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Baden-Württemberg

Veröffentlicht/Copyright: 21. Mai 2023
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Die Stuttgarter Drucke

In Baden-Württemberg verpflichtete sich die Landesregierung mit Bekanntmachung vom 2. Mai 1955, bei staatlichen Neubauten künftig ein bis zwei Prozent der Bauauftragssumme »für bildnerische und kunsthandwerkliche Arbeiten« vorzusehen. Dementsprechend erwarb man für die Freifläche vor dem 1970 vollendeten Neubau der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart eine Bronzeplastik von Bernhard Heiliger (1915–1995); für die künstlerische Ausgestaltung des Innenraums dagegen sollte der Grafiker, Drucker und Typograf Josua Reichert (1937–2020), ein Schüler HAP Grieshabers (1909–1981), gewonnen werden. Der Bibliotheksdirektor Wilhelm Hoffmann hatte bereits seit Jahren gedruckte Mappenwerke von Reichert für die Landesbibliothek gesammelt und war so zu der Überzeugung gelangt, dass ihm auch »Kunst am Bau« anvertraut werden könne.

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Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, drei Druckgrafiken mit arabischem Vav, lateinischem P und egyptienne V, Aufnahme 2020
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Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, drei Druckgrafiken mit arabischem Vav, lateinischem P und egyptienne V, Aufnahme 2020

Reichert war zunächst jedoch skeptisch; keinesfalls wollte er wandgebundene »Kunst am Bau« wie etwa Fresken oder Mosaike schaffen, die er – wie viele Künstler seiner Zeit – als konventionell und einengend empfand. Zu seiner Zufriedenheit beauftragte man ihn dann aber mit einer Serie von Drucken, die frei im Gebäude gehängt werden sollten. Freie Hand ließ man ihm auch bei den Motiven und der Gestaltung. Sein Programm sah verschiedene Gedichte und Prosatexte, Sprüche, Psalmen, einzelne Buchstaben sowie typografische Figuren vor – mithin ein Konzept, dass geradezu ideal für eine Bibliothek als Hort der Schrift geeignet schien und deshalb von der Kommission des Landes für die »Kunst am Bau« sofort angenommen wurde.

Die mit Buchdruckfarbe auf Kupferdruckkartons gedruckten Blätter wurden in zwei Tranchen 1971 und 1973 geliefert. Reichert legte gemeinsam mit dem Architekten Horst Linde (1912–2016) und der Bibliotheksleitung die Hängung der 36 verglasten und mit Aluprofilen gerahmten Drucke fest. Den Auftakt bilden sechs Blätter mit einzelnen Buchstaben in hebräischer, arabischer, griechischer, kyrillischer, lateinischer sowie Egyptienne-Schrift, die den Besucher auf dem Weg vom Eingang hinauf zur Informationsebene begleiten: »jeder buchstabe sollte ein keimling sein, aus dem verschiedenartige typografie hervorkommt, gedichtblätter, prosaseiten, sprüche, wörter, sätze […] von hier aus sollten diese sich durch das gebäude verbreiten«. Dementsprechend zeigen die weiteren Bögen das hebräische Alphabet, ein Zionslied von Jehuda Halevi (1075–1141), kyrillische Typen, den Psalm 122, eine Parabel von Franz Kafka (1883–1924), einen antiken Spruch sowie den Anfang eines Antiphons von Notker dem Stammler (840–912). An Gedichten sind vertreten die »Friedensahnung« von Oskar Loerke (1884–1941), »a rose is a rose is a rose is a rose« von Gertrude Stein (1874–1946), »Hälfte des Lebens« und die Ode »An die Parzen« von Friedrich Hölderlin (1770–1843), »Melancholie« von Georg Trakl (1887–1914), »Boas« von Else Lasker-Schüler (1868–1945), zwei arabische Gedichte und zwei antike Gedichtfragmente von Alkaios (um 630–580 v. Chr.) und Sappho (um 630/612– um 570 v. Chr.). Im Hauptlesesaal schließlich finden sich fünf runde Drucke mit freien Kompositionen aus Buchstaben.

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Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Druckgrafik mit dem Gedicht »a rose is a rose is a rose is a rose« von Gertrude Stein, Aufnahme 2020
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Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Druckgrafik mit dem Gedicht »a rose is a rose is a rose is a rose« von Gertrude Stein, Aufnahme 2020

Die heute als Stuttgarter Drucke bekannten Arbeiten Josua Reicherts in der Württembergischen Landesbibliothek sind innovative Grafiken, in denen Text und Typografie zur freien Kunst w erden. Reichert schuf mit diesen Drucken aber auch eine ungewöhnliche Kunst am Bau, die nicht besser die Funktion der Württembergischen Landesbibliothek widerspiegeln könnte. Wohl deshalb wurde sie Vorbild für die Ausstattung weiterer Bibliotheksgebäude in Deutschland. Im Jahr 2015 wurde die Württembergische Landesbibliothek als Kulturdenkmal ausgewiesen. Die Stuttgarter Drucke sind als wesentliche Bestandteile vom Schutz des Gebäudes mitumfasst.

Dieter Büchner

Bayern

Hightech-Einsatz am romanischen Schottenportal

Das sogenannte Schottenportal der Regensburger Jakobskirche, der Klosterkirche der ehemaligen irischen, später schottischen Benediktinerabtei, gilt als eine der bedeutendsten europäischen Portalanlagen des 12. Jahrhunderts. Wegen einer stetig zunehmenden bauphysikalischen und bauchemischen Schadensdynamik wurde 1999 nach einem Entwurf der Kölner Architekten Gottfried, Peter und Markus Böhm ein Schutzgebäude in Art einer Vorhalle aus Glas, Stahl und Sichtbeton errichtet. Der Vorbau sollte bauphysikalische Extremsituationen entweder gänzlich unterbinden oder zumindest abmildern, die Salzkristallisationen an der Oberfläche des Portals zum Erliegen bringen und zugleich den Verfallsprozess verlangsamen.

Da jedoch das Schadensbild in den vergangenen 20 Jahren weiter fortschritt, wurde 2021 vom Referat Zentrallabor und Geo-Erkundung des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege eine 3D-Dokumentation des Schottenportals mittels Drohne angefertigt. Ziel war es, die Schadensentwicklung anhand eines Vergleichs von alten und neuen Aufnahmen zu bewerten und optisch zu quantifizieren; zudem soll die Dokumentation als Grundlage für ein langfristiges Monitoring und weitere Bauaufnahmen sowie Bauforschungen dienen.

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Regensburg, St. Jakob, Schottenportal, verzerrungsfreie Fassadenansicht, linke Hälfte fotorealistisch koloriert, rechte Hälfte Rohmodell, Aufnahme 2021
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Regensburg, St. Jakob, Schottenportal, verzerrungsfreie Fassadenansicht, linke Hälfte fotorealistisch koloriert, rechte Hälfte Rohmodell, Aufnahme 2021

Eine drohnenbasierte Vermessung bot den Vorteil, dass das 15,3 Meter breite und 8,6 Meter hohe Portal ohne weitere Hilfsmittel wie Leitern oder Gerüste in wenigen Minuten dokumentiert werden konnte. Das 3D-Modell wurde aus 84 Einzelaufnahmen in bis zu neunfacher Überlappung berechnet, woraus sich eine Punktdichte von 157 Millionen Punkten und daraus eine Auflösung der verzerrungsfreien Fassadenansicht von 1 Millimeter ergibt. Um Schlagschatten durch das natürliche Umgebungslicht zu vermeiden, wurde das Projekt bei bedecktem Himmel durchgeführt und das Portal zusätzlich künstlich durch einen Scheinwerfer an der Drohne ausgeleuchtet. Aufgrund der extrem hohen Auflösung der Aufnahmen sind selbst kleinste Details wie die Gesichter und Gewandfalten des Figurenschmucks erkennbar. Durch die gleichmäßige Beleuchtung des Portals mittels Scheinwerfer, die Schlagschatten minimiert, lassen sich die Daten auch für eine automatisierte Erkennung von Schäden und Farbveränderungen mithilfe Künstlicher Intelligenz verwenden.

Auf der Grundlage der fotorealistischen Daten gelingt es so sehr einfach, im Rahmen der Schadenskartierung die Bereiche mit dunkler bis schwarzer Krustenbildung auf der Oberfläche des Naturwerksteins zu kartieren. Die genannten Verkrustungen setzen sich dabei vorrangig aus Calcium- und Magnesiumsulfaten zusammen. Die Krustenbildung und die (vermutete) Hinterfeuchtung der Kruste führen zu Abplatzungen und partiellen Verlusten der Kalksteinoberfläche, mit denen schließlich auch die noch rudimentär vorhandene polychrome Farbfassung der Bauplastik verloren geht. Zudem tritt durch das Abplatzen der dunklen Kruste der helle Kalkstein optisch unverhältnismäßig hervor; im Sockelbereich zeigen vor allem die bei einer Restaurierung im 19. Jahrhundert verbauten Regensburger Grünsandsteine absandende Partien. Dieses neue 3D-Modell dient als Grundlage für das nunmehr eingeleitete Monitoring sowie die Erarbeitung eines Instandsetzungskonzepts.

Roland Linck Und Sven Bittner

Verformungsangepasste ­Sanierung gotischer Maßwerkfenster

Seit Frühjahr 2021 läuft die Instandsetzung der Maßwerkfenster der Landshuter Martinskirche. Die Stadtpfarr- und Kollegiatstiftskirche St. Martin und Kastulus gilt als eine der bedeutendsten spätgotischen Hallenkirchen Süddeutschlands, der Martinsturm als der höchste Backsteinturm der Welt: Mit dem Bau des Chores wurde um 1385 begonnen, das Langhaus folgte vermutlich in zwei Etappen, die östlichen Joche unter Hans von Burghausen († 1432) und die westlichen ab 1444 unter Hans Stethaimer, der Turmbau wurde schließlich gegen 1500 vollendet. Chor und Langhaus werden durch die 29 weitgehend einheitlich ausgebildeten, jeweils 15 Meter hohen und vierbahnigen spitzbogigen Maßwerkfenster geprägt und vereinheitlicht.

Die Maßwerkfenster sind auch in baukonstruktiver Hinsicht von großem Interesse und spiegeln den Ablauf des Baugeschehens wider: Mit der emporwachsenden Außenwand des Kirchenbaus wurden bauzeitlich in einem regelmäßigen Abstand von etwa einem halben Meter eiserne Querstreben eingesetzt, die zur Stabilisierung der hohen und filigranen Maßwerkfenster ebenso nötig waren wie zur Verankerung der ursprünglichen Buntglasscheiben. Jeder der drei sandsteinernen rippenförmigen Stäbe, die das Fenster in senkrechte Bahnen unterteilen, wurde von den Eisen gequert, was von Anbeginn an, gerade auch in Verbindung mit dem weichen Sandstein, ihre Stabilität schwächte.

Angesichts der großen Schäden an der Konstruktion der Maßwerkfenster stand zu Beginn der Maßnahmenkonzeptionierung ein Steinaustausch des Stab- und Maßwerks in Rede. Der Verlust der originalen Maßwerkfenster konnte jedoch durch eine wirksame, dauerelastische Einbettung der Quereisen abgewendet werden. Mithilfe des viskoelastischen, künstlich hergestellten und daher modifizierbaren Materials Bitumen konnten die Verankerungen der Quereisen in den Fensterlaibungen stabilisiert werden. Auf diese Weise wurde es möglich, Verwindungen, Zug- und Schubkräfte durch thermische und mechanische Einflüsse zu dämpfen. Weitere Vorteile dieses Materials waren seine geringe Toxizität, seine gute Witterungsbeständigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Oxidation. Die Quereisen wurden in situ zunächst bis auf den Reinigungsgrad S1 entrostet und anschließend ein mehrschichtiger restrostverträglicher Rostschutz aufgebracht. An den Kontaktstellen zum Werkstein umwickelte man das Eisen mit einem in warmen, bitumenbasierten Elastomer getränkten Jutelappen. Das umwickelte Metall wurde anschließend in einen an den Sandstein angepassten, weichen Injektionsmörtel eingebettet, der alle Hohlräume im Stein ausfüllt und so zu einer stabilen und dauerhaften Verbindung führt. Der Abschluss der Instandsetzung der 29 Maßwerkfenster wird bis Ende 2026 erwartet.

Kerstin Brendel Und Judith Schekulin

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Landshut, St. Martin, nördliche Langhausseite, Aufnahme 2022
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Landshut, St. Martin, nördliche Langhausseite, Aufnahme 2022

Berlin

Ein Wandbild für den VEB Stern-Radio Berlin

Unbekannt war dem Landesdenkmalamt die Existenz eines Wandbilds der späten 1950er Jahre im Kulturhaus des Volkseigenen Betriebs VEB Stern-Radio Berlin. Gebäude der älteren Fabrikanlage standen unter Denkmalschutz, von den Erweiterungsbauten der Nachkriegszeit ein turmartiges Hochhaus. Bei Instandsetzungs- und Neubauplanungen wurden diese Gebäude entsprechend berücksichtigt. Ende 2019 erfuhren engagierte Bürger vom Abbruchvorhaben des Kulturhauses und machten auf den drohenden Verlust eines großen Wandbilds aufmerksam.

1959 war im Kulturhaus ein die gesamte Eingangswand des Speisesaals einnehmendes mehrteiliges Wandbild Arbeit und Erholung im zeitgenössischen Stil der 1950er Jahre mit szenisch agierenden Gruppen und erläuternder Hintergrundgestaltung entstanden. Mit der Arbeit beauftragt waren drei Absolventen der Hochschule für bildende und angewandte Kunst Berlin, der späteren Kunsthochschule Berlin Weißensee (KHB), Ronald Paris (1933–2021), Rolf Schubert (1932–2013) und Hans Vent (1934–2018), die bei Bert Heller (1912–1970) Malerei studiert hatten. Die Ausmalung wurde durch den nach Gründung der DDR 1949 gebildeten Kulturfonds von Groß-Berlin finanziert, der einen wichtigen Einfluss auf die Auswahl der Künstler nahm und somit eine Verbreitung des »sozialistischen Realismus« förderte.

Das Wandbild gehört zu den wenigen großformatigen Wandbildern in der DDR, die bis heute überliefert sind. Als geschichtliches und künstlerisches Zeugnis von baugebundener Kunst in Produktionsstätten volkseigener Betriebe der DDR ist das Wandbild Arbeit und Erholung ein herausragendes Kunstwerk, das durch den geplanten Abbruch des Gebäudes nicht verloren gehen sollte. Intensive Wochen der Gespräche, der Entscheidungen und des schnellen verlässlichen Handelns führten schließlich zur Rettung des circa 60 Quadratmeter großen Wandbilds.

Das Landesdenkmalamt Berlin veranlasste die fachgerechte Abnahme des Wandbilds und wurde somit Eigentümer. Die Kunsthochschule Berlin (KHB), deren Absolventen und spätere Professoren das Wandbild gemalt hatten, stellten für die Einlagerung den Dachboden der erst kürzlich restaurierten Aula des denkmalgeschützten Schulkomplexes zur Verfügung. Derzeit wird die Wiedereinbringung des Wandbilds in einen der Erweiterungs-Neubauten der KHB erwogen.

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Berlin-Weißensee, VEB Sternradio, Wandbild Arbeit und Erholung, um 1965, linke Hälfte, Vorzustand, Aufnahme 2019
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Berlin-Weißensee, VEB Sternradio, Wandbild Arbeit und Erholung, um 1965, linke Hälfte, Vorzustand, Aufnahme 2019

Zur Sicherung des Wandbilds war im Dezember 2019 ein Abnahmeplan der neun Bildszenen, unterteilt in jeweils 2,50 Meter breite Streifen, erstellt worden. Nachdem eine Trägerschicht auf die Malschicht aufgebracht war, wurden die Bildelemente per strappo, ein Verfahren zur Ablösung der Malschicht vom Putzuntergrund, von der Wand abgenommen. In einem zweiten Arbeitsschritt wurde die abgenommene Malschicht auf einen neuen Träger aufgebracht, die im ersten Schritt aufgebrachte Trägerschicht entfernt und die Malschicht auf der Oberseite gefestigt. Die Bildrollen wurden im Oktober 2020 auf dem Dachboden der KHB eingelagert und die Dokumentation abgeschlossen.

Mit hervorragenden Restaurator*innen war es gelungen, rund 95 Prozent der Wandmalerei zu sichern. Eine kleinere Bildszene wurde zudem restauriert, um die strahlende Farbigkeit der Bilder für notwendige Restaurierungen bei Wiederanbringung des Wandbilds beispielhaft zu zeigen.

Christina Czymay

Brandenburg

Eröffnung Klostergarten Neuzelle

Am 10. Juni 2022 fand die Eröffnung des 3. Bauabschnitts und damit der Abschluss der über 20 Jahre andauernden Wiederherstellung der Gärten und Freiflächen des Klosters Neuzelle statt. Das 1268 gestiftete Kloster wurde als letztes der ehemals 16 Zisterzienserklöster auf dem Gebiet des heutigen Landes Brandenburg erst 1817 aufgehoben. Bereits 1818 eröffnete im Kloster ein Lehrerseminar und der ehemalige Grundbesitz des Klosters wurde vom Staat in eine Stiftung umgewandelt. Neuzelle verfügte damit als einziges der früheren Zisterzienserklöster bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts noch über einen funktionierenden barocken Klostergarten. 1955 wurde das nach der Säkularisation noch bestehende Stift durch eine »Verwaltungsänderung« aufgelöst und Gebäude und Besitz unter verschiedene staatliche Träger aufgeteilt.

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Kloster Neuzelle, Barockgärten, hell angelegt die Planung des 3. Bauabschnitts. Im Südosten der Weinberg »Scheibe«, darunter der unterirdische Museumsneubau, Luftbild/Lageplan 2019
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Kloster Neuzelle, Barockgärten, hell angelegt die Planung des 3. Bauabschnitts. Im Südosten der Weinberg »Scheibe«, darunter der unterirdische Museumsneubau, Luftbild/Lageplan 2019

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Kloster Neuzelle, Terrassen des Abtgartens von Süden, Aufnahme 2022
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Kloster Neuzelle, Terrassen des Abtgartens von Süden, Aufnahme 2022

Nach der Wiedervereinigung befand sich der Klostergarten in einem bedenklichen Zustand. Durch fehlende Pflege und ungeklärte Zuständigkeiten hatte sich Wildwuchs ungehindert ausgebreitet, sodass die historische Gartengestaltung kaum noch ablesbar war und der verbliebene barocke Gehölzbestand abzusterben drohte. Erst mit der 1996 vom Land Brandenburg vollzogenen Wiedereinrichtung der Stiftung Stift Neuzelle wurden die Voraussetzungen für eine denkmalgerechte Wiederherstellung des Klostergartens geschaffen. Begonnen wurde 1999 mit dringend erforderlichen Maßnahmen zum Erhalt des barocken Gehölzbestandes. Es folgten gartenarchäologische Grabungen, die nachwiesen, dass die Darstellungen der Gärten im 1758 bis 1763 erarbeiteten »Neuzeller Stiftsatlas« keine Planungsabsichten zeigen, sondern tatsächlich ausgeführt worden waren.

Die Bewertung der einzelnen Zeitschichten ergab, dass der barocke Garten des 18. Jahrhunderts in seinen Grundstrukturen weitgehend erhalten war. Für dessen Wiederherstellung waren rekonstruierendee Nachbauten von verloren gegangenen Gartenausstattungen (Pavillons, Treillagen, Treppen) erforderlich, um die noch vorhandene originale Substanz in die ursprüngliche Gesamtgestaltung einzubinden. Diese wurden als deutlich erkennbare moderne Ergänzungen ausgeführt. Der im ersten Bauabschnitt fertiggestellte Gartenteil mit der wiederhergestellten Orangerie, die von 1844 bis 1989 als Turnhalle gedient hatte, wurde am 12. Juni 2004 eröffnet. Der folgende, am 4. Juni 2008 eröffnete zweite Bauabschnitt umfasste den noch fehlenden Bereich des Abtgartens, den westlichen Teil des Konventgartens, des »Brauhausgartens« und des Waisenhaushofes und die Wiederherstellung historischer Pflasterflächen einschließlich des Stiftsplatzes.

Mit der gleichzeitigen Restaurierung der Klosterbaulichkeiten ergab sich für die Freiraumplanung die Notwendigkeit der Einfügung eines Neubaus. Das Kloster birgt eine besondere Rarität, die Neuzeller Passionsdarstellungen, die in fünf Bühnenbildern 15 Szenen der biblischen Ereignisse darstellen. Diese gelten nach Umfang, Größe und künstlerischer Qualität europaweit als einzigartig. Es fehlte ein geeigneter Ort, sie wenigstens teilweise der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Alle Varianten, einen Museumsneubau im Klosterareal zu errichten, erwiesen sich als nicht durchführbar, da stets eine Beeinträchtigung des historischen Ensembles damit verbunden war. Und so wurde von den zuständigen Bau- und Gartendenkmalpflegern des Brandenburgischen Landesamts für Denkmalpflege die Idee entwickelt, das Museum unterirdisch in den Weinberg »Scheibe« einzufügen und dessen verunklärte Terrassierung wiederherzustellen. Seit dem 21. März 2015 ist es als »Museum Himmlisches Theater« für das Publikum geöffnet. Im 3. Bauabschnitt wurden der östliche Teil des Konventgartens und der Küchengarten wiederhergestellt, eine Gärtnerei neu errichtet und das historische Waschhaus als Gärtnerstützpunkt ausgebaut. Die Gartenanlagen sind inzwischen zu einem touristischen Anziehungspunkt geworden, der auch zum wirtschaftlichen Erfolg der Stiftung Stift Neuzelle beiträgt.

Alexander Niemann

Bremen

Mehr als nur Werbung

Vor dem Hintergrund der aktuellen Kolonialismus-Debatte erhält das Wandmosaik in der Eingangshalle des Bremer Hauptbahnhofes derzeit erhöhte Aufmerksamkeit. 1957 als Werbung für die Bremer Zigarettenfabrik Martin Brinkmann AG nach einem Entwurf des belgischen Künstlers Alexandre Noskoff (1911–1979) geschaffen, war das über 20 Meter breite Mosaik mit dem Titel Aufbruch seit den 1960er Jahren von Reklame verdeckt und wurde erst bei Sanierungsarbeiten um 2000 wiederentdeckt. Der bis 2021 in Bremen ansässige Brinkmann-Konzern war für seine Tabakprodukte aus verschiedenen Ländern Asiens, Amerikas und Arabiens bekannt. Durch den Direktimport aus Amerika wurde Brinkmann zum größten Importeur für amerikanischen Tabak und Bremen zum größten Tabak-Umschlaghafen Europas. Zur Entstehungszeit des Mosaiks erfolgte auch der Zusammenschluss mit dem Tabakhersteller Philip Morris.

Die in der Steingutfabrik Grünstadt gefertigten farbigen Majolika-Schmuckfliesen illustrieren, wie der Tabak aus diesen fernen Ländern nach Bremen gelangte. Die eigentliche Werbung für die damals mit über 6.000 Mitarbeitern größte Tabakfabrik auf dem europäischen Kontinent ist auf einen dezenten Schriftzug beschränkt. Das Wandbild wurde vergleichbar einem Triptychon konzipiert: Die äußeren »Tafeln« stellen die Tabakanbaugebiete in Übersee dar und rahmen eine Szene des bremischen Stadthafens im Zentrum.

Der linke Bildteil zeigt einen vermutlich chinesischen Lohnarbeiter unter der strahlenden Sonne Sumatras, der über seinen Schultern an einen Stab gebündelte Tabakblätter trägt. Neben ihm sitzt eine Tabakfarmerin vor einem Säulenkapitell in Mazedonien. Sie zieht kleine Tabakblätter von einem Stab und begutachtet ihre Trocknung, bevor sie in einem Korb von einem Esel weitertransportiert werden.

Im rechten Bildteil ist eine große, blühende Virginia-Tabakpflanze neben einem afroamerikanischen Plantagenarbeiter in Blue Denim Jeans dargestellt, der ein Tabakblatt zur Qualitätsprüfung hält. Zu sehen ist auch ein Raddampfer. Die sinnbildliche Darstellung einer südamerikanischen Gottheit mit Kopf- und Ohrschmuck, Federkrone und gedrehter Rauchrolle verweist zudem auf die Anfänge des Tabaks in Amerika.

Im großen Mittelbild leitet ein Segelschiff zur Ankunft im »Heimathafen« über: die Hansestadt Bremen mit den Stadtmusikanten und den architektonischen Wahrzeichen. Von einem Stückgutfrachter wird der Tabak durch drei Halbportalkräne auf Schienen direkt in backsteinsichtige Lagerhallen transportiert. Links im Bildvordergrund, zwischen Virginia-Tabakfass und einem geschnürten Tabakpaket aus Indonesien, hebt ein Pfeife rauchender Matrose, der mit seinem Breton-Shirt und der dunkelblauen Mütze mit »Pompon« der französischen Marine zugeordnet werden könnte, eine große, bunt gefasste Maske empor. Ein Artikel im »Tabakblatt« der Brinkmann AG (Heft 1/1958) beschreibt sie als »afrikanische Maske«. Vermutlich ein Souvenir, wie es oft von Seeleuten mitgebracht wurde und hier wohl symbolhaft erläutern soll, wie mit dem Tabak auch fremde Kunst und Kultur nach Bremen gelangte.

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Bremen, Hauptbahnhof, Eingangshalle, Alexandre Noskoff, Aufbruch, Mosaik, 1957, Aufnahme 2023
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Bremen, Hauptbahnhof, Eingangshalle, Alexandre Noskoff, Aufbruch, Mosaik, 1957, Aufnahme 2023

Durch die Darstellung in der für die 1950er Jahre typischen Bildsprache werden die Bevölkerungs-Stereotype sowie die Maske heute zum Teil fehlgedeutet und als unreflektierte Beschönigungen des Kolonialismus empfunden. Sie stehen – wie die NS-Vergangenheit des Brinkmann Konzerns – stark in der öffentlichen Kritik, sodass die eigentliche Darstellung und kontextuelle Bildaussage des Mosaiks davon überschattet werden.

Mit dem Erhalt und der Präsentation des durch eine hohe künstlerische Qualität gekennzeichneten Mosaiks bietet sich die Chance einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der kolonialen Stadtgeschichte und eines Anstoßes zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Firmengeschichte der Brinkmann AG. Wichtig ist eine angemessene historische Vermittlung, die das Kunstwerk in seinem vielschichtigen Bedeutungsspektrum für die Öffentlichkeit lesbar macht. Neben einer ausführlichen Erläuterung des Mosaiks in der Zeitschriftenreihe des Landesamts für Denkmalpflege Bremen (2024) wird daher auch eine Informationstafel im Bremer Bahnhof angestrebt.

Marianne Ricci

Hamburg

Ein Paternoster als Werbung

Auf dem Gelände der heutigen Kulturfabrik Kampnagel ist eine ungewöhnliche Paternosteranlage des Herstellers Kehrhahn aus dem Jahr 1953 mit zwölf unterschiedlich gestalteten Fahrkörben und sechs individuellen Portalen wiederentdeckt worden. Bisher war sie lediglich durch die Nennung auf der Internet-Seite des »Paternostersammlers« Wolfgang Flemming bekannt. Bei Instandsetzungsarbeiten fand sie sich hinter Spanplatten, gut konserviert durch einen jahrzehntelangen Dornröschenschlaf.

Die Anlage verbindet die sechs Geschosse im Verwaltungsbau der einstigen Maschinen- und Kranfabrik Kampnagel, einem schlichten Putzbau mit Flachdach, der nach Plänen des Hamburger Architekten Herbert Qurin als Ersatz für einen im Zweiten Weltkrieg zerstörten Vorgänger errichtet wurde. Der Erschließungskern mit Treppenhaus und die Paternosteranlage einschließlich der Technik mit Umlaufkette und Notseil, der Überfahrt mit dem Triebwerksraum und der Grube sind bauzeitlich erhalten. Zeittypische Materialien wie Solnhofener Platten, Terrazzo-Beläge, schwarz gefasste und goldfarben eloxierte Aluminiumrahmen prägen das Treppenhaus. Auch die Ausstattung der Aufzugsumlaufanlage im Treppenauge gibt einen guten Überblick über damals beliebte Oberflächen: Verschiedene Holzarten sowie Aluminium, Linoleum und Resopal sind als glatte Beschichtung oder in der in den 1950er Jahren so beliebten Stäbchenoptik verarbeitet. Sie demonstrieren die Vielfalt der Ausstattungsoptionen, die die Firma Friedrich Kehrhahn anbot. Zudem geben die geschossweise variierenden Portalverkleidungen jedem Treppenflur ein eigenes Gepräge.

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Hamburg, Jarrestraße 20, Verwaltungsgebäude Kampnagel, Kehrhahn-Paternoster Nr. 7032, Fahrkorb 8 (links) und Fahrkorb 2 (rechts), Aufnahme 2022
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Hamburg, Jarrestraße 20, Verwaltungsgebäude Kampnagel, Kehrhahn-Paternoster Nr. 7032, Fahrkorb 8 (links) und Fahrkorb 2 (rechts), Aufnahme 2022

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Hamburg, Jarrestraße 20, Verwaltungsgebäude Kampnagel, Kehrhahn-Paternoster Nr. 7032, Fahrkorb 8 (links) und Fahrkorb 2 (rechts), Aufnahme 2022
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Hamburg, Jarrestraße 20, Verwaltungsgebäude Kampnagel, Kehrhahn-Paternoster Nr. 7032, Fahrkorb 8 (links) und Fahrkorb 2 (rechts), Aufnahme 2022

Kehrhahn zählte seinerzeit zu den bundesweiten Branchenführern im Aufzugbau. Zwischen den 1940er Jahren und 1955 war Kehrhahn ein Tochterunternehmen von Kampnagel mit Firmensitz auf dem gleichen Gelände. Hier wurden die Paternoster weitgehend produziert, bis Kehrhahn von der Stahlbau-Eggers GmbH aufgekauft wurde; nach zahlreichen Fusionen ist die Firma in dem Konzern Thyssen-Krupp Elevator aufgegangen.

Ein Firmenprospekt der Nachkriegszeit stellte die Vorteile der Umlaufaufzüge, umgangssprachlich in Analogie zur Gebetskette Paternoster genannt, heraus: die kontinuierliche Förderung, die sehr hohe Förderleistung von 550 Personen pro Stunde, außerordentlich geringe Betriebskosten bei ständiger Betriebsbereitschaft und niedrige Wartungskosten sowie eine geringe Stromaufnahme des Antriebsmotors (ohne Anlaufspitze). Der Paternoster auf Kampnagel hatte eine weitere Funktion: Die variantenreiche Ausstattung machte ihn zu einer rotierenden Werbetafel. Als Musteranlage ist er nach bisheriger Kenntnis ein Unikat.

Die Paternosteranlage wurde 2023 zusammen mit dem Verwaltungsgebäude Kampnagel unter Denkmalschutz gestellt. Nachdem sie die Probefahrt erfolgreich bestanden hat, werden derzeit die ausgebauten Fahrkörbe restauriert.

Heike Trost

Hessen

Instandsetzung eines großflächigen Sgraffitos

1956 schuf der Künstler Ernst Vogel (1894–1970) für die Wilhelm-Leuschner-Schule in Darmstadt als Kunst am Bau ein 117 Quadratmeter großes Sgraffito. Es stellt in abstrakten Formen spielende Kinder und zwei Erwachsenenpaare in einem räumlich definierten, architektonischen Zusammenhang dar. Das Wandbild Spiel schmückt die Südwestseite des Schulgebäudes, das 1956 durch das städtische Hochbauamt unter Leitung von Oberbaudirektor Peter Grund errichtet wurde. Tatsächlich ist die Wilhelm-Leuschner-Schule einer der elf Meisterbauten, mit denen die Stadt 1951 im Rahmen der Darmstädter Gespräche einen innovativen Weg des Wiederaufbaus beschritt und elf renommierte Architekten einlud, Entwürfe für öffentliche Bauten auszuarbeiten. Mit dem Entwurf einer Grundschule und anschließendem Kindergarten beauftragte sie den Niederländer Willem Marinus Dudok (1884–1974). Sein von kubischen Formen geprägter und städtebaulich sensibel eingepasster Entwurf wurde mehrfach überarbeitet und unter städtischer Regie gebaut. Das mit seinen intensiven roten, hellgelben, schwarzen und weißen Putzflächen gestaltete Sgraffito Vogels weicht dabei deutlich von der ursprünglich reduzierten Farbkonzeption Dudoks ab.

Eine im Rahmen der anstehenden Instandsetzungsmaßnahme des Schulbaus beauftragte restauratorische Untersuchung des Sgraffitos zeigt ein komplexes Schadensbild im Bereich der farbintensiven Putzschichten. Material- und konstruktionsimmanente Schäden haben durch eindringende Feuchtigkeit und Verschmutzungen zu einer Entfestigung der Putzschichten geführt. Des Weiteren begünstigte eine unsachgemäße Sanierung der frühen 1980er Jahre mit Standard-Sackware und flächigen Überstreichungen der durchgefärbten Putzflächen mit Dispersionsfarbe den Schadensprozess. Dadurch ist das Wandbild heute in einem besorgniserregenden Zustand. Ein Fachgutachten empfiehlt daher eine detaillierte Kartierung der Schäden und eine fachgemäße Reinigung des Wandbilds als Grundlage eines fach- und denkmalgerechten Maßnahmenkatalogs. Ziel ist der möglichst weitgehende Erhalt der originalen Substanz. Anhand eines maßgeschneiderten Konservierungs- und Restaurierungskonzeptes sind die erforderlichen farbigen Mörtelrezepturen in Anlehnung an die bauzeitlich üblichen Methoden und Techniken zu entwickeln und entsprechend anzuwenden. Die zentrale denkmalpflegerische Zielstellung der Instandsetzung liegt in der Bewahrung der figürlichen Darstellungen. Teilrekonstruktionen sollen möglichst nur im Bereich der stark geschädigten, rot und dunkel verputzten Hintergrundflächen zur Anwendung kommen.

Ernst Vogels Spiel ist eines der (noch) zahlreichen Zeugnisse von Kunst am Bau, die das Darmstädter Stadtbild bis heute prägen. Wie viele seiner Kollegen konnte Vogel von der in der Nachkriegszeit durch die Kommune praktizierten Regel, zwei Prozent der Bausumme in Bildende Kunst zu investieren, gut leben. Thema seiner Werke ist besonders das seinerzeit viel diskutierte Menschenbild, das er in abstrakten Formen aufgreift – so auch im Sgraffito Spiel, in dem Menschen in antikisierenden, klaren Formen und monochromen Farben das Thema Schule visualisieren. Gerne wählte Vogel für seine Kunstwerke Motive, die den Schrecken des Zweiten Weltkriegs künstlerisch eine vermeintlich heile Welt gegenüberstellen. Mit seinen Werken hinterlässt Ernst Vogel im Darmstädter Stadtraum eine vielfältige außermuseale Kunstsammlung, an deren Erhalt großes öffentliches Interesse besteht.

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Darmstadt, Wilhelm-Leuschner-Schule, Bessunger Straße 195, Ernst Vogel, Spiel, Sgraffito, 1956, Aufnahme kurz nach Fertigstellung
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Darmstadt, Wilhelm-Leuschner-Schule, Bessunger Straße 195, Ernst Vogel, Spiel, Sgraffito, 1956, Aufnahme kurz nach Fertigstellung

Bärbel Herbig

Mecklenburg-Vorpommern

Kunst am Bau an den Stubnitz-Lichtspielen in Sassnitz

Die junge Stadt Sassnitz auf der Insel Rügen mit Ihrem Ostseehafen entwickelte sich seit den 1950er Jahren zu einem wichtigen Industriestandort in der DDR. Grund hierfür war vor allem das im Jahr 1948 gegründete Fischkombinat mit 2.000 Beschäftigten. Die rasante Entwicklung des ehemaligen Fischerdorfs zur Stadt brachte den Bau zahlreicher Wohnungen und Schulen sowie eines repräsentativen Kulturhauses mit integriertem Lichtspieltheater, Gastronomiebetrieb und Kurhaus mit sich. Das von 1955 bis 1958 errichtete Filmtheater und Kulturhaus Stubnitz-Lichtspiele, in städtebaulich exponierter Lage in unmittelbarer Nachbarschaft des Bahnhofs gelegen, entwickelte sich schnell zum kulturellen Zentrum der Stadt.

Dank seines sehr guten Erhaltungszustands stellt das Kulturhaus ein wichtiges bauliches Dokument der Nachkriegsarchitektur in der DDR dar, dem noch heute ein hoher Zeugniswert zukommt. In der traditionellen Formensprache der 1950er Jahre errichtet, überzeugt der Bau gestalterisch, funktionell sowie in seiner Ausführungsqualität. Aufgrund des umfangreichen bauzeitlichen Überlieferungszustand und seiner architektonischen Qualität zählt das Lichtspielhaus in Sassnitz zu den bedeutendsten erhaltenen Kinobauten der 1950er Jahre in Mecklenburg-Vorpommern und ist seit 2004 als Baudenkmal geschützt.

Eine Besonderheit stellt die bauzeitliche Fassadengestaltung mit verschie densten zeittypischen Dekorationselementen dar, allem voran die als Kunst am Bau ausgeführten Reliefs des Rostocker Bildhauers Jo Jastram (1928–2011), die als Frühwerke seines künstlerischen Schaffens angesehen werden können. Es handelt sich um elf (ursprünglich zwölf) schmale, hochrechteckige Betonwerkstein-Reliefs mit einer dem Terrazzo ähnlichen Oberflächenstruktur. Die Stücke sind im Erdgeschoss zwischen den Tür- bzw. Fenstergewänden auf der Nordwest- bzw. Südostfassade des Kulturhauses eingelassen. Auf der südöstlichen Gebäudeseite finden sich Reliefs mit Sinnbildern der geistigen Erholung und Unterhaltung wie die Darstellung eines Clowns für das Varieté, Masken für das Theater, eine Tänzerin für das Ballett oder ein Puppentheater zur kulturellen Bildung und Unterhaltung der Kleinsten. Auf der nordwestlichen Seite des Gebäudes wird hingegen mit Wald- und Tierdarstellungen, ballspielenden Menschen, Strandbaden und Spazierengehen die körperliche Erholung des Menschen thematisiert.

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Sassnitz, Stralsunder Straße 43, Stubnitz-Lichtspiele, Nordwestseite mit Reliefs zum Thema der körperlichen Erholung, Aufnahme 2022
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Sassnitz, Stralsunder Straße 43, Stubnitz-Lichtspiele, Nordwestseite mit Reliefs zum Thema der körperlichen Erholung, Aufnahme 2022

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Sassnitz, Stralsunder Straße 43, Stubnitz-Lichtspiele, teilrestauriertes Relief mit Puppentheater-Motiv, Aufnahme 2022
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Sassnitz, Stralsunder Straße 43, Stubnitz-Lichtspiele, teilrestauriertes Relief mit Puppentheater-Motiv, Aufnahme 2022

Die Umsetzung der Entwürfe erfolgte im Jahr 1958 direkt auf der Baustelle und stellte vermutlich den ersten Kontakt des Künstlers mit dem Material Beton und dessen Verwendung als Betonwerkstein dar. Ausgeführt wurden die Arbeiten binnen weniger Wochen in traditioneller Bildhauermanier.

Die entstehungszeitlich noch ungefassten Oberflächen der Reliefs wurden nur wenige Jahre nach der Eröffnung der Stubnitz-Lichtspiele, spätestens aber 1962, partiell mit einem weißen, ölgebundenen Anstrich versehen. Die Gründe dafür lagen vermutlich in der geringen Tiefe der Reliefs und einem deshalb nur schwer wahrnehmbaren Kontrast zwischen den bildhauerisch bearbeiteten und unbearbeiteten Flächen des Steins. Auf der baulich exponierteren Südostseite des Gebäudes wurde dieser Anstrich in den Folgejahren wiederum mehrfach erneuert, bis die Reliefs im Jahr 2002 mit einem gelben Anstrich, der heutigen Sichtfassung, flächig überfasst wurden.

Die bemerkenswerte Fassadengestaltung gab Anlass zu einer Diplomarbeit im Studiengang Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung von Wandmalerei und Architekturfarbigkeit an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Sie bot Raum für die gewünschte Beschäftigung mit Gestaltungsprinzipien der 1950er Jahre in der DDR, die Einordnung der Fassade und der Kunst am Bau in die zeitgenössische Entwicklung und die Erkundung der Erhaltungsmöglichkeiten der Reliefs. Grundlage dafür bildete eine umfassende Bestandsuntersuchung und -bewertung der verschiedenen Gestaltungselemente. Die umfangreichen Untersuchungen und technologischen Analysen ermöglichten die Erarbeitung einer Konservierungs- und Restaurierungskonzeption für die künftige Präsentation der Reliefs.

Elke Kuhnert

Nordrhein-Westfalen, Landesteil Rheinland

Bunkerkunst im Kriegseinsatz

Kunst am Bunker? Heute dienen Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich häufig als Folie oder Unterbau für verschiedenste Kunstprojekte. Bekannt sind auch die großformatigen Wandgemälde, die seit etwa den 1980er Jahren als Statement der damaligen Friedensbewegung und/oder zur Stadtbildverschönerung auf den kahlen Betonwänden der unverkleidet gebliebenen, betongrauen Kästen aufgebracht wurden. In Düsseldorf (»Bilker Bunker«, Aachener Straße) und Essen (Körnerstraße) sind zwei dieser bewusst an »Murales« erinnernden Kunstwerke ausdrücklich als Zeitschichten mit in die Unterschutzstellung von Hochbunkern einbezogen worden. Und gelegentlich finden sich in den Innenräumen auch regelrechte Kunstwerke aus den Nachnutzungen der unmittelbaren Nachkriegszeit, beispielsweise als Bunkerhotels oder Jugendtreffs. Aber: Bauzeitliche Kunst?

Von Zweck und Zeitstellung her erscheint dies zunächst unwahrscheinlich. Zumal schon in den frühen ministeriellen »Bestimmungen für den Bau von Luftschutz-Bunkern« aus dem Jahr 1941 ausdrücklich bestimmt war: »Schmuckteile und Verkleidungen sollen nur sparsam verwendet werden« (S. 7). Folgerichtig findet sich, soweit bislang überschaubar, im Rheinland tatsächlich wenig bauzeitliche »Kunst am Bau« an Bunkern, abgesehen von einzelnen »wehrhaften« Architekturteilen oder motivisch bearbeiteten Steinen, letztere meist an oder über Portalen.

Eine Ausnahme allerdings bilden gleich mehrere Hochbunker in Duisburg, an denen Kunstwerke im Sinne einer Kunst am Bau eigens beauftragt und angebracht wurden. So finden sich annähernd lebensgroße figürliche Reliefs oder kleinere, auf Konsolen freistehende Figuren an den Bunkern Zieglerstraße, Von-der-Tann-Straße, Gablenzstraße oder Steinsche Gasse (Marientor). Und außerdem, selbst für die Duisburger Verhältnisse ungewöhnlich: ein farbiges Mosaik am Eingangsbau des 1940/41 errichteten, sorgfältig mit Ziegeln verkleideten und mit Tarndach versehenen Hochbunkers in der Friedenstraße im Stadtteil Hochfeld, das stilisierte, grimmig und entschlossen in die Lüfte steigende Adler zeigt. In zeittypischer Manier wurden diese Arbeiten wohl durchweg an einheimische Künstler vergeben, wobei insbesondere der aus Duisburg-Huckingen stammende, dann in Düsseldorf ansässige und seit den 1920er Jahren für seine Bau- und Denkmalplastik recht bekannte Bildhauer Ferdinand Heseding (1893–1961) beinahe regelmäßig beauftragt worden zu sein scheint – auch in Hochfeld, mit kleineren plastisch ausgearbeiteten Schluss- und Inschrift-Steinen, die Adlerkopf, Schwert und Jahreszahl zeigen. Das Mosaik hingegen stammt von dem ebenfalls in Duisburg geborenen und seinerzeit in Düsseldorf ansässigen Maler Robert Schwarz (1899–1962) – einer breiteren Öffentlichkeit lange Zeit hauptsächlich als Urheber von Motivwagen des Düsseldorfers Karnevals geläufig – und fügt dessen bislang bekanntem Werk eine bis dato nicht geläufige Komponente von besonderem wissenschaftlichen Interesse hinzu. Bereits 1992 als Denkmal erfasst, konnten Bunker und Mosaik auf Basis eines ausführlichen Gutachtens 2023 in die Denkmalliste eingetragen werden.

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Duisburg-Hochfeld, Friedenstraße 3, Hochbunker mit Mosaik, 1940/41, Aufnahme 2022
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Duisburg-Hochfeld, Friedenstraße 3, Hochbunker mit Mosaik, 1940/41, Aufnahme 2022

Marco Kieser

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Neuss, Drususplatz, Wandbild Flora, 1955, auf dem zugesetzten Eingang zum Tiefbunker, Aufnahme 2021
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Neuss, Drususplatz, Wandbild Flora, 1955, auf dem zugesetzten Eingang zum Tiefbunker, Aufnahme 2021

Bunkerkunst in der Nachkriegszeit

Bundesweit großen Seltenheitswert hat sicherlich auch Bunkerkunst aus der Zeit des Wiederaufbaus, denn angesichts zerstörter Städte war eine künstlerische Aufwertung dieser Bauten zunächst abwegig. In Neuss am Rhein beschäftigte sich jedoch Stadtbaumeister Heinrich de Cleur (1907–1991) als Leiter des städtischen Gartenamts mit derartigen Relikten des Zweiten Weltkrieges, weil sie in städtischen Grünanlagen errichtet worden waren, die wiederhergerichtet bzw. umgestaltet werden sollten. Für den Erschließungsbau eines Tiefbunkers auf dem Drususplatz entwarf er 1955 ein Wandbild mit Darstellung der Göttin Flora, das in der selten angewandten Technik des mehrfarbigen Zementgusses ausgeführt wurde. Thematisch fügt es sich in die Grüngestaltung ein und regt dazu an, diese als friedliche mythologische Landschaft zu deuten. Die sonst meist in Flora-Darstellungen enthaltene erotische Komponente tritt bei diesem weiblichen Akt jedoch kaum in Erscheinung, denn weibliche Rundungen sind in den abstrahierten Körperkonturen allenfalls angedeutet. Weit eher vermitteln die aufrechte Körperhaltung mit erhobenem Arm und das kantige Gesicht einen heroischen Eindruck. Das von dem künstlerisch geschulten Gartenarchitekten geschaffene Frauenbildnis beinhaltet deutliche Bezüge zur nationalsozialistischen Kunst, die den menschlichen Körper für Heldendarstellungen nutzte. Heinrich de Cleur hatte nach seiner Gärtnerausbildung zunächst nebenberuflich die Kunstakademie Düsseldorf besucht, bevor er in Berlin am Institut für Gartengestaltung sowie an der Technischen Hochschule außerdem noch Städtebau und Geschichte der Baukunst studierte. Anlässlich seiner Pensionierung schrieb die »Neuß-Grevenbroicher Zeitung« am 13.1.1973 über seinen Lebensweg: »… [Heinrich de Cleur] sollte nach dem Abschluss seines Studiums mit Auszeichnung zum 1.9.1939 eine Dozentur für Landschaftsgestaltung und Städtebau an der Kunstakademie Düsseldorf übernehmen – aber der in jenen Tagen beginnende Zweite Weltkrieg machte einen Strich durch die Rechnung«. Die unterschiedlich stark zum Ausdruck kommenden Einflüsse im künstlerischen Werk de Cleurs sind allerdings ebenso wie seine politische Haltung und Tätigkeit im Dritten Reich bislang nicht genauer erforscht.

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Neuss, Drususplatz, Grünanlage mit zentralem Brunnen, eingeweiht 1955, einschließlich der oberirdischen Bunkererschließung mit Wandbild Flora, Aufnahme 2021
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Neuss, Drususplatz, Grünanlage mit zentralem Brunnen, eingeweiht 1955, einschließlich der oberirdischen Bunkererschließung mit Wandbild Flora, Aufnahme 2021

Das Wandbild ist in einem restaurierungsbedürftigen Zustand überliefert und steht seit 2022 als Bestandteil der öffentlichen Grünanlage auf dem Neusser Drususplatz unter Denkmalschutz. Es handelt sich im Übrigen um das erste rechtskräftig geschützte Gartendenkmal von Nordrhein-Westfalen auf Grundlage des neuen Denkmalschutzgesetzes (DSchG NRW), das am 1. Juni 2022 in Kraft getreten ist und nun erstmals die Kategorie des Gartendenkmals enthält. Bis dahin waren denkmalwerte Grünanlagen rechtlich den Baudenkmälern zugeordnet und wurden demzufolge im alten DSchG NRW auch so bezeichnet. Der Denkmalschutz von »Grün-, Garten- oder Parkanlagen, Friedhöfen oder sonstigen Zeugnissen der Garten- und Landschaftsgestaltung« (§ 2 Abs. 4 DSchG NRW) wird jedoch weiterhin durch Eintragung in die Denkmalliste nach dem konstitutiven Verfahren bewirkt, mittels Verwaltungsakt der örtlich zuständigen Unteren Denkmalbehörde.

Kerstin Walter

Nordrhein-Westfalen, Landesteil Westfalen

Astronomische Uhr in Münster untersucht und restauriert

Eines der meistbesuchten Objekte des Paulusdoms in Münster ist die Astronomische Uhr mit Glockenspiel im südlichen Chorumgang. Anfang 2022 wurden die letzten Maßnahmen der umfangreichen Restaurierung abgeschlossen. Parallel dazu fanden in den letzten Jahren zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen statt, die neue Erkenntnisse zu Technologie, Alter und Urheberschaft brachten.

Mit den ersten Arbeiten an der 1540–1543 gefertigten Uhr war bereits 2012 während der Generalsanierung des Doms begonnen worden. Wunsch des Domkapitels als Auftraggeber war, die Uhr nicht nur zu konservieren, sondern auch optische Störungen zu minimieren, verfremdende Überarbeitungen weitgehend zu entfernen und die darunter sichtbar werdenden Beschädigungen zurückhaltend zu restaurieren.

Um aussagekräftige Ergebnisse für die Konkretisierung des Maßnahmenkonzeptes und die methodische Vorgehensweise zu erhalten, wurde die Uhr in all ihren Bestandteilen von einem interdisziplinären Gremium aus Fachleuten der Kunstgeschichte, der Natur und Restaurierungswissenschaften sowie Sachverständigen für Uhrwerke untersucht. Neben UV-Aufnahmen erfolgten dendrochronologische Analysen und strahlendiagnostische Untersuchungen. Die hölzernen Maltafeln wurden geröntgt, um festzustellen, ob unter der vorhandenen Malerei ältere Malschichten liegen, und um zu ermitteln, was diese früheren Darstellungen zeigen. Dabei konnte unter der 1670 geschaffenen Weltkarte die Erstversion der Bemalung – eine Sternenkarte – sichtbar gemacht werden. Mittels Farbproben wurden die verwendeten Pigmente und Bindemittel analysiert.

Im ersten Maßnahmenabschnitt von April 2017 bis Mai 2018 wurde die Schauseite inklusive aller Skulpturen der beiden oberen Aufbauebenen konserviert und restauriert. Von Juli 2019 bis Dezember 2021 erfolgte die Bearbeitung des Monatskalendariums, das sich in der untersten Ebene auf Augenhöhe befindet. Die einzelnen Teile wurden von einer spezialisierten Uhrmacherfirma ausgebaut und zur Untersuchung sowie Konservierung in ein Restaurierungsatelier gebracht.

Bei den zwölf Monatsscheiben handelt es sich um gewalzte Kupferbleche, die mit einer leuchtend grünen Grundierung aus Bleiweiß und Kupferpigmenten in Öl versehen sind. Nur in hellen Bereichen liegt darüber ein weiterer dünner Ölgrund in elfenbeinfarbenem Ton. Darauf befindet sich eine dunkle Unterzeichnung, die mithilfe von Infrarot sichtbar gemacht werden konnte. Es folgt ein mehrschichtiger Farbaufbau durch Vorlegen eines Grundtons und akzentuierenden Lasuren. Den Abschluss bildet ein Naturharzfirnis.

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Münster, Dom, Obergeschoss der Astronomischen Uhr, vor und nach der Restaurierung, 2017 bzw. 2018
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Münster, Dom, Obergeschoss der Astronomischen Uhr, vor und nach der Restaurierung, 2017 bzw. 2018

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Münster, Dom, Obergeschoss der Astronomischen Uhr, vor und nach der Restaurierung, 2017 bzw. 2018
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Münster, Dom, Obergeschoss der Astronomischen Uhr, vor und nach der Restaurierung, 2017 bzw. 2018

Die detailreichen Monatsbilder mit einem Durchmesser von jeweils rund 15 Zentimetern sind so fein gearbeitet, dass sie an flämische und niederländische Malerei des 16. Jahrhunderts erinnern. Sie müssen mit feinsten Pinseln unter der Lupe gemalt worden sein. Die Bemalung, in der sich Gebäude und Plätze aus dem Münsteraner Stadtbild wiederfinden, stammt ebenso wie diejenige der Obergeschosse von Ludger tom Ring dem Älteren (1496–1547) und seinem Sohn Hermann (1521–1596). Es konnten bis zu fünf Überarbeitungsphasen und Restaurierungen dokumentiert werden, die sich vor allem durch Übermalungen und Retuschen auszeichneten. Die älteste stammt vermutlich aus dem Jahr 1709. Unter dem Mikroskop wurden Überarbeitungen abgenommen, unter denen nachweislich original oder gut erhaltene ältere Schichten vorlagen. Dabei kamen das Wappen der Familie tom Ring und die Datumsangabe 1540 zum Vorschein.

Neben konservatorischen Maßnahmen erfolgte die Integration von Fehlstellen durch Korrekturen vorangegangener Fehlinterpretationen. Alle Untersuchungsergebnisse und Maßnahmen wurden schriftlich, fotografisch und kartografisch dokumentiert. Durch die umfangreichen Konservierungs- und Restaurierungsarbeiten haben die Farben der monumentalen Uhr im Münsteraner Dom wieder an Leuchtkraft gewonnen und das Kunstwerk wurde in seiner vielfältigen Aussagekraft neu erlebbar gemacht.

Anke Dreyer

Rheinland-Pfalz

Monumentales Kunstwerk in der Industriestadt

Beim Bau des 1979 eröffneten Wilhelm-Hack-Museums in Ludwigshafen sahen sich die Planer vor die Herausforderung gestellt, eine 550 Quadratmeter große, geschlossene Sichtbeton-Fläche mit einer geeigneten Gestaltung zu versehen. Nach dem Abwägen verschiedener Lösungen trat die Stadtführung schließlich unter Vermittlung des Museumsstifters Wilhelm Hack an den international renommierten Künstler Joan Miró (1893–1985) heran, der sich bereits seit Mitte der 1950er Jahre mit großformatigen Wandbildern hervorgetan hatte.

Der katalanische Künstler sah ein mehrfarbiges, aus Keramikplatten zusammengesetztes Wandbild vor, das nicht nur einen herausragenden künstlerischen Akzent an dem Bauwerk, sondern auch für die Industriestadt Ludwigshafen ein bleibendes Zeichen setzen sollte. Den Entwurf Mirós übertrug der Keramiker Joan Gardy Artigas mittels farbiger Glasuren weitgehend freihändig auf insgesamt 7.200 industriell gefertigte Steinzeugplatten. Nach der Fertigstellung im Jahr 1979 wurden diese von Spanien nach Ludwigshafen transportiert und anschließend mittels eines eigens entwickelten Montagesystems an der Fassade befestigt.

Entstanden ist eine abstrakte Komposition aus geschwungenen, organischen Gebilden, die Assoziationen an die für Miró typischen skurrilen Wesen und Symbole hervorruft. Das Kunstwerk wird wesentlich von den vier grundlegenden Farben Rot, Grün, Blau und Gelb bestimmt, die sich in einem freien, dynamischen Zusammenspiel zu einem harmonischen Bildganzen zusammenfügen. Hinzu kommen weiße und schwarze Farbpartien, die die Ausdruckskraft der Farben erhöhen und zugleich als formgebende Konturen der farbigen Flächen erscheinen.

Die Miró-Wand stellt bis heute nicht nur das größte Kunstwerk Ludwigshafens dar, sondern auch eines der monumentalsten Werke des katalanischen Künstlers. Das Ludwigshafener Kunstwerk reiht sich damit in die Riege der bedeutendsten Miró-Werke ein, wie man sie etwa in Paris am UNESCOGebäude (1958) oder in Barcelona am Flughafen (1970) in Form monumentaler Wandkeramiken findet. Alle Wände verbindet die Verwendung kraftvoller Farben in Verbindung mit einem schwarzen Liniengerüst sowie die für Miró charakteristischen Formüberschneidungen und Verflechtungen. Während die frühen Wände insgesamt verspielter wirken, sind die ab 1970 fertiggestellten Keramikwände in ihrer kompositorischen Anordnung kompakter angelegt, die Farben erscheinen ausdrucksstärker und ohne Abstufungen. Das Wandbild in Ludwigshafen ist damit charakteristisch für den Monumentalstil im Spätwerk des Künstlers, das sich ab 1960 zunehmend durch eine kraftvolle und dynamische Bildsprache auszeichnet.

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Ludwigshafen, Wilhelm-Hack-Museum, Wandbild von Joan Miró an der Südostwand, Aufnahme 2017
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Ludwigshafen, Wilhelm-Hack-Museum, Wandbild von Joan Miró an der Südostwand, Aufnahme 2017

Da es sich um eine stadtbildwirksame, bis heute unveränderte Keramikfassade eines international renommierten Künstlers von hoher Kunstfertigkeit handelt, wurde die von Miró entworfene und von Artigas ausgeführte Keramikfassade im Jahr 2019 als Kulturdenkmal eingestuft. Für den durch Sanierung und Umbau veränderten Museumsbau hingegen, der auf einen Entwurf der Stuttgarter Architekten Hagstotz und Kraft zurückgeht, konnte eine Denkmaleigenschaft – trotz der vorhandenen Raumqualitäten – nicht festgestellt werden.

Leonie Köhren

Saarland

Kunst am Bau und Wärmeschutz

Als man 1989 das Hüttenkrankenhaus in Saarbrücken-Burbach abriss, blieb lediglich das 1960–1964 von Karl Biro erbaute Schwesternwohnheim in der Langfuhrstraße stehen. Der T-förmige Baukomplex überragt mit sechs Geschossen die umgebende Bebauung. Die Südseite ist geprägt durch Loggien und ein seitlich vorspringendes Treppenhaus, dessen Außenwand ein monumentales Mosaik trägt. Geschaffen und signiert hat es 1964 der saarländische Künstler Fritz Zolnhofer (1896–1965), der unter anderem mit zahlreichen Wandbildern an und in öffentlichen Bauten zu den einflussreichsten Künstlern im Saarland der Nachkriegszeit zählt.

Ausdrucksstark ergänzen sich in dem handwerklich meisterhaft umgesetzten Mosaik expressionistische Formen und ein gelöstes Farbenspiel. Dargestellt sind drei eng umschlungene Figuren am pflanzenbestandenen Flussufer, unter Wolken und rot leuchtender Sonne, umgeben von dekorativ im Hintergrund verteilten Mosaikelementen. Die abstrahierend gestalteten Figuren sind gestaffelt angeordnet, vorne eine halb entblößte, schwangere Frau, neben ihr ein Mann, Sinnbild für Familienglück und neues Leben. Von hinten umarmt eine weitere Frau fürsorglich das Paar. Deutbar als Caritas, vermittelt sie den inhaltlichen Bezug zum architektonischen Ort, dem Krankenhaus. Die Figuren scheinen versunken in eine fast paradiesische Natur. Ihre Vitalität wird jedoch getrübt durch reale Sorgen, die sich mit dem menschlichen Dasein verbinden, angedeutet im Ausdruck der Gesichter sowie durch die Wolken, die sich der Sonne nähern. Das Bild, das von diesem spannungsvollen Verhältnis lebt, spiegelt so mit seiner allgemeingültigen Aussage über die menschliche Existenz auch die Suche nach Orientierung und Sinn in der Nachkriegsgesellschaft wider.

Die nüchterne Wohnarchitektur wurde zwischenzeitlich erheblich verändert; das authentisch überlieferte Wandmosaik konnte hingegen 2007 als Kulturdenkmal ausgewiesen werden. Im Zuge der aktuellen Gesamtsanierung des Gebäudes war der Fortbestand des Kunstwerks dennoch gefährdet, da die energetische Ertüchtigung der Fassaden laut Landesbauordnung unumgänglich war. Eine Ausnahme von der Energiesparverordnung wäre nur im Fall der Denkmaleigenschaft des gesamten Gebäudes erteilt worden, so aber konnte auch auf die Art der Fassadendämmung vom Landesdenkmalamt kein direkter Einfluss genommen werden. Durch die Bereitschaft des Bauherrn und die besonnene Planung des beratenden Ingenieurbüros wurde jedoch eine Sonderlösung erarbeitet, die Wärmeschutz und den Erhalt des Kunstwerks zusammenbrachte. Insgesamt erhielt das Gebäude einen konventionellen Vollwärmeschutz. Lediglich im Bereich des Mosaiks wurde dieser ausgespart und rechtwinklig schräg zum gereinigten und restaurierten Kunstwerk hin angearbeitet. Aus der Sicht mancher wurde die Wirkmächtigkeit des Mosaiks durch den aufgrund der Dämmung entstandenen Rahmen sogar erhöht. Der fehlende Wärmeschutz im Bereich des Mosaiks wurde kompensiert durch eine aufwendigere Dämmung mit Kalziumsilikatplatten im Innern des Gebäudes – eine Sonderkonstruktion, die funktioniert, auch wenn sie in der Ausführung nicht in jedem Detail den Fach- und DIN-Vorschriften entspricht. Durch die offene Zusammenarbeit aller Beteiligten und eine gute Planung konnte so ein eindrucksvolles Bildwerk von hoher künstlerischer Bedeutung erhalten werden, das – trotz des durch den Krankenhausabriss geschwächten semantischen Zusammenhangs – ein wichtiges Beispiel für das regionale Kunstschaffen und ein aussagekräftiges Zeugnis der sozialen Rolle der Kunst am Bau in der Nachkriegszeit darstellt.

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Saarbrücken, Langfuhrstraße 79, ehemaliges Schwesternwohnheim, 1960–1964, Wandmosaik, rechts von der neuen Wärmedämmung »gerahmt«, Aufnahme 2021
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Saarbrücken, Langfuhrstraße 79, ehemaliges Schwesternwohnheim, 1960–1964, Wandmosaik, rechts von der neuen Wärmedämmung »gerahmt«, Aufnahme 2021

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Saarbrücken, Langfuhrstraße 79, ehemaliges Schwesternwohnheim, 1960–1964, Wandmosaik, rechts von der neuen Wärmedämmung »gerahmt«, Aufnahme 2021
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Saarbrücken, Langfuhrstraße 79, ehemaliges Schwesternwohnheim, 1960–1964, Wandmosaik, rechts von der neuen Wärmedämmung »gerahmt«, Aufnahme 2021

Markus Braun Und Rainer Knauf

Sachsen

Schulkunst

Im sächsischen Freital entstand 1966 in der damaligen Ernst-Thälmann-Schule eine ungewöhnliche Treppenhausausmalung nach den Entwürfen des ortsansässigen Malers Gottfried Bammes (1920–2007). Erst seit Kurzem der Denkmalpflege bekannt, wurden die qualitätvollen Wandbilder 2022 zusammen mit dem großzügigen Treppenhaus- und Foyerbereich in die Denkmalliste aufgenommen. Letzterer ist mit Stahlbetontreppen, Terrazzostufen, dem Geländer aus Flacheisenstäben und den gefliesten Betonsäulen im Original zustand erhalten, während das übrige Schulgebäude aufgrund von baulichen Veränderungen kein Kulturdenkmal darstellt.

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Freital, Waldblick-Oberschule, Gottfried Bammes, Musisch-ästhetische Erziehung und Bildung, mittig Porträt der Tanzpädagogin Gret Palucca, 1966, Aufnahme 2021
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Freital, Waldblick-Oberschule, Gottfried Bammes, Musisch-ästhetische Erziehung und Bildung, mittig Porträt der Tanzpädagogin Gret Palucca, 1966, Aufnahme 2021

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Waldblick-Oberschule, Gottfried Bammes, Naturwissenschaftlich-polytechnische Erziehung und Bildung, Detail mit Maurerarbeiten am Treppenhaus, 1966, Aufnahme 2021
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Waldblick-Oberschule, Gottfried Bammes, Naturwissenschaftlich-polytechnische Erziehung und Bildung, Detail mit Maurerarbeiten am Treppenhaus, 1966, Aufnahme 2021

Die Ausmalung erstreckt sich über die Seitenwände des zentralen, zweiarmigen Treppenhauses vom ersten zum zweiten Obergeschoss. Für eine ausreichende Beleuchtung sorgt der verglaste Mittelrisalit an der Nordfassade. Erst im Gehen erschließen sich Stufe um Stufe die großformatigen, in Kaseintechnik gefertigten Wandgemälde. Ihre Kompositions- und Farbentwürfe bewahrt die Hochschule für Bildende Künste Dresden auf, in der Bammes am Lehrstuhl für Künstleranatomie konstruktives Zeichnen unterrichtete; sein international bekanntes Lehrbuch »Die Gestalt des Menschen« begleitete Generationen von Künstlern.

Bei der praktischen Ausführung bezog der Künstler die Schüler mit ein, hatte er doch nicht nur Malerei und Anatomie, sondern auch Pädagogik studiert. Seine zwei Wandbilder zur Schul- und Arbeitswelt in der Waldblickschule unterscheiden sich komplementär in ihrer Farbigkeit voneinander. Im westlichen Treppenaufgang gestaltete er in warmen Rot- und Orangetönen das Thema »Musisch-ästhetische Bildung« mit Szenen aus Kunstgeschichte, Musik, Schauspiel, Sport und Tanz. Im östlichen Wandbild »Naturwissenschaftlich-technische Erziehung« mit Darstellungen aus Forschung, Technik, Landwirtschaft und Handwerk überwiegen hingegen kühle Grün- und Blautöne. Neben Chemielaborantinnen und Ingenieuren zeigt Gottfried Bammes Arbeiter auf dem Bau und im Freitaler Edelstahlwerk. Dort und im Eisenhammerwerk Dölzschen hatte er selbst gearbeitet und 1949 die ersten Laienkunstzirkel der DDR gegründet. Verblüffend ist der fließende Übergang von der Malerei zur realen Architektur – so bei den Figuren des Maurers, der am Treppenhaus weiterzubauen scheint, des Vermessers, der am Geländer lehnt, oder der Sitzenden auf den Treppenstufen.

Inhalt und Farbkonzept der beiden Wandbilder unterteilen in musische und technische Bildung, in klassische Frauen- und Männerberufe mit entsprechender roter bzw. blauer Farbzuweisung. Einzelne Personen durchbrechen jedoch die Rollenklischees, allen voran der Künstler selbst, der sein Selbstporträt als Maler auf der musischen Seite platzierte. Als genauer Beobachter des menschlichen Körpers, dessen Skelett er als Architektur verstand, analysierte und malte Bammes die Bewegungen und Gesichtszüge der Schauspieler, Musiker und Tänzerinnen – unter ihnen die berühmte Tanzpädagogin Gret Palucca (1902–1993). Neben ihr singt ein Chor Junger Pioniere mit blauen Halstüchern, deren Übermalung der Hausmeister nach der Wende gerade noch verhindern konnte und die daher noch heute den sozialistischen Schulalltag anschaulich ins Gedächtnis rufen. So zeugt die Malerei nicht nur von der Bildungs- und Kulturpolitik in der DDR, sondern auch vom Umgang mit diesem Erbe, von der Ortsgeschichte Freitals und von dessen Ehrenbürger Gottfried Bammes. Der hochbetagte Künstler restaurierte die Bilder 1987 und 2000 gemeinsam mit seiner Tochter, der Restauratorin Anke Stenzel.

Astrid Wappler

Flüchtige Kunst für die Ewigkeit

Einhundertsechsundvierzig Jahre liegen zwischen der Fertigstellung eines mehrgeschossigen Wohnhauses in Leipzig und der (Wieder-)Entdeckung eines erst 1991 entstandenen Graffitos Madonna mit Kind, das nach eingehender Prüfung in die Sächsische Kulturdenkmalliste eingetragen wurde. Das Mietshaus Karl-Liebknecht-Straße 7 Ecke Schletterstraße war 1865/66 innerhalb der südlichen Leipziger Stadterweiterung durch den Maurermeister Friedrich Ryssel im Eigenauftrag errichtet worden. Seit 1994 ist es als gründerzeitlicher Wohnbau denkmalgeschützt. Das lebendige urbane Umfeld an Karl-Liebknecht-Straße und Peterssteinweg ist seit 1990 ein guter Ort für wildes Plakatieren – auch an diesem Haus. Nach Entmietung, Leerstand, Eigentümerwechsel und Erteilung einer denkmalschutzrechtlichen Genehmigung für die umfassende Modernisierung des Wohnhauses wurden kurz vor Sanierungsbeginn die mehrere Zentimeter dicken Plakatschichten an den Erdgeschossfassaden entfernt. Zum Vorschein kam – für Passanten und Fachleute gleichermaßen unerwartet – ein Kunstwerk des französischen Street-Art-Künstlers Xavier Prou, bekannter unter dem Pseudonym Blek le Rat (* 1951). Es ist das unbestrittene Verdienst der Kulturmanagerin Maxi Kretzschmar, im Januar 2012 die Bedeutung des Graffitos erkannt und darauf aufmerksam gemacht zu haben. Kulturamt, städtische und Landesdenkmalpflege waren sich schnell über den hohen künstlerischen Wert einig. Nur wenige Wochen später erfolgte die Aufnahme des Kunstwerks in die Denkmalliste, es war die erste Eintragung eines nach 1990 entstandenen Objektes und seinerzeit das jüngste Denkmal des Freistaates.

Blek le Rat verwendete Anfang der 1980er Jahre als Street-Art-Künstler erstmals Schablonen beim künstlerischen Sprayen, auch Pochoir oder Stencil genannt. Mit dieser Technik übte er nachhaltig großen Einfluss auf die Szene aus, auch auf den heute international bekannten Briten Banksy. Das Leipziger Kunstwerk gilt als Blek le Rats älteste erhaltene Arbeit in Deutschland, die zudem das früheste Pochoir der Zeit unmittelbar nach der politischen Wende in Leipzig darstellt. Blek le Rat weilte 1991 auf Einladung der Universität in Leipzig und lernte hier während eines Symposiums mit Künstlern aus Frankreich und Deutschland seine spätere Ehefrau Sybille Metze kennen. Als Liebeserklärung schuf er nächtens die Madonna mit Kind. Erst nachdem Blek le Rat nach Frankreich zurückgekehrt war, erfuhr die Leipzigerin, die den Künstleraustausch an der Universität betreut hatte, vom Graffito an der Hausfassade mit der aufgesprühten Widmung »Pour Sybille« und folgte ihrem Verehrer nach Paris. Die Darstellung ist – wenn auch seitenverkehrt – Caravaggios Gemälde Pilgermadonna von 1606 nachempfunden.

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Leipzig, Karl-Liebknecht-Straße 7, Blek le Rat, Graffito Pour Sybille, ursprünglicher Zustand, Aufnahme 1991
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Leipzig, Karl-Liebknecht-Straße 7, Blek le Rat, Graffito Pour Sybille, ursprünglicher Zustand, Aufnahme 1991

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Leipzig, Karl-Liebknecht-Straße 7, Blek le Rat, Graffito Pour Sybille als Kulturdenkmal, mit der erneuerten Schutzverglasung, Aufnahme 2022
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Leipzig, Karl-Liebknecht-Straße 7, Blek le Rat, Graffito Pour Sybille als Kulturdenkmal, mit der erneuerten Schutzverglasung, Aufnahme 2022

Das Leipziger Pochoir von Blek le Rat konnte 2012 zunächst mit Duldung des Gebäudeeigentümers gesichert werden. In der Diskussion, ob Street Art wie Graffito, Sketch oder einfache »Tags« trotz ihrer Flüchtigkeit als dauerhaft zu schützendes Kulturgut einzuschätzen ist und in Denkmalverzeichnisse aufgenommen werden darf, konnten letztlich die hohe künstlerische Bedeutung wie auch insbesondere der Seltenheitswert des Objektes überzeugen. Nicht verhandelbar war die Forderung der Denkmalpflege, das Wandbild trotz aller potenziellen Gefährdungen am Ort seiner Entstehung zu belassen und nicht, wie ebenfalls erörtert, in den geschützten Eingangsbereich des sanierten Hauses zu translozieren oder per Versteigerung auf den freien Kunstmarkt zu überführen. Das Graffito wurde im Jahr 2013 vom Künstler selbst behutsam restauriert und durch eine Glasscheibe vor Vandalismus geschützt. Eigentümer und städtisches Kulturamt teilten sich seinerzeit die Kosten. Die jüngst 2022 erneuerte Schutzverglasung wurde zudem mit Erläuterungen in deutscher, französischer und englischer Sprache versehen. Ein Wermutstropfen bleibt der Verlust der beiden kleinen Figuren zu Füßen der Madonna, auf die sie ihren Blick richtet(e).

Thomas Noack

Sachsen-Anhalt

Ortsbilder und Landschaften – Gefahren der Energiewende

Die gegenwärtigen Bemühungen um ressourcenschonende Energienutzung bringen für Denkmalschutz und Denkmalpflege Grundsatzdiskussionen in einem immer noch schwer abschätzbaren Ausmaß mit sich. Dies betrifft nicht nur die Baudenkmale und ihre städtebauliche Einbindung an sich, sondern auch die kulturlandschaftlichen Zusammenhänge, in denen einzelne Baudenkmale oder auch denkmalrechtlich geschützte Gebäudegruppen stehen.

Die Folgen der Aufstellung von Anlagen zur Nutzbarmachung von Wind- und Sonnenenergie auf Ortsbilder und denkmalgeschützte Landschaften werden vielfach falsch eingeschätzt. Dies betrifft nicht so sehr den Sachverhalt der – meist offensichtlichen – Veränderungen der Erscheinungsbilder an sich, sondern vielmehr die Langzeitwirkung der Veränderungen. Tatsächlich wird gelegentlich gefordert, dass die Gesellschaft diese Veränderungen in Kauf nehmen und ihre Sehgewohnheiten ändern müsse – so als ob die insgesamt doch nur wenigen denkmalrechtlich geschützten Orts- und Landschaftsbilder ohne größeren Wert wären.

Ortsbilder und Landschaften sind primär auf ihr Erscheinungsbild bezogen, und auch Parks und Freiflächengestaltungen sind nicht ausschließlich bestandsfixiert. Nachpflanzungen in Gärten und Parks sind ein allgemein akzeptiertes Mittel des Ersatzes stark geschädigter oder verlorener Gehölze und Freiflächen, ebenso wie angemessene Lückenbauten in Denkmalbereichen. Diese relative Flexibilität bringt jedoch auch Gefahren mit sich. Parks und Freiflächen werden schnell als Verfügungsmasse und Ausgleichsflächen begriffen, da Veränderungen oft als reversibel betrachtet werden.

Die Intensität der gegenwärtigen Diskussionen um die Energiewende führt zu einer wahrnehmbaren Zurückhaltung der zuständigen Behörden bei der Denkmalausweisung von Ortsbildern und Landschaften. Allerdings ist auch ein Forschungsdesiderat zu registrieren: Landschaften werden noch immer zu oft als selbstverständlich wahrgenommen, als ob ihr Schutz keiner tieferen Begründung bedarf. Historisch geprägte Kulturlandschaften werden zudem kaum als überlieferte »Bilder« begriffen und wahrgenommen. Nur in seltenen Fällen – wie beispielsweise im Gartenreich Dessau-Wörlitz – werden die gezielten Eingriffe der Vergangenheit und die mit ihnen verbundenen Absichten und Folgen systematisch erforscht. Kaum einmal wird reflektiert, dass es im deutschsprachigen Raum mit sehr wenigen Ausnahmen keine natürlichen, nicht wesentlich durch menschliches Handeln geprägten Landschaften mehr gibt. Welchen der durch menschliches Handeln entstandenen und historisch geformten Kulturlandschaften kommt nun eine besondere Bedeutung im Sinne des Denkmalrechts zu? Wie weit kann oder muss der Schutz gehen? Welche Ortsbilder sind so wichtig, dass sie mit den Mitteln des Denkmalrechts bewahrt werden müssen?

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Drübeck, geschützte Ortsansicht von Süden mit der Einbettung der Klosterkirche in die dörfliche Bebauung, Aufnahme 2021
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Drübeck, geschützte Ortsansicht von Süden mit der Einbettung der Klosterkirche in die dörfliche Bebauung, Aufnahme 2021

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Dessau-Roßlau, Gartenreich Dessau-Wörlitz, Blick vom Turm der Kirche zu Mildensee auf die ungebrochene Horizontlinie im Gartenreich, Aufnahme 2019
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Dessau-Roßlau, Gartenreich Dessau-Wörlitz, Blick vom Turm der Kirche zu Mildensee auf die ungebrochene Horizontlinie im Gartenreich, Aufnahme 2019

Für die qualifizierte Erfassung von Ortsbildern und Kulturlandschaften ist neben der unmittelbaren Befunderhebung im Bestand die Auswertung von schriftlichen und bildlichen Quellen wichtig. Nur auf diese Weise kann die mit Bildern zwangsläufig verbundene, durch eigenes Vorwissen und kulturelle Prägungen bedingte Subjektivität kontrolliert werden. Ortsbilder und Landschaften sind insbesondere dort wichtig, wo sie Ergebnis genau bestimmbarer, außergewöhnlicher historischer Entwicklungen waren, wo sie sogar bewusst als Bilder geschaffen wurden und wo sie in das historische Bewusstsein der Menschen eingegangen sind – zu erkennen vor allem an der Rezeption in der bildenden Kunst, in der Literatur sowie in Fotografie und Film.

Um die Möglichkeiten der vertieften Forschung zu Ortsbildern und Kulturlandschaften genauer darzustellen, plant das LDA modellhafte Untersuchungen im Gartenreich Dessau-Wörlitz und am Nordrand des Harzes, wo mehrere Ortsbilder und Teile der Landschaft schon jetzt denkmalrechtlich geschützt sind.

Volker Seifert

Schleswig-Holstein

Denkmaldatenbank online!

Das Landesamt für Denkmalpflege hat drei Projekte im Digitalisierungsprogramm 2021/22 der schleswig-holsteinischen Landesregierung erfolgreich umgesetzt. Im Rahmen des Schwerpunktthemas »Moderne und innovative Verwaltung« wurde im Januar 2022 zunächst auf der Homepage des Landesamts für alle interessierten Bürger*innen die Möglichkeit geschaffen, online in Form einer Datenbanksuche in der Denkmalliste des Landes zu recherchieren (https://efi2.schleswig-holstein.de/kulturdenkmalsuche/).

Basis für die Informationen in der Denkmaldatenbank ist das interne Denkmalinformationssystem (DISH) des Landesamts, in dem unter anderem die Kulturdenkmale verwaltet werden. Da die Aktualisierung täglich automatisiert durchgeführt wird, sind die Daten stets aktuell, sodass sich jede Fortschreibung der Denkmalliste eins zu eins in der Online-Datenbank widerspiegelt.

Soweit vorhanden, werden ausführliche Beschreibungen zu den Kulturdenkmalen angeboten und durch einen Lageplan sowie ein Foto ergänzt. Bei Kulturdenkmalen in den Städten Kiel, Neumünster, Flensburg und Rendsburg wird auch der Text aus der jeweiligen Denkmaltopographie angezeigt.

Die Suchmaske der Datenbankrecherche bietet eine Stichwortsuche an, in der mit einem oder mehreren Begriffen intuitiv nach Kulturdenkmalen gesucht werden kann. Die weiteren Suchfelder ermöglichen eine verfeinerte Recherche, zum Beispiel nach Adresse, der Art und Funktion eines Kulturdenkmals oder seiner Bezeichnung. Die Ergebnisse einer Recherche können nicht nur als HTML-Anzeige auf dem PC-Bildschirm, dem Tablet oder dem Smartphone angesehen werden, sondern werden sowohl für einen Einzeltreffer als auch für eine Trefferliste in einer Download- bzw. Druckfunktion als PDF-Datei angeboten.

In der Denkmaldatenbank des Landesamts werden nur Kulturdenkmale im Sinne von Bau- und Gartendenkmalen geführt. Archäologische Kulturdenkmale, die vom Archäologischen Landesamt Schleswig-Holstein mit Sitz in Schleswig betreut werden, sind hier nicht erfasst. Auch die Kulturdenkmale im Stadtgebiet von Lübeck sind nicht Teil der Denkmaldatenbank, da die Hansestadt ihre Kulturdenkmale in eigener Zuständigkeit pflegt und verwaltet.

Im Rahmen des zweiten Projekts im Digitalisierungsprogramm 2021/22 wurden ab Mitte des Jahres 2022 für die Mitarbeiter*innen der Unteren Denkmalschutzbehörden der Kreise und kreisfreien Städte Schleswig-Holsteins die technischen Voraussetzungen geschaffen, um über das Internet lesenden Zugriff auf das bislang amtsinterne Denkmalinformationssystem (DISH) zu erhalten. Somit hat sich der Nutzerkreis von DISH verdoppelt und die Kolleg*innen können sich bei ihrer Arbeit auf eine gemeinsame Wissensbasis stützen.

Als drittes Projekt konnte im Frühjahr 2023 die Denkmaldatenbank durch eine Denkmalkarte ergänzt werden, damit man nicht nur über die inhaltliche Suche Informationen zu den Kulturdenkmalen findet, sondern auch über die kartografische Darstellung.

Ulrike Block

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Beispiel für einen Treffer aus der Onlinerecherche: Informationen zum Landschaftspark des Guts Hasselburg als PDF-Download
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Beispiel für einen Treffer aus der Onlinerecherche: Informationen zum Landschaftspark des Guts Hasselburg als PDF-Download

Thüringen

Freizeitgestaltung zum 100. Geburtstag

In den Großstädten Ostdeutschlands ist Kunst am Bau aus der Zeit der DDR kein Nischenthema mehr und manche dieser Arbeiten bereits deutschlandweit bekannt. Nun ist in Nordhausen ein bislang unbekanntes Kleinod, das Wandbild Freizeitgestaltung, restauriert worden.

Das 1976 von Gottfried Schüler (1923–1999) geschaffene Wandbild ziert den Giebel der Turnhalle in der Sangerhäuser Straße. Auf einer Fläche von zwanzig mal acht Metern zeigt das Bild Kinder und Erwachsene bei Aktivitäten wie Theater, Varieté, Zirkus, Kinderspielen, Sport und Urlaub. Bereits 1985 wurde das Wandbild in die Kreisdenkmalliste aufgenommen und 2013 die Denkmaleigenschaft nochmals bestätigt.

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Nordhausen, Sangerhäuser Straße 1c, Gottfried Schüler, Wandbild Freizeitgestaltung, 1976, Detail, nach der Restaurierung, Aufnahme 2022
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Nordhausen, Sangerhäuser Straße 1c, Gottfried Schüler, Wandbild Freizeitgestaltung, 1976, Detail, nach der Restaurierung, Aufnahme 2022

Gottfried Schüler schuf als freischaffender Künstler von 1955 bis Anfang der 1980er Jahre ein großes Werk baugebundener Arbeiten in teils experimentellen Techniken und mit verschiedenartigen Werkstoffen. Er hatte an der Hochschule für Baukunst und Bildende Künste (heute Bauhaus-Universität) in Weimar studiert und unterrichtete dort unter anderem architekturbezogene Kunst. Seine Kunst prägt(e) zahlreiche öffentliche Gebäude.

Für die Ausführung des Wandbilds Freizeitgestaltung wendete Gottfried Schüler eine außergewöhnliche Technik an, die sich als überraschend resilient erwiesen hat. Auf Basis eines streichfähigen Quarzgranulatputzes wurde eine Kombination von Spachteltechnik und Sgrafitto ausgeführt. Hierbei bildete ein schwarzes Glasfasergewebe den Untergrund, auf den nach einer Vorzeichnung die farbigen Kunstharzputze mit Spachteln aufgetragen wurden. Durch Aussparungen der Putzschicht wird das Glasfasergewebe sichtbar, erzeugt Konturen und Schatten – eine Art Sgrafitto. Vermutlich hatte Schüler Teilstücke des Gewebes von zweimal einem Meter im Atelier vorfertigen und wie Tapeten vor Ort anbringen können. Nach fast 50 Jahren zeigten sich neben oberflächlicher Verschmutzung in der Putzoberfläche vor allem hohl liegende Bereiche sowie Risse. Der elastische Putz hatte sich vom steifen Untergrund Beton gelöst. Obwohl die Putzränder teilweise mehrere Zentimeter aufstanden war das Kunstwerk dank der beschriebenen Elastizität des verwendeten Materials größtenteils erhalten geblieben. Die Schäden wurden durch eigens durch die Restauratorin entwickelten Techniken behoben. Dabei wurden Hohlstellen mit Kleber hinterfüllt und der Putz Mithilfe von Warmluft in seine ursprüngliche Form zurückversetzt und so auf dem Untergrund befestigt. Vorhandene Risse in der Bildschicht wurden unter Wärmeanwendung geweitet hinterspritzt und die Bildschicht wieder auf dem Träger angeklebt. Zudem wurde die Oberfläche mithilfe eines Feinsandstrahlverfahrens schonend gereinigt und so eine deutliche Farbintensivierung erreicht.

In Nordhausen hinterließ Schüler gleich mehrere Arbeiten, die jedoch teilweise gefährdet sind wie das 1964 für das Kulturhaus des VEB Schwermaschinenbau entstandene Wandbild Welthandel. Dieses Werk beeindruckt durch die Kombination von Sgrafitto-Linien mit Figurengruppen aus gebogenen Aluminiumleisten. Das Kulturhaus ist seit 2022 ein eingetragenes Kulturdenkmal, ungeachtet dessen droht aktuell der Abriss. Eine umfassende Würdigung Schülers zu seinem 100. Geburtstag am 9. Mai 2023 steht bedauerlicherweise noch aus, die Restaurierung der Freizeitgestaltung in Nordhausen ist hierfür ein bravouröser Start ebenso wie eine Ausstellung des Stadtmuseums Weimar ab dem 6. Mai 2023 zu seinem malerischen Werk.

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Nordhausen, Sangerhäuser Straße 1c, Gottfried Schüler, Wandbild Freizeitgestaltung, 1976, nach der Restaurierung, Aufnahme 2022
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Nordhausen, Sangerhäuser Straße 1c, Gottfried Schüler, Wandbild Freizeitgestaltung, 1976, nach der Restaurierung, Aufnahme 2022

Kilian Jost

  1. Abbildungsnachweis

    1, 2: LAD-BW, Dieter Büchner. — 3: BLfD, Roland Linck. — 4: BLfD, Kerstin Brendel. — 5: Manuel Dahmann, Berlin. — 6: hochC Landschaftsarchitekten PartGmbB, Berlin. — 7: BLDAM, Alexander Niemann. — 8: LDA Bremen, Marianne Ricci. — 9, 10: Patric Wagner, Aichwald. — 11: Denkmalarchiv Darmstadt. — 12, 13: LAKD M-V/LD, Elke Kuhnert. — 14–16: LVR-ADR, Silvia Margrit Wolf. — 17, 18: Stephan Kube, Greven. — 19: GDKE-Landesdenkmalpflege, Leonie Köhren. — 20, 21: LDA Saarland. — 22, 23: LfD Sachsen, Astrid Wappler. — 24: Sybille Metze, Leipzig. — 25: LfD Sachsen, Thomas Noack. — 26, 27: LDA Sachsen-Anhalt. — 28: LDSH. — 29, 30: Hesse Restaurierung Nordhausen, Suzy Hesse.

Published Online: 2023-05-21
Published in Print: 2023-05-01

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany

Heruntergeladen am 26.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/DKP-2023-1014/html
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