuerbarer Energien zur Stromgewinnung und Senkung des Energieverbrauches durch möglichst viel Tageslicht. Etwas aus dem Rahmen fällt der Beitrag von Michele P. Stricker, in dem die Rolle der Bibliotheken als Anlaufstellen im Katastrophenfall erläutert wird.
Die drei abschließenden Beiträge beschäftigen sich mit grundsätzlichen Fragen zu der aus ihrer Sicht notwendigen Transformation bibliothekarischer Theorie und Praxis. Erin Elzi geht der Frage nach, welcher Zusammenhang zwischen Rassismus und Nachhaltigkeit besteht. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass Indigene, Schwarze und farbige Menschen in erheblich stärkerem Maße von den Auswirkungen ökologischer Schäden betroffen sind als wohlhabende weiße Schichten. Unter dem Aspekt der Umweltgerechtigkeit sieht sie zahlreiche Berührungspunkte von Nachhaltigkeit und Rassismus. Unreflektierter Einsatz für Nachhaltigkeit wie der Einbau von Sonnenkollektoren oder ökologisch zertifizierten Fenstern dient aus ihrer Sicht der bloßen ökologischen Gentrifizierung und ist als Akt des „Greenwashing“ anzusehen. Manche Aktivitäten wie z. B. Kompostieren haben demnach die Funktion eines Feigenblattes und erlauben es, wichtigere Themen wie die anhaltende Nutzung fossiler Brennstoffe zu tabuisieren. Stattdessen sollte Einsatz für Nachhaltigkeit immer auch kombiniert werden mit antirassistischer Arbeit, damit auch benachteiligte Gruppen von den ökologischen Fortschritten profitieren. Elzi fasst ihre Ausführungen zusammen in der Formulierung: Antirassismusarbeit ist Nachhaltigkeitsarbeit, aber nicht alle Nachhaltigkeitsarbeit ist antirassistisch.
Der vorletzte Beitrag von Ling Hwey Jeng wendet sich unter Berufung auf David Lankes dem Ansatz des „community-based librarianship“ zu. Dahinter verbirgt sich zunächst die Forderung, dass Bibliotheken sich auch jenseits der eigentlich bibliothekarischen Sphäre für gesellschaftlichen Fortschritt einsetzen sollten. Jeng ermuntert die Bibliothekar*innen darüber hinaus dazu, sich von dem rein bedarfsorientierten Ansatz zu verabschieden. Es soll nicht mehr darum gehen, dass Bibliothekar*innen den Reformbedarf ermitteln und dann dafür werben, sondern sie sollen sich eher als Moderator*innen verstehen, die zunächst das Denk- und Handlungspotenzial der Bürger*innen wecken, die Menschen miteinander vernetzen und ihnen die notwendigen Informationen vermitteln, damit sie im Interesse des Allgemeinwohls sowohl auf lokaler als auch auf überregionaler Ebene erfolgreich intervenieren können. Nachhaltigkeit heißt, so Jeng, die heutige Welt zu einer besseren Welt zu verändern. Grundüberzeugung ist dabei, dass die Menschen mit Notwendigkeit die geeigneten, „richtigen“ Maßnahmen von selbst erkennen, wenn sie die richtigen Informationen erhalten und dass sie die Kraft haben, die Lebensqualität ihrer lokalen Umwelt entscheidend zu verbessern. Ob diese Annahmen gleichsam mit Naturnotwendigkeit eintreten, darf allerdings bezweifelt werden.
Dieser Einwand gilt in gleicher Weise für den letzten Beitrag des Bandes. Darin werden Bibliotheken aufgefordert, dafür zu arbeiten, dass das bisherige, auf Gewinnmaximierung fixierte Wirtschaftssystem durch eine Wirtschaftsform ersetzt wird, die statt auf Wachstum auf Nachhaltigkeit setzt. Regenerative Formen des Warentauschs, genossenschaftliche Nutzung von Geräten und Potenzialen sollen durch eine Art Kreislaufwirtschaft die Wegwerfkultur ersetzen. Auf bibliothekarischer Ebene wird dies mit einem Appell zur Förderung von Open Access und anderer freier Formen des Zugangs zu Information, Literatur und Kunst eingefordert. Es ist sicher sinnvoll, dass Bibliotheken sich in der genannten Weise engagieren, aber ob damit ein grundlegender Wandel des Wirtschaftssystems herbeigeführt werden kann, erscheint durchaus zweifelhaft. Das ist freilich kein Grund, dieses Engagement aufzugeben, doch sollten die Erwartungen vielleicht etwas niedriger angesetzt werden. Die Vorstellung, dass allein die Versorgung mit den „richtigen“ Informationen zu einer dauerhaften Verhaltensänderung führt, ist besonders dann irrig, wenn plötzlich eigene Interessen ins Spiel kommen. Nicht im Mindesten in Betracht gezogen wird darüber hinaus, dass es auch hartnäckige „Verhinderer“ gibt, Einzelpersonen, Gruppen, Unternehmen und Institutionen, die aufgrund ihrer egoistischen Interessenlage nicht nur wenig geneigt sind, entsprechende Veränderungen widerstandslos hinzunehmen, sondern die mittels gezielter Desinformations- und Fake-News-Kampagnen manipulativ in den Diskurs eingreifen und dabei nicht selten erfolgreich sind. Es verwundert schon, dass diese vorhersehbaren Phänomene im Lande des Ex-Präsidenten Donald Trump nicht in Betracht gezogen werden. Dennoch sind die einzelnen Vorschläge durchaus nachvollziehbar, nur die damit verbunden Erwartungen erscheinen idealistisch, um nicht zu sagen naiv. Wer sich mit einem Konzept zur Nachhaltigkeit seiner Bibliothek befasst oder einzelne Maßnahmen wie z. B. die Einrichtung eines Repair-Cafés plant, dem sei dieser Band durchaus empfohlen.
© 2023 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
Artikel in diesem Heft
- Titelseiten
- Editorial
- Editorial
- Themenschwerpunkt: Digitale Forschung und Bibliothek
- Der Digital Turn in den Geisteswissenschaften und seine Implikationen für Gedächtniseinrichtungen
- Bibliothek als Labor der Wissenschaft – Metamorphose einer Metapher
- Forschungsnahe Bibliotheksdienste. Eine Standortbestimmung
- Bibliotheken als Reallabor der Wissenschaft – Konzeption und Aktivitäten der Bayerischen Staatsbibliothek
- Die Kunst das Unmögliche zu versuchen und dabei nicht zu scheitern
- Die Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg als Partner der Wissenschaft im digitalen Wandel
- Die Bibliothek des biologischen, technischen und kulturellen Wissens – Warum brauchen wir eine integrierte Sammlungsinfrastruktur?
- Erschließung handschriftlicher Dokumente zwischen Fachwissen, Citizen Science und KI
- Sammlung, digitale Erschließung und Archivierung von Migrationskorrespondenzen: Bibliotheken und Bürgerwissenschaften als zentrale Akteure im digitalen Arbeitsprozess
- Forschungsdatenmanagement als Service an Universitätsbibliotheken
- Rezensionen
- Pettegree, Andrew; der Weduwen, Arthur: The Library. A fragile history. London: Profile Books, 2021. 518 S., 29 Abb. im Text, 12 + 11 Taf., Paperback. ISBN: 978-1-78816-3439; eISBN: 978-1-78816-344-6. ₤ 19,99
- Gernot U. Gabel: Bibliotheken in Großbritannien: Beiträge zur Bibliotheksgeschichte: Festgabe zum 80. Geburtstag überreicht von Gisela Gabel-Jahns. Hürth, Edition Gemini, 2021. ISBN 978-3-922331-57-5
- René Tanner, Adrian K. Ho, Monika Antonelli, Rebekkah Smith Aldrich (Ed.): Libraries and Sustainability. Programms and Practices for Community Impact. Chicago: ALA Editions, 2022. 156 S., (softcover), ISBN: 978-0-8389-3794-5, $49.99
- Margaret M. Merga: School Libraries Supporting Literacy and Wellbeing. London: Facet Publishing, 2022. XXV, 198 Seiten. ISBN 978-1-78330-584-1 (Paperback) GBP 50,–
- Handbuch IT in Bibliotheken. Unter einer CC-BY 3.0 DE-Lizenz im Internet unter https://it-in-bibliotheken.de (mit Datum der letzten Änderung: 17. Mai 2023).
- Alke Dohrmann, Almut Siegel, Schöne Katrin: Sicherheitsleitfaden Kulturgut. Bonn: Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Zittau 2021, 213 Seiten, ISBN 978-3-949117-09-1
- Sven Kuttner: „Die verspätete Bibliothek“. Zehn Beiträge zur Geschichte der Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München im 20. Jahrhundert, Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2021. 128 S. (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen: 67)
Artikel in diesem Heft
- Titelseiten
- Editorial
- Editorial
- Themenschwerpunkt: Digitale Forschung und Bibliothek
- Der Digital Turn in den Geisteswissenschaften und seine Implikationen für Gedächtniseinrichtungen
- Bibliothek als Labor der Wissenschaft – Metamorphose einer Metapher
- Forschungsnahe Bibliotheksdienste. Eine Standortbestimmung
- Bibliotheken als Reallabor der Wissenschaft – Konzeption und Aktivitäten der Bayerischen Staatsbibliothek
- Die Kunst das Unmögliche zu versuchen und dabei nicht zu scheitern
- Die Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg als Partner der Wissenschaft im digitalen Wandel
- Die Bibliothek des biologischen, technischen und kulturellen Wissens – Warum brauchen wir eine integrierte Sammlungsinfrastruktur?
- Erschließung handschriftlicher Dokumente zwischen Fachwissen, Citizen Science und KI
- Sammlung, digitale Erschließung und Archivierung von Migrationskorrespondenzen: Bibliotheken und Bürgerwissenschaften als zentrale Akteure im digitalen Arbeitsprozess
- Forschungsdatenmanagement als Service an Universitätsbibliotheken
- Rezensionen
- Pettegree, Andrew; der Weduwen, Arthur: The Library. A fragile history. London: Profile Books, 2021. 518 S., 29 Abb. im Text, 12 + 11 Taf., Paperback. ISBN: 978-1-78816-3439; eISBN: 978-1-78816-344-6. ₤ 19,99
- Gernot U. Gabel: Bibliotheken in Großbritannien: Beiträge zur Bibliotheksgeschichte: Festgabe zum 80. Geburtstag überreicht von Gisela Gabel-Jahns. Hürth, Edition Gemini, 2021. ISBN 978-3-922331-57-5
- René Tanner, Adrian K. Ho, Monika Antonelli, Rebekkah Smith Aldrich (Ed.): Libraries and Sustainability. Programms and Practices for Community Impact. Chicago: ALA Editions, 2022. 156 S., (softcover), ISBN: 978-0-8389-3794-5, $49.99
- Margaret M. Merga: School Libraries Supporting Literacy and Wellbeing. London: Facet Publishing, 2022. XXV, 198 Seiten. ISBN 978-1-78330-584-1 (Paperback) GBP 50,–
- Handbuch IT in Bibliotheken. Unter einer CC-BY 3.0 DE-Lizenz im Internet unter https://it-in-bibliotheken.de (mit Datum der letzten Änderung: 17. Mai 2023).
- Alke Dohrmann, Almut Siegel, Schöne Katrin: Sicherheitsleitfaden Kulturgut. Bonn: Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Zittau 2021, 213 Seiten, ISBN 978-3-949117-09-1
- Sven Kuttner: „Die verspätete Bibliothek“. Zehn Beiträge zur Geschichte der Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München im 20. Jahrhundert, Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2021. 128 S. (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen: 67)