Home Kednik, Manfred (Hrsg.) unter Mitarbeit von Annemarie Kaindl: Martin Willibald Schrettinger (1772–1851). Vom eigenwilligen Mönch zum leidenschaftlichen Bibliothekar. Festschrift zum 250. Geburtstag (Neumarkter Historische Beiträge: 17). Neumarkt: Historischer Verein für Neumarkt in der Oberpfalz, 2022. 274 S. Abb., fest gebunden. ISBN 978-3-9811330-9-7, € 15,00
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Kednik, Manfred (Hrsg.) unter Mitarbeit von Annemarie Kaindl: Martin Willibald Schrettinger (1772–1851). Vom eigenwilligen Mönch zum leidenschaftlichen Bibliothekar. Festschrift zum 250. Geburtstag (Neumarkter Historische Beiträge: 17). Neumarkt: Historischer Verein für Neumarkt in der Oberpfalz, 2022. 274 S. Abb., fest gebunden. ISBN 978-3-9811330-9-7, € 15,00

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Published/Copyright: May 31, 2023

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Kednik Manfred (Hrsg.) unter Mitarbeit von Annemarie Kaindl Martin Willibald Schrettinger (1772–1851). Vom eigenwilligen Mönch zum leidenschaftlichen Bibliothekar. Festschrift zum 250. Geburtstag (Neumarkter Historische Beiträge: 17) Neumarkt Historischer Verein für Neumarkt in der Oberpfalz 2022 Abb., fest gebunden. € 15,00 978-3-9811330-9-7 1 274


Der Name Martin Schrettingers scheint mit dem Begriff „Bibliothekswissenschaft“ nahezu identisch zu sein. Zumindest hat er ihn mit seinem Versuch eines vollständigen Lehrbuches der Bibliothek-Wissenschaft von 1808 eingeführt. Zusammen mit Christian Molbech (1783–1857), Bibliothekar an der Kgl. Bibliothek in Kopenhagen, und Friedrich Adolf Ebert (1791–1834), Bibliothekar an der Kgl. Bibliothek in Dresden, zählt er, wie man es einmal genannt hat, zum „Dreigestirn“ der Gründungsväter dieser Disziplin.[1] Schrettinger ist der entscheidende Schritt von der Deskription der Sachen zur theoretischen Begründung zu verdanken. Wie das Vorwort hervorhebt, hat er seine Ideen „im bibliothekarischen Alltag entwickelt, erprobt und verwirklicht“. Dieser „Alltag“, besser gesagt seine Lebensaufgabe, war die Kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München, heute die Bayerische Staatsbibliothek, die sich dank seines Einsatzes von einer Anhäufung von Büchermassen aus den aufgelösten Klöstern zu einer modernen Bibliothek entwickeln konnte.

Diese Leistung und noch vieles mehr war der Anlass, seines 250. Geburtstags öffentlich zu gedenken. Die Staatsbibliothek initiierte dazu die virtuelle Ausstellung „Mönch, Rebell, Bibliothekar“, die als Teamprojekt von Studierenden des Fachbereichs Archiv- und Bibliothekswesen der Hochschule für den öffentlichen Dienst und der Bibliotheksakademie Bayern realisiert wurde.[2]

Parallel dazu erschien die vorliegende Festschrift. Erscheinungsort und Schriftenreihe Neumarkter Historische Beiträge erklären sich daraus, dass der Hutmachersohn Schrettinger in Neumarkt in der Oberpfalz geboren wurde. An biografischen Details seien nur aufgeführt, dass er 1790 in die nahe gelegene Benediktinerabtei Weißenohe eintrat, den Klosternamen Willibald annahm, 1800 zum Klosterbibliothekar bestellt wurde und nach der von ihm begrüßten Aufhebung des Klosters nach München ging. 1806 wurde er dort Kustos an der Hofbibliothek. 1844 wurde er in den Ruhestand versetzt, arbeitete aber für die Bibliothek weiter. Der als Anhänger der Aufklärung als „eigenwilliger“, ja „rebellischer“ Mönch Verrufene blieb zeitlebens Priester und machte auch als solcher Karriere.[3]

Die Forschungs- bzw. Sekundärliteratur über ihn ist beträchtlich, wie die Bibliografie auf den Seiten 247–61 beweist. Nichtsdestoweniger will diese Festschrift nicht nur seine Leistungen als Bibliothekar würdigen, sondern auch „bisher vernachlässigte oder unbeachtete Themen in den Blick nehmen und seine Sichtweisen zur Diskussion stellen“ (S. 3). Das Buch enthält Beiträge von elf Autorinnen und Autoren, dazu zwei Texte aus der Feder Schrettingers. Die Verfasser kommen aus Bibliotheken, Archiven sowie sonstigen wissenschaftlichen Institutionen und haben zum Teil bereits über Schrettinger publiziert.

Das Buch beginnt mit einem Text aus der Feder Schrettingers, dem Entwurf einer Selbstbiografie, den Annemarie Kaindl mit erläuternden Anmerkungen versehen hat. Auf ihn lassen sie und Manfred Knedlik eine detaillierte biografische Zeitleiste folgen. Die Texte zur Lebensgeschichte schließt eine Darstellung seines familiären Netzwerks und seiner lebenslangen Verbundenheit mit seinem Geburtsort Neumarkt ab (Frank Präger, S. 26–54). Weiter unten, S. 192–95, kommt Schrettinger noch einmal mit seinen Poetischen Erinnerungen selbst zu Wort. Der dichtende Bibliothekar wird anhand seiner von ihm selbst ironisierten Verirrungen in das Reich der Musen aus dem Jahr 1794 von Gabriele von Bassermann-Jordan und Waldemar Fromm vorgestellt. Von künstlerischen Ambitionen zeugt auch sein Talent als Zeichner, Druckgrafiker und Maler (Andreas Strobl: „Ein talentierter Dilettant“, S. 233–39).

Ein eigener Themenblock ist den bibliothekarischen Leistungen gewidmet: das Katalogsystem der Bayerischen Staatsbibliothek (Ingrid Rückert), die Aufstellung und Ausstellung von schriftlichem Kulturgut (Christine Sauer) und die „Erfindung der Bibliothekswissenschaft“. Dass Bernhard Lübbers die Verwandlung der Hofbibliothek in eine „Suchmaschine“ hervorhebt, ist doch zu sehr dem Zeitgeist verhaftet, was der Autor selbst durch die Setzung in Anführungszeichen abmildert. Unbestreitbar aber ist, dass Schrettinger hinsichtlich der Professionalisierung des Bibliotheksmanagements, der Bestandsentwicklung und -erschließung neue Wege suchte und fand.

Schließlich soll noch darauf hingewiesen werden, dass Schrettinger sich auch als Dialektforscher Verdienste erwarb (Klaus Wolf). „Schrettinger als Leser“ (Manfred Knedlik) ist insofern wichtig, als er sich schon in seiner Klosterzeit dem konservativen Abt wegen seiner Lektüre und des Erwerbs aufklärerischer Schriften verdächtig machte. Er selbst sprach von seiner „angeborenen Wißbegierde“ von Jugend an. Angesichts des gegenwärtigen Interesses der Forschung an der Volksaufklärung ist hervorzuheben, dass er insbesondere die populärphilosophische Literatur seiner Zeit verfolgte, „die für die gemeinverständliche Verbreitung von Aufklärungsideen im ‚Volk‘ zu sorgen versuchte“.[4] Dabei nutzten ihm seine hervorragenden Fremdsprachenkenntnisse. Auch als Rezensent, zum Beispiel für die Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung, wurde er aktiv, handelte sich aber für seine Besprechung von Eberts Ueber öffentliche Bibliotheken „Kritik“ und „Antikritik“ ein.[5]

Die Festschrift ist mit Fotos, Kupferstichen und Radierungen sowie Abbildungen von Titelblättern, Textseiten und Autografen reich illustriert. Den Abschluss bilden Bibliografien der gedruckten Werke Schrettingers und der Forschungsliteratur. Dass die Sekundärliteratur über ihn sich über 15 Seiten erstreckt (S. 243–62), beweist, dass seine Person und seine Leistungen immer wieder auf Interesse gestoßen sind und zur Beschäftigung mit ihm angeregt haben. Außerdem sind Angaben zu den Autoren und ein Personenregister vorhanden. Der Ankündigung Manfred Kedliks im Vorwort, den Blick auf bisher vernachlässigte oder unbeachtete Themen zu richten, wird die Publikation erwartungsgemäß gerecht. Sie gewährt neue Einblicke in die Biografie und bringt auch den Menschen näher. Insgesamt eine lohnende Lektüre, nicht nur für Fachwissenschaftler.

Published Online: 2023-05-31
Published in Print: 2023-08-24

© 2023 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.

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  30. Ellyssa Kroski (Ed.): 25 ready-to-use sustainable living programs for libraries, Chicago: ALA Editions, 2022, ISBN 9780838936498, $59.99
  31. Veronica Arellano Douglas and Joanna Gadsby (Eds.): Deconstructing Service in Libraries. Intersections of Identities and Expectations. Sacramento, CA: Litwin Books, 2020. 404 S., Paperback, ISBN: 978-1634000604, $22.75.
  32. Judith Mavodza: Navigating and Managing an Academic Library. Best Practices from the Arabian Gulf Region. (Current Topics in Library and Information Practice), Berlin, Boston: De Gruyter Saur, 2022, ISBN 978-3-11-074008-0, € 92,95
  33. Kednik, Manfred (Hrsg.) unter Mitarbeit von Annemarie Kaindl: Martin Willibald Schrettinger (1772–1851). Vom eigenwilligen Mönch zum leidenschaftlichen Bibliothekar. Festschrift zum 250. Geburtstag (Neumarkter Historische Beiträge: 17). Neumarkt: Historischer Verein für Neumarkt in der Oberpfalz, 2022. 274 S. Abb., fest gebunden. ISBN 978-3-9811330-9-7, € 15,00
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