Home Arts Denkmalpflege in Deutschland – ein Statusbericht
Article Open Access

Denkmalpflege in Deutschland – ein Statusbericht

Rückblick auf die letzten 20 Jahre Arbeit in der VDL
  • Ramona Dornbusch , Thomas Drachenberg , Markus Harzenetter and Annika Tillmann EMAIL logo
Published/Copyright: November 17, 2025
Become an author with De Gruyter Brill

2001 schloss der damalige Hamburger Landeskonservator Manfred F. Fischer seinen Rückblick auf die ersten 50 Jahre der Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern (VDL) mit den Worten: Es »wäre Illusion, zu glauben, sich auf einen gleichsam wachsenden Sockel des Verständnisses in der Öffentlichkeit [für die Denkmalpflege] verlassen zu können. […] Denn Denkmalpflege gehört zu den Kulturaufgaben, und zwar zu den undankbarsten, da sie von vielen Menschen im Einzelfall Einschränkung verlangt und nicht nur kulturelles Hochgefühl, also Genuss und Freude vermittelt. Sie ist also wie alle Kulturpolitik Gegenstand eines immer wieder neu zu führenden Diskurses.«[2] Drei Jahre später endet ein Überblick über den Zustand der staatlichen Denkmalpflege in der Verbandszeitschrift »Die Denkmalpflege« mit einer fatalistisch-pessimistischen Perspektive: »Verfahrensmäßige Schwächung der Denkmalfachbehörde, also Reduktion denkmalfachlicher Qualität, ist dabei nicht Nebenprodukt, sondern Ziel. Sagen wir es unumwunden: Die staatliche Denkmalpflege in der Bundesrepublik verwaltet derzeit einen Niedergang.«[3] Jürgen Tietz stellte 2006 in einem Artikel sogar die provokante Frage, ob sich die Denkmalpflege nicht in einem Sturzflug in die Bedeutungslosigkeit befinde.[4] Allen Unkenrufen zum Trotz – oder gerade deshalb? – konnte sich die VDL als Dachverband und Lobbyistin für die Denkmalfachämter in der Republik entwickeln und fachliche Positionen besetzen.

Die Jahrtausendwende: Debatte über die Entstaatlichung der Denkmalpflege

Der Diskurs über den kulturpolitischen Stellenwert der Denkmalpflege war im Jahr 2000 mit einem Paukenschlag von dritter Seite eröffnet worden: Auf Einladung der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen fand am 30. März 2000 in Berliner Reichstagsgebäude eine Anhörung statt zum Thema »Denkmalschutz und Denkmalpflege«. Die Anhörung eröffnete ein Beitrag von Dieter Hoffmann-Axthelm zur Frage: »Kann die Denkmalpflege entstaatlicht werden?«, der eine fundamentale Debatte zur Privatisierung der Denkmalpflege entzündete (Abb. 1).[5] Auftraggeberin des Beitrags war die damalige Vizepräsidentin des Bundestages und kulturpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Antje Vollmer (1943–2023).[6] Kernthesen Hoffmann-Axthelms waren: Das staatliche Handeln der Denkmalpflege gefährde die Denkmäler ebenso sehr, wie es diese schütze. Denkmalpflege sei als kulturelles Element dem staatlichen Handeln entzogen; bürgerschaftliches Engagement solle künftig die Denkmalpflege tragen. Vehement positionierte er sich gegen die Ausweitung des Denkmalbegriffes auf bürgerliche Bauten des Historismus, auf Industriebauten oder auf Bauten des Nationalsozialismus und schlug eine Zeitgrenze um 1840 vor. Denkmalpflegerisches Handeln solle sich auf wenige hervorragende Denkmäler konzentrieren, die auch dem Aspekt der »Schönheit« Rechnung tragen.

1 Cover der Dokumentation Entstaatlichung der Denkmalpflege? Von der Provokation zur Diskussion. Eine Debatte über die Zukunft der Denkmalpflege, 2000
1

Cover der Dokumentation Entstaatlichung der Denkmalpflege? Von der Provokation zur Diskussion. Eine Debatte über die Zukunft der Denkmalpflege, 2000

Antje Vollmer, Auftraggeberin des Gutachtens, forderte eine Denkmalpflege auf Augenhöhe zwischen Expert*innen und Bürger*innen. Die Denkmalfachämter unter dem Dach der VDL empfanden den Beitrag als Frontalangriff auf ihre Legitimität und stellten sich dieser Diskussion. Es entstand über mehrere Monate hinweg eine intensive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. In der Argumentation konzentrierte sich die VDL auf die großen gemeinsamen Ziele, die bis heute unverändert aktuell sind: Nachhaltigkeit und Umweltschutz sowie die Förderung von ehrenamtlichem Engagement nach dem Vorbild der Natur- und Umweltschutzbewegung. Eine der wesentlichen Erkenntnisse der Debatte für die VDL war, dass professionelle Öffentlichkeitsarbeit ein grundlegender Teil der Denkmalpflege sein muss.

Die 2000er Jahre: Zwischen Netzwerkerweiterung, Kooperation und Verteidigung der Deutungshoheit in der Denkmalpflege

Neben Öffentlichkeitsarbeit ist einer der Grundpfeiler des Lobbyings Netzwerkarbeit: Traditionell stand die VDL mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD), dem Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz (DNK) und der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Kurzform: Kultusministerkonferenz, KMK) im Austausch. Über Aktivitäten von DSD und DNK wurde bei allen Amtsleitungskonferenzen berichtet, die VDL war hier in deren Gremien vertreten. DNK und KMK waren lange die einzigen von der VDL genutzten Kommunikationskanäle in die Politik.

Nach der politischen Wende internationalisierte die VDL i hre Kontakte. Sie war Gründungsmitglied des European Heritage Heads Forums (EHHF), das 2006 als informelles Netzwerk für den europäischen Erfahrungsaustausch der Denkmalfachämter auf Leitungsebene gegründet wurde. Auf nationaler Ebene begleitete die VDL die 2006 erfolgte Gründung der Bundesstiftung Baukultur mit dem Ziel, das bauliche Erbe fest in den Dialog über Baukultur einzubinden. Ein wesentlicher Kommunikationsort der VDL wurde die Denkmalmesse denkmal in Leipzig: Seit 1996 hat die VDL an jeder Messe mit einer Ausstellung teilgenommen und engagiert sich im Messebeirat.

Die 2010er Jahre: Profilbildung durch die Entwicklung einer Marke

Ende 2014 nutzte die VDL einen technisch notwendigen Relaunch ihrer Homepage, um den Internetauftritt auch visuell zu modernisieren. Zudem sollte sich das Design des Webauftritts auf alle Publikationen der VDL erstrecken. Damit gelang es der VDL, mit einer eigenen, unverwechselbaren Corporate Identity in Erscheinung zu treten (Abb. 2).

2 Die Corporate Identity der VDL seit 2016
2

Die Corporate Identity der VDL seit 2016

Eine umfassende Kampagne startete die VDL erstmals mit »Denkmal Europa«: Im September 2015 initiierte die EU das Jahr 2018 als »Europäisches Kulturerbejahr« (European Year of Cultural Heritage – ECHY 2018), koordiniert in Deutschland durch das DNK. Die VDL beteiligte sich mit einem nationalen Projekt »Denkmal Europa«, um Kinder und Jugendliche für Denkmalschutz zu begeistern. Unter dem Motto »Zu Hause Europas Geschichte suchen« wurde eine intuitive, niederschwellige Website aufgesetzt, die mit Graphic Novels, Projektimpulsen und kreativen Aktionsideen arbeitete, ergänzt durch das spielerische »Workbook für Zeitreisende« (Abb. 3).[7]

3 Denkmal Europa, Workbook für Zeitreisende
3

Denkmal Europa, Workbook für Zeitreisende

Die VDL 2020: Professionalisierung, Kooperation und Internationalisierung

Im November 2020 entstand innerhalb der VDL die Idee, mit einer Lobbyagentur zusammenzuarbeiten, um die eigenen Themen im politischen Raum besser zu positionieren. Hierfür gewann die VDL die gemeinnützige Agentur Welobby; im September 2021 fand ein Lobbying-Workshop mit Teilnehmenden aus 10 Bundesländern statt. Der damit verbundene Paradigmenwechsel in der Kommunikationskultur setzt statt einer Defizit-Kommunikation (»wir benötigen Ausnahmen«) auf eine positive Botschaft (»wir sind Teil der Lösung«), die sich seither durch alle Kommunikationsmaßnahmen zieht. Ergebnis des Workshops war die Kampagne »Denkmalschutz ist Klimaschutz«, die anlässlich der Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl am 26. September 2021 gestartet wurde. Im März 2022 folgte die Broschüre »Denkmalschutz ist Klimaschutz« (Abb. 4). Die Kampagne betont, dass Denkmalpflege Reparatur, Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung meint. Diese Aktivitäten mündeten in persönlichen Gesprächen mit den zuständigen Referent*innen im Wirtschafts- und Klimaministerium und der Bundesbauministerin Klara Geywitz.

4 Cover der Broschüre Denkmalschutz ist Klimaschutz
4

Cover der Broschüre Denkmalschutz ist Klimaschutz

Diese Aktivitäten markieren den Beginn einer strategischen Neuausrichtung der Vorstandsarbeit und der VDL-Geschäftsstelle, die sich zu einer zentralen Koordinationsstelle zur gemeinschaftlichen Adressierung denkmalfachlicher Fragen nach innen und außen wandelt. Diese Transformation professionalisierte sowohl den internen Abstimmungsprozess als auch den öffentlichen Auftritt der VDL. Ein entscheidender Schritt in dieser Entwicklung war die Erkenntnis der Amtsleitungen, dass es nicht mehr ausreicht, bei den beiden jährlichen Treffen lediglich organisatorische Themen »mit Blick auf die Uhr« zu besprechen. Daher wurde die jeweils zweite Jahressitzung am aktuellen Sitz der Geschäftsstelle im Schloss Biebrich in Wiesbaden um einen vollen Tag erweitert. So kann die Amtsleitungskonferenz auch inhaltlich arbeiten und das nach außen hin in knapp gefassten Papieren dokumentieren. Der jährlich stattfindende Austausch der AG-Sprecher*innen mit dem Vorstand der VDL findet als offener, AGübergreifender Diskurs statt und wurde durch unterjährige digitale Treffen zusätzlich intensiviert. Diese verbesserten Kommunikations- und Kooperationsstrukturen haben die Grundlage für die starke fachliche Zusammenarbeit innerhalb der VDL geschaffen. Dadurch konnte die interne Verständigung über Gemeinsamkeiten und Eigenständigkeiten deutlich gestärkt werden, was wiederum die Arbeit der zwölf Arbeitsgruppen unterstützt. Diese greifen auf die Kompetenzen aller Fachämter zurück und tragen dazu bei, bundesweit abgestimmte und fachlich validierte Standards in Publikationen, Stellungnahmen und Verlautbarungen zu sichern.

Die föderale Struktur mit den unterschiedlichen Kompetenzen auf kommunaler und staatlicher Seite macht das System von Denkmalschutz und Denkmalpflege in Deutschland für Außenstehende oft nur schwer verständlich. Daher sind transparente und nachvollziehbare Zuständigkeiten, Verfahrenswege, Methoden und Entscheidungen unverzichtbar. Im Bereich der praktischen Denkmalpflege erkannte die VDL die Notwendigkeit einer neuen Arbeitsgruppe. Sie setzt sich ergänzend zu anderen ämterübergreifenden Fragestellungen mit übergeordneten methodisch-prozessualen sowie strategischen Aspekten der praktischen Denkmalpflege auseinander. Diese Gruppe soll den Austausch über das Selbstverständnis der praktischen Denkmalpflege fördern, gemeinsame Standards und Leitlinien für Maßnahmen entwickeln sowie Verfahrensfragen und Arbeitsabläufe klären – im Dialog mit den Unteren Denkmalschutzbehörden, Eigentümer*innen und weiteren Akteur*innen.

Die Erkenntnis, dass Kommunikation ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis ist, führt auch zu einem Wandel im Selbstverständnis – vom »hoheitlich handelnden« Denkmalschutz hin zu partizipativeren, informativeren Handlungsansätzen. Ein Beispiel hierfür ist das Kommunale Denkmalkonzept in Bayern. Es zielt auf eine bürgernahe Weiterentwicklung und Belebung der schützenswerten historischen Strukturen eines Gebiets in Zeiten des strukturellen und demografischen Wandels ab.

Wenn diese Kommunikation nicht hinreichend stattfindet oder gar strukturell behindert wird, sinkt die Akzeptanz gegenüber denkmalfachlichen Entscheidungen in Politik und Gesellschaft. Dies führt immer wieder zu Reformvorhaben, die jedoch häufig aus sachfremden Erwägungen angestoßen werden und selten den Denkmalschutz und die Denkmalpflege stärken. Ein Tiefpunkt war im April 2022 die Novellierung des Denkmalschutzgesetzes in Nordrhein-Westfalen. Sie enthält viele sachfremde Elemente und schwächt die Rolle der Fachämter. Die aktuellen Diskussionen über eine Novelle des Denkmalschutzgesetzes in Hessen gehen leider in eine ähnliche Richtung. Der spürbare und zugleich besorgniserregende Bedeutungsverlust von Denkmalschutz und Denkmalpflege zeigt sich jedoch nicht nur in der politischen Sphäre, sondern auch innerhalb der Gesellschaft. Unzweifelhaft wichtige öffentliche Belange wie Klimafragen, Sicherstellung der Energieinfrastruktur, Barrierefreiheit, Brandschutz, Förderung des Wohnungsbaus und andere werden unhinterfragt als grundsätzlich prioritär gegenüber denkmalpflegerischen Belangen angesehen. Wahr ist aber auch, dass dort, wo denkmalfachliche Belange offen auf einer klaren gesetzlichen Grundlage nachvollziehbar und rechtzeitig verhandelt werden, das denkmalpflegerische Anliegen stark bleibt.

Im Zuge der Neuausrichtung änderte die VDL im Jahr 2022 zudem ihren mittlerweile nicht mehr zeitgemäßen Namen »Vereinigung der Landesdenkmalpfleger« in »Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern«. Die Namensänderung war Teil einer umfassenden Strategie, die auf eine klare und transparente Sprache sowie auf eine professionelle Kommunikation abzielt. Ein neu gestalteter Internetauftritt, informative Onepager, offizielle Schreiben an Bundesminister*innen und fachlich begleitete Kommunikationsmaßnahmen gehören zu den zentralen Elementen dieses Engagements. Hinzu kommt die laufende Imagekampagne »MehrWert« anlässlich des 50. Jubiläums des Denkmalschutzjahres 1975 (Abb. 5).[8]

5 MehrWert-Magazin
5

MehrWert-Magazin

Diese Entwicklungen festigen die traditionsreiche Rolle der VDL als gefragte Ansprechpartnerin für denkmalfachliche Fragen sowohl auf Bundesebene in Deutschland als auch auch im europäischen Verbund. Besonders hervorzuheben sind die gemeinsamen Aktivitäten mit der polnischen Denkmalpflege, die auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Gemeinsam veranstalten wir das Tagungsformat ANTIKON sowie die deutsch-polnische Expertengruppe »Schlösser und Herrenhäuser in der deutsch-polnischen Grenzregion«. Beteiligt sind drei Bundesländer und die drei an Deutschland angrenzenden Wojewodschaften in Zusammenarbeit mit dem zentralen Denkmalinstitut NID in Warschau. Ein Höhepunkt war das Treffen der polnischen Wojewodschaftskonservator*innen und der deutschen Landeskonservator*innen im Jahr 2018 in der Festung Küstrin (Kostrzyn nad Odrą) in Polen – ein Format, für das es bisher kein vergleichbares Vorbild gab.

Darauf aufbauend trafen sich Anfang April 2022 polnische und deutsche Denkmalpfleger*innen zu einer dreitägigen Konferenz in Warschau (Abb. 6). Im Mittelpunkt stand das Thema des Wiederaufbaus der Städte in Polen und Deutschland nach 1945.[9] Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg auf die Ukraine ab dem 24. Februar 2022 verlieh diesem Thema eine besondere Aktualität und Brisanz. Führende Konservator*innen beider Länder nutzten die Gelegenheit, um eine gemeinsame Erklärung zur umfassenden Zerstörung des kulturellen Erbes infolge der russischen Militäraggressionen gegen die Ukraine zu verfassen.[10] Diese Erklärung verurteilt den rücksichtslosen Angriff auf die Ukraine durch das russische Militär. Sie hebt den bereits 1954 im Haager Abkommen formulierten Grundsatz hervor, dass der der Kultur der Ukraine zugefügte Schaden »einen Schaden am kulturellen Erbe der ganzen Menschheit bedeutet, da jedes Volk seinen Beitrag zur Kultur der Welt leistet«.[11] Dies unterstreicht die Dringlichkeit des Themas und betont die Verantwortung aller Nationen, das kulturelle Erbe zu schützen und zu bewahren.

6 Teilnehmende aus Polen und Deutschland auf der Tagung vom 4. bis 6. April 2022 zum Wiederaufbau der Städte in Polen und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in Warschau
6

Teilnehmende aus Polen und Deutschland auf der Tagung vom 4. bis 6. April 2022 zum Wiederaufbau der Städte in Polen und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in Warschau

Gesellschaftliche und politische Herausforderungen und Chancen

Die rasante energiepolitische Umsteuerung in Deutschland, die aus dem russischen Angriff resultierte, veranlasste die VDL, sich aktiv und fundiert in die Diskussion über erneuerbare Energien einzubringen. Sie bildete einen eigenen Schwerpunkt Klimaschutz, der Denkmäler als Ressource für eine nachhaltige Zukunft in den Blick nimmt.[12] Mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes legte der Gesetzgeber fest, dass die erneuerbaren Energien im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen. Bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, sollen die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden. Denkmalbelange können den Vorrang der erneuerbaren Energien nur ausnahmsweise im sogenannten atypischen Ausnahmefall überwinden. Die von der VDL und den Denkmalfachämtern erarbeiteten Handreichungen und Leitfäden zeigen, dass erneuerbare Energien und Denkmalschutz kein Widerspruch sind. Indem man Denkmäler schützt, saniert und anpasst, trägt man dazu bei, Ressourcen zu sparen und Energieverbrauch zu reduzieren und somit aktiv zum Klimaschutz beizutragen.

Herausforderungen können auch Chancen sein. Das gilt nicht nur im Bereich Klimaschutz/Ressourcenschonung, sondern auch bei den Handlungsfeldern gesellschaftlicher Zusammenhalt, Wohnungsnot und stagnierende Wirtschaft. Mit dem gesellschaftlichen Umbau in Richtung Nachhaltigkeit hat sich für die Denkmalpflege eine große Chance eröffnet, ihre gesellschaftliche Relevanz zu betonen. An der denkmalgeschützten Bausubstanz – sie macht drei bis fünf Prozent des Gebäudebestands in Deutschland aus – werden seit Langem Methoden der Reparatur, der Restaurierung und Konservierung angewandt. Die Rückkehr zu den Prinzipien langfristiger Nutzung von Bauwerken ist gleichermaßen aus kulturellen, ökonomischen und ökologischen Gründen notwendig. Viele ältere Bauten sind Beispiele robuster und damit zukunftsfähiger Konstruktionen. Konzeptionell können sie Vorbild für aktuelle und zeitgemäße Architektur sein.

Die drei R der Denkmalpflege – Ressourcenschonung, Reversibilität und Reparaturfähigkeit – haben zwar noch nicht die gewünschte Aufmerksamkeit im gesellschaftlichen Diskurs über Baukultur erlangt. Dennoch zeigen sich in einigen Bundesländern Fortschritte. Sie haben damit begonnen, ihre Bauordnungen so anzupassen, dass der Neubaustandard für Altbauten nicht mehr zwingend vorgeschrieben ist. Dies ist ein wichtiger Schritt, um das Bewusstsein für nachhaltige Praktiken im Bauwesen zu fördern und die Prinzipien der Denkmalpflege in breitere gesellschaftliche Diskussionen einzubringen. Dazu nutzt die VDL neben den Publikationen zunehmend neue Formate wie Onepager, um sowohl die Fachwelt als auch die Politik und die Gesellschaft zu erreichen (Abb. 7). Andere Organisationen wie die Bundesstiftung Baukultur verstärken diese Argumentation.[13]

7 Onepager Denkmalschutz ist Mehr
7

Onepager Denkmalschutz ist Mehr

Eine neue Herausforderung bilden die Transformationsprozesse von Kirchen. Sinkende Mitgliederzahlen, fehlende Geistliche und ein prognostiziert geringeres Kirchensteueraufkommen führen bei den großen christlichen Konfessionen dazu, dass viele Bauten, darunter auch Kirchen, aufgegeben werden. Die Umnutzung zu kulturellen, sozialen oder gemeinschaftlichen Räumen erfordert oft eine sorgfältige Abwägung zwischen Erhalt und Anpassung. Zudem muss sie gesellschaftlich akzeptiert sein. Kirchen sind die ältesten Dorfgemeinschaftshäuser. Es gilt, die lokale Bevölkerung und potenzielle Nutzer*innen in den Prozess einzubeziehen und das Bewusstsein für den Wert des kulturellen Erbes zu stärken. Landes- und bundesweite Netzwerke entstehen, um nach den ersten Abrisswellen von Kirchengebäuden eine positive Erhaltungsstrategie zu entwickeln. Die Diskussion ist nicht erst nach Erscheinen des Manifestes »Kirchen sind Gemeingüter«[14] entbrannt. Sie ist auch Folge der radikalen Auswirkungen einer kirchenfeindlichen Gesellschaft in der DDR und der Kirchenabrisse vor allem in Nordrhein-Westfalen. In diesem Diskussionsprozess übernehmen die Denkmalfachämter aktiv die Rolle als Fachinstitutionen für den Denkmalwert und beraten zur denkmalverträglichen Gestaltung notwendiger Veränderungsprozesse.[15]

Aktuelle Rahmenbedingungen

Die organisatorischen, personellen und finanziellen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren verschärft. So zwingt die angespannte Haushaltslage zu Einsparungen, was nicht nur, aber vor allem in ländlichen Regionen zu einer unzureichenden Personalausstattung führt. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an die Denkmalpflege kontinuierlich, während der personelle Zuwachs häufig nur temporär erfolgt und nicht mit den gestiegenen Aufgaben Schritt halten kann. Diese Diskrepanz zwischen Anforderungen und Ressourcen stellt für viele Ämter eine erhebliche Herausforderung bei der Sicherstellung ihrer Kernaufgaben dar. Beispielsweise werden die überall vorhandenen Lücken in der inventarisatorischen Erfassung und der Erarbeitung von rechtssicheren Denkmalwertbegründungen als Grundlage für das denkmalpflegerische Handeln auch von außen immer wieder angemerkt, wenngleich die fachliche Qualität der Ausweisung auf große Anerkennung trifft. Besonders wichtig sind die Erfassung und Bewertung von Zeugnissen aus der Nachkriegszeit, der Ära des geteilten Deutschlands sowie der Industrie- und Technikgeschichte. Die 1990er Jahre werden mittlerweile als abgeschlossene Bauepoche verstanden und sind Thema für die jeweiligen Denkmallisten. Diese Themen erfordern eine umfassende wissenschaftliche Auseinandersetzung und Publikation, um das Bewusstsein für diese oft vernachlässigten Epochen zu fördern. Zudem müssen für die Fortführung der Denkmaltopographien, die mittlerweile rund 180 umfangreiche, oft mehrteilige Bände umfassen, moderne und ergänzende Kommunikationsformate gefunden werden, um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Die sinkende Anzahl der pro Jahr erscheinenden Erfassungsbände dieses gemeinsamen Werkes aller Bundesländer zeigt die nachlassende Kraft der Ämter bei gestiegenen Anforderungen.

Darüber hinaus gibt es auch strukturelle Defizite auf systemischer Ebene: So sind etwa die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Länder sehr uneinheitlich. Deswegen ist es nahezu unmöglich, die Heterogenität der Denkmalausweisungen in einer verständlichen Form der bundesweiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Beispiel: Die genaue Anzahl der Denkmale ist in Deutschland bis heute faktisch nicht solide ermittelbar. Das liegt an den unterschiedlichen Denkmaldefinitionen und der fehlenden konsistenten Definition der Nichtdenkmale.

Weitere zentrale Probleme sind das Fehlen von Fachkräften sowie spezialisierten Fachbüros und -betrieben in der Denkmalpflege. Die unzureichende Ausbildung von Fachkräften führt zu Schwierigkeiten bei Nachbesetzungen wichtiger Positionen. Beispielsweise sinkt die Zahl der Fachkräfte, die sich auf Bereiche wie Bauforschung oder Dendrochronologie spezialisiert haben. Das hat spürbare Folgen für den Bestand. Daher diskutieren die Denkmalfachämter in der VDL dieses Problem schon seit Längerem engagiert.[16]

Denkmalpflege 2030: die Zukunft im Blick

Eine zentrale Stellung in der modernen Denkmalpflege nimmt die Digitalisierung ein. Die Einführung von elektronischen Akten und die Retrodigitalisierung von Registraturen, insbesondere bei Objektakten, sind entscheidend für optimierte Arbeitsabläufe. Dieser Prozess läuft derzeit vielerorts oder steht kurz vor dem Abschluss. Das Management, die langfristige Archivierung und die Bereitstellung digitaler Daten zu denkmalgeschützten Objekten werden die Denkmalverwaltung grundlegend verändern. Die Menge an Planungsunterlagen in der Denkmalpflege wächst mit den immer komplexer werdenden baulichen Maßnahmen und Regularien. Aktuell hält im Planungswesen die Implementierung von Building Information Modeling (BIM) Einzug.[17] Künftig lassen sich damit sämtliche Informationen zu einem Denkmal in einem einzigen Modell integrieren und den jeweiligen Bauteilen zuordnen. Eine weitere Zukunftsaufgabe ist es, das digitale Wissen über den gesamten Denkmalbestand in geeigneter Form als Open Access bereitzustellen.

Kontinuierliche Aufgabe der Denkmalpflege bleibt es, das Bewusstsein für den Wert des kulturellen Erbes in der Gesellschaft zu schärfen und damit eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung zu fördern. Dabei muss ein ganzheitliches und praxistaugliches Denkmalverständnis im Mittelpunkt stehen. Mit einem solchen Denkmalverständnis lässt sich das traditionell reichhaltige Wissen der Denkmalpflege konstruktiv in heutige Klima- und Umweltschutzstrategien integrieren. Die an den Denkmalen erprobten Maßnahmen können – in entsprechenden Abstufungen – grundsätzlich Modellcharakter für den allgemeinen Altbaubereich haben. Gerade angesichts des aktuell desaströsen ökologischen Fußabdruckes der (Neu-) Bauindustrie kann die Denkmalpflege fundierte Erfahrungen, Haltungen und Methoden bei Reparatur, Erhaltung und nachhaltiger Bewahrung einbringen. Denkmalpflege kann so dazu beitragen, unsere Baukultur zukunftssicher zu machen. Die in der VDL versammelten Denkmalfachämter stehen hier als kompetente Ansprechpartner zur Verfügung.

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Denkmalpflege seit Jahrhunderten eine wichtige Rolle bei der Bewahrung unseres kulturellen Erbes spielt. Trotz wiederkehrender Diskussionen über ihre Daseinsberechtigung erwies sie sich stets als ein wesentlicher Bestandteil gesellschaftlicher Identität. Gerade ihre Fähigkeit, Prozesse in einer sich wandelnden Gesellschaft konstruktiv zu begleiten und zugleich bewährte Werte zu vertreten, belegt sowohl ihre Anpassungsfähigkeit als auch ihr Beharrungsvermögen.

Für die Zukunft hat sie weiterhin eine zentrale Aufgabe: Sie muss besondere historische Werte sichtbar machen und bewahren und gleichzeitig flexibel auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren. Angesichts der Notwendigkeit, Graue Energie einzusparen, sind Erfahrungen in Erhaltung und Reparatur gesamtgesellschaftlich relevant. Hier besteht ein großer Vermittlungsbedarf!


Der nachfolgende Rückblick bis einschließlich der 2010er Jahre basiert auf dem Aufsatz Markus Harzenetter/Annika Tillmann: Die VDL seit der Jahrtausendwende. Dachverband und Lobbyistin. In: Buten un Binnen. Festschrift für Georg Skalecki. Bremen 2025, S. 255–261.


  1. Abbildungsnachweis:

    1: VDL, Scan des Covers. — 2, 4: Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Christine Krienke. — 3: Tinkerbrain für VDL. — 5: Anzinger + Rasp für VDL. — 6: Jakub Lewicki, Warschau. — 7: Landesamt für Denkmalpflege Hessen, R. Welsen.

Published Online: 2025-11-17
Published in Print: 2025-12-17

© 2025 Ramona Dornbusch/Thomas Drachenberg/Markus Harzenetter/Annika Tillmann, published by De Gruyter

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International License.

Downloaded on 18.12.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/dkp-2025-2003/html
Scroll to top button