Home Veronica Arellano Douglas and Joanna Gadsby (Eds.): Deconstructing Service in Libraries. Intersections of Identities and Expectations. Sacramento, CA: Litwin Books, 2020. 404 S., Paperback, ISBN: 978-1634000604, $22.75.
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Veronica Arellano Douglas and Joanna Gadsby (Eds.): Deconstructing Service in Libraries. Intersections of Identities and Expectations. Sacramento, CA: Litwin Books, 2020. 404 S., Paperback, ISBN: 978-1634000604, $22.75.

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Published/Copyright: May 31, 2023

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Veronica Arellano Douglas Joanna Gadsby Deconstructing Service in Libraries. Intersections of Identities and Expectations Sacramento, CA Litwin Books Paperback 2020 978-1634000604 $22.75 1 404


Die Bedeutung des Wortes Service kann Dienstleistung, Kundendienst oder Wartung bedeuten. Ursprünglich stammt es vom lateinischen „servitius“ ab, das „Sklavendienst“ bedeutet. Diese mehrfache Sinngebung liegt am Anfang des hier besprochenen Sammelbandes. „Deconstructing“ verweist auf jenes Verfahren der poststrukturalistischen Literaturkritik, welche sich Texten von innen her annähert und das Denken aus gewohnten Grenzziehungen und Hierarchisierungen befreien soll. Gegenwärtig ist diese Methode etwa in der feministischen Literaturtheorie bzw. postkolonialistischer Theorie zu finden. Der Titel ist auch Programm. Doch der amerikanische Kontext, in dem das Buch entstand, bleibt für europäische Leser*innen zunächst schwer zu erschließen. Es hilft auch nicht, dass es sich beim ersten Drittel der insgesamt 19 Kapitel vorwiegend um Selbstzeugnisse von sich zu Minderheiten zugehörig fühlenden Bibliothekar*innen handelt, die sich aus Gründen des Geschlechts, Rasse, körperlicher oder mentaler Konstitution benachteiligt fühlen. Die angewandten Begrifflichkeiten wirken bei der nicht diskursfesten Leserschaft erstmals befremdlich. Erklärende Kapitel von höherem wissenschaftlichen Gehalt sind eher in der zweiten Hälfte des Bandes zu finden. Eine leserfreundliche Gesamtkonzeption des Buchs würde dazu beitragen, die anregenden Sichtweisen stärker hervorzuheben, denn der Band weist zuweilen hohes Potenzial auf, gängige Praxen der Bibliotheksdienstleistungen zu hinterfragen.

Die Herausgeberinnen Veronica Arellano Douglas und Joanna Gadsby, beide „instruction coordinators“ an US-amerikanischen Universitäten betonen, dass der Auslöser für den Band die Frustration über die mangelnde Wertschätzung von Bibliothekar*innen bei der Ausbildung ihrer Dienstleistungen war, ein „enacting service within oppressive power structures“ (S. 3). Die meisten Kapitel bleiben leider bei der Anklage dieser Strukturen stecken, ohne sie einzuordnen oder gar einen Ausweg aufzuzeigen. Hervorzuhebende Ausnahmen sind etwa die Beiträge von Christina Neigel, Christine M. Moeller und Shanna Higgins.

Christina Neigel, associate professor an der University oft he Fraser Valley, Kanada, geht auf die Anfänge der Bibliotheksarbeit zurück und bezeichnet sie als Feld, das für „white, middle class women“ geeignet war, die unter männlicher Überwachung ihr „angeborenes“ Kümmern und Mütterlichkeit für wenig Entgelt einsetzen sollten. In gewisser Weise festigten sie mit ihrer Arbeit die Moral der herrschenden Machtverhältnisse. Diese Grundstruktur habe nach wie vor Bestand, was sich u. a. in der unterschiedlichen Bezahlung von Männern und Frauen beobachten lasse (S. 221–36).

Christine M. Moeller zeigt in ihrem Beitrag (S. 237–53), wie sich die vorherrschende Dienstleistungsmentalität bei der Vermittlung von Informationskompetenz niederschlägt. In diesem Beitrag wird das Grundproblem, das dem Buch zugrunde liegt, auf den Punkt gebracht: „The white, middleclass women hired to carry out library support work were representative of the ‘Lady Bountiful’ archetype: the ‘civilizing’ missionary who is both benevolent and pure. Female library workers were tasked with this role of social missionary in public libraries, which were ‘founded to serve two aims: the first was to ‘Americanize’ the mass of immigrants, to guide them to become civil and manageable; the second was to serve the reading needs of the elite class who would rule the mass“ (S. 242–43). Sie plädiert dafür, Informationskompetenz losgelöst von den Fakultäten als eigene Dienstleistungen anzubieten und als Partner der Fakultäten aufzutreten. Gleichzeitig hinterfragt sie die Bibliotheksarbeit in ihren Grundsätzen.

Shana Higgins von der University of Redlands, Kalifornien schließlich untersucht die Servicementalität aus dem Blickwinkel feministischer Theorie und der critical race theory. Sie plädiert für eine Betriebskultur der Wertschätzung und Inklusion.

In der Gesamtheit tragen zumindest diese (und einige andere) Beiträge zu einem tieferen Verständnis nordamerikanischer Bibliothekskultur bei, bereichern durch neuere feministische und kritische Theorien und regen dadurch einen frischen Blick auf den eigenen Berufsethos an.

Published Online: 2023-05-31
Published in Print: 2023-08-24

© 2023 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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  32. Judith Mavodza: Navigating and Managing an Academic Library. Best Practices from the Arabian Gulf Region. (Current Topics in Library and Information Practice), Berlin, Boston: De Gruyter Saur, 2022, ISBN 978-3-11-074008-0, € 92,95
  33. Kednik, Manfred (Hrsg.) unter Mitarbeit von Annemarie Kaindl: Martin Willibald Schrettinger (1772–1851). Vom eigenwilligen Mönch zum leidenschaftlichen Bibliothekar. Festschrift zum 250. Geburtstag (Neumarkter Historische Beiträge: 17). Neumarkt: Historischer Verein für Neumarkt in der Oberpfalz, 2022. 274 S. Abb., fest gebunden. ISBN 978-3-9811330-9-7, € 15,00
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