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(Junge) Forschende in einem hypermedialen System

Eine Skizze
  • Anne-Katharina Weilenmann

    Anne-Katharina Weilenmann, MSc Bibliotheks- und Informationsmanagement, Donau-Universität Krems; freiberufliche Tätigkeit als Referentin; Organisation von Fachtagungen; arbeitet derzeit am persönlichen Dissertationsprojekt zur Dekonstruktion des wissenschaftlichen Artikels.

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Veröffentlicht/Copyright: 23. Juli 2020
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Einleitung

Wie kommt Neues in die Welt? Diese Frage mag vielleicht banal erscheinen. Doch bedenkt man, wie Forschung heute mithilfe neuer Technologien und Social Media produziert und reproduziert werden kann, erhält gerade diese Fragestellung eine vielschichtige Bedeutung. Diese Vielschichtigkeit zu erfassen, hätte den Umfang eines einzelnen Forschungsprojektes; deshalb können die folgenden Gedanken auch nur eine Skizze sein, ein Versuch, gewisse Eckpunkte in diesem Prozess zu beleuchten.

Das Generieren neuer Erkenntnisse stützt sich auf kreative Ideen, auf noch unausgereiften Gedanken, auf bereits Angedachtem, einzelnen (Text-)Elementen, die weiterentwickelt und ausgearbeitet werden wollen (Forero, 2019): „Popular culture usually perceives scientists as experts, engaged entirely in a cognitive process, whose observation of phenomena and expertise in understanding what is observed leads to new knowledge.“ Insbesondere jüngere Forschende tun sich schwer, aus der Fülle dieses Informationsuniversums neue Forschungsideen zu eruieren und passende Hypothesen aufzustellen (O’Brien/Graf/McKellar, 2019). Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, das Wesentliche aus diesem Universum herauszufiltern, erweist sich als Hindernis, um Neues zu erkunden und zu erschließen. „Denn die grundlegende Schwierigkeit der Textproduktion besteht – einst wie jetzt – darin, die Fülle des gesammelten Wissens in Strukturen zu transformieren, die es nicht der Flüchtigkeit und dem Vergessen anheimstellen.“ (Krajewski, 2014). Um diesen Prozess zu unterstützen, schlägt Krajewski (2014) vor, „den klassischen Zettelkasten auf eine elektronische Ebene zu heben und in Anlehnung an Niklas Luhmann als „Kommunikationspartner“ zu verstehen, mit dem in einem fortwährenden Dialog aus Lesen, Schreiben und Klicken neue Erkenntnisse zu gewinnen sind.“

Die verschiedenen Stufen der Vernetzung

Der klassische Zettelkasten als nostalgisches Relikt aus vergangenen Zeiten soll nicht nur bewahrt werden, er wird in digitale Sphären übertragen, quasi als Erweiterung seiner selbst. Mit der Entwicklung des World Wide Web (WWW) ergeben sich unzählige Möglichkeiten, innovative Tools und Dienstleistungen zu entwickeln, um die einzelnen Arbeitsschritte des Forschungsprozesses zu vereinfachen.[1] Damit wird Forschung um einen zusätzlichen Raum erweitert, den „Cyberspace“; Nentwich (2003) sieht hier nicht nur die Verlagerung des Ortes als neue Dimension, sondern für ihn entsteht ebenfalls eine neue Wissenschaft, er prägt den Begriff „Cyberscience“:[2] „The point is that the new science is taking place in a new space, cyberspace, and not (only) in real places, which can be reached via telecommunication.» Er definiert „Cyberscience“ als übergreifendes Phänomen und als Transformation von der traditionellen zu einer vernetzten Wissenschaft (Nentwich, 2003).

Die Vision der Vernetzung führt zu einem neuen Verständnis von Partizipation und Offenheit, die Forschenden bewegen sich in eine für sie noch unbekannte Richtung. „Science 2.0“ und „Open Science“[3] als neue Paradigmen allmählich in den Arbeitsalltag einzubeziehen und als Wert zu leben, erweist sich als schwierig. Auch jährlich stattfindende Konferenzen wie die „Open Science Conference“[4] vermögen diesbezüglich nur langsam etwas zu bewirken.

Eine weitere Stufe der Vernetzung wird mit „Science 3.0“ gefördert, die sich vor allem durch das semantische Web und eine offene Innovationskultur auszeichnet, wie dies Basset/Stuart/Silber/Boutin (2012) beschreiben: „Science 3.0 refers to this vague new ecosystem where scientists develop open innovation and collaboration using semantic search tools (clustering, ontologies, etc.), collaborating with peers via social networks and sharing data with online services...“.[5]

Der Einsatz Künstlicher Intelligenz im Forschungsprozess

Mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in der digitalen Wissenschaft nimmt „Research 4.0“ langsam Gestalt an, für die einen eine kontrovers diskutierte Thematik, ein Hype,[6] für die anderen bereits Realität. Tatsache ist, dass immer mehr wissenschaftliche Institutionen und Verlage KI einsetzen oder dies in naher Zukunft beabsichtigen.[7] Prognosen von KI-Forschern gehen sogar davon aus, dass die sogenannte „high-level machine intelligence“ (HLMI), also der Zustand, in welchem die Maschinen die Aufgaben besser und billiger erledigen werden als der Mensch, bereits in 45 Jahren erreicht sein wird: „In a 2018 survey of AI researchers, 50 percent forecasted that high-level machine intelligence (HLMI) would be achieved within 45 years. HLMI is achieved when machines can accomplish every task better and more cheaply than human workers.“ (Elliot/Kalantery/Glover, 2019).

Doch wie sieht die Wirklichkeit aus, wo wird KI eingesetzt? Die Anwendungen sind vielfältig; fast jeder Arbeitsschritt des Publikationsprozesses kann mittels KI verbessert werden. Der erste Gedanke, das Leitmotiv, die Hypothesengenerierung, kann unterstützt werden durch den „Thesis Generator“,[8] ein automatisiertes Vorschlagswesen, um eine geeignete Idee für ein Studienprojekt zu finden. In der Ausführung eher gedacht für Studierende, dient dieses Tool dazu, die Anfangshürden zu überwinden, gibt zugleich einen Überblick über die verschiedenen Arten von Hypothesen.

Für die Informations- und Lesephase kann z. B. Software benutzt werden, die ganze wissenschaftliche Artikel zusammenfasst.[9]

Ist das Manuskript fertig geschrieben, geht es darum, die passende Zeitschrift dafür zu eruieren. Mit dem „Journal Scout“,[10] der beim Karger-Verlag zur Verfügung steht, ist dies ein Leichtes. Die Autorin bzw. der Autor muss lediglich das Abstract des Manuskripts in ein dafür vorgesehenes Feld hochladen und erhält anschließend Empfehlungen für die Einreichung an einen bestimmten Verlag.

Für den Prozess der Begutachtung des Manuskripts existiert zwar noch keine Software, die das eigentliche Reviewing übernimmt, es gibt aber Anwendungen, die das Finden passender Begutachter erleichtern wie AIRA (Artificial intelligence review assistance)[11] zeigt: „AIRA will scan manuscripts, identify key words and then scan databases that use information from the likes of Google Scholar and Scopus, to identify potential peer reviewers.“[12]

Ausblick

Diese Beispiele veranschaulichen, dass die Integration technischer Hilfsmittel die einzelnen Arbeitsschritte und den Forschungsprozess immer mehr durchdringen, Software zunehmend genuine Aufgaben des Menschen übernimmt. Wie weit kann/darf diese Integration gehen? Ein realistisches Modell könnte die Anwendung neurologischer Methoden[13] sein, um das allgemeine Wohlbefinden des Forschenden während der einzelnen Arbeitsphasen zu verbessern. Vorstellbar wären viele Szenarien: zu welcher Tageszeit ist die Produktivität am größten (Messen von Gehirnströmen), was verursacht (regelmäßigen) Stress (Electrodermal activity), welche Gehirnregionen werden aktiviert beim Lesen/Aufnehmen neuer Forschungsergebnisse? Zurzeit mögen solche Beispiele vielleicht unrealistisch anmuten; in Anbetracht der Möglichkeiten, die für eine Selbstoptimierung des menschlichen Organismus bereits heute verfügbar sind,[14] sind sie jedoch durchaus eine Perspektive.

Wie kommt Neues in die Welt? Das alles umspannende Netzwerk mit den vielschichtigen Ebenen, mit der Ver-Netzung jedes einzelnen Objektes in diesem unendlichen System, erweitert sich kontinuierlich, erzeugt als autonomes Gebilde fortlaufend unbekannte, ungeprüfte Impulse. Die Knotenpunkte in diesem Netzwerk werden jedoch von den einzelnen Wissenschaftlern getragen, die mit ihren innovativen Ideen und kreativen Ansätzen Außergewöhnliches in die Welt bringen und umzusetzen versuchen.

Deskriptoren: Wissenschaft, Künstliche Intelligenz, Publizieren, Forschen

Über den Autor / die Autorin

Anne-Katharina Weilenmann

Anne-Katharina Weilenmann, MSc Bibliotheks- und Informationsmanagement, Donau-Universität Krems; freiberufliche Tätigkeit als Referentin; Organisation von Fachtagungen; arbeitet derzeit am persönlichen Dissertationsprojekt zur Dekonstruktion des wissenschaftlichen Artikels.

Literatur

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Online erschienen: 2020-07-23
Erschienen im Druck: 2020-07-03

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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