Startseite MichaelPaul, „Kriegsgefahr im Pazifik? Die maritime Bedeutung der sino-amerikanischen Rivalität“. 2017.
Artikel Öffentlich zugänglich

MichaelPaul, „Kriegsgefahr im Pazifik? Die maritime Bedeutung der sino-amerikanischen Rivalität“. 2017.

  • Sebastian Bruns EMAIL logo
Veröffentlicht/Copyright: 14. März 2018

In einer Zeit, in der selbst in honorigen Nachrichtensendungen wie der Tagesschau mit staatstragender Miene zu prä-pubertären Twitter-Absonderungen eines US-Präsidenten[1] Stellung genommen wird, wird deutlich, wie sehr Asien mittlerweile in den Mittelpunkt der US-Außen- und Sicherheitspolitik steht. Hinter dem zunehmend gehetzten Umgang mit Neuigkeiten aus der Trump-Administration ist es schwierig geworden, sich ein umfassendes Bild zu machen, wie tief der nationalistische Präsident im Weißen Haus den nationalen Sicherheitsvertrag mit der amerikanischen Gesellschaft tatsächlich umkrempelt – „America first“, aber um welchen Preis? Auch die Konsequenzen für Amerikas Allianzbeziehungen nach Asien sind nach der „strategischen Geduld“ der Obama-Jahre in allen Bereichen unabsehbar: Nordkoreas Atomwaffen- und Raketenprogramme, Chinas ebenso kluge wie kühle Ausnutzung des sich bietenden amerikanischen Vakuums, die Annährung der Philippinen an Peking, das Ende des Transpazifischen Freihandelsabkommens (TPP) oder die ambitionierten nationalen Aufrüstungsprogramme von US-Alliierten wie Japan, Australien und Südkorea u. a. gehören in diese Aufzählung.

Es ist nicht ohne Ironie, dass unter Präsident Barack Obama, dem aufgrund seiner biografischen Beziehungen zu Hawaii eine pazifische Sozialisierung nicht abzustreiten ist, und seiner einstmaligen Außenministerin Hillary Clinton zwar die Neuorientierung Amerikas gen Asien proklamiert wurde. Es bedurfte aber offenbar den Ostküstenmilliardär und – nach allen Indizien – an welt- und geopolitischen Zusammenhängen gänzlich uninteressierten Donald J. Trump und seine unkonventionelle, launische Politik, um diesen Umstand polternd auch dem letzten Smartphone-Nutzer zu verdeutlichen. Auch wenn die US-amerikanisch-chinesische Rivalität um Einfluss von zentraler Bedeutung ist, bedarf es einer breiteren, US-amerikanisch-asiatischen Perspektive, da die USA mit vielen Staaten in der Region bilaterale Sicherheitsbeziehungen unterhalten. China wiederrum ist der „Elefant im Raum“ zwischen Canberra, Manila, Seoul und Südkorea. In diese Lücke stößt Michael Pauls kundige Analyse, die 2017 als Monographie vorgelegt wurde.

Dass die amerikanisch-chinesischen Beziehungen dabei ebenso komplex wie maritim geprägt sind, ist längst eine Binsenweisheit. Nicht zuletzt durch mehrere tragische Unglücksfälle auf See ist diese Komponente 2017 deutlich in den Vordergrund getreten.

  1. Am 22. November stürzte ein leichtes Transportflugzeug der US-Marine vom Typ C2-A „Greyhound“ südlich der japanischen Insel Okinawa ins Meer. Die Maschine war auf dem Weg zum in Japan stationierten Flugzeugträger USS Ronald Reagan (CVN-76). Von den elf Insassen konnten nur acht gerettet werden.

  2. Am 21. August kollidierte der Lenkwaffenzerstörer USS John S. McCain (DDG-56), ein Schiff der Arleigh-Burke-Klasse, südöstlich von Singapur mit einem Öltanker. 10 Marineangehörige fanden den Tod.

  3. Schon rund zwei Monate zuvor, am 17. Juni, hatte es einen ähnlichen Unfall gegeben, bei dem das Schwesterschiff USS Fitzgerald (DDG-62) südwestlich von Tokio mit einem Containerfrachter zusammenprallte. Sieben Besatzungsangehörige des Zerstörers starben.

  4. Glimpflicher gingen zwei weitere Zwischenfälle im riesigen pazifischen Seegebiet ab: Im Mai stieß der Lenkwaffenkreuzer USS Champlain (CG-57) mit einem südkoreanischen Fischerboot zusammen, im Januar kam es auf einer Einsatzfahrt des Schwesterschiffes USS Antietam (CG-54) zu einer Grundberührung mit Umweltschäden; Menschen kamen in beiden Fällen nicht zu Schaden.

In der Folge ordnete die US-Marineführung eine intensive Überprüfung der laufenden Einsätze an. Schnell stellte sich heraus, dass vor allem menschliches Versagen und das seit Jahren hohe operative Tempo bei gleichzeitig sinkender Anzahl von verfügbaren Einheiten und Ausbildungstagen wesentlich zu den Unglücken beigetragen hatte. Die vom Marineminister Richard Spencer zu Jahresbeginn 2017 angeordnete „Strategic Security Review“ (SSR) wurde kurz vor Weihnachten veröffentlicht und unterstrich mit unvorhergesehener Aktualität und in deutlichen Worten systemische, sich potenzierende Problematiken, denen sich die US-Marine im asiatischen Raum gegenüber sieht.[2] Damit wurden endlich einmal grundsätzliche Fragen angesprochen, die im täglichen Twitter-Wahnsinn und der Jagd nach publikumswirksamen O-Tönen (übrigens schon seit einigen Jahren) bisweilen untergehen zu drohen.

Einigen grundsätzlichen Fragen der US-Sicherheitspolitik gegenüber China und Asien geht Michael Paul (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin) in seinem jüngst vorgelegten Buch nach. Die deutschsprachige Monographie, die in der Reihe Internationale Politik und Sicherheit beim Baden-Badener Nomos-Verlag erschienen ist, untersucht die maritime Bedeutung der sino-amerikanischen Rivalität. Zum einen weckt der Autor damit gleich das Interesse der kleinen, sich wiewohl zusehends konsolidierenden und expandierenden maritimen sicherheitspolitischen Community im deutschsprachigen Raum. Schriften zu maritimen sicherheitspolitischen Aspekten sind immer noch eine Seltenheit, da die meisten entsprechenden Universitäten und Denkfabriken in Deutschland (in Österreich und der Schweiz ohnehin) es vorziehen, sich auf andere Themen konzentrieren – trotz wiederholt nachgewiesener maritimer Abhängigkeit und Anfälligkeit ihrer Volkswirtschaften.[3] Zum anderen lenkt der Autor den Scheinwerfer auf chinesisch-amerikanische Konflikt- und Kooperationsdynamiken, die im kontinental orientierten Zentraleuropa angesichts sprichwörtlich näherliegender Krisenherde an Europas Nord- und Südflanken ausgeblendet werden. Viel zu häufig wird China in Deutschland engstirnig durch die Prismen „Menschenrechte“ und „Handel“ gesehen. Mithin schwingt gar eine aus unterschwelligem Antiamerikanismus wohlgenährte Schadenfreude mit, wenn auch für deutsche Augen und Ohren deutlich wird, wie sehr die USA auf dem asiatischen Schauplatz um Einfluss ringen müssen.

Paul, der mit diesem Buch zum Kreis maritimer Experten in der Bundesrepublik aufschließt, skizziert zunächst Aspekte des geopolitischen Wandels im 21. Jahrhundert. Bereits hier unterstreicht er die Politikrelevanz vom Verhältnis von Landmacht und Seemacht auch für Deutschland. Eine breit angelegte Studie, wie ein bewaffneter Regionalkonflikt in Asien Deutschlands Seeverkehr betreffen würde, wäre nach Ansicht des Rezensenten längst überfällig. Im zweiten Abschnitt seines Buches widmet sich der Berliner Politikwissenschaftler dann Chinas Grand Strategy, beschreibt das „Narrativ einer nationale Renaissance“ (S. 49) und die Instrumente und Akteure der Pekinger Verteidigungspolitik (S. 73). Dies wird ergänzt durch einen Blick auf Abschreckungsstrategien und die Rolle der chinesischen Raketenstreitkräfte (S. 113) und eine Betrachtung Chinas im Fokus der US-Außen- und Sicherheitspolitik (S. 137). Bereits hier ist der Lesefluss hin und wieder etwas holprig, da Paul – wie einleitend in einer Fußnote freimütig zugegeben – das Buch auf Grundlage vorheriger Studien und Papiere zusammengeschrieben hat. Der dritte Teil des Buches gehört dann allerdings zu den stärkeren: Hier widmet sich der Verfasser der Schwerpunktverlagerung der USA nach Asien und beschreibt umfassend die maritime Komponente amerikanischer Außenpolitik (S. 151), zumindest im deutschsprachigen Bereich ein großes Desiderat. Auch die Analyse maritimer Einzelkonflikte im asiatisch-pazifischen Raum (S. 195) ist wertvoll, da sie differenziert die verschiedenen Problematiken beleuchtet und gleichzeitig mögliche Konfliktlösungsansätze in die Diskussion einbringt.

Das Buch schließt mit Perspektiven sino-amerikanischer Rivalität (S. 261) und einer übersichtlichen Bilanz (S. 275), die basierend auf den zuvor beschriebenen nüchternen Differenzierungen eigentümlich deutlich ausfällt. Die umfassende Bibliographie beschließt das Buch. Paul verzichtet aus durchaus nachvollziehbaren Beweggründen auf chinesische Originalquellen und Analysen und stützt sich vielmehr auf zahlreiche Analysen und Papiere aus US-amerikanischer Feder (denen bisweilen zu Recht eine fehlende Distanz vorgeworfen werden muss). Wenn sich der Autor entschieden hätte, den maritimen sicherheitspolitischen Aspekten noch mehr Raum zu schenken und dabei z. B. die gelegentlichen zu detaillierten militärtechnischen Abschweifungen nicht-maritimer Natur wegzulassen, wäre er wohl kaum um die von ihm leider außer Acht gelassenen einschlägigen Werke zu den Themen US-Marine und Strategie herumgekommen,[4] die allerdings auch so hätten Eingang finden müssen. Dennoch liegt hier ein Buch vor, dem große Verbreitung in Marine-, Regierungs- und Parlamentskreisen zu wünschen ist.

Published Online: 2018-3-14

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Artikel in diesem Heft

  1. Cover und Titelseiten
  2. Cover und Titelseiten
  3. Editorial
  4. Editorial
  5. Aufsätze
  6. Die Rolle von Abschreckung im neuen strategischen Umfeld Europas
  7. Die Dynamik der Abschreckung
  8. Abschreckung einst und heute
  9. Erweiterte Abschreckung in Asien: aktuelle Lehren für Europa
  10. Berichte und Kurzdarstellungen
  11. Die Trump-Präsidentschaft – Jahr 2
  12. Die neue Nationale Sicherheitsstrategie der Trump Administration
  13. Russische Marinedoktrin und maritime Rüstung: Anspruch und Realität
  14. Ergebnisse internationaler strategischer Analysen
  15. John Allen/ Philip M. Breedlove/ Julian Lindley-French/ George Zambellas: Future War NATO. From Hybrid War to Hyper War via Cyber War. 2017.
  16. Karl-Heinz Kamp/ Wolf Langheld: The Military Adaptation of the Alliance. 2017.
  17. Ian J. Brzezinski/ Tomáš Valášek: Reanimating NATO's Warfighting Mindset: Eight Steps to Increase the Alliance's Political-Military Agility. 2017
  18. Ted Piccone: Democracy and Cybersecurity. Brookings – Democracy and Security Dialogue Policy Brief Series. 2017
  19. Sarah Fainberg: Russian Spetsnaz, Contractors and Volunteers in the Syrian Conflict, Institut français des relations internationales (IFRI), Russie, Nei. 2017. Tom Parfitt: President Putin's Private Army Pays a High Price for Syria Success. 2017.
  20. Benjamin Herscovitch: A Balanced Threat Assessment of China's South China Sea Policy. 2017.
  21. Kroenig, Matthew/ Oh, Miyeon. A Strategy for the Trans-Pacific Century: Final Report of the Atlantic Council's Asia-Pacific Strategy Task Force. 2017.
  22. United Nations Office on Drugs and Crime: World Drug Report 2017. 2017.
  23. Tom Keatinge, Anne-Marie Barry: Disrupting Human Trafficking: The Role of Financial Institutions. 2017.
  24. Buchbesprechungen
  25. Brad Roberts: The Case for U.S. Nuclear Weapons in the 21st Century. 2016.
  26. Christine M. Leah, The Consequences of American Nuclear Disarmament. Strategy and Nuclear Weapons. 2017.
  27. Paul Cornish, Kingsley Donaldson: 2020. World of War. 2017.
  28. Christopher Coker, Rebooting Clausewitz. On War in the 21st Century. 2017.
  29. MichaelPaul, „Kriegsgefahr im Pazifik? Die maritime Bedeutung der sino-amerikanischen Rivalität“. 2017.
  30. Translated Articles (e-only)
  31. The Role of Deterrence in a new European strategic environment
  32. Deterrence Then and Now.
Heruntergeladen am 16.11.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2018-0022/html
Button zum nach oben scrollen