Der Beitrag skizziert drei Optionen einer konzeptuellen Verknüpfung von Körper und Wissen. Sie sind mit den Begriffen Diskurs, Kompetenz und Darstellung verbunden und betrachten das Wissen als etwas, das man über den Körper „haben“ kann, etwas, das im Körper „sitzt“, oder als etwas, das über Körper zirkuliert. Diskurse stehen für die Wissensabhängigkeit von Körpern, Kompetenzen für ihre praktische Wissensträgerschaft und Darstellungen dafür, dass Körper Wissen visuell kommunizieren: Menschliches Verhalten ist jene Form kultureller Selbstrepräsentation, die sich durch Körper artikuliert – und nicht durch Erzählungen, Texte oder technische Bilder.
Das Konzept eines körperlichen Wissens gewinnt in einer Reihe von Diskursen zunehmend an Bedeutung: Wissenschafts-, Kultur- und Kunsttheorie, Sprach-, Medien- und Technikphilosophie, Ethnologie, Soziologie, Psychologie, Geschichtswissenschaften, Archäologie und Museumskunde – in ganz unterschiedlichen Bereichen spielen Begriffe wie tacit knowledge , implizites, verkörpertes und inkorporiertes Wissen, materiale Praxis und Performativität, Leiblichkeit und Materialität ( material turn ), situatedness, embodiment und embeddedness eine tragende Rolle. Der Text gibt eine historisch-systematische Kartierung von Diskursen und Denkfiguren, die – von der griechischen Antike bis ins 20. Jahrhundert – das gegenwärtige Diskursfeld geprägt haben.
Die Sozialität von Körper und Wissen ist ein Gegenstand der phänomenologisch orientierten Wissenssoziologie. Ausgehend vom leiblich verstandenen Begriff der Lebenswelt vermeidet sie eine Reduktion von Wissen auf Kognition. Wissen stellt den sozial vermittelten Sinn dar. Es reicht vom lebensweltlichen Grundlagenwissen über das habitualisierte und sedimentierte Wissen bis zu den zeichenhaften Objektivationen. Weil Sinn wesentlich durch den Leib und durch Objektivationen als Wissen vermittelt wird, können wir genauer von Kommunikation bzw. kommunikativem Handeln reden. Von diesem allgemeinen Begriff der Wissensvermittlung als Kommunikation muss jedoch die Wissenskommunikation unterschieden werden, die Wissen als Wissen zum Gegenstand macht.
In jüngster Zeit ist ein besonderer Diskurs um „Körperwissen“ auszumachen, auf dessen Grundlage eine bislang ungekannte Regulierung von Subjekten ermöglicht wird: Sie besetzt den „ inneren Körper“ und rationalisiert Akteure zu wissenden Körpern. Das ist folgenreich. Von dem Moment an, in dem Körpern ein Wissen zugeschrieben wird, muss dieses wieder optimiert werden und fällt unter all die Formen neoliberaler Regierungsausübung, wie wir sie bereits kennen. Dieser jüngste populäre Diskurs hat Wurzeln im (körper- und sport-)soziologischen Diskurs als auch in der theosophisch-esoterischen postdualistischen und postmaterialistischen Anthropologie feinstofflicher Körper. Neuartige säkularistische wie spirituelle Praktiken können an Körperwissen nun ansetzen und entfalten eine umso mächtigere Regulierung, wenn sie in big data eingespeist werden wie bei körperüberwachenden digitalen Apps zur Achtsamkeit. Vor diesem Hintergrund wird für eine sorgfältige Kritik des Diskurses Körperwissen argumentiert.
Ausgehend von der Leitmetapher der Tiefe untersucht der Beitrag das Aufeinanderbezogensein von Sinnverstehen und Leiblichkeit in den tiefenpsychologischen Entwürfen Nietzsches und Freuds. Es wird gezeigt, wie therapeutisch relevante Selbsterkenntnis am Schnittpunkt von leiblich-agierter und sprachlich-narrativer Wirklichkeit, in der Konvergenz von Sinnesund Sinnerfahrung entsteht. Die Formulierung „Hermeneutik des Leibes“ wird in einer doppelten Lesart präsentiert: Der Leib, der zunächst als etwas Auslegungsbedürftiges, sich unserem Verstehen jedoch in eigentümlicher Weise Entziehendes in den Blick kommt, entpuppt sich dabei schließlich als schöpferische Instanz, als auslegender Leib. Tyger Tyger, burning bright William Blake
Im Vergleich der Schriften zweier spätantiker christlicher Autoren werden in diesem Beitrag ihre Vorstellungen von Askese und der Rolle, die der Körper in der asketischen Übung spielt, kontrastierend gegenübergestellt. Ihre Ansichten zu Eschatologie und Anthropologie sowie zu den Wegen, die zur Erlangung eines , Wissens von Gott‘ durch Praxis führen, haben maßgeblichen Einfluss auf das in den Texten transportierte Körperwissen und asketische Übungswissen. Evagrios Pontikos schreibt im 4. Jahrhundert in der ägyptischen Wüste aus eigener asketischer Erfahrung heraus und macht mithin ein selbst erlangtes Übungswissen als schriftliches Anleitungswissen zugänglich. Bei Philoxenos von Mabbug, der im 5. Jahrhundert in Syrien lebt, ist die Annahme, dass das von ihm verschriftlichte Wissen auf eigener Übung beruht, nicht gesichert.
Dieser Aufsatz behandelt das Thema der Darstellung von Körperwissen in der Kodifikation der Künste und Kunsthandwerke der frühen Neuzeit. Das Erlernen des Zeichnens war der Grundstein künstlerischer Ausbildung. Während vom 16. Jahrhundert an immer mehr Bücher und Anleitungen zum Erlernen des Zeichnens gedruckt wurden, einschließlich Teilen der gesamten menschlichen Gestalt im richtigen Verhältnis, so fällt doch auf, dass die Hand des Zeichners bei den in diesen Büchern beschriebenen Verfahren abwesend war. Vor dem Hintergrund der generellen Unsichtbarkeit von Körperbewegungen und Haltungen in den Kodifikationen der Künste der frühen Neuzeit untersucht dieser Aufsatz, wie sie sichtbar wurden.
Die grundlegende Verschiedenheit von Körper und Geist, der sogenannte psychophysische Dualismus, zählt zu den Hauptpostulaten cartesianischer Philosophie. Trotz der damit einhergehenden Unmöglichkeit eines Wissens über den Körper findet sich sowohl bei Descartes als auch bei den deutschen Cartesianern des 17. Jahrhunderts ein umfangreicher psychophysiologischer Diskurs. Mein Beitrag rekonstruiert diese praktische Aneignung des psychophysischen Dualismus anhand dreier medizinischer Disputationen sowie einer dä- monologischen Abhandlung aus dem Umfeld der Universität Frankfurt/Oder. Hierdurch soll aufgezeigt werden, dass der cartesianische Dualismus eine Untersuchung der psychophysischen Einheit des Menschen, ein Wissen über den Körper, nicht verhindert, sondern eher neue Körpertheorien und -praktiken hervorbringt.
Die bis heute wenig erforschten Texte des Londoner Arztes und Baconianers John Bulwer (1606-1656) entwerfen eine höchst originäre Theorie körperlichen Ausdrucks, die sich besonders gut anhand seiner Äußerungen zur Gehörlosigkeit nachvollziehen lässt. Denn die Befähigung zu Gebärdensprache und Lippenlesen wertet Bulwer als Zeugnis eines Körperwissens, das es ermöglicht, alternative Formen somatischer Beredsamkeit hervorzubringen. Die in diesem Kontext entwickelte „ körperliche Philosophie“ („Corporall Philosophy“) habe die Körpersprache als ein Wissensfeld zu berücksichtigen, das Aristoteles vollständig vernachlässigt habe, wie Bulwer unter Berufung auf Francis Bacon konstatiert. Bei seinem Vorhaben, diesem Desiderat beizukommen, greift Bulwer auf ein explizit theatrales Vokabular zurück. Welche epistemologischen Implikationen sich mit diesem Transfer verbinden, soll auf Grundlage eines frühneuzeitlichen Verständnisses von, Theater‘ als einer spezifischen Wahrnehmungssituation gezeigt werden.
Hölderlins Idee der Athletentugend wird in ihrem Kontext, der sogenannten „abendländischen Wendung“ untersucht. Der Dichter-Denker setzt die Bedeutung des Körperlichen im antiken Griechenland und im modernen Deutschland in eine spezifische Relation, die kulturellen Austausch über die historischen und topographischen Differenzen hinweg erlaubt. Der menschliche Körper wird als „phänomenalisierter Begriff“ gedeutet, in dem sich die beiden Bedingungen des Menschseins aktualisieren, nämlich die Fähigkeit einerseits zur Reflexion und andererseits zur Aktion. In den unterschiedlichen Auffassungen athletischer Körperlichkeit in Antike und Gegenwart, Hellas und Hesperien, wird erfahrbar, was die Moderne von der Antike lernen kann.
Was wussten die babylonischen Heilkundigen über die Anatomie und Physiologie des menschlichen Körpers? In diesem Beitrag analysiert die Autorin altmesopotamische Schriftquellen für medizinisches Körperwissen und diskutiert die praktisch-empirischen Grundlagen antiker Körperkonzepte, die maßgeblich auf der heilkundlichen Praxis, auf leiblichen Erfahrungen sowie auf Analogien zur Tieranatomie und zu Prozessen in der Lebensumwelt basieren. Ein Schwerpunkt der Studie liegt auf den Wechselbeziehungen zwischen Körperkonzepten, Krankheitstheorien und Heilungsstrategien im Spannungsfeld physiologischer, umweltbezogener und numinoser Krankheitsursachen. Zudem werden innovative Entwicklungen in den heilkundlichen Keilschrifttexten des 1. Jahrtausends v. Chr. thematisiert, wobei die Astro-Medizin und die Herausbildung physiologischer Modelle (Vier-Organ-System) sowie der Vergleich mit ähnlichen Systematisierungen medizinischen Wissens in China und Griechenland im Mittelpunkt stehen.
Im Kontrast zu griechisch-römischen Medizintraditionen finden sich in talmudischen Texten keine umfassenden Theorien zur menschlichen Physiologie und Anatomie, sondern nur einschlägiges im gesamten Traditionskorpus verstreutes Körperwissen. Analyse und Rekonstruktion einer „Talmudischen Anatomie oder Physiologie“ muss deren komplexe kulturell-kontextuelle und diskursive Einbettung beachten. Die Studie untersucht die rabbinische Vermittlung solchen Wissens durch metaphorische Beschreibung körperlicher Strukturen und Prozesse. Kulturspezifische Verwendungsmuster und diskursive Strategien der Metaphorisierung geben dabei Aufschluss über den Nexus zwischen Wissen vom Körper, dem Wissenskörper des Gelehrten und dem Wissenskorpus der Tradition.
Die tibetische Heilkunde wird als ethnische Medizin in Teilen der Volksrepublik China, in Indien sowie in Regionen Zentralasiens praktiziert. Zudem wirken heute Kundige dieser Heilkunst auch außerhalb Asiens. Da Tibet zutiefst vom Buddhismus geprägt ist, spielen buddhistische Gedanken der Beziehung von Körper, Geist und den Gottheiten eine besondere Rolle in Tibets Medizin. So ist die medizinische Heilung in direktem Zusammenhang mit dem buddhistischen Heil zu sehen. Im Beitrag wird medizinische Episteme aus dieser Tradition anhand von textlichen und bildlichen Primärquellen, die bis heute im Zentrum der Tradierung medizinisch-rituellen Wissens stehen, vorgestellt und diskutiert, welche Probleme sich bei einem Transfer dieses Wissens beispielsweise nach Deutschland ergeben können.
Die Geisterbesessenheit ist ein weltweites Phänomen, das aus emischer Sicht als ein Zustand beschrieben wird, bei dem die Bindung zwischen Geist und Körper temporär gestört ist und ein fremdes Wesen den Körper beherrscht. In diesem Beitrag steht der menschliche Körper im Mittelpunkt. Am Beispiel der Initiation im Candomblé, einer afrobrasilianischen Religion, wird gezeigt, wie sowohl der Mensch als auch der Geist erlernen müssen, sich „korrekt“, d. h. nach den Regeln der Gemeinschaft, zu bewegen. Anhand des Körperkonzepts im Candomblé wird außerdem erklärt, warum eine Person – nach der Vorstellung der Gläubigen – erst durch die Geisterbesessenheit bei der Initiation erschaffen wird.
Der Artikel thematisiert den Körper als Medium des spirituellen Wissens und der Erkenntnisvermittlung von Mahima Dharma – einer neueren asketischen Bewegung des östlichen Indiens. Anhand indigener Konzepte von Wissen und Erleuchtung (gyan) wird spirituelle Erkenntnis im Sinne eines esoterischen asketischen Wissens analysiert. Esoterisches (exklusives) asketisches Wissen in der neueren asketischen Tradition Mahima Dharma entsteht nur mittels des spezialisierten Körperwissens eines Asketen oder Laien. Die richtigen Werte des Lebens für Asketen und Laien werden nur mittels einer disziplinierten Körperpraxis verkörpert. Der Artikel basiert auf langwierigen Feldforschungen unter Asketen der Mahima Dharma-Religion des östlichen Indiens.
Der Artikel verfolgt die Frage, in welcher Weise in Tänzen kulturelles und individuelles Wissen über Bewegungsweisen und Körper-Interaktionen gespeichert und performativ verfügbar ist. Ausgehend von der Forschungsdiskussion zu Archiven, Re-Konstruktionen und Re-Enactment wird gefragt, wie Bewegung übertragen und tradiert wird. Welche Modi von „Speicherung“ – als Embodiment und als kulturelles Wissen – zeigen sich in Körper- und Bewegungspraktiken in historischen und zeitgenössischen Tanzformen? Und welche Transformationen dieses Wissens entfalten sich in den Übertragungen von Tanz- und Trainings-formen in Globalisierungsprozessen in und zwischen Kulturen?
In dem Beitrag werden ausgewählte Formen therapeutischen Theaters aus dem 20. Jahrhundert auf ein in ihnen wirksames Körperwissen befragt. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Katharsis-Begriff zu: Im modernen therapeutischen Theater, so die These, begegnet die Idee der Katharsis, d. h. der Reinigung und Entladung von Affekten, in einer speziellen Variante, die man als ‚Handlungskatharsis‘ bezeichnen kann: Kathartische Effekte werden nicht einem Publikum, sondern den Akteuren versprochen. Zugleich werden diese kathartischen Effekte als ein körperlich sichtbares und damit auch überprüfbares Phänomen konzipiert. Körperwissen erscheint als ein diagnostisches Wissen, das zur Kontrolle der Beteiligten eingesetzt werden kann. Zu beobachten ist ein reger Transfer von Körperwissen aus dem engeren Bereich des (Kunst-)Theaters in andere gesellschaftliche Teilsysteme. Diese Transfers fügen sich ein in eine einflussreiche Spielart gesellschaftlicher Theatralität, die sich theatrales Handeln als Test, d. h. als ein Mittel der Aufdeckung und Prüfung von Subjektivitäten zunutze macht.
Der Körper wird in der Sportwissenschaft sowohl aus naturwissenschaftlichen als auch sozial- und geisteswissenschaftlichen Perspektiven thematisiert. Dabei stellt das Wissen über den Körper den Kern sportmedizinischer, trainings- und bewegungswissenschaftlicher Forschung und Theoriebildung dar. Die hier gewonnenen Erkenntnisse über den Körper als funktions- und leistungsfähiges Organ liefern die Grundlage für Theorien der motorischen Entwicklung und des Bewegungslernens. Dass der Körper selbst über ein Wissen verfügt, das die Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen des Menschen bestimmt, wird selten diskutiert. Im Beitrag wird diese in der Sportwissenschaft vernachlässigte Dimension aus leibphänomenologischer sowie körper- und kultursoziologischer Perspektive betrachtet und im Hinblick auf ein Lernen und Verstehen mit dem Körper erörtert. Damit wird der Körper als Reflexions- und Erkenntnisorgan ins Spiel gebracht.
Seit geraumer Zeit beschäftigt sich die Soziologie mit der Thematik des „Körperwissens“: Von Marcel Mauss’ These der Körpertechniken über Schütz’ Ausführungen zu Fertigkeiten, Bourdieus Thesen zum Habitus bis hin zu einer Reihe aktueller Arbeiten reicht der Bogen. Ich beschäftige mich im Folgenden mit dem Phänomen der schweigsamen Wissensvermittlung aus mikrosoziologischer Perspektive. Anhand von empirischem Material aus einer ethnografischen Studie in einem Kampfkunstverein gehe ich der Frage nach, wie in der alltäglichen Praxis des Trainings ein zum großen Teil im Medium des Körperlichen operierendes Wissen vom Trainer an die Schüler/-innen weitergegeben wird. Dabei zeigt sich, dass das körperliche Wissen der (inzwischen europäisch geprägten) Kampfkunst vor allem auf visuellem und somatischem Weg vermittelt wird. Körper führen Bewegungen vor und sie geben einander in Partnerübungen Feedback. Das Körperwissen der Kampfkunst wird peu à peu in einer Kommunikation zwischen Körpern (Goffman) weitergegeben, die jedoch nicht nur einen visuellen, sondern vor allem auch einen somatischen Kanal hat.
Aus psychoanalytischer Perspektive interpretieren die Autoren den Kultfilm „Oh Boy“ (D 2012) von Jan-Ole Gerster zum einen in Bezug auf das Körperwissen, das im fortwährend transformierten Konzept-, Konversations- und Metapherngerüst der Sprache kondensiert ist, zum anderen auf die Steuerung körperlich-affektiver Prozesse der Filmrezeption in der Mise en scène. Der Film ist ein Meister- und Lehrstück des Umdenkens, eine Momentaufnahme der in die Alltagstristesse eines Jugendlichenlebens im heutigen Berlin eingeschriebenen Aussparung der Nazigeschichte. Wie kann das entweder abgespaltene oder totinszenierte Geschichtswissen lebendig werden? Die Autoren zeigen, mit welch subtilen sprachlichen und filmischen Mitteln der Film Wissen vom Kopf auf die Füße stellt und welche Rolle(n) der Körper dabei spielt.