
Vom 20. bis 22. März 2020 fand mit „WirVsVirus“ der bis dahin vermutlich größte Hackathon der Welt statt. Inspiriert von einer ähnlichen Initiative aus dem Baltikum stellten Freiwillige, bald unterstützt von einem breiten Konsortium von öffentlichen und privaten Innovationscommunities und der Bundesregierung, ein Mammutprojekt auf die Beine. Schon vor dem Start waren die Ausmaße rekordverdächtig: fast 43.000 Anmeldungen, 1.900 Ideen, 3.000 Mentorinnen und Mentoren. Am Ende haben dann über 28.000 aktiv Mitwirkende innerhalb von 48 Stunden über 1.500 Projekte erarbeitet. Ich selbst habe zum ersten Mal aktiv an einem Hackathon teilgenommen und möchte von den Erfahrungen im Hackathon selbst sowie kurz über den Verlauf unseres Projektes „Medprint“ (zum Zusammenbringen von 3D-Druckern und gesellschaftlichen Initiativen) berichten.
Was ist ein Hackathon?
Das Wort „Hackathon“ ist zusammengesetzt aus „Hack“ und Marathon. Anders als von vielen Menschen assoziiert, geht es hier keinesfalls um eine Veranstaltung von (nur) Hackern, die in dieser Zeit Schaden im Internet anrichten, sondern um ein Zusammenkommen von Menschen aller Art, von Entwicklern, Designern zu Kreativen oder Menschen mit Business Erfahrung, um kollaborativ an Software, Hardware oder auch anderen Projekten und Lösungen zu arbeiten. Meist geschieht dies im persönlichen Kontakt auf Veranstaltungen.
Wie wurde „WirVsVirus“ in Zeiten von Covid-19 organisiert?
Aufgrund der Kontaktbeschränkungen wurde im Falle von „WirVsVirus“ der Hackathon vollständig online organisiert (auch als einer der ersten von Vielen). Es wurde nach Lösungen und Initiativen für die damals in Deutschland gerade anbrechende Pandemie gesucht und mit dem Hackathon die Möglichkeit geboten, Freiwillige aus ganz Deutschland, von jung bis alt, mit allen möglichen Expertisen, kontaktlos und virtuell zusammen zu bringen.
Technisch möglich gemacht wurde dieses offiziell über zwei Plattformen – Slack (eine Kommunikationsplattform die nach dem Instant Messaging-Prinzip die Zusammenarbeit von Gruppen in verschiedenen (Themen-)Kanälen ermöglicht) für die Kommunikation sowohl von Mitgliedern des Organisationsteams zu Teilnehmern als auch von Teilnehmern untereinander und die Seite „Devpost“ als Plattform, auf der die Projekte vorgestellt und gehostet wurden und später die Abgabe des Projektergebnisses in Form einer Projektseite, eines Link zur Codebase (sofern vorhanden) und eines Videos stattfand. Außerdem wurden vor Beginn des Hackathons Projektideen gesammelt, die zum Start des Hackathons in einem „Airtable“ (eine Art interaktive Exceltabelle) veröffentlicht wurden. Daneben gab es eine große Anfangs- und Endveranstaltung sowie einzelne „Updates“ als Livestreams in YouTube.
Nach der Anmeldung bekam man eine E-Mail mit Informationen und der Registrierung zu Slack und Devpost. Nun sollte man entweder sein Projekt auf Devpost registrieren und Mitstreiter suchen oder mithilfe des „Airtable“ ein spannendes Projekt suchen und dann dem ausgewählten Team beitreten.
Soweit die Theorie....
Am Freitagabend war um 18:00 Uhr die große Eröffnungsveranstaltung über einen Livestream bei YouTube, in dem das Organisationsteam und der Ablauf vorgestellt wurden und es eine Ermunterung von Staatssekretärin und Digitalbeauftragten der Bundesregierung Dorothee Bär gab (die sich auch während des Hackathons einige Male vom heimischen Sofa meldete).
Nur...den Zugang zu Slack, der Hauptkommunikationsplattform, sowie dem Airtable mit allen Projekten...den gab es nicht. Die enorme Zahl von Anmeldungen (über 42.000) hatte alle Server gecrasht! Zwar gab es vermutlich Hackathonprofis, die trotzdem schon über Devpost und Alternativchannels loslegten. Für die meisten anderen Teilnehmer blieb leider erst einmal Verwirrung, zumal auch das „Finden von und sich Anschließen bei Projekten“ nicht deutlich war.
Über Nacht hatte die Organisation mit der Hilfe von Technikern im amerikanischen Hauptsitz von Slack die 42.000 E-Mailadressen per Hand in Batches aktiviert, sodass ab Samstagmorgen alle loslegen konnten. Doch auch da erst einmal Ernüchterung – es gab unzählige Kanäle, die hauptsächlich aus einem „ich suche Projekt XY, wie kann ich mitmachen“ bis hin zu „wo ist der Airtable“, „Ich habe ein Projekt auf Devpost, aber niemand findet mich“ bestanden. Ich selbst habe schon oft mit Slack gearbeitet, aber für jemanden der erstmals mit dieser Kommunikationsplattform konfrontiert war, muss das noch schwieriger gewesen sein. Hier wären noch einfachere Anleitungen, die auch außerhalb des Slack channels bereitgestellt worden wären (z. B. über die Hackathon Website), sicher hilfreich gewesen.
Die Projekte kommen zusammen
Gegen Samstagnachmittag hatten die meisten (darunter auch ich) ein Projekt zum Mitarbeiten gefunden. Kommuniziert wurde dann entweder über einen projekteigenen Slack-Kanal (Slack erlaubt es jedem Team, sich einzelne Haupt- oder Unterkanäle anzulegen) oder über Alternativlösungen.
Ich habe mich dem Team von „Medprint“ angeschlossen, eine Initiative die 3D-Druckkapazitäten – von Privatleuten, Maker Spaces oder kleinen Firmen – mit medizinischem Personal, das dringend Schutzausrüstung benötigte, mittels einer Plattform zusammenbringen wollte. Die Plattform sollte so aufgebaut sein, dass 3D-Drucker und Maker ihre Kapazitäten melden können und medizinisches Personal Bedarf anmelden kann. Außerdem wurde an einer Designdatabase mit Designs für einfach zu druckende und bequem zu tragende Schutzausrüstung gearbeitet und bereits während des Hackathon schon mit Personal der Uniklinik Heidelberg getestet und verbessert.
Im Fall von „Medprint“ fand die Kommunikation auf der Plattform „Discord“ statt, die mir bis dahin völlig unbekannt war, die aber anscheinend von Gamern zum kollaborativen Onlinespielen benutzt wird (bzw. zur Kommunikation, wenn man in Gruppen durch Spielwelten streift). Wie Slack gibt es hier verschiedene Kanäle, allerdings nicht nur auf Basis von Messaging, sondern auch Audiokanäle wo man auch „Streams“ vom eigenen Bildschirm zeigen kann. Alle Neulinge wurden erst einmal in den „General“ Kanal gespült, wo sie sich vorstellen konnten und wo allgemeine Fragen, Nachrichten und Updates schriftlich und mündlich diskutiert wurden. Anfangs gab es keine festgelegten Treffen, sondern jeder „hüpfte“ (ja, so war der Slang) in und aus dem Audiostream in den verschiedenen Kanälen, die eingeteilt waren in Design (mit Unterkanälen für verschiedene Anwendungen wie Masken, Schutzschilde u.ä.), 3D-Druck (zur Vernetzung von Leuten mit 3D-Druckern und Klärung von technischen Fragen von Druckvorlagen), Zusammenarbeit mit anderen Plattformen und Partnern, Qualitätsmanagement, Organisation / Business Modell / Marketing, und natürlich für die Programmierung (Front/Backend usw.). Insgesamt war das Projekt also völlig selbstorganisiert, mit der Ausnahme des Hochladens der Abgabe (weil nicht alle entsprechende Schreibrechte an der Devpost Plattform hatten). Abstimmungen, wie z. B. die Zusammenlegung mit einer Gruppe ähnlichen Ziels noch während des Hackathons, wurden demokratisch durch Versammlung (nicht verpflichtend) im „General“ Kanal vorgenommen.
Auch nach dem Hackathon blieb der selbstorganisierte Character enthalten, wenngleich sich seitdem die Gruppe von ursprünglich nahezu hundert auf ca. zehn Aktive, darunter ein Kernteam von sechs zusammengeschrumpft hat. In dieser Zeit haben wir an einem weiteren Hackathon („EUVsVirus“) teilgenommen und dort unser Konzept verfeinert (weg von einer Einzelplattform hin zu der Vision einer „Platform as a Service“ für andere Initiativen). Außerdem haben wir uns erfolgreich zur Teilnahme am sechsmonatigen „Solution Enabler“-Programm der Bundesregierung beworben, dem Umsetzungsprogramm nach dem Hackathon, um die Lösungen breitflächig und schnell umzusetzen. Es gab viele Ideen zur Zusammenarbeit mit anderen Initiativen und Weiterentwicklung der Ursprungsidee. Mal passiert in kurzer Zeit viel, mal gab es durch persönliche Umstände der Freiwilligen ruhigere Perioden. Knackpunkte sind der Mangel an Programmierressourcen, aber vor allem auch das Klären von rechtlichen Fragen, besonders zur Produkthaftung und (medizinischer) Zertifizierung. Es bleibt also spannend.

Homepage des Projekts Medprint beim Hackathon EUvsVirus.
Fazit
Die Teilnahme am Hackathon und die Arbeit im Team Medprint waren für mich eine einmalige Erfahrung. Neben der Freude am gesellschaftlichen Engagement habe ich unglaublich viel über virtuelles Zusammenarbeiten, besonders im Rahmen von Freiwilligenprojekten gelernt. Das Zusammenfinden, unbekannterweise miteinander zu arbeiten und alles komplett basisdemokratisch und ohne ein traditionelles Hierarchiegefüge zu entscheiden, unter Benutzung teilweiser neuer Tools, war spannend und lehrreich und gibt sicherlich Impulse für die (Arbeits- und Organisations-)Welt nach Corona.
Deskriptoren: Projekt, Zusammenarbeit, Software, Gesundheitswesen, Covid-19
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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