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Verlust und Rettung baugebundener Kunst am Beispiel der Putzschnittbilder von Hermann Glöckner und Günther Wendt

  • Torsten Nimoth
Published/Copyright: May 21, 2023
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Nach der politischen Wende 1989 setzte eine große Sanierungswelle in den neuen Bundesländern ein. Betroffen waren auch die Nachkriegsbauten ab 1945, die vielfach – sofern sie dem Abbruch entgingen – eine energetische Ertüchtigung durch Wärmedämmungen erfuhren. Da der Architektur und Kunst dieser Epoche damals noch wenig Beachtung geschenkt wurde, waren die wenigsten dieser Objekte als Denkmale geschützt.[1] Infolgedessen wurden im Zuge der Maßnahmen viele baugebundene Kunstwerke beeinträchtigt oder gingen verloren.

Auch im wieder entstandenen Freistaat Sachsen war die Denkmalpflege gefordert, baugebundene Kunst zu erfassen, unter Schutz zu stellen und bei baulichen Maßnahmen entsprechend zu integrieren. Obwohl seit einiger Zeit verstärkt nach Lösungen für den möglichen Erhalt dieser Kunstgattung gesucht wird, bedrohen Leerstand, Vernachlässigung und Abriss den Bestand. Die aktuell laufenden Debatten zur energetischen Sanierung von Gebäuden gefährden die Kunstwerke erneut, sogar diejenigen, die bereits instandgesetzt sind und gerettet schienen. Auf der anderen Seite wächst die Zahl der geborgenen oder instandgesetzten Objekte.[2] Der Beitrag schildert am Beispiel der Putzschnittbilder von Hermann Glöckner und Günther Wendt die Chancen und Grenzen der Sicherung und Präsentation baugebundener Kunst.

Stil und Technik

Die baugebundene Kunst der frühen 1950er Jahre war in Darstellung und Ausführung im gesamtdeutschen Raum eher konservativ eingestellt. Es bestand eine gewisse Kontinuität zu den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg, über die Zeit des Nationalsozialismus bis zur frühen Nachkriegszeit. Die Künstler*innen setzten die Traditionen der Bildinhalte mit anderen politischen Zeichen in den Darstellungen und der Werktechnik weiter fort und öffneten sich nur langsam den modernen Formen, Ideen und Materialien. Die Vorgaben zum sozialistischen Städtebau in der DDR galten auch für die baugebundene Kunst und propagierten in der Stalin-Ära den nationalen Stil.[3] Bereits zur Entstehungszeit der DDR gab es sozialistisch geprägte Beschreibungen bzw. Programme.[4]

Die Kratzputztechnik entstand aus der Tradition der Sgraffitotechnik des 16. Jahrhunderts, die seit der Renaissance eine wichtige Baudekoration war. Eine Wiederentdeckung und Weiterentwicklung erfolgte im 19. Jahrhundert als Putzintarsie, bei der verschieden eingefärbte Putze Verwendung fanden. Sie blieb bis in die Zeit des Jugendstils sehr beliebt.[5] In der Zeit des Nationalsozialismus ab 1933 wurde erneut auf Kratzputzdekor zurückgegriffen.[6] Dieser fand sich in den unterschiedlichsten Funktionen und Gestaltungsformen an Wohnhäusern, Kirchen und vielen öffentlichen Bauten wie Schulen, Rat-, Kranken- oder Kulturhäusern, Verkehrs- oder Industriebauten. Es waren zum Teil einfache Ornamente, geometrische Muster mit verschiedenfarbigen Akzenten, oft aber auch mehrlagige, reliefartig modellierte, dekorative Gestaltungen, häufig als Betonung einer Fassadenachse, Schriftzüge oder großflächige Bildfelder. Beim Wiederaufbau der zerstörten Ortschaften nach dem Zweiten Weltkrieg fand diese Kunst weiterhin Anwendung. Mit der neuen politischen und gesellschaftlichen Ordnung änderten sich lediglich die Motive.

Verschiedene Künstler hatten sich auf die Technik und die daraus entwickelte Formensprache spezialisiert.[7] Hier ist auf den sächsischen Künstler Hermann Glöckner (1889–1987) zu verweisen, der seit den 1930er Jahren eine Vielzahl solcher Gestaltungen in Dresden und Umgebung ausführte. Dabei versuchte er sich bereits in frühen Werken in abstrakten Formen. Dies stieß jedoch auf Ablehnung und so arbeitete er in den 1950er Jahren aus wirtschaftlichen Gründen am Bau in traditionellen Varianten. Mit seinen persönlich favorisierten abstrakten Werken, der Grafik, seinen Tafelwerken, vor allem aber den Faltungen und Montagen wurde er überregional bekannt, konnte dies im Sgraffito jedoch nicht realisieren.[8] An baugebundenen Werken arbeitete er oftmals zusammen mit seiner Frau, der Bildhauerin Frieda Paetz (1872–1962).

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Radebeul, Klubhaus des Arzneimittelwerks Dresden AWD, Turnerweg 1, links die Eingangsachse mit dem Putzrelief nach Hermann Glöckner, Aufnahme 2023
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Radebeul, Klubhaus des Arzneimittelwerks Dresden AWD, Turnerweg 1, links die Eingangsachse mit dem Putzrelief nach Hermann Glöckner, Aufnahme 2023

Putzkopien am historischen Bau

Die Stadt Radebeul bei Dresden und die dortige Gegend besitzen bis heute eine große Anzahl von Putzschnitten von Hermann Glöckner. Beispielhaft ist das Putzrelief über dem Portal des ehemaligen Klubhauses des Arzneimittelwerks Dresden AWD in Radebeul-Ost (Abb. 1), das als einer seiner bekanntesten Putzschnitte gilt.[9] Das Relief mit den Maßen 3,7 Meter Breite und 1 Meter Höhe entstand innerhalb von acht Tagen im September 1955 und zeigt Motive der Kultur und Lebensfreude anhand von Musikinstrumenten wie Lyra und Laute, einer Theatermaske, Weinlaub und Trauben. Das Gebäude stand nach 1990 lange Zeit leer, wodurch ein erheblicher Verfall einsetzte. Bereits 2009 waren vom Relief zwei Drittel der Ornamente abgefallen, die glücklicherweise durch den Hausmeister geborgen und eingelagert worden waren; dadurch konnten sehr viele originale Teile gerettet werden (Abb. 2). Bei der Instandsetzung des Gebäudes als Wohnbau 2019 wurde nach einer Lösung für den wertvollen Putzschnitt gesucht. Der Bauherr war nicht davon zu überzeugen, das originale, geschädigte Relief einzubinden, sondern wollte eine intakte Kopie präsentieren. Koordiniert durch den beauftragten Restaurator im Handwerk entwickelte das Institut für Baustoffe an der TU Dresden eine technische Lösung für die neue Trägerplatte der Putzkopie. Die Dokumentation, die Vorbereitungen für die Abnahme, ihre Umsetzung und die Bergung der Originalsubstanz erfolgte in Zusammenarbeit mit der Restaurierung des Landesamts für Denkmalpflege Sachsen. Durch die Anbringung der Kopie am originalen Standort konnte das Kunstwerk visuell 2022 für den Stadtraum wiedergewonnen werden (Abb. 3).[10] Die in Coswig bei Dresden zwischengelagerten originalen Fragmente wurden vom Landesamt im März 2022 übernommen und ins Depot gebracht.[11] Sie sollen zu Forschungszwecken und für eine geplante spätere Präsentation in einem öffentlichen Gebäude der Stadt Radebeul verwahrt werden. Dabei müssen die originalen Fragmente und Einzelstücke neu zusammengesetzt, auf eine neue Trägerplatte montiert und restauriert werden. Eine Voranfrage zur geplanten Aufstellung in einer dortigen Schule läuft derzeit, jedoch konnte das Vorhaben logistisch und finanziell noch nicht geklärt werden.

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Radebeul, AWD, Turnerweg 1, Kiste mit Fundstücken des originalen Putzreliefs von Hermann Glöckner, Aufnahme 2022
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Radebeul, AWD, Turnerweg 1, Kiste mit Fundstücken des originalen Putzreliefs von Hermann Glöckner, Aufnahme 2022

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Radebeul, AWD, Turnerweg 1, Rekonstruktion des Putzreliefs, Aufnahme 2023
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Radebeul, AWD, Turnerweg 1, Rekonstruktion des Putzreliefs, Aufnahme 2023

Originaler Putzschnitt am Neubau

Ein weiterer zunächst stark gefährdeter und schließlich geretteter Putzschnitt von Hermann Glöckner befand sich an einem ehemaligen Gasthaus im Moritzburger Ortsteil Reichenberg.[12] An der dortigen Einkehr hatte Glöckner 1947 neben Inschriften einen dreifarbigen Putzschnitt mit figürlichen Motiven geschaffen, welche die Funktion des Gasthauses durch Symbole des dörflichen Lebens und der Geselligkeit illustrieren: ein Hahn auf einem Pflug, ein Kontrabass und eine Posaune, ein Korb mit Semmeln und ein Krug Bier (Abb. 4). Das Putzrelief wurde 1988 nach Begutachtung und fachlicher Expertise des Direktors des Dresdner Kupferstichkabinetts durch das Institut für Denkmalpflege Dresden unter Schutz gestellt.[13] Beim Abbruch des Gasthofs 2017 stellte sich die Frage nach dem Umgang mit dem Bild. Geplant war die Translozierung der gesamten Wandscheibe mit dem Putzschnitt (stacco a masello). Die Vorbereitungen dazu gestalteten sich kompliziert, so musste das Kunstwerk vor der Bergung durch konservatorische und restauratorische Maßnahmen gesichert werden. Diese umfassten mineralische Hinterfüllungen, das Schließen der Risse zwischen Deck- und Unterputz und die Konservierung der entfestigten Putzstruktur. Anschließend wurde das Bildfeld kaschiert und in Metallrahmen eingefügt, gelagert und schließlich in den Neubau integriert. Heute erinnert es mit den Teilen der geborgenen originalen Inschrift an den historischen Standort des Gasthauses.

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Moritzburg-Reichenberg, August-Bebel-Straße 51, Hermann Glöckner, originaler Putzschnitt nach der Integration in den Neubau, Aufnahme 2023
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Moritzburg-Reichenberg, August-Bebel-Straße 51, Hermann Glöckner, originaler Putzschnitt nach der Integration in den Neubau, Aufnahme 2023

Gefährdung im ursprünglichen Kontext

In Bad Gottleuba im Osterzgebirge erhielt Glöckner 1959 den Auftrag, auf dem dortigen Klinikgelände den Gymnastikraum im Kurmittelhaus von 1910–1912 umzugestalten. Dabei entstanden 1960/61 durch Glöckner und Frieda Paetz zwei Putzschnittbilder mit der Darstellung der Ruhe (Abb. 5) und der Bewegung (Abb. 6).[14] Diese Halbreliefs waren schon bei der Begutachtung 2020 durch den jahrzehntelangen Gebäudeleerstand akut gefährdet. Starke Durchfeuchtung der Wände durch undichte Dächer und eine unzureichende Entwässerung bzw. fehlende Querlüftung führten am Objekt zu gravierenden baulichen Schäden. Mit einer 2019/20 erstellten Diplomarbeit an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Fachbereich Restaurierung, konnten für die zwei Bildfelder zumindest eine Bestandserfassung, Untersuchungen, eine Dokumentation, maltechnologische Studien und Sicherungen erfolgen.[15] Daraus ergaben sich Anregungen zu weiteren Maßnahmen, möglichen Freilegungen der bildzeitlichen Raumfassung und integrierenden Ergänzungen. Bisher wurde eine Abnahme und Bergung der zwei Reliefs aus dem leerstehenden und gefährdeten Kurmittelhaus verworfen. Mit dem zunehmenden baulichen Verfall ist eine baldige Lösung jedoch dringend angeraten.[16]

Die Stadt Hoyerswerda besitzt bis heute einige Putzschnitte des Senftenberger Künstlers Günther Wendt (1908–1971).[17] Er war einer der wichtigen Vertreter für die traditionell ausgeführten Putzschnitte in der Region der Lausitz. Der Künstler kam aus einer Malermeisterfamilie und setze diese Tradition fort. Er absolvierte eine Lehre und ging an die Kunstgewerbe- und Handwerkerschule in Berlin. Seit 1932 arbeitete er als freier Künstler in Senftenberg, nahm verschiedenste Aufträge an und entwickelte sich zu einem begabten und bekannten Sgraffitotechniker. Auch nach dem Krieg war er in Senftenberg tätig, wurde Mitglied im Verband der Bildenden Künstler der DDR und leitete 20 Jahre bis zu seinem Tod 1971 das Senftenberger Stadtmuseum.

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Bad Gottleuba, Kurmittelhaus, Gymnastikraum, Hermann Glöckner, Frieda Paetz, Ruhe und Bewegung, 1960/61, Aufnahme 2021
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Bad Gottleuba, Kurmittelhaus, Gymnastikraum, Hermann Glöckner, Frieda Paetz, Ruhe und Bewegung, 1960/61, Aufnahme 2021

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Bad Gottleuba, Kurmittelhaus, Gymnastikraum, Hermann Glöckner, Frieda Paetz, Ruhe und Bewegung, 1960/61, Aufnahme 2021
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Bad Gottleuba, Kurmittelhaus, Gymnastikraum, Hermann Glöckner, Frieda Paetz, Ruhe und Bewegung, 1960/61, Aufnahme 2021

Hoyerswerda wurde systematisch als neue Wohnstadt für das Kombinat Schwarze Pumpe konzipiert und entsprechend dem damaligen sozialistischen Ideal mit baubezogenen Kunstwerken ausgestattet. Noch heute legen viele Gebäude mit ihrem dekorativen Bauschmuck, meist Sgraffito bzw. Putzschnitte, davon Zeugnis ab und zeigen den Gestaltungswillen dieser Zeit. Bei der Lessingschule in Hoyerswerda handelt es sich um einen bedeutenden Schulneubau aus dem Jahr 1959. Im Foyer befindet sich ein im gleichen Jahr entstandenes Wandbild zum Thema Lausitzer Leben von Günther Wendt. Geschaffen hat er das circa 7 Meter breite und etwa 2,5 Meter hohe Werk als 7 Zentimeter starken, zweischichtigen Putzschnitt. Der dunklere Putz liegt dabei unten, der hellere bildet den Deckputz, der entsprechend der geplanten Darstellung weggekratzt wurde (Abb. 7). Der Schulbau war einschließlich des Kunstwerks in die Liste der Kulturdenkmale des Freistaates Sachsen eingetragen. Entsprechend hätte das Werk im Zuge der Instandsetzung des Gebäudes restauriert und präsentiert werden sollen. Dazu ist es jedoch bis heute nicht gekommen.

Nach der politischen Wende verursachten Bilder mit vermeintlich sozialistischem Inhalt oft Konflikte, in deren Nachgang sie zerstört oder – wie in diesem Fall – durch einen Vorhang verdeckt wurden und damit aus dem Blickfeld und dem öffentlichen Bewusstsein verschwanden. Als die Schule 2011 einen Erweiterungsbau erhielt, sollte der Anschluss des Neubaus über das Foyer erfolgen. Für das Wandbild wurde – ohne Abstimmung mit der Denkmalpflege – ein Türdurchbruch und die Einhausung des verbliebenen Bildes vorgesehen. Auf die nun in die Diskussion eingebrachten Translozierungsvorschläge des Landesamts ließ sich die Schulleitung nicht ein, sondern begann mit dem Durchbruch. Es entstanden erhebliche Schäden und Teilverluste, nicht nur durch die unsachgerechte Methode, sondern auch – wie wissenschaftliche Untersuchungen des nun einschreitenden Landesamts ergaben[18] – bedingt durch den rückseitigen Aufbau zum Mauerwerk: Das Sgraffito besteht aus Spanplatten, Schilfrohrmatten, einem harten Putz- und Gipsmörtel. Zur Stabilisierung waren rückseitig Eisenstäbe und an den Knotenpunkten Stahlkrampen fest ins Mauerwerk eingegipst. Aufgrund der festgestellten Problematik setzte sich das Landesamt für eine weitere Prüfung der Vorgehensweise und eine behutsame Lösung ein. Letztendlich ist aus fachlicher Sicht nur eine Restaurierung in situ mit der Einbindung des entfernten Segmentes sinnvoll. Bis heute konnte keine Einigung mit der Schulleitung erzielt werden.[19]

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Hoyerswerda, Lessing-Gymnasium, Pestalozzistraße 1, Günther Wendt, Lausitzer Leben, 1959, Aufnahme 2019
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Hoyerswerda, Lessing-Gymnasium, Pestalozzistraße 1, Günther Wendt, Lausitzer Leben, 1959, Aufnahme 2019

Die unterschiedlichen Fälle zeigen auf, wie sehr es von der Akzeptanz der Kunstwerke, der Sorge und Aufmerksamkeit der Nutzer*innen und der Bereitschaft der Eigentümer*innen abhängt, ob eine Erhaltung der Werke gelingen kann. Das denkmalpflegerische Ideal der Bewahrung im originalen baulichen Kontext stößt auf unterschiedlichste Probleme. Die Restaurierung hat bedingt alternative Lösungen wie die Translozierung durch unterschiedliche Abnahmemethoden wie strappo, stacco a masello oder dem stacco-Verfahren. Diese Technologien ermöglichen durch ihre mobilen Lösungen manchmal eine Variante für den weiteren Erhalt und die Präsentation der baugebundenen Kunst.

  1. Abbildungsnachweis

    1, 3–6: LfD Sachsen, Sven Köhler. — 2, 7: LfD Sachsen, Torsten Nimoth.

Published Online: 2023-05-21
Published in Print: 2023-05-01

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany

Downloaded on 23.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/DKP-2023-1010/html
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