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Denkmalpflege. MehrWert als Du denkst

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Published/Copyright: November 17, 2025
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In diesem Jahr wird das 50-jährige Jubiläum des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975 gefeiert (Abb. 1). Das Jahr hat bis heute einen großen Stellenwert in der Geschichte der europäischen Denkmalpflege, gehen doch zahlreiche fachliche und rechtliche Errungenschaften auf diese Initiative des Europarats zurück. Undenkbar wäre diese an eine breite Öffentlichkeit gerichtete Aktion gewesen ohne die 1964 von einem internationalen Kreis aus Architekt*innen und Denkmalpfleger*innen verabschiedete Charta von Venedig.[1] Mit dieser Vereinbarung wurden wichtige fachliche Grundsätze formuliert. Aufbauend darauf bemühten sich führende Denkmalpfleger*innen um die Ausformulierung verwaltungsmäßiger und rechtlicher Standards und konnten hierbei die Unterstützung des Europarates gewinnen. Das Thema Denkmalschutz und Denkmalpflege lag in der Luft, zahlreiche Bürgerbewegungen forderten aus verschiedenen Motiven heraus eine Abkehr von der Stadtbaupolitik der Nachkriegsjahrzehnte und den Erhalt historischer Orte. Flankierend verabschiedete der Europarat 1975 die Europäische Denkmalschutz-Charta (EDC):[2] »Die im architektonischen Erbe überlieferte Vergangenheit ist der unverzichtbare Rahmen für die ausgewogene Entwicklung des Menschen.« (Art. 2 EDC). Es sind sicher wenige Fachleute in Europa, die dieses wegweisende Dokument noch genau kennen. Dabei enthält es viele wichtige und bis heute aktuelle Feststellungen zur Bedeutung des architektonischen Erbes für den Menschen. Grund genug also, sich die Ereignisse vor 50 Jahren noch einmal zu vergegenwärtigen und vor der aktuellen Situation zu spiegeln.

1 Denkmalpflege war schon vor 50 Jahren die richtige Antwort auf die Frage nach der Zukunft. MehrWert-Kampagne der Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern 2025
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Denkmalpflege war schon vor 50 Jahren die richtige Antwort auf die Frage nach der Zukunft. MehrWert-Kampagne der Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern 2025

Charta von Venedig 1964

So wegweisend die Charta von Venedig auch war (und weiterhin ist), waren allein mit ihrer Veröffentlichung 1964 noch bei Weitem keine Grundlagen geschaffen, um die formulierten Grundsätze in den Denkmalalltag überführen zu können. Es fehlte an allem: Es fehlte an Denkmalschutzgesetzen, es fehlte an Beteiligungsregeln in Planungsverfahren, es fehlte an Fachpersonal in den Denkmalbehörden und es fehlte an Verwaltungsstrukturen zur Umsetzung von Denkmalschutz. Es fehlte an Ausbildungswegen und -stätten. Und: Es fehlte an der Bekanntheit dieser denkmalpflegerischen Grundsätze in der Bevölkerung.[3]

Europäische Denkmalschutz-Charta 1975

Vor diesem Hintergrund gelang es einigen engagierten Denkmalpfleger*innen, den Europarat auf die Notwendigkeit aufmerksam zu machen, für die europäische Denkmalpflege einen rechtlichen Rahmen zu entwickeln. 1965 veranlasste der Europarat mehrere internationale Symposien, in denen Methoden der Denkmalpflege diskutiert und im Rahmen von Empfehlungen verabschiedet wurden.

Die fundierten Tagungsergebnisse flossen in die 1975 verabschiedete Europäische Denkmalschutz-Charta ein. Wichtige Elemente der Charta von Venedig wurden dabei aufgegriffen, jedoch verknüpft mit konkreten Aufforderungen an die Mitgliedsländer. Zentral war sicher die Erkenntnis, dass die bisherige Denkmalpraxis, wertvolle Einzelmonumente zu erhalten, dem Wert des architektonischen Erbes nicht nur fachlich, sondern auch gesellschaftlich nicht ausreichend gerecht wurde. Die Bedeutung der Umgebung von Denkmalen und von Denkmal-Ensembles bis hin zu ganzen historischen Stadtkernen wurde als »geistiges, kulturelles, wirtschaftliches und soziales Kapital von unersetzlichem Wert« (Art. 3 EDC) erkannt, das ein »harmonisches soziales Gleichgewicht« fördert (Art. 4 EDC) und einen »hohen Bildungswert« (Art. 5 EDC) besitzt.

Gleichzeitig erkannte man die Gefährdung des architektonischen Erbes. Daher wurden erhaltende Erneuerungsmaßnahmen gefordert, die diese Erneuerung mit angemessenen Nutzungsmöglichkeiten verbinden und zeitgenössische Architektur nicht ausschließen, »solange das Neue den vorgegebenen Rahmen, die Proportionen, Form- und Gliederung der Baumassen und die überlieferten Materialien achte« (Art. 7 EDC). Damit dies gelingen könne, forderte die EDC den Einsatz rechtlicher, administrativer, finanzieller und technischer Mittel. Damit gemeint waren gegebenenfalls zusätzliche Gesetze, ein angemessener Verwaltungsapparat, steuerliche Vergünstigungen und mindestens der Neubauförderung entsprechende, zusätzliche Beihilfen der öffentlichen Hand. Und – in heutigen Zeiten wieder in aller Munde – »genügend Architekten, Techniker, Spezialbetriebe und qualifizierte Handwerker, die imstande wären, die notwendigen Erhaltungs- und Erneuerungsarbeiten durchzuführen.« Hierbei sei die Bauindustrie aufzufordern, »sich den Aufgaben anzupassen, und vom Aussterben bedrohte Handwerkszweige […] zu fördern« (Art. 8 EDC).

Europäisches Denkmalschutzjahr 1975

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Architektur und Städtebau von Maximen dominiert, die wenig Wertschätzung für historisch gewachsene Altstädte zeigten. Diese galten als rückständig, zu eng bebaut, die Häuser zu altmodisch und zu komplex in der Reparatur. Sanierung von Altstädten hieß allzu oft Abriss und Neubau.[4] Gegen die Praxis der Flächensanierung regte sich gegen Ende der 1960er Jahre Widerstand. Zunehmend organisierten sich Bürgerinitiativen für die Erhaltung ihrer vertrauten baulichen Umwelt, die mit ihrem Maßstab für eine hohe Lebensqualität stand (Abb. 2). Diese Initiativen waren ein weiterer Motor dafür, sich auf europäischer Ebene mit dem Wert und dem Erhalt des kulturellen Erbes zu befassen. »Die Mitarbeit aller ist für den Erfolg der erhaltenden Erneuerung unerlässlich« (Art. 9 EDC). Aus dieser Erkenntnis heraus beschloss der Europarat bereits 1969 ein Europäisches Denkmalschutzjahr für das Jahr 1975.[5]

2 Im Vorfeld des Europäischen Denkmalschutzjahres gab es viele Bürgerproteste gegen den großflächigen Abriss historischer Stadtquartiere, hier im Frankfurter Westend.
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Im Vorfeld des Europäischen Denkmalschutzjahres gab es viele Bürgerproteste gegen den großflächigen Abriss historischer Stadtquartiere, hier im Frankfurter Westend.

In einer nie dagewesenen Öffentlichkeitsoffensive wurde die Denkmalpflege in verschiedenen europäischen Staaten mit Publikationen, Ausstellungen und weiteren Veranstaltungen in den Fokus gerückt (Abb. 3 und 4). Im Zentrum standen historische Ensembles, womit auch die Geburtsstunde der städtebaulichen Denkmalpflege gelegt war. Es wurde aufgezeigt, wie solche Ensembles durch bauhistorische und sozialtopographische Methoden analysiert und in ihrem Wert erschlossen werden können. Diese analytischen Grundlagen sollten Verständnis und Respekt wecken sowie eine differenzierte und am Bestand orientierte Weiterentwicklung der Umwelt ermöglichen:

3 1973 wurde das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz gegründet und mit diesem Plakat bundesweit bekannt gemacht. Dieses Plakat der Aktion Gemeinsinn e. V. begleitete das Jahr bundesweit.
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1973 wurde das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz gegründet und mit diesem Plakat bundesweit bekannt gemacht. Dieses Plakat der Aktion Gemeinsinn e. V. begleitete das Jahr bundesweit.

4 Mit provokanten Bildmotiven wurde das bundesweite Motto des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975 illustriert.
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Mit provokanten Bildmotiven wurde das bundesweite Motto des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975 illustriert.

»Diese Ensembles bieten den Raum, in dem sich ein breiter Fächer von Tätigkeiten entfalten kann. In der Vergangenheit haben sie meist eine gegenseitige Abkapselung der sozialen Schichten verhindert. Sie tragen auch heute zur Funktionsmischung und zur sozialen Integration bei« (Art. 4 EDC).

Das Europäische Denkmalschutzjahr sollte hier einen Impuls setzen. Insbesondere in rechtlicher Hinsicht war dies auch erfolgreich. In den Jahren nach 1975 wurden viele rechtliche Instrumente entwickelt, erlassen und geschärft, vor allem natürlich Denkmalschutzgesetze. Parallel dazu war die Einbeziehung des Denkmalschutzes in die planerische Anhörung als Träger öffentlicher Belange ein wichtiges Instrument für den Denkmalerhalt. Auch die Ausbildung wurde verbessert. Zahlreiche Studiengänge für Restaurierung etablierten sich ebenso wie ein Aufbaustudiengang für Denkmalpflege an der Universität Bamberg. Noch in den 1980er Jahren wurde auch der geprüfte Restaurator im Handwerk als Weiterbildungsformat etabliert, heute als Master Professional für Restaurierung im Handwerk bundesweit einheitlich geregelt.

Denkmalpflege. MehrWert als Du denkst

Heute, 50 Jahre nach dieser großen europäischen Bewegung, arbeitet auf der Grundlage wissenschaftlicher Standards eine hochkompetente Fachwelt, die ein großes Wissen über Analysemethoden und Erhaltungsmöglichkeiten von Bestand besitzt, seien es Einzelgebäude oder ganze Quartiere bzw. Altstadtkerne (Abb. 5). Auch institutionell und rechtlich ist der Denkmalschutz in Deutschland fest verankert – wenn auch allenthalben personell schwach aufgestellt. Jedoch ist in den vergangenen Jahrzehnten das Bewusstsein für die Notwendigkeit dieser Kompetenzen – zumindest in der Breite der Bevölkerung – weitgehend verlorengegangen. Werden allgemein historische Altstadtbilder wertgeschätzt, so fehlt es an einem Bewusstsein für die wissenschaftlichen Methoden, mit denen der Erhalt des architektonischen Erbes gelingt. Auch wenn man mit Blick auf das Europäische Denkmalschutzjahr von der größten Bürgerbewegung für Denkmalschutz in Europa sprechen kann, so ist doch zu konstatieren: Eine wirkliche, dauerhafte Verankerung der Denkmalpflege-Idee hat in der Bevölkerung bis heute nicht stattgefunden.

5 Historische Altstädte wie die in Herrenberg wären ohne die grundsätzliche Kehrtwende in Städtebau und Denkmalpflege 1975 nicht überliefert.
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Historische Altstädte wie die in Herrenberg wären ohne die grundsätzliche Kehrtwende in Städtebau und Denkmalpflege 1975 nicht überliefert.

Nun kommen seit einigen Jahren weitere Perspektiven hinzu, die den Denkmalschutz in ein neues Bedeutungsgefüge setzen. Es geht nicht mehr in erster Linie um den Erhalt des architektonischen Erbes um der Identifikation, der Bildung oder um der Teilhabe willen. Eine zentrale gesellschaftliche Erkenntnis ist, dass die Klimaziele nur mit dem vorhandenen Baubestand zu erreichen sind. Hierbei ist nicht der im öffentlichen Diskurs verengte Blick auf Photovoltaikanlagen und Windräder zentral, etwa ob diese auf oder in der Nähe von Kulturdenkmalen angebracht bzw. aufgestellt werden können – was sie selbstverständlich können. Vielmehr muss über die Fragen der Energiegewinnung, vor allem die Einsparung von Kohlendioxid, nachgedacht werden.

Zahlreiche Initiativen thematisieren Baukultur im Zusammenhang mit Bauen im Bestand und sehen in Nachhaltigkeit mehr als eine energetische Optimierung der Gebäudehülle (Abb. 6). Längst wird in der Diskussion um den Schutz des Klimas die Einbeziehung der in den Gebäuden gebundenen grauen Energie gefordert. Denkmalpfleger*innen können mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung in der Erhaltung und nachhaltigen energetischen Ertüchtigung von Altbauten auch die Bewahrung der grauen Energie unterstützen. Daneben leisten Kulturdenkmale selbst einen direkten Beitrag zum Klimaschutz: Sie sind langlebig, nachnutzbar und reparierbar und bestehen aus dauerhaften, häufig regional verfügbaren Materialien und Konstruktionen. Dadurch haben sie im Vergleich zu Neubauten bereits enorme Mengen an Kohlendioxid eingespart und speichern es durch den Bestandserhalt auch in Zukunft.

6 Die Erkenntnis, dass Klimaschutz nicht nur mit erneuerbarer Energiegewinnung, sondern insbesondere mit Vermeidung von CO2-Emissionen zu tun hat, führt vermehrt zu Forderungen nach einem Erhalt vorhandener Bausubstanz.
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Die Erkenntnis, dass Klimaschutz nicht nur mit erneuerbarer Energiegewinnung, sondern insbesondere mit Vermeidung von CO2-Emissionen zu tun hat, führt vermehrt zu Forderungen nach einem Erhalt vorhandener Bausubstanz.

Hierin liegt eine große gesamtgesellschaftliche Verantwortung, denn: »Jede Generation verwaltet dieses Erbe nur treuhänderisch und ist für seine Weitergabe an die kommende verantwortlich« (Art. 9 EDC).

Die Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern (VDL), der nationale Zusammenschluss aller 18 Denkmalfachämter in Deutschland, hat in den vergangenen Jahren viel Öffentlichkeitsarbeit für die Denkmale betrieben, sei es mittels Informationsbroschüren zum Umgang mit dem Gebäudebestand oder seien es politische Offensiven, um auf die sinnvolle und wichtige Ressource Denkmal aufmerksam zu machen.[6] Mit der MehrWert-Kampagne zum 50-jährigen Jubiläum des Europäischen Denkmalschutzjahres knüpft sie an die emotionale und identitätsstiftende Bewegung von 1975 an. Kernstück der Kampagne ist das Magazin »MehrWert«, das 18 Denkmale in Deutschland zeigt und die Leser*innen mit 18 individuellen Geschichten überrascht (Abb. 7).[7] Social-Media-Auftritte, Postkarten und Veranstaltungen ergänzen das Magazin. Möglichst viele Menschen sollen auf den MehrWert der Kulturdenkmale aufmerksam gemacht und dafür begeistert werden, sich aktiv für deren Erhalt einzusetzen. Denn, um auf die Europäische Denkmalschutz-Charta zurückzukommen:

7 Laut macht die Denkmalpflege heute auf die Bedeutung des Kulturerbes aufmerksam. MehrWert-Kampagne der Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern 2025
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Laut macht die Denkmalpflege heute auf die Bedeutung des Kulturerbes aufmerksam. MehrWert-Kampagne der Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern 2025

»Diese Zeugnisse können nur dann überdauern, wenn ihr Schutz von möglichst vielen, vor allem aber von der jungen Generation, die morgen für sie verantwortlich sein wird, als notwendig begriffen wird« (Art. 5 EDC).

  1. Abbildungsnachweis:

    1: Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern, VDL_Magazin_Web_VDL, S. 80. — 2: bpk / Abisag Tüllmann. — 3: Aktion Gemeinsinn e. V./ Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz DNK. — 4: Eine Zukunft für unsere Vergangenheit. Denkmalschutz und Denkmalpflege in der Bundesrepublik Deutschland. Wanderausstellung 1975–1976 im Auftrag des Deutschen Nationalkomitees für das Europäische Denkmalschutzjahr, vorbereitet vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, Red. Michael Petzet/Wolfgang Wolters, München 1975, Rückseite. — 5: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Felix Pilz. — 6: Architects for Future: Fünf Jahre Einsatz für die Bauwende. — 7: Denkmalpflege. MehrWert als du denkst. Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern 2025, S. 34.

Published Online: 2025-11-17
Published in Print: 2025-12-17

© 2025 Ulrike Plate, published by De Gruyter

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Downloaded on 17.12.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/dkp-2025-2005/html
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