Drinnen & draußen – Kunst im Norden der DDR
-
Julia Gerber
Die Gebäude aus der DDR-Zeit – und mit ihnen die auf sie bezogenen oder mit ihnen verbundenen Kunstwerke – haben inzwischen ein Alter von mindestens 30 Jahren erreicht. Sie sind vielerorts instandsetzungsbedürftig und teils in ihrem Bestand bedroht. In der Denkmalpflege herrscht heute Einigkeit über die Bedeutung von Zeugnissen dieser mittlerweile abgeschlossenen Epoche – gerade aufgrund der vielen Verluste, die in den 1990er und 2000er Jahren entstanden sind. Doch wie kümmert man sich um etwas, dessen quantitatives und qualitatives Ausmaß noch gar nicht vollständig bekannt ist? Diese Frage kann wohl als Anlass für die Tagung gesehen werden.
Zudem sehen sich Denkmalpfleger*innen heute wieder ganz besonders mit politischen Fragen konfrontiert, wenn es um den Erhalt von Zeugnissen der Sowjetunion geht, während in der Ukraine ein russischer Angriffskrieg tobt. Forderungen nach Demontage von Lenindenkmälern oder sowjetischen Mahnmalen – und auch tätliche Angriffe auf diese – gab es wohl in allen ostdeutschen Bundesländern.
Auch vor diesem Hintergrund fand vom 14. bis zum 16. September 2022 in Neubrandenburg eine Tagung mit dem treffenden Untertitel »Zeit, sich zu kümmern!« statt, um sich »Drinnen & draußen (so der Haupttitel) mit der Kunst im Norden der DDR zu befassen. Die Veranstaltung wurde vom Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern (LAKD MV) in Kooperation mit der Stadt Neubrandenburg ausgerichtet. Ein Tagungsband wird im Nachgang erscheinen.
Zwei Ausstellungen bildeten den Rahmen zur Tagung: Die Kunstsammlung Neubrandenburg, 1982 als jüngstes Kunstmuseum in der DDR gegründet, präsentierte mit »Unsere Wurzeln. Kunst aus DDR-Zeit« eine Bestandsausstellung zu ihrem 40. Geburtstag. Am Tagungsort selbst, im Foyer des Hauses der Kultur und Bildung (HKB), konnten die Teilnehmer*innen »Kunst aus DDR-Zeit aus dem Museum Utopie und Alltag« besichtigen. Gezeigt wurden 16 Gemälde aus dem Kunstarchiv Beeskow, die vor 1989 im Besitz von Parteien und Massenorganisationen waren.
Jörg Kirchner (LAKD MV) verwies in einem Überblick auf den erheblichen Nachholbedarf bei der Erfassung von DDR-Kunst im öffentlichen Raum: Von 30.000 Denkmalen in Mecklenburg-Vorpommern stammen nur 700 aus der Zeit nach 1949. Ein Drittel davon ist baubezogene Kunst. Andererseits gilt es auch, Forschungsfragen, etwa zu Künstler*innen und ihren Biografien, weiter zu klären. Offiziell waren sie immer in politisch-ideologischer Absicht bestellt, aber kamen sie diesem Auftrag auch nach?
Zentren und Umland
Der erste Vortragsteil stellte in drei Beiträgen die ehemaligen Bezirkshauptstädte Rostock, Schwerin und Neubrandenburg als Mittelpunkte sozialistischer Kunst und Raumgestaltung vor. Dabei wurde auch deutlich, wie viel bereits verloren gegangen ist.
So widmete sich Marie Mamerow (Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum) dem Bestand und der städtebaulichen Entwicklung Neubrandenburgs von 1949 bis heute. Während die mittelalterliche Stadtbefestigungsanlage nahezu vollständig erhalten ist, wurde der Stadtkern am Ende des Zweiten Weltkriegs zu circa 80 Prozent zerstört. 1952 begann der Neubau erster Wohnblöcke noch im Sinne der sogenannten nationalen Tradition. Das Tagungsgebäude wurde 1963–1965 zentral am Marktplatz errichtet. Das dazugehörige Turmhochhaus, dessen westliche und östliche Fassaden ein frühes Beispiel einer Betonstrukturwand darstellen, bildet gegenüber der gotischen Marienkirche selbstbewusst eine städtebauliche Dominante (Abb. 1). Das benachbarte Hotel »Vier Tore«, 1969–1972 erbaut, wurde hingegen erst 2016 abgerissen, mitsamt seinen ehemals stadtbildprägenden Kunstwerken.

Neubrandenburg, Haus der Kultur und Bildung, 1963–1965 nach Plänen der Architektin Iris Grund, Aufnahme 2022
Dem enormen Wohnraummangel begegnete man in den 1970er und 1980er Jahren mit weiteren Wohngebieten außerhalb des Zentrums von Neubrandenburg. In diesem Zusammenhang wurden zahlreiche Werke baubezogener Kunst geschaffen. Ab 1970 entstand in der Oststadt ein Viertel für 25.000 Menschen, das teilweise bereits wieder zurückgebaut wurde. In der Südstadt folgte 1980 bis 1985 ein Hochhausensemble für rund 3.000 Bewohner*innen, das sich noch in weitgehend authentischem Zustand befindet.
Unter dem Titel »Auf dem Lande und in der Stadt« wurde im zweiten Teil die unterschiedliche Dichte von Kunstwerken thematisiert. Alexander Schacht (UDB Landkreis Rostock) veranschaulichte anhand des Landkreises Rostock, dass jenseits der Bezirkshauptstadt öffentliche Außenräume maximal noch in Kreisstädten und Ostseebädern mit einem Bildungsauftrag gestaltet wurden. In der Fläche überwiegen Kriegerdenkmale, Ehrenfriedhöfe oder Gedenksteine, die zum Teil wiederverwendet und mehrfach umgewidmet wurden.

Neubrandenburg-Oststadt, Ziolkowskistraße, Erhard Großmann, Kinder, Träume, Zukunft, 1970–1973, Meißener Fliesen mit Unterglasmalerei, Aufnahme 2022
Neubrandenburg bietet ein reiches Spektrum an DDR-Kunst und -Architektur und veranschaulicht viele Aspekte typischer sozialistischer Stadtplanung. Die Fachexkursion führte am zweiten Veranstaltungstag durch das Zentrum, die Oststadt mit Neuem Friedhof, die Südstadt und durch die Hochschule Neubrandenburg zu Werken im öffentlichen und halb-öffentlichem Raum, die überwiegend aus den 1970er und 1980er Jahren stammen. Einige wurden bereits transloziert – ein häufiges Schicksal, wie noch zu sehen sein wird (Abb. 2).
Politik und Alltag
Die Tagung setzte sich am dritten Tag mit dem Thema politische Denkmale fort, mit denen die Legitimation des sozialistischen Staates vorangetrieben wurde. Jochen Schmidt (Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern) zeigte auf, dass die Etablierung von Gedenkstätten in der DDR gegen Ende der 1950er Jahre mit sehr selektivem Opferbezug einsetzte, der sich zunächst nur auf Opfer des Widerstands aus der NS-Zeit beschränkte. Nach der politischen Wende 1989/90 thematisierten die Gedenkstätten auch das Unrecht in der SBZ und DDR. In der heutigen Gedenkstättenentwicklung spielt unter anderem die Individualisierung, die Benennung der Opfer eine Rolle.
Die Problematik im heutigen Umgang mit solch schwierigen Denkmalen zeigt eindrücklich das Mahnmal für die Kämpfer gegen Reaktion und Faschismus, das Arnd Wittig 1972–1975 außerhalb des Neuen Friedhofs in Neubrandenburg schuf (Abb. 3), vorgestellt von Caroline Rolka (LAKD MV). Bestehend aus drei monumentalen Betonblöcken um einen großen (Aufmarsch-)Platz, weist die auf einem Plateau gelegene Anlage in die Landschaft hinein. Auch hier kann man in der Gestaltung eine Hierarchisierung von Opfergruppen sehen: Der größte und gestalterisch aufwendigste Betonblock in Sichtachse des Friedhofs ist den aktiven Kämpfern gegen den Faschismus gewidmet; Frauen und Juden werden in abseits stehenden Betonblöcken bzw. -skulpturen als vermeintlich nur passive Opfer durch Topographie und Präsenz innerhalb der Anlage zweitrangig behandelt (Abb. 4). Neben diese ideologische Problematik tritt eine praktische. Das knapp fünf Hektar große Areal ist für die Stadt nur sehr aufwendig zu pflegen, hinzu kommt Vandalismus. Ob es angemessen ist, eine solche Anlage zuwachsen zu lassen, oder wie die Pflege dauerhaft gelingen kann, bleibt indes offen.
Der vierte Teil der Vorträge widmete sich unterschiedlichsten Objekten, die vom Alltag der DDR erzählen. Der Architekt und Fotograf Martin Maleschka stellte etwa seine über 20 Jahre reichende Fotodokumentation vor. Seine Aufnahmen entstehen auf Erkundungstouren, oft ausgehend von historischen Ansichtskarten als Quelle. Auch hier offenbart sich das langsame Verschwinden der Kunstwerke aus dem öffentlichen Raum.

Neubrandenburg, beim Neuen Friedhof, Arnd Wittig, Mahnmal für die Kämpfer gegen Reaktion und Faschismus, 1972–1975, Hauptblock mit der Aufschrift Proletarier aller Länder vereinigt euch!, Aufnahme 2022
Beim Abschlussgespräch wurden die Herausforderungen für die Zukunft der DDR-Kunst im öffentlichen Raum zusammengefasst. Sowohl die Vorträge als auch der anschließende Austausch machten deutlich, dass die Probleme in den östlichen Bundesländern ähnlich gelagert sind. Denn trotz aller inhaltlicher Einigkeit zur Bedeutung dieser Zeitschicht und der teilweise hohen lokalen und regionalen Identifikationskraft der Werke bleibt die langfristige Erhaltung der Objekte am Ort aus verschiedenen Gründen schwierig.
1 Man kann nur schützen, was man kennt
Das umfangreiche, meist staatlich organisierte Kunstschaffen der DDR hat zahlreiche Werke in Innen- und Außenräumen hervorgebracht, die vielerorts erst nach und nach ans Tageslicht kommen – im wahrsten Sinne des Wortes. Nach 1989 waren die sozialistischen Kunstwerke im öffentlichen Raum vielen ein Dorn im Auge. Sie wurden entweder zerstört, an unauffälligere Standorte transloziert oder eingelagert. Was sich nicht so einfach umsetzen ließ, wurde teilweise überputzt oder mit Büschen und Bäumen abgepflanzt, um es aus dem Blickfeld zu verbannen. So wurden viele Objekte lange nicht beachtet und dem Verfall preisgegeben. Häufig ist auch nicht klar, wie viel bereits unwiederbringlich verloren gegangen ist oder was sich vielleicht noch in situ befindet, aber nicht sichtbar ist. Das erschwert eine Einschätzung, wie selten oder aussagekräftig bestimmte Werke im Vergleich sind oder in welchem Bezug sie zur Umgebung standen.
Weitere Fragestellungen ergeben sich häufig hinsichtlich der Materialien und Techniken. Aufgrund des Mangels an bestimmten Werkstoffen mussten Künstler*innen oft technisch kreativ werden, um die Bildidee umzusetzen. Zur Genese von experimentellen Werken sowie zur Konzeptentwicklung für deren Konservierung besteht noch Forschungsbedarf. An einigen Hochschulen, beispielsweise in Dresden und Cottbus, laufen bereits entsprechende Projekte.
2 Personal und Vernetzung
Eine flächendeckende Erfassung der DDR-Kunstwerke im öffentlichen Raum ist in den meisten Bundesländern noch Wunschdenken. Sowohl Denkmalfachämter als auch Denkmalschutzbehörden leiden schon länger unter dem andauernden Stellenabbau. Zugleich muss nicht bei Null angefangen werden, denn in den Städten, Kulturämtern, Stadtarchiven etc. ist oft schon viel Wissen über die jeweiligen Schätze vorhanden. Engagierte Vereine und Einzelpersonen machen seit Jahren auf das baukünstlerische Erbe der DDR aufmerksam und dokumentieren Objekte dieser Zeitschicht. Netzwerke wie Ostmoderne.org sollten hier als ein Beispiel ehrenamtlicher Vermittlungsarbeit nicht unerwähnt bleiben. Diese Initiativen und Institutionen sind wertvolle Partnerinnen bei der Erfassung und Erforschung der Ostmoderne.
Letztendlich können jedoch nur mehr Personal- und/oder Finanzmittel für die Fachämter die Lösung sein, um dieses Wissen systematisch für die staatliche Denkmalpflege zu erfassen und nach dem jeweils gültigen Denkmalschutzgesetz zu beurteilen. Ein positives Beispiel dafür gibt es derweil aus dem brandenburgischen Landesdenkmalamt, wo 2021 und 2022 baubezogene DDR-Kunst in den Städten Schwedt/Oder, Frankfurt (Oder), Cottbus und Eisenhüttenstadt erfasst wurde (dazu ausführlich der Beitrag von Christine Onnen in diesem Heft).
3 Zeitdruck
Wie eingangs erwähnt, ist die Zeit bei der Erhaltung der DDR-Zeugnisse ein wichtiger Faktor, da vieles bereits überformt, transloziert oder zerstört wurde. Weiteres ist reparaturbedürftig oder wird in naher Zukunft durch gesteigerte Bautätigkeiten oder Stadtumbau in Bedrängnis geraten. Zum Wesen der Denkmalpflege gehört es wiederum, dass Dinge erst mit entsprechendem zeitlichen – und emotionalen – Abstand als Denkmal bewertet werden können. Spätestens jetzt ist es allerhöchste Zeit, sich zu kümmern.

Gedenkblock für die Frauen, 1972–1975, Aufnahme 2022
Doch ob mit oder ohne Denkmalschutz – es ist eine gute Nachricht, dass die (Bau-)Kunst der DDR in ihrer ganzen Bandbreite mittlerweile vielerorts als erhaltenswert angesehen wird. Die Tagung ist ein Aufruf nach innen (an Denkmalfachkreise) und vor allem nach außen (an Politik und Gemeinden), sich diesem – auch unbequemen – sozialistischen Erbe künftig intensiver zu stellen und sich noch mehr zu vernetzen.
-
Abbildungsnachweis
1: BLDAM, Julia Gerber. — 2–4: BLDAM, Dirk Schermer.
© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany
Articles in the same Issue
- Inhalt
- Vorwort
- Aufsätze
- Kunst am Bau als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
- Systematische Erfassung baubezogener Kunst der DDR-Zeit in Brandenburg. Ein Zwischenbericht
- Erhaltungsgrundsatz versus Urheberrecht
- Der John-Brinckman-Brunnen in Rostock
- Kunst am Bau der Universität Tübingen
- Kunst am Bau der Universität Regensburg
- Ein Wiedersehen mit dem Kunstfries Die Presse als Organisator
- Verlust und Rettung baugebundener Kunst am Beispiel der Putzschnittbilder von Hermann Glöckner und Günther Wendt
- Monumentale Verheißungen
- Berichte
- Drinnen & draußen – Kunst im Norden der DDR
- 50 Jahre Institut für Denkmalpflege an der ETH Zürich
- Aktuelles
- Baden-Württemberg
- Rezensionen
- Tendenzen der 80er-Jahre
- Handbuch der Gartendenkmalpflege
- Bewahren?! Mosaiken und keramische Wandflächen in der Denkmalpflege
- Call For Papers
- Die Denkmalpflege 2/2023
Articles in the same Issue
- Inhalt
- Vorwort
- Aufsätze
- Kunst am Bau als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
- Systematische Erfassung baubezogener Kunst der DDR-Zeit in Brandenburg. Ein Zwischenbericht
- Erhaltungsgrundsatz versus Urheberrecht
- Der John-Brinckman-Brunnen in Rostock
- Kunst am Bau der Universität Tübingen
- Kunst am Bau der Universität Regensburg
- Ein Wiedersehen mit dem Kunstfries Die Presse als Organisator
- Verlust und Rettung baugebundener Kunst am Beispiel der Putzschnittbilder von Hermann Glöckner und Günther Wendt
- Monumentale Verheißungen
- Berichte
- Drinnen & draußen – Kunst im Norden der DDR
- 50 Jahre Institut für Denkmalpflege an der ETH Zürich
- Aktuelles
- Baden-Württemberg
- Rezensionen
- Tendenzen der 80er-Jahre
- Handbuch der Gartendenkmalpflege
- Bewahren?! Mosaiken und keramische Wandflächen in der Denkmalpflege
- Call For Papers
- Die Denkmalpflege 2/2023