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Dibb Paul How the geopolitical partnership between China and Russia threatens the West Canberra ASPI November 2019
Nach Paul Dibb befinden wir uns in einer Ära, in der das Risiko eines Großmachtkonflikts wieder zunimmt. Die aufstrebende Macht China stehe im Wettstreit mit der bisherigen Weltmacht. Die USA seien mit ihrem relativen Machtverlust beschäftigt und nicht in der Lage zwei regionale Kriege gleichzeitig zu führen (S. 6). Nach Dibb sei die Verbindung von China und Russland besonders besorgniserregend, da von diesen zwei autoritären Großmächten die Gefahr ausgehe, die etablierte internationale Ordnung fundamental herauszufordern (S. 11). Vor diesem Hintergrund fragt der Autor, ob und wie die geopolitische Partnerschaft zwischen China und Russland den Westen bedroht und untersucht, welches Risiko für China und Russland bestünde, wenn sie bestimmte Konflikte eingingen, die mit territorialer Expansion verbunden wären. Dazu unterscheidet er zwischen hohen und niedrigen Risikostufen. Es bestehe das Risiko, dass eine regionale militärische Auseinandersetzung „unvorhersehbar“ in einen generellen Kriegszustand übergehen könne (S. 23).
Zu Beginn seiner Analyse führt Dibb an, wie sich das Konzept eines Großmachtkrieges im 21.Jh. verändert hat (S. 8–10) und behandelt Russlands und Chinas Sicht auf den Westen (S. 11–13). Aus der 2018 veröffentlichten nationalen Verteidigungsstrategie (US National Defense Strategy) gehe nach Dibb klar hervor, dass China und Russland die Welt nach ihrem autoritären Modell formen wollten (S. 8). Das bedrohe die weltweite Sicherheit und habe auch einen fundamentalen Wandel in der Verteidigungsstrategie der USA bedingt: entgegen der bisherigen Fokussierung auf die (meist innerstaatliche) Terrorismusbekämpfung verschiebe sich der Schwerpunkt (wieder) auf den zwischenstaatlichen Wettstreit (inter-state competition). Kombiniert mit den technischen Möglichkeiten, entwickele sich die Art der Kriegsführung weiter. So nennt er z. B. Informations-Kriegsführung (information warfare) oder Cyber-Angriffe auf zivile Schlüsselinfrastruktur als eine neue Methode. Mit Verweis auf die Rede „Krieg im Jahr 2025“ des Leiters der australischen Verteidigungsstreitkräfte (Chief of the Australian Defence Force) General Angus Campbells habe diese modernisierte Version der politischen Kriegsführung sogar schon begonnen: die autoritären Mächte hielten sich nicht an die Regeln und seien jetzt schon gewillt, westliche Demokratien mit Propaganda-Kampagnen, Diebstahl intellektuellen Eigentums oder Cyber-Operationen zu schwächen (S. 8). Gerade China und Russland seien besonders versiert darin, Grauzonen-Operationen durchzuführen, wie das Verhalten Russlands im Vorlauf der Krim-Annexion beispielhaft belege.
Die militärischen Modernisierungsbestrebungen beider Länder sieht Dibb als kritisch an: China lege z. B. eine wachsende Bedeutung auf den Aufbau maritimer Streitkräfte und verlange von der Marine, Operationen mit zunehmender Distanz zum chinesischen Festland durchzuführen (S. 9). Russland modernisiere vor allem seine konventionellen Streitkräfte und würde seit 2014 erneut den potenziellen Gebrauch von Atomwaffen betonen. Als den größten besorgniserregenden Trend bewertet Dibb die Diskussion um einen „de-eskalierenden“ Einsatz taktischer Atomwaffen. Russland könnte die Kontrolle über die Kriegseskalation gewinnen und z. B. die NATO zwingen, eine politische Lösung zu verhandeln, die Russland ermögliche, durch eine Invasion erworbene territoriale Gewinne zu behalten (S. 10).
Für große Kontinentalmächte sei typisch, dass sie nach territorialen Einflusssphären streben, was nach Dibb auch für China und Russland zutreffe. Dies gelte insbesondere für Gebiete mit russischer bzw. chinesischer Bevölkerung oder wo eine historisch-kulturelle Nähe bestehe. Für Russland gehörten neben der Krim und der Ukraine auch Belarus, die baltischen Staaten sowie Kasachstan zu den möglichen Zielländern. Im Falle Chinas zählt Dibb Taiwan, Tibet und Xinjiang auf, da diese auch eine Gefahr für die innenpolitische Stabilität darstellen, und nennt noch die Ansprüche Chinas im südchinesisches Meer, die er allerdings zur geringeren Risikostufe zählt.
Für die Analyse der möglichen Bedrohungsszenarien unterteilt Dipp die Konflikte in zwei Risikostufen und stellt Vermutungen darüber an, welche ökonomischen und militärischen Risiken Russland oder China bereit wären in Kauf zu nehmen, um z. B. die von ihnen als ‚verloren geglaubte’ Territorialgebiete zurückzuerlangen. Ein geringes Risiko bestünde z. B. für Russland sollte es versuchen Kasachstan zu übernehmen. Aufgrund der vier Millionen starken russischen Bevölkerung könne vermutet werden, dass die kasachische Regierungselite Russland als „kleines Übel“ gegenüber den Chinesen einschätzen würde (S. 17). Weitaus höhere Risiken sieht Dibb bei Chinas Ambitionen gegenüber Taiwan. Zwar seien die Wiedervereinigungsambitionen hinsichtlich der Vollendung des Chinesischen Traums eindeutig und die Volksbefreiungsarmee bereite sich auf entsprechende Eventualitäten vor, jedoch gebe es (noch) keine Anhaltspunkte dafür, dass China die entsprechenden Streitkräfte so signifikant aufrüste, dass eine Invasion der Insel bevorstünde (S. 17). Ein derartiger Krieg würde zu einer größeren militärischen Konfrontation mit den USA führen, in der auch Atomwaffen zum Einsatz kommen könnten.
Ein hohes Risiko gehe von Russland in Bezug auf Estland aus. Die geographische und ethnisch-nationale Nähe zu Russland könnten ein Anreiz für Putin sein, in Estland einzumarschieren, allerdings stünde Russland dann einem Krieg mit der NATO gegenüber. Dibb fragt daher, welche alternativen Möglichkeiten Moskau habe, seinen Einfluss zu steigern und vermutet: Konsolidierung der Militärpräsenz in der Ukraine bzw. Militarisierung des Schwarzen Meeres. Im Falle eines Konfliktes in den behandelten Konfliktgebieten, hätten sowohl Russland als auch China geographische Vorteile und die USA sowie NATO müssten große Distanzen für Machtprojektion sowie logistische Versorgung überwinden.
Zwar ist die Kooperation beider Staaten nicht Bestandteil der Analyse, dennoch resümiert Dibb, dass keine Gründe gegen eine Kooperation sprächen. Wie so eine Kooperation aussehen könnte, erfährt man nicht, lediglich, welche Interessen die jeweiligen Staaten verfolgen. Annäherungsversuche Russlands an die EU sieht Dibb eher skeptisch, obgleich dies ein Weg wäre, Russland nicht weiter in Chinas Arme zu treiben. So befürchtet Dibb nämlich auch, dass Russland einen tief verwurzelten Hass auf den Westen nähre. Die Option stärker mit China zu kooperieren sieht er ja gerade!
Obgleich die Teilüberschrift „Chinas und Russlands Sicht auf den Westen“ einen Blick aus den Ländern auf den Westen suggeriert, verbleiben die Ausführungen und herangezogenen Quellen in der anglo-amerikanischen Forschungstradition verhaftet. Es geht also weniger um die Selbstauskunft der Länder oder um die Fachdebatte in Russland oder China zur Strategie gegenüber den risikobehafteten Zielländern, als darum, welche Annahmen aus der westlichen Forschungstradition über die Sicht beider Länder auf den Westen vermutet werden.
So trifft Dibb auch auf der Grundlage fixer Interessen gegenüber den ausgewiesenen Zielländern seine Bewertung über die materiellen und ideellen Kosten, die für Russland oder China entstehen könnten aus Sicht anglo-amerikanischer Maßstäbe. Wünschenswert für eine Gefahrenanalyse wäre es jedoch, die Eigenauskünfte und selbstbezogene Risikobewertung Russlands und Chinas einzubeziehen. So wäre z. B. vor dem Hintergrund der Nordroute der chinesischen Seidenstraße durch die Arktis zu fragen, ob China es begrüßen würde, wenn Russlands einen territorialen Anspruch auf eines der baltischen Länder behauptet oder, ob Russland, wie knapp am Beispiel Kasachstan angedeutet, bereit ist, Einschnitte gegenüber seiner eigenen Einflusssphäre zu Gunsten Chinas in Kauf zu nehmen.
https://www.aspi.org.au/report/how-geopolitical-partnership-between-china-and-russia-threatens-west
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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