Aktuelles
Baden-Württemberg
Der lange Weg der städtebaulichen Denkmalpflege
Der Fokus des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975 war in hohem Maße von einer Sicht übers einzelne Denkmal hinaus geprägt und damit städtebaulich-denkmalpflegerisch konnotiert. »Die Stadt als Ganzes ist Kulturdenkmal« wusste Georg Dehio schon 1908 über Rothenburg ob der Tauber zu berichten und »Ein Ensemble ist grundsätzlich aussagekräftiger als Einzelbauten« war eine der Aussagen, die man 1975 oft hörte. Dazwischen liegen freilich viele Jahre der Missachtung des Ensembles, nicht zuletzt im Zeitalter der Flächensanierung der 1960er Jahre. Eine solche ist an Weikersheim, knapp 40 Kilometer tauberabwärts von Rothenburg gelegen, glücklicherweise vorbeigegangen. 1973 wurde dort im Zuge eines Modellprogramms des Innenministeriums Baden-Württemberg ein Planwerk für städtebauliche Sanierungsmaßnahmen erarbeitet. Teil davon war ein Ortsbildplan, der neben Kulturdenkmalen auch ortbildprägende und struktur- bzw. ensemblebildprägende Gebäude verzeichnet. Dass hier auch »erhaltenswerte Fassaden« kartiert sind, ist ein zeitgenössischer Befund der damals vielfach auf das Stadtbild fokussierten Denkmalpflege. Der Weg zu einer förmlichen Fixierung dieser Denkmalwerte war allerdings noch lang. 1980 wurde zunächst die Denkmalliste für Weikersheim erarbeitet. Die Verabschiedung einer Gesamtanlage, wie sie das baden-württembergische Denkmalschutzgesetz schon 1972 ermöglicht hatte, gelang aber erst im Jahr 2000 (!). 2008 erschien dann der Denkmalpflegerische Werteplan für die Gesamtanlage Weikersheim. In ihm wurden die über die Einzeldenkmale hinausgehenden denkmalpflegerischen Werte jetzt ausführlich fixiert. Nicht nur ein Schwarz-Weiß-Plan wie im Jahr 1975, sondern ein umfassendes Planwerk mit 141 Seiten dient seither als Gebrauchsanleitung für das Ensemble Weikersheim. Die seit den 2000er Jahren erarbeiteten denkmalpflegerischen Wertepläne betrachten die Gesamtheit der historischen erhaltenswerten Bausubstanz sowie die historisch relevanten Straßenzüge, Plätze, Grün- und Freiflächen. Sie informieren zur Stadtbaugeschichte, zur historischen Stadtstruktur und zur überlieferten Stadtgestalt. Dabei orientieren sie sich an der Methodik der historischen Ortsanalyse, die schon 1986 in einem Arbeitsheft des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg vorgestellt und die in den denkmalpflegerischen Erhebungsbögen des bayerischen Landesamts für Denkmalpflege flächenhaft angewandt wurde. Die Fachpläne stehen auf der Webseite denkmalpflegebw.de für alle am Planen und Bauen Beteiligten sowie für die interessierte Öffentlichkeit zur Verfügung. Der »Fund« des ersten Werteplans im Nachrichtenblatt der Denkmalpflege 4 (1975) zeigt, dass städtebaulich-denkmalpflegerische Bewertungen und Sicherungsinstrumente einen langen Atem brauchen und Ergebnisse oft erst viele Jahre später spürbar sind. Mit der autofreien Um- und Neugestaltung des Marktplatzes in den 2000er Jahren sowie der vorbildlichen, bürgerschaftlich getragenen Sanierung des erhaltenswerten (nicht denkmalgeschützten) Handwerkerhauses Wilhelmstraße 4 und seine Nutzung als Weltladen Weikersheim sind zwei beispielhafte Bausteine für eine ensemblefreundliche Weiterentwicklung der Tauberstadt benannt. Gut Ding will Weile haben!
MARTIN HAHN

Weikersheim, Ortsbildplan von 1973

Weikersheim, Denkmalpflegerischer Werteplan von 2008
Bayern
Giotteske Malerei und mediterrane Leichtigkeit
Die politische Neuorganisation nach den Napoleonischen Kriegen brachte für Freising, immerhin neben Salzburg lange zweites kirchliches Zentrum Altbayerns und mit seiner Schreibschule und Dombibliothek Sinnbild des mons doctus, einen jähen Bedeutungsverlust: Der Bischofssitz der nunmehrigen Erzdiözese München und Freising wurde 1821 in die Landeshauptstadt München verlegt, während Freising bis in die Nachkriegszeit hinein mit dem Priester- und Knabenseminar nur noch klerikale Pflanzstätte und Hochschulort war. Ein introvertiertes diözesanes Bildungshaus sowie das konventionell gestaltete Diözesanmuseum boten zwar noch einen schwachen Abglanz der einstigen Bedeutung des Gelehrtenbergs, insgesamt aber wurde die politische und kulturelle Präsenz des Dombergs vom langen Münchner Schatten überdeckt.

Freising, Domplatz mit rekonstruierter Brunnenanlage und neuer Pflasterung, Blick auf die doppeltürmige Domkirche und das links anschließende Kollegiatstift St. Johann mit Fürstengang, 2025
Auf der Grundlage von Bestands- und Potenzialanalysen, einer personellen Neuausrichtung sowie einer neuen Partnerschaft mit der Stadt Freising erfolgte durch die Erzdiözese München und Freising vor nunmehr zehn Jahren der Auftakt zur Gesamtinstandsetzung und Neukonzeptionierung des Dombergs. Gebäude um Gebäude wurden seither schon und werden noch bis 2028 saniert, geöffnet und mit neuem Leben gefüllt oder wie das im Bau befindliche Beherbergungsgebäude inhaltlich neu ausgerichtet. Eines dieser Projekte ist die vielbeachtete Instandsetzung des architektonisch und didaktisch völlig neu konzipierten Diözesanmuseums. Vor allem aber wurde der Domberg in die Stadt zurückgeholt. Diese neue Verknüpfung von Stadt und Domberg veranschaulichen die historischen Wegeverbindungen sowie die Errichtung eines Schrägaufzugs zur Personenbeförderung, um den Zugang für alle zu erleichtern. Dem zentralen Domplatz mit wiederhergestellter barockzeitlicher Brunnenanlage wurde eine neue Aufenthaltsqualität verliehen, die neben einer mediterranen Leichtigkeit auch Bezüge zum vormaligen Metropolitansitz Salzburg spiegelt.

Freising, Domkrypta, Vera Icon, Wandmalereifragment an der östlichen Gewölbekonche und über dem Gitter der barocken Scheitelkapelle, 2025
Im Zentrum der Gesamtmaßnahme steht die Fürstbischöfliche Residenz, bei der großer Wert auf die Wiedergewinnung der historischen Raumstrukturen und Säle gelegt wird, und damit auf die innere Logik des Gebäudes und seine verschüttgegangenen einstigen zeremoniellen Abläufe. Die Bischofsresidenz im Typus eines mittelalterlichen vierflügeligen Kastellbaus wurde den dendrochronologischen Untersuchungen zufolge mit integrierten Resten eines romanischen Vorgängerbaus aus Tuffquadern im Kern zwischen 1305 und 1320 neu errichtet, was mit der Entstehung des Hochstifts Freising 1294 unter Bischof Emicho Wildgraf von Kyrburg (1283–1311) korreliert. Emicho und die beiden nachfolgenden Fürstbischöfe hatten ab 1300 auf dem Moränenhügel über den Isarauen eine dem neuen reichspolitischen Status eines reichsunmittelbaren Geistlichen Fürstentums entsprechend befestigte geistliche Stadt geschaffen, mit klaren Verwaltungsstrukturen und repräsentativen Profan- und Sakralbauten. Ihren zugrundeliegenden Gestaltungsanspruch veranschaulicht stellvertretend ein jüngst in der Gewölbezone aufgedecktes Freskofragment eines Schweißtuchs Christi (Vera Icon). Es befindet sich am Übergang der romanischen Domkrypta der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts zu der um 1300 angebauten frühgotischen Scheitelkapelle und Vorgängerin der späteren barocken Maximilianskapelle. Das auch Sudarium Christi genannte Bild wurde durch einen oberitalienischen Wandermaler giottesker Prägung ausgeführt; seine feinmalerische und ausdrucksstarke Qualität setzt die Kenntnis der Werke Giottos voraus, etwa in der Cappella degli Scrovegni von Padua (1304–1306). Es erscheint damit als ein bayernweit einzigartiges Zeugnis einer Importkunst um 1320.
Vom Freisinger Domberg aus sind an klaren Tagen die Alpen zu sehen. Der Blick gen Süden war in all den Jahrhunderten nicht nur Sehnsuchtsmotiv, sondern aufgrund der ausgeprägten Rombindung Freisings kirchenpolitisches wie kulturelles Leitbild. Wenn mit der aktuellen Instandsetzung dem Domberg nun wieder Italianità eingehaucht wird, entspricht dies auch einer jahrhundertelangen Freisinger Lebenswirklichkeit.
MICHAEL SCHMIDT
Berlin
Wiedereröffnung der Löwenbrücke
Die Löwenbrücke gilt als älteste Hängebrücke Berlins. 1838 nach Entwurf von Ludwig Ferdinand Hesse (1795–1876) fertiggestellt, präsentierte ihre Drahtseilkonstruktion den seinerzeit neuesten Stand der Brückentechnologie. Vier gusseiserne Löwen, Werk des Bildhauers Christian Friedrich Tieck (1776–1851), halten mit ihren Mäulern die Seile der Hängebrücke. Im Inneren der Löwen werden die Zugkräfte über Umlenkblöcke zu den Widerlagern geleitet. Der Überbau der Brücke besteht aus einem filigranen Holzfachwerk. Die Farbgebung – Löwen bronziert, Sockel mit heller Sandsteinverblendung, die sonstige Brücke in hellgelbem Ölanstrich – zielt fein abgestimmt auf gute Sichtbarkeit vor dem Grün des zeitgleich von Peter Joseph Lenné (1789–1866) gestalteten Landschaftsparks.
Der hölzerne Überbau wurde aufgrund von Fäulnisschäden bereits früh erneuert. 1878 erhielt die Brücke erstmals einen Anstrich in Steingrau mit roten Absetzungen. 1945 wurden Überbau und Drahtseile komplett zerstört, 1957 erfolgte eine Wiederherstellung mit signifikanten Abweichungen vom historischen Entwurf. 2008 wurde die Löwenbrücke aus Sicherheitsgründen gesperrt, ihr baufällig gewordener Überbau wurde 2014 entfernt. Nach dem Rückbau erfolgten restauratorische, statische und geotechnische Untersuchungen in Vorbereitung auf einen denkmalgerechten Ersatzbau. Die Herausforderung lag darin, die Anforderungen des Denkmalschutzes, der Unterhaltungspflege und der Verkehrstüchtigkeit zu verbinden. 2023 konnten die Bauarbeiten beginnen.
Die denkmalpflegerische Zielstellung verfolgte eine möglichst nahe Orientierung am historischen Entwurf. Dazu zählten die Wiederherstellung des Tragwerks mit Längsbohlen und des ursprünglichen Seilverlaufs mit dem Tiefpunkt oberhalb der Geländeroberkante sowie die Wiederaufnahme der bauzeitlichen Farbgebung. Um Fäulnisschäden am Geländer zu vermeiden, wurde für die Rekonstruktion acetylierte Kiefer gewählt, die zwar nicht bauzeitlich verwendet wurde, aber eine erhöhte Dauerhaftigkeit gewährleistet.

Berlin-Tiergarten, Löwenbrücke im Großen Tiergarten nach der Instandsetzung, 2025
Nach heutigem Verkehrssicherheitsstandard für Fußgängerbrücken ist das historische Geländer zu niedrig. Um seine Proportionen zu bewahren, wurde eine DIN-gerechte Absturzsicherung in Form eines Stahlseilhandlaufs mit Maschendrahtfeldern angebracht, welche als modernes Element erkennbar ist. Aus Gründen der Standsicherheit erfolgte eine Ertüchtigung der vier Löwen durch die Einfügung von Umlenksatteln in ihrem Inneren sowie die Verstärkung der Umlenkblöcke durch je eine Zugstange. Die Widerlager und Erdanker der Brücke konnten DI N-gerecht ersetzt werden, da sie nachgewiesenermaßen nicht mehr zur bauzeitlichen Substanz gehörten.
Dank dieser Maßnahmen und fachlicher Unterstützung des Landesdenkmalamts Berlin kann die Löwenbrücke seit Juli 2025 wieder begangen und erlebt werden. Der denkmalverträgliche Ersatzbau würdigt ihre Bedeutung innerhalb des Gesamtkunstwerks Tiergarten, ihre wissenschaftliche Besonderheit als Experimentalbau sowie die künstlerische Qualität der Löwenskulpturen und berücksichtigt gleichzeitig die Erfordernisse der Verkehrstüchtigkeit.
JULIA MARTIN
Auf den Spuren von Johannes Itten
1925 kam der Schweizer Kunstpädagoge, Künstler und ehemalige Bauhausmeister Johannes Itten (1888–1967) nach Berlin. Hier baute er eine private Kunstschule auf, nachdem er 1923 im Konflikt mit Walter Gropius das Weimarer Bauhaus verlassen und zwischenzeitlich in einer neureligiösen Mazdaznan-Siedlung bei Zürich gelebt hatte. Neben dem vom Bauhaus übernommenen Grundkurs bot die Itten-Schule ein umfassendes Spektrum künstlerischer Lehre, von Malerei über japanische Tuschearbeit und Fotografie bis hin zu Architektur und Raumausstattung, und übernahm auch Lehrende des Bauhauses. Über gezielte Markenbildung wurde ein Kunst-Unternehmen aufgebaut, das zusätzlich auch Auftragsarbeiten fertigte. Die Schule wurde 1934 durch die Nationalsozialisten geschlossen.
Für den Chocolatier Erich Hamann (1880–1949) entwarf Johannes Itten 1927–1928, zusammen mit seiner Schülerin Hannah Müller (1908–1995), die Ausstattung eines Ladenlokals in der Brandenburgischen Straße 17 in Berlin-Wilmersdorf. Sie befindet sich im Erich-Hamann-Haus, welches 1927 von Wilhelm Peters – Architekt und Eigentümer der Berliner Baufirma Peters-Bau – entworfen wurde. Das Haus umfasst neben dem Ladenlokal einige Wohnungen und eine Schokoladenfabrik im Seitenflügel. Es ist bis heute, inklusive der hochwertigen Ladenausstattung und der Schokoladenfabrik, in seiner ursprünglichen Nutzung fast unverändert überliefert. Der Laden ist durch Edelholzfurniere, teils abgerundete Vitrinen und Aluminiumelemente modern, elegant und zeittypisch gestaltet. Er gehört zu den seltenen künstlerisch und geschichtlich bedeutenden Raumausstattungen der 1920er Jahre, die in Berlin bis heute an ihrem ursprünglichen Ort überliefert und in Nutzung sind.
Vermutlich über Erich Hamann lernten sich Wilhelm Peters und Johannes Itten kennen, woraufhin Peters für Itten 1929 eigene Schulräumlichkeiten in einem Büro- und Garagenbau in der Konstanzer Straße entwarf und auch an ihn vermietete. Außerdem wurden Wilhelm Petersʼ Kinder Martina (verheiratete Richter) und Günther Schüler an der Itten-Schule. Martina Richter entwarf im Architekturunterricht – mutmaßlich bei Fred Forbat (1897–1972) oder Friedrich Köhn – ein eigenes Landhaus, das ihr Vater 1928 in der Schorlemerallee 28–28a in Berlin-Dahlem neben dem Elternhaus errichten ließ. Der konsequent moderne und funktionalistische Entwurf wird straßenseitig von einem mächtigen mittigen Treppenhaus auf dreieckigem Grundriss und auf der Gartenseite durch Fensterbänder und weit vorstehende Balkone geprägt. Trotz einiger kleiner Umbauten ist das Landhaus Richter bis heute authentisch überliefert und gilt als einziger gebauter Entwurf eines Hauses aus der Itten-Schule.
Das Erich-Hamann-Haus inklusive Schokoladenfabrik und Ladenlokal sowie das Landhaus Richter wurden als Ergebnis eines kleinen Forschungsprojekts, pünktlich zum 100. Jubiläum Johannes Ittens in Berlin, im März 2025 als Baudenkmale in die Berliner Denkmalliste aufgenommen.
JORIS HUBE

Berlin-Wilmersdorf, Brandenburgische Straße 17, Ladenlokal im Erich-Hamann-Haus, Innenaufnahme, 2025
Brandenburg
Denkmalschutz für Herzog & de Meuron
Auf einer künstlichen Anhöhe des Zentralcampus der BTU (Brandenburgische Technische Universität) Cottbus-Senftenberg thront der monumentale, allansichtige Bau des sogenannten IKMZ (Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum), auf amöbenförmiger Grundfläche und mit geschwungenen Glasfassaden aus bedruckten Scheiben. Die grob gerasterten Buchstabenaufdrucke verweisen auf die Funktion des Baus, die über jene einer »klassischen« Bibliothek hinausgeht und sich dem gewandelten Nutzungsverhalten der Besuchenden anpasst: Als Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum trägt er heute und künftig dem Rückgang gedruckter, analoger Literatur zugunsten vielfältiger digitaler Medien Rechnung. Zu vertrauten Lesesälen kommen Gemeinschaftsräume und -flächen für Austausch, Gruppenarbeit, Vorträge und Vieles mehr. Neben der spektakulären transparenten Außenhaut, die den Bau bei Dunkelheit leuchten lässt, dominiert vor allem das knallige, durchaus gewöhnungsbedürftige Farbkonzept im Innern. Abgeleitet vom Testbild für Fernseher und Monitore, umfasst die Farbskala Töne von Gelb, Orange, Cyan und Grün bis Purpur, Rot und Blau, wobei die einzelnen Abschnitte auf die unterschiedlichen Funktionsbereiche Bezug nehmen. Der Bau ist das Ergebnis eines Wettbewerbs, den die noch junge Hochschule in den 1990er Jahren für das Prestigeprojekt auslobte, und aus dem letztlich das zweitplatzierte Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron mit dem Auftrag hervorging. Nach einer Überarbeitung des Entwurfs 2001 wurde der Bau 2004 fertiggestellt und musste schon früh schützende bauliche Ergänzungen hinnehmen, da von der architektentypisch aufsehenerregenden und zugleich experimentellen, aber konstruktiv schwachen Fassade Glasplatten herabfielen. Das Fachamt handelte nun anlässlich des mit großer Öffentlichkeit verbundenen Veränderungsdrucks und entschloss sich zur Prüfung des noch sehr jungen Baus im Graubereich der denkmalfachlichen Konvention von mindestens einer Generation zeitlichem Abstand. Der Denkmalwert lag auf der Hand: Als wahrzeichenhafter Ausdruck des Selbstverständnisses der BTU und der Stadt Cottbus als aufstrebendem (Wissenschafts-)Standort in der Lausitz mit starker städtebaulicher Wirkung sowie als qualitätvolles, frühes und mit mehreren Preisen ausgezeichnetes Werk eines international renommierten Architekturbüros wurde das IKMZ im April 2025 in die Denkmalliste des Landes Brandenburg eingetragen. Es handelt sich damit um das erste frei entworfene und nicht aus dem Bestand entwickelte denkmalgeschützte Gebäude von Herzog & de Meuron in Deutschland und um das derzeit jüngste Denkmal im Land Brandenburg. Der praktische Umgang mit dem Bau geht damit in die nächste Runde, in der sich mehrere Interessengruppen gegenüberstehen: Während die erste Gruppe angesichts des neuen Status einen kompromisslosen Erhalt des Baus und seiner Ausstattung fordern, erhoffen sich diejenigen, die das paradoxerweise in mehrfacher Hinsicht bereits in die Jahre gekommene Gebäude an den dynamischen Nutzungsprozess anpassen möchten sowie jene, deren Fokus auf der Behebung der konstruktiven und bauphysikalischen Mängel liegt, denkmalverträglichen Spielraum und Veränderungsmöglichkeiten. Die Denkmalpflege befindet sich derzeit in intensiven Abstimmungsgesprächen. Das IKMZ hat nur eine Zukunft, wenn es auch den aktuellen Nutzungsanforderungen genügt. Der Bestand muss dabei erhalten und weiterentwickelt werden – wie an jedem Denkmal.
CHRISTINE ONNEN

Cottbus, Platz der Jugend 2, Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum IKMZ, 2025
Bremen
Umnutzung der »Umgedrehten Kommode«
Um den Bedarf an Trinkwasser der wachsenden Industrie- und Hafenstadt zu decken, entstand 1873 das 48 Meter hohe Bauwerk auf dem Werder, gegenüber der östlichen Wallanlage, und ist damit Bremens ältester erhaltener Wasserturm. Als tragendes Gerüst für die beiden insgesamt 1.700 Kubikmeter fassenden Wassertanks diente ein sogenannter Malakow-Turm. Die großen Raumdimensionen im Inneren weisen hohe Kreuzrippengewölbe, genietete Stahlkonstruktionen (möglicherweise aus englischer Produktion) und teils raumhohe verglaste Fenster auf. Die repräsentative wie trutzige Außengestaltung mit zierlichen (1962 gekürzten) Ecktürmchen geht auf Johann Georg Poppe (1837–1915) zurück und brachte dem Turm die volkstümliche Bezeichnung »Umgedrehte Kommode« ein. Seit 1978 ist er denkmalgeschützt.
Ab 2005 wurden die umfänglichen Flächen des Wasserwerks um den Turm herum in ein Wohngebiet umgewandelt. Nach der Veräußerung des Turms an eine Investorengruppe, welche das Ziel hat, darin Luxuswohnungen zu errichten, und der endgültigen Einstellung des Betriebs 2008 erwies sich eine behutsame Umnutzung des Wasserturms jedoch aufgrund der anfangs differierenden Perspektiven von Denkmalpflege und Eigentümer als kaum umsetzbar.
Während der Corona-Pandemie beschlossen dann Denkmalpflege, Stadtplanung und Investoren mit Blick auf den hohen Stellenwert des Gebäudes für das Stadtbild, ein kooperatives Wettbewerbsverfahren als Alternative zum anonymen Architekturwettbewerb durchzuführen. Ziel war es, den langen Stillstand zu beenden und eine größere Bandbreite an gestalterischen Konzepten zu erhalten. Dieses Wettbewerbsverfahren bot zudem die Möglichkeit, die fachlichen Kompetenzen der Teilnehmenden zu bewerten.

Bremen, Wasserturm auf dem Werder, Orthophoto der Nord-Ost-Seite mit Baualtersplan, 2022
Als Voraussetzung für jegliche Planung wurden zunächst eine umfassende Bestandsaufnahme durchgeführt, zeichnerische und fotogrammetrische Aufmaße erstellt sowie das Gebäude bauhistorisch dokumentiert. Erst dann wurden die denkmalpflegerischen Rahmenbedingungen als Grundlage für den Bestandserhalt entwickelt. Diese sahen unter anderem ein statisches Gutachten und ein Brandschutzgutachten inklusive der Entwicklung von denkmalgerechten Musterkonzepten anhand einer Musterplanung als ersten Ansatz für die Wirtschaftlichkeit vor.

Bremen, Wasserturm auf dem Werder, Visualisierung des Siegerentwurfes, 2024
Zwischen 2023 und 2024 konnte schließlich auf diesen Grundlagen der Wettbewerb mit acht Planungsbüros in zwei Phasen durchgeführt werden. Der von der Jury mit dem ersten Preis ausgezeichnete Entwurf eines bremischen Büros sieht Wohnen in den Obergeschossen und Gewerbe in den repräsentativen Erdgeschossen vor. Die Wohnungen werden als Maisonettewohnungen konzipiert, welche die hohen Geschossdecken mit ihren Fischbauchträgern erfahrbar belassen; Erschließungsflure in den Etagen wiederum geben den Blick auf die gesamte Gebäudeausdehnung frei. Die Erschließung mit Treppenhaus und Fahrstuhl wurde mit möglichst geringen Substanzverlusten an den Decken in das Gebäude integriert. Herausfordernd ist die Anpassung der festverglasten Industriefenster an die künftige Wohnnutzung. Die größte Veränderung ist jedoch die geplante Anhebung der originalen Dachkonstruktion und der teilweise Ausbau der Tanks, um hier einen exklusiven Wohnbereich zu ermöglichen. Diese Veränderung wurde im Entwurf geschickt durch eine Rekonstruktion des Zinnenkranzes und der Ecktürme optisch kaschiert, sodass das äußere Erscheinungsbild eine öffentlich vermittelbare Veränderung im Sinne einer »Umgedrehten Kommode« erfahren wird.
ACHIM TODENHÖFER
Hamburg
Ein Denkmal der Ghettoisierung und Verfolgung
Die Herbertstraße auf St. Pauli ist die bekannteste Rotlichtstraße Deutschlands und gilt mittlerweile als eine der weltweit geläufigen Sehenswürdigkeiten Hamburgs. Sie wird im Osten und Westen durch etwas über zwei Meter hohe Sichtblenden und Tore aus genietetem Eisen (historische Elemente) bzw. Stahl (moderne Erneuerung) abgeschirmt, die heute von den Tourist*innen zumindest als Kuriosum, darüber hinaus aber auch als ausschließende Barriere wahrgenommen werden. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die an den Sichtblenden angebrachten Schilder mit der Aufschrift »Zutritt für Jugendliche unter 18 und Frauen verboten / Entry for men under 18 and women prohibited«. Ein solches Zutrittsverbot ist 1981 als »Schutzmaßnahme« für Prostituierte und Passantinnen gleichermaßen erwirkt worden, ob auf Wunsch der Prostituierten oder ihrer Zuhälter, ist letztlich nicht zu entscheiden. Hinzugekommen ist die moderne, kommerzielle Nutzung der Tore als großformatige Werbefläche.
Diese heutige Wahrnehmung von Sichtblenden und Toren unterscheidet sich jedoch erheblich von der Intention, aus der heraus sie 1933 errichtet wurden. Mehr noch: Es fand eine deutliche Überschreibung des ursprünglichen historischen Kontextes statt.

Hamburg-St. Pauli, Sichtblenden und Tore im Westen der Herbertstraße, Ansicht von außen, 2025
Unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde die Prostitution, drastischer noch als vor 1921, streng reglementiert. Hamburg war die erste Stadt im Deutschen Reich, in der die sogenannte Kasernierung (hier: zwangsweise Unterbringung und räumliche Konzentration bestimmter Personengruppen) von Prostituierten wieder eingeführt wurde. Sexarbeit war fortan nur noch in polizeilich kontrollierten »Bordellstraßen« zulässig. Die Herbertstraße war eine von fünf Straßen, in denen Prostituierte nicht nur arbeiten, sondern auch wohnen sollten.
Um die Ghettoisierung zu zementieren und gleichzeitig aus dem öffentlichen Straßenbild zu verbannen, wurden diese Straßen für den öffentlichen Durchgangsverkehr gesperrt und mit Sichtblenden und Toren versehen. Wer sich den rigiden Vorschriften entzog oder der Kontrolle der Behörden zu entkommen versuchte, wurde mit drastischen Repressionen belegt. Unter der nationalsozialistischen Stigmatisierung als »Asoziale« oder »Berufsverbrecher« wurden auch zahlreiche Prostituierte Opfer von staatlicher Gewalt – darunter Zwangseinweisungen in geschlossene Einrichtungen, Entmündigung, Zwangssterilisation, Inhaftierung oder Deportation in Konzentrationslager.
Viele Verantwortliche in Behörden, Anstalten und Kliniken wurden nach Kriegsende nicht entlassen und bestraft, sondern konnten im Gegenteil ihre Tätigkeit ungehindert in leitenden Positionen fortsetzen. Auch nach 1945 dauerten Stigmatisierung, Entmündigung und Zwangseinweisung zahlreicher Sexarbeiter*innen an. Dass diesen unter dem NS-Regime verfolgten Gruppen schweres Unrecht widerfahren war, wurde gesellschaftlich und politisch sehr spät anerkannt. Erst am 13. Februar 2020 sprach ihnen der Deutsche Bundestag offiziell den Opferstatus zu.
Nach heutigem Erkenntnisstand sind die Sichtblenden und Tore der Herbertstraße im bundesweiten Vergleich die einzigen ihrer Art vor »Bordellstraßen«, die substanziell auf die Zeit des Nationalsozialismus zurückgehen.
Im November 2024 wurden die östlichen Sichtblenden, Torpfosten und Tore zur Davidstraße hin komplett erneuert. Die demontierten historischen Sichtblenden sollen in die ständige Sammlung des Museums für Hamburgische Geschichte integriert werden.
IMKE RITZMANN
Hessen
»Alt erhalten – Neu gestalten«
Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Auszeichnung der Stadt Alsfeld als Europäische Modellstadt für den Denkmalschutz durch den Europarat 1975 fand der 44. Tag der Hessischen Denkmalpflege unter dem Motto »Alt erhalten – Neu gestalten« am 13. September 2025 in Alsfeld statt.
Das Jahr 1975 bildete mit dem Europäischen Denkmalschutzjahr den Höhepunkt einer Kampagne des Europarates, um die Aufmerksamkeit auf die Gefährdungen des kulturellen Erbes unter der Überschrift »Eine Zukunft für unsere Vergangenheit« zu richten. Diese sehr erfolgreiche Kampagne sorgte dafür, dass das allgemeine Bewusstsein für die Werte des baulichen und archäologischen Erbes geweckt wurde, und führte in erstaunlich kurzer Zeit zu einem generellen Wertewandel in der Gesellschaft. Mit Blick auf die aktuellen Gefährdungen des kulturellen Erbes ist die enorme Breitenwirkung der Maßnahmen von 1975 bis weit in Politik und Gesellschaft hinein beeindruckend.
Während andernorts noch ungehindert ganze Ensembles und sonstige wertvolle Denkmalsubstanz abgerissen wurden, konnte die Stadt Alsfeld schon sehr früh, nämlich im Jahr 1959, in das »Förderprogramm für zentrale Orte« aufgenommen werden. Es folgten Vorstudien und eine detaillierte Bestandsaufnahme bis in das Jahr 1966. Letztlich erreichte Alsfeld es sogar, Modellstadt im Vorlauf des 1971 in Kraft getretenen Städtebauförderungsgesetzes zu werden.
Im Rahmen der aktuellen Tagung wurde in Impulsreferaten die Bedeutung der Auszeichnung Alsfelds als einer charakteristischen mittelalterlichen Kleinstadt vor dem Hintergrund der von Abriss und Neubau geprägten Wiederaufbaumaßnahmen und der Protestbewegungen zur Erhaltung des baulichen Erbes in anderen deutschen Städten gewürdigt. Es sei damals erstmals gelungen, die historische Altstadt durch eine bestandsorientierte Stadtplanung so an die Erfordernisse einer modernen Stadt anzupassen, dass damit auch die Grundlage für ihre zukünftige Entwicklung gelegt worden sei. Die Geschichte der Altstadterneuerung sei ein wichtiges Zeitdokument und markiere gleichzeitig eine wichtige Umbruchszeit in der Denkmalpflege, die sich von nun an auch mit großflächigen städtebaulichen Strukturen und dem Umgang mit Zeugnissen neuer Denkmalgattungen befasste. Die Idee von modellhaften Stadtsanierungen, deren Ergebnisse im Rahmen der Kampagne auf ähnlich gelagerte Herausforderungen übertragen werden sollten, habe experimentellen Charakter. Für die Zukunft sei das Zusammenwirken von Denkmalpflege und Städtebauförderung unabdingbar, um dem Funktionsverlust im Zentrum sowie den Anforderungen des demografischen Wandels, des Klimaschutzes, der Digitalisierung, der Beseitigung von Leerständen und dem Funktionsverlust im Zentrum begegnen zu können. In der abschließenden Podiumsdiskussion wurde an alle am Planungsgeschehen Beteiligten appelliert, nach dem Vorbild Alsfelds und unter Einbindung partizipativer Planungsmodelle an den Programmen des Bundes und der Länder teilzunehmen bzw. teilzuhaben. Nur durch eine in der Stadt- und Regionalplanung verankerte Denkmalpflegepraxis sei es möglich, resiliente, funktionsfähige, lebenswerte und identitätsstiftende Städte im Rahmen der Zukunftsvorsorge aktiv zu gestalten.
Der Tag der Hessischen Denkmalpflege in Alsfeld war Teil eines mehrtägigen Programms anlässlich des 50-jährigen Jubiläums zur Auszeichnung der Stadt als Europäische Modellstadt für den Denkmalschutz. Alsfeld ist nach gegenwärtigem Wissensstand die einzige der damals ausgezeichneten Städte, die dieses Jubiläum nicht nur fachlich diskutiert, sondern auch mit einem Stadtfest angemessen feiert.

Postkarte der Stadt Alsfeld als europäische Modellstadt für den Denkmalschutz, 1975
KATRIN BEK UND VERENA JAKOBI

Anlässlich der Auszeichnung der fünf deutschen Modellstädte erschienene Briefmarkenserie, hier der Ersttagsbrief zu Alsfeld, 1975
Lübeck
Die Lübecker Sonderrolle
Im Zuge der aktuell geführten politischen Debatte um Möglichkeiten des Bürokratieabbaus wird auch Lübeck regelmäßig zu seiner Sonderrolle im Denkmalschutzgesetz befragt. Die Sonderrolle der Hansestadt Lübeck als Obere und Untere Denkmalschutzbehörde hat eine lange Rechtshistorie, die in der Eigenständigkeit des bis 1937 selbstständigen Staates Lübeck begründet ist und heute den verbliebenen Rest dieser verlorenen Reichssouveränität darstellt. Lübeck hatte bereits lange vor Schleswig-Holstein eine durchdachte und zu der Zeit vorbildliche Gesetzgebung zum Schutze seines kulturellen Erbes – eine erste entsprechende Verordnung von 1818 kulminierte in dem für seine Zeit fortschrittlichen, 1915 erlassenen und 1921 angepassten, Denkmalschutzgesetz. Das erste Denkmalschutzgesetz Schleswig-Holstein (DSchG SH) von 1958 drückte daher in seinen Bestimmungen aus, dass die Aufgaben einer Oberen Denkmalschutzbehörde dem Bürgermeister der Hansestadt Lübeck verbleiben. Dies wurde entsprechend in allen weiteren Novellierungen beibehalten und in durchgeführten Evaluationen als positiv bewertet.
Die für den Denkmalschutz zuständige Fachbehörde ist der Bereich Archäologie und Denkmalpflege mit einem Stadtkonservator und zwei Abteilungsleiterinnen der Fachabteilungen. Der Sonderstatus ergibt sich auch fachlich aufgrund der besonderen geschichtlichen Bedeutung Lübecks als älteste deutsche Stadt an der Ostsee und »Königin der Hanse«. Die außerordentlich hohe Denkmaldichte, die Anerkennung als Weltkulturerbe der UNESCO und die Ausweisung als erste deutsche Altstadt, die zum Grabungsschutzgebiet erklärt wurde, sind weitere Gründe für Lübecks Sonderrolle.
Fünf Vorteile des Sonderstatus sind:
1. Schnellere Entscheidungswege
Da Untere und Obere Denkmalschutzbehörde in einer Verwaltungseinheit zusammengefasst sind, entfallen langwierige Abstimmungsprozesse: Entscheidungen können schneller und effizienter getroffen werden. Durch die Bündelung der Aufgaben in einer Behörde wird eine bürgerfreundliche und dem Denkmalbestand angemessene fachlich fundierte Bearbeitung der denkmalfachlichen Belange vor allem im Sinne des Bürokratieabbaus gewährleistet.
2. Höhere fachliche Kompetenz auf lokaler Ebene
Die Denkmalpflege in Lübeck ist durch die Doppelfunktion mit qualifiziertem Fachpersonal besetzt. Die Expertise reicht über das übliche Maß einer Unteren Denkmalbehörde hinaus, da sie auch Aufgaben der Fachaufsicht wahrnimmt. Der Denkmalbestand (aktuell erkannte Denkmale: 1.973) wird mit dem vorhandenen Fachwissen nach aktuellem Kenntnis- und Forschungsstand regelmäßig aktualisiert, erweitert, erforscht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Abteilung führt eine eigene Fachbibliothek, ein Planarchiv, ein Fotoarchiv, alle Verwaltungs- und Forschungsakten und führt ein Bauteillager.
3. Stärkere Verankerung im kommunalen Planungsprozess
Lübecks Denkmalschutzbehörde ist direkt in städtische Entscheidungsprozesse eingebunden. Dies erleichtert die frühzeitige Einbringung denkmalpflegerischer Belange in städtebauliche Planungen.
4. Bessere Integration von UNESCO-Vorgaben und Sicherung des U NESCO-Welterbes
Die Lübecker Denkmalpflege hat einen direkten Austausch mit der städtischen Welterbekoordinatorin und übernimmt die ihr per Denkmalschutzgesetz Schleswig-Holstein zugewiesenen Aufgaben im Zusammenhang mit dem UNESCO-Welterbe.
5. Spezialisierung auf kommunaler Ebene
Der hohe Denkmalbestand und dessen Authentizität in Erhaltung und Ausstattung (z. B. Wandmalereien) erfordern besondere fachliche Herangehensweisen, die nicht mit denen im Land vergleichbar sind. Die Hansestadt Lübeck hat daher in den vergangenen Jahrzehnten erheblich in die spezifische Erforschung und Dokumentation ihrer Denkmalsubstanz investiert. In ihrer langen Tradition hat es sich erwiesen, dass die Eigenständigkeit der Lübecker Denkmalpflegebehörde sowohl intern als auch extern sehr gut funktioniert. Dies gilt auch und vor allem in Partnerschaft mit den Landesämtern in Schleswig-Holstein und unter der Aufsicht des Ministeriums.

Lübeck, Altstadtsilhouette von Osten, Elias Diebel zugeschrieben, Nachdruck des Holzschnittes von 1552, 1855
DIRK RIEGER UND MARIANNE LUTTER
Mecklenburg-Vorpommern
Bauen jenseits der Planwirtschaft
Die 1986 in drei Jahren Bauzeit errichtete und vor Kurzem in die Denkmalliste eingetragene Radrennbahn in Rostock lenkt den Blick auf ein paradoxes Phänomen im Bauwesen der späten DDR. Gemäß den vorherrschenden Regeln hätte es die Bahn, auf der Sportler wie Jan Ulrich und André Greipel trainierten, eigentlich nicht geben dürfen. Die zwischen Fußballplätzen und den weiten Flächen des Neuen Friedhofs gelegene Anlage in der Südstadt, genutzt sowohl für den Trainingsbetrieb als auch für öffentliche Veranstaltungen und Wettkämpfe, ist ohne Baugenehmigung und ohne Einbindung in den Wirtschaftsplan entstanden.
Sie widerspricht damit den Grundzügen der zentralistisch organisierten Bau- und Wirtschaftsplanung, die auf Planungs- und Bauleistungen ebenso wie auf große Teile von Grund und Boden unbeschränkten Zugriff besaß und ausgehend vom Politbüro der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und dem Zentralkomitee (ZK) mit seiner Abteilung für Bauwesen über das Bauministerium bis in die Ebene der Bezirke und Städte das Geschehen bestimmte. Die Errichtung der Anlage gerade in der späten DDR überrascht umso mehr, da sich der Anspruch von Partei und Staat auf die Ressourcen von Planung und Bauen im Laufe der Jahrzehnte immer umfassender auswirkte. Architekten und Stadtplaner hatten annähernd ausschließlich in volkseigenen Betrieben zu arbeiten und die Baukapazitäten waren seit Ende der 1960er Jahre im Wesentlichen in Wohnungsbau- sowie Bau- und Montagekombinaten (WKB/BMK) organisiert.
Worauf jedoch in Ergänzung klassischer Architekturgeschichtsschreibung Forscher*innen der soziologisch und alltagsgeschichtlich orientierten Stadtforschung wie Adelheid von Saldern, Frank Betker und Thomas Wolfes aufmerksam gemacht haben, ist die immer wieder festzustellende Eigenwilligkeit der kommunalen Institutionen und der aus Leidenschaft wirkenden Akteur*innen.
Aufgrund der rasanten Entwicklung im Bahnradsport in den 1980er Jahren genügte die bis dahin genutzte 400-Meter-Schwarzdeckenbahn um den Sportplatz »Am Waldessaum« den Anforderungen nicht mehr. Für die höheren Geschwindigkeiten, die nun erreicht wurden, war diese Bahn nicht mehr sicher genug. Als führendem Mitglied in der Sportvereinigung (SV) Dynamo gelang es dem Radsport-Trainer Peter Sager, entscheidende Funktionäre vom notwendigen Neubau einer wettkampftauglichen Radrennbahn zu überzeugen und dafür ein geeignetes Grundstück zu finden. Die Planung übernahm der radsportbegeisterte Landschaftsplaner Kurt Welke in Zusammenarbeit mit dem Diplom-Mathematiker Ingo Ladewig vom wissenschaftlich-technischen Zentrum für Sportbauten Leipzig. Die von Ladewig berechnete Bahn benötigte für die hohen Geschwindigkeiten der Rennfahrer eine Bahnneigung in den Kurven von 38 Grad.

Rostock, Damerower Weg 25, Radrennbahn, 1983–1986, Aufnahme 2024
Diese zu errichten, war mit normaler Betonbautechnologie wie im Straßenbau nicht möglich. Für die besondere Aufgabe konnte Ulrich Müther, Leiter des Volkseigenen Betriebs (VEB) Spezialbau Rügen in Binz gewonnen werden. Mit der Torkretiermaschine, die sonst bei den Schalenbauten Müthers zum Einsatz kam, konnte auch hier in Rostock der Spritzbeton gleichmäßig aufgebracht werden. Durch die Bereitstellung von Technik und Bedienmannschaft hat Müther das Projekt erst realisierbar gemacht. Der Einsatz von Materialien und Arbeitskräften wurde ermöglicht durch persönliche Kontakte zu Betrieben und Institutionen und erfolgte nicht auf dem offiziellen planwirtschaftlichen Weg.
Der Planer Kurt Welke erinnert sich, wie es im Verlauf der zwischen 1983 und 1986 andauernden Arbeiten an der Rennbahn gelang, die Unterstützung vieler Leiter von Institutionen zu gewinnen: »Diese Möglichkeiten, Verwaltungswege abzukürzen oder zu umgehen, die konnte es wohl nur in einer vom Mangel diktierten, zentral gesteuerten Planwirtschaft geben: Wenn man die vielen kleinen Könige auf seine Seite bekam, dann konnte man durchaus auch solche Großprojekte stemmen. Keiner wollte derjenige sein, an dem die Radrennbahn scheitert.« Eine besondere Ironie besteht zudem darin, dass die wichtigsten Träger der SV Dynamo, für die die Radrennbahn errichtet wurde, die Volkspolizei und das Ministerium für Staatssicherheit waren.
JÖRG KIRCHNER
Niedersachsen
Citizen Science und Digitalisierung für die Zukunft des gebauten Kulturerbes
Das Institut für Geodäsie und Photogrammetrie der Technischen Universität Braunschweig und das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege starten im Herbst 2025 ein neues gemeinsames Forschungsprojekt, das vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur in seiner Förderlinie »Zukunft Niedersachsen« unterstützt wird.
In zwei Projektjahren sollen die Möglichkeiten von »Citizen Science« bei der Dokumentation und Erforschung von baulichen Transformationen der Denkmallandschaft in Niedersachsen untersucht werden: Mit einem zu entwickelnden niederschwelligen Angebot (Smartphone-App) sollen interessierte Bürger*innen bei der Erfassung historischer und gegenwärtiger Fotos von Denkmalen mitwirken. Anhand der damit gewonnenen Daten und der Verknüpfung mit bestehenden Bilddatenquellen sollen dann Methoden der KI entwickelt werden, die historische und laufende Veränderungen der Denkmale qualitativ und quantitativ anschaulich machen.
Um entsprechende Methoden und Techniken auszuarbeiten, wird zunächst ein spezifischer, bedeutsamer Ausschnitt der Kulturdenkmal-Landschaft Niedersachsens betrachtet: das UNESCO -Welterbe Altstadt Goslar und Erzbergwerk Rammelsberg. Dieses Welterbe spiegelt die über tausendjährige Geschichte des Bergbaus und damit der Kultur-, Wirtschafts- und Umweltgeschichte wider und zeugt vom menschengemachten Wandel der Landschaft und der Entwicklung des Siedelns und Arbeitens.
Transformationen gehören untrennbar zur Geschichte von Denkmalen, doch in der Gegenwart stehen sie unter besonderem Veränderungsdruck: Die Auswirkungen des Klimawandels betreffen sie in höchstem Maße und sind für alle unzweifelhaft erkennbar. Andere laufende Transformationsprozesse – ökonomische, soziale, kulturelle – betreffen das Kulturerbe ebenfalls: Funktionsverluste, Anpassungen an neue Bedingungen und ein sich änderndes Verständnis von Erbe als materiell-räumliche und kulturelle Ressource beschleunigen den Wandel. Allerdings ist das Kulturerbe nicht nur ein »Geschädigter«, es regt auch Lösungen an – Denkmale sind per se Beispiele langlebiger Resilienz und Nachhaltigkeit durch hohe Anpassungsfähigkeit.
Die Denkmalpflege begleitet diese Transformationen konstruktiv, um die Objekte in ihrer Authentizität und ihren Qualitäten als Ressourcen zu bewahren. Hierfür ist es aber notwendig, historische und gegenwärtige Veränderungsdynamiken in ihrer Breite und Tiefe sowohl zu erkennen und zu quantifizieren als auch zu verstehen, um zukünftige Entscheidungen im praktischen Umgang zu unterstützen.

Goslar, Markt, 2022
Das Projekt zielt darauf, mit den durch einen Citizen-Science-Ansatz gewonnenen Bilddaten von ausgewählten Denkmalen und Ensembles eine Methodik zur Entwicklung von Werkzeugen für das Erkennen und Bewerten von Veränderungsdynamiken zu entwerfen und exemplarisch zu erproben. Die Denkmallandschaft des Welterbes in Goslar umfasst Denkmale der Bau- und Stadtbaugeschichte und ist nur als ein flächig ausgedehnter, über Jahrhunderte gewachsener »Raum« zu begreifen, weshalb das Projekt den Blick vom Einzelobjekt auf umfassendere Denkmallandschaften erweitern will.
So legt es methodische Grundlagen für die weitere Forschung, um zum Beispiel Auswirkungen des Klimawandels früher zu erkennen und um die ressourcenschonenden Potenziale des Kulturerbes, aber auch des gesamten Bestands, besser in die anstehenden Transformationsprozesse einzubringen.
MARKUS GERKE, COSIMA BERGER, CHRISTINA KRAFCZYK UND ULRICH KNUFINKE
Nordrhein-Westfalen, Landesteil Rheinland
Aktuelle Projekte zur Klimaanpassung in historischen Gärten
Gartendenkmäler sind durch die Auswirkungen des Klimawandels mit langanhaltenden Hitzeperioden, fehlenden Niederschlägen und sinkenden Grundwasserständen zunehmenden Veränderungen ausgesetzt. Hitze und Trockenheit haben zu einer deutlichen Minderung der Baumvitalität und zu vielfach flächenhaftem Verlust von Altbäumen geführt. Aufgrund dieser Schwächung nehmen Pflanzenkrankheiten und die Verbreitung von Schadorganismen zu.
Um privaten Eigentümer*innen historischer Gärten und Parks sowie den Verantwortlichen für Garten- und Parkanlagen in öffentlicher Hand fachliche Unterstützung in dieser Situation zu bieten, veranstaltete das LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland (LVR-ADR) zusammen mit weiteren Kooperationspartner*innen eine Fachtagung mit dem Titel »Dürre, Orkane, Starkregen – Perspektiven für historische Gärten im Klimawandel«. Rund 130 Interessierte aus dem Gebiet des Rheinlands nahmen am 24. Mai 2025 daran teil. Das Tagungsprogramm im Max-Ernst-Museum in Brühl umfasste Vorträge aus Forschung und Praxis sowie Führungen durch die benachbarte UNESCO-Welterbestätte Schlösser Augustusburg und Falkenlust, deren Gartenanlagen ebenfalls von den Klimafolgen betroffen sind.
In Brühl wird derzeit ein Projekt umgesetzt, das durch das Bundesprogramm »Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel« gefördert wird. Anlass für Anpassungsmaßnahmen sind die aktuell rasant zunehmenden Verluste im Waldbestand des historischen Tiergartens. Als Ergebnis der Fortschreibung der denkmalpflegerischen Zielstellung für die waldartigen Partien des Schlossparks wurde die Zeitphase Mitte 19. Jahrhundert als Zielebene definiert, belegt durch den sogenannten »Verschönerungsplan« von Peter Joseph Lenné (1789–1866) aus dem Jahr 1842. Ein landschaftlich gestaltetes Nebeneinander von geschlossenen Waldbereichen, für Durchsichten offene Wiesen und stark gebuchtete Waldränder sind die zeitgenössischen Gestaltungsmerkmale. Das großflächige Zusammenbrechen des Waldbestandes bietet nun die langfristige Chance einer Annäherung an das Leitbild. Hierzu wurden im Rahmen des Projekts in zwei Teilbereichen mustergültige Waldränder durch Freistellen von Einzelbäumen, Ergänzungspflanzungen und Wieseneinsaat aufgebaut. Ein weiteres Maßnahmenmodul hat exemplarische Verfahren zur Eichenförderung durch Naturverjüngung zum Gegenstand. Die Besonderheit des Projekts besteht darin, gartendenkmalpflegerische und naturschutzfachliche Belange in Einklang zu bringen, die dem gemeinsamen Ziel einer klimaangepassten Entwicklung und Sicherung des Parkwaldes dienen.
Neben diesem Projekt werden zwei weitere Vorhaben – Niederschlagsmanagement Schloss Benrath und Klimaneutrale Schloss- und Parkanlage Schloss Dyck – durch das Sachgebiet Gartendenkmalpflege des LVR-ADR fachlich begleitet, in denen Maßnahmen durch das oben genannte Bundesförderprogramm realisiert werden sollen.
Ein Forschungsprojekt der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf setzt sich mit Ersatzpflanzungen im Spannungsfeld zwischen gartendenkmalpflegerischer Zielstellung und Anpassungen an künftige klimatische Rahmenbedingungen auseinander. Dazu werden historische Gestaltungsprinzipien und Bepflanzungsmerkmale von fünf historischen Parkanlagen in NRW systematisch analysiert und unter Berücksichtigung der davon ausgehenden Bildwirkung möglichst entsprechende Ersatzpflanzungen entwickelt. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes wurden am 9. September 2025 im Rahmen eines Abschlusssymposiums in Düsseldorf präsentiert.
TOBIAS LAUTERBACH

Düsseldorf, Baumverluste im Schlosspark Benrath, 2022
Nordrhein-Westfalen, Landesteil Westalen-Lippe
Sakralbau, Atelier und Veranstaltungsort
Die Brunsteinkapelle in Soest blickt auf eine 700-jährige Nutzungsgeschichte zurück. Um 1320 bis 1400 ist der überlieferte Bau durch die Stiftungen mehrerer einander nachfolgender Patrizierfamilien geschaffen worden. Beispielhaft steht die in die Glocke der mittelalterlichen Kapelle eingelassene Inschrift DIE REFORMIERTE GEMEINDE BINNEN SOIST HABEN MICH UMBGIESEN LASSEN IM JAHR 1727 für die wechselvolle Nutzungsgeschichte des Baudenkmals: Interimslösungen, zeitweiliger Leerstand, erneute Instandsetzungen sowie Weiter- und Umnutzungen folgten im Laufe der Jahrhunderte aufeinander, es wechselten sich Patronate von Patriziergeschlechtern sowie kommunale und kirchlich-konfessionelle Verantwortlichkeiten miteinander ab.
Der vonseiten der Kirchen eingeleitete Strukturwandel führt zu neuen Herausforderungen für die kirchlichen Gemeinden. So stellen sie derzeit ihre Immobilien auf den Prüfstand; diejenigen, die künftig nicht mehr für die liturgischen, erzieherischen und karitativen Zwecke notwendig sind, sollen möglichst umgenutzt bzw. veräußert werden. Vor diesem Hintergrund ist die nun durch private Initiative auf den Weg gebrachte denkmalgerechte Restaurierung der Brunsteinkapelle ein positives Beispiel für Umnutzungen. In ihrer 700-jährigen Geschichte wurde die Brunsteinkapelle erstmals 1998 für nicht sakrale Zwecke genutzt, als der renommierte lokale Künstler Fritz Risken hier sein Atelier einrichtete. Folgerichtig wurde die Kapelle entwidmet. Schließlich trennte sich die evangelische St.-Petri-Pauli-Kirchengemeinde 2021 von der Brunsteinkapelle und verkaufte sie an einen privaten Eigentümer. Die Eigentümerfamilie widmete sich fortan mit hohem Engagement dem denkmalgeschützten Kleinod.
Vom Frühjahr 2023 bis Sommer 2024 fanden die Arbeiten zur aktuellen Umnutzung mit einem denkmalfachlich versierten Team statt. Die Bausubstanz und Ausstattung wurden denkmalgerecht restauriert und jüngere, nicht denkmalwerte Einbauten entfernt. Sodann wurden auch energetische Maßnahmen mit einem neuen Heizungssystem sowie eine an die Nutzung angepasste Lichttechnik eingebracht. Zudem waren zeitgemäße Funktionsräume (Sanitäranlagen, Teeküche, Stuhllager, Technik) außerhalb der Kapelle im bereits vorhandenen rückwärtigen Anbau einzurichten, der nun durch den einzubauenden zweiten baulichen Rettungsweg auch unmittelbar mit dem Kapellensaal verbunden wurde.
Derweil wurden die im Lehmboden eingebetteten Grab- und Gedächtnisplatten mit Inschriften und Familienwappen des 17. und 18. Jahrhunderts durch die Rückbauarbeiten wieder aufgedeckt. Sie nehmen nahezu die gesamte Fläche des Kapellenbodens ein.
Beim Einbau der Fußbodenheizung mit einem Estrich galt es einen Aufbau zu planen, der es weiterhin ermöglicht, dass die Grabplatten durch die Abdichtung des Bodens nicht durch einen Feuchtestau oder durch zusätzliches Gewicht Schaden nehmen. Dies gelang durch Drainagematten und Lüftungsschlitze. Einzelne Grabplatten sind weiterhin durch Sichtfenster im Boden zu sehen.
Mit der gelungenen baulichen Maßnahme im Innenraum wurde die letzte von ehemals 20 durch Patrizierfamilien gestifteten mittelalterlichen Kapellen in Soest für die nächste Generation aufgewertet und erneut in Nutzung gebracht. Im September 2024 öffnete die Brunsteinkapelle wieder die Türen für die Öffentlichkeit, die dort für Veranstaltungen wie Trauungen, Konzerte oder Lesungen Einlass findet.
BRUNO DENIS KRETZSCHMAR

Soest, Chor der mittelalterlichen Brunsteinkapelle nach Abschluss der Restaurierungsmaßnahmen, 2024
Rheinland-Pfalz
Modellprojekt zu Heritage Building Information Modeling
Mit der Einführung von Computer Aided Design (CAD) als Ablösung des Zeichenstiftes kam es zu einer ersten digitalen Revolution der Planungsprozesse. Die international bereits im Neubau etablierte und nun im Bestand ankommende digitale Planungsmethode Building Information Modeling (BIM) geht noch einen entscheidenden Schritt weiter: Ein Gebäude bzw. Kulturdenkmal wird als 3D-Modell erfasst und alle relevanten Daten zur Maßnahme werden an dieses angedockt, sodass bei BIM nur noch ein Datensatz existiert, in dem geplant und über den kommuniziert wird. Nach Abschluss der Arbeiten kann das BIM-Modell während der Nutzung des Gebäudes zudem als Wissensspeicher vorgehalten werden und so nicht nur als Grundlage für Facility Management oder spätere Veränderungen dienen, sondern auch für das in der Denkmalpflege und Welterbe relevante Monitoring hilfreich sein.

Für die Simulation unterschiedlicher Projektphasen wird die Synagoge in verschiedenen Anforderungsprofilen modelliert, 2025
Das durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderte Forschungsprojekt »HBIM – Wormser Synagoge. Heritage Building Information Modeling (HBIM) als Dokumentations-, Planungs- und Monitoringmethode zur Behebung von schädlichen Umwelteinflüssen am Beispiel des UNESCO - Weltkulturerbes Synagoge Worms« der Hochschule Mainz in Kooperation mit der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz Direktion Landesdenkmalpflege, dem Welterbesekretariat, der Stadt Worms und dem für die Wormser Synagoge zuständigen Architekturbüro soll an einem konkreten Fall die Anwendung von HBIM parallel zur konventionellen Planung erproben. Das Projekt verfolgt die Fragestellung, welche Rolle die auf dreidimensionalen Modellen beruhende Planungsmethode BIM bei der Instandsetzungsplanung unter Einbindung der involvierten Akteur*innen spielen kann. Projektziel ist es zu evaluieren, inwieweit HeritageBIM (HBIM) dazu beitragen kann, komplexe Schadensursachenfindung und Instandsetzung an einem zum Welterbe zählenden Kulturdenkmal zu unterstützen und somit eine Basis für die Erstellung von Empfehlungen zur Anwendung von HBIM zu liefern. Dabei werden die Anforderungen an das digitale Modell und die objektbezogenen Fachdaten aller beteiligten Fachdisziplinen erprobt und evaluiert. Für das Kulturdenkmal der Wormser Synagoge geht es dabei aber auch um die Integration diverser Informationen und Datenformate aus unterschiedlichen Quellen sowie Zeit- und Planungsabschnitten, mit dem Ziel, eine ganzheitliche Erfassung der Informationen aus dem Hoch- und Tiefbau, der denkmalpflegerischen Belange, der Bodenbeschaffenheit, der Topografie sowie dem Naturschutz zusammenzutragen. Daher stellt auch die modellhafte Analyse des digitalen Informationsmanagements und der objektbasierten Kommunikation eine wichtige Fragestellung im Projekt dar. Darüber hinaus soll analysiert werden, inwieweit denkmal- und welterbespezifische Anforderungen im Modell erfasst, abgebildet und zugänglich gemacht werden können.

Implementierung verschiedener Metadatenklassifizierungen und -eigenschaften im HBIM-Modell, 2025
Während die anstehenden Sicherungsmaßnahmen an der Synagoge bislang auf konventionelle Weise geplant werden, arbeitet das Forschungsprojekt parallel an der 3D-basierten Arbeitsweise mit einer modell-objektbasierten Kommunikation mittels HBIM. Dieser direkte Vergleich bietet eine einzigartige Möglichkeit, die Potenziale und Herausforderungen der innovativen Arbeits- und Planungsmethode HBIM aus dem Bauwesen hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit im Bereich der Erhaltung bedrohter Kulturdenkmäler zu analysieren. Eine Rückkopplung der modellhaften Ergebnisse in die Vereinigung der Denkmalfachämter der Länder erfolgt über die Arbeitsgruppe Historische Bauforschung schon während der Projektphase, die von Frühjahr 2025 bis 2027 angesetzt ist. Die Bilanz des Pilotprojekts soll zudem sowohl im Rahmen der denkmal-Messe 2026 als auch in einer Abschlussveranstaltung im Frühjahr 2027 vorgestellt werden.
JUTTA HUNDHAUSEN UND ALEXANDRA FINK
Saarland
Gut bedacht! Erneuerung einer komplexen Tragschale
Die Renovierungen von Dacheindeckungen sind im denkmalpflegerischen Alltag selten spektakulär. Bei Abdichtungen handelt es sich auch bei Bauwerken der Nachkriegsmoderne nahezu regelmäßig um die Erneuerung von bereits mindestens einmal erneuerten Abdichtungen, da die Standzeit solcher Systeme bei notwendiger Regelpflege nur selten mehr als 30 oder 40 Jahre beträgt und auch nicht durch partielle Reparaturen insgesamt spürbar verlängert werden kann.
Anders liegt der Fall, wenn das Dach selbst einer komplexeren Geometrie folgt und die zulässigen Traglasten der Konstruktion zudem streng limitiert sind. Die Sendehalle Europe 1 von 1954/55 in Berus wurde zuletzt in den Jahren 1980/81 grundlegend instandgesetzt (Abb. 1). Die Tragschale, in Anlehnung an ein hyperbolisches Paraboloid mit nur einer Symmetrieachse, war nach einem ersten Misserfolg (Bernard Lafaille, 1900–1956) durch Eugène Freyssinet (1879–1962) errichtet worden. Der Teileinsturz der Berliner Kongresshalle am 21. Mai 1980 veranlasste in Berus wie andernorts auch die zeitnahe Überprüfung vergleichbarer Konstruktionen. Pierre Xercavins (1926–2008), damals Chefstatiker der beauftragten Firma Freyssinet, veranlasste den Einbau neuer Querspannglieder sowie den Ausbau der Freyssinet’schen Spannlitzen aus der Tragschale und deren Ersatz durch unterseitige, außenliegende Spannglieder in fettgefüllten Plastikröhrchen (»torans graissés sous gaine plastique«). Damit einher ging die vollständige Nachberechnung des Daches und sein statischer Nachweis als Hängedach. Bei einer (hier vereinfacht) angenommenen Schneelast von 70 Kilogramm pro Quadratmeter wurde der Konstruktion eine Reserve von 100 Kilogramm sowie eine Belastung durch Dämmung und Abdichtung von maximal 30 Kilogramm pro Quadratmeter zugestanden.

Überherrn-Berus, Sender Europe 1, Ansicht von Osten, nach der Instandsetzung, 2025
Abweichend von Xercavinsʼ Vorschlag erfolgte jedoch kein oberseitiger Verguss mit Bitumen, sondern an seiner Stelle eine recht konventionelle Unterlage mit einer bitumösen Schweißbahn und Filzeinlage, gefolgt von einer ursprünglich ca. zehn Zentimeter starken Mineralfaserdämmung sowie einer doppelten Abdichtung mit beschieferter Bitumenschweißbahn. Diese galt es im Jahr 2024 zu erneuern, da sie nicht nur in der Oberlage brüchig war, sondern die Dämmung teilweise durchnässt und durch Wasser unterlaufen war. Ihre Entfernung war mithilfe von Druckluftschabern vergleichsweise unproblematisch. Die gleichzeitig durchgeführte systematische Überprüfung des Tragwerks bestätigte die Tauglichkeit der Sanierung von 1980/81 bei nur marginalem Reparaturbedarf.
Innerhalb der strengen Limite bei gleichzeitigem Wunsch nach einer Minimaldämmung, hoher Brandsicherheit sowie einer günstigen Umweltdeklaration wurde in einem aufwendigen bau- und denkmalfachlichen Planungsprozess eine 80 Millimeter starke Schaumglas-Dämmung gewählt, die über einer aufgeschweißten Vordeckbahn aufgrund der Dachneigungen nur kalt verklebt und vergossen werden konnte. Zwei hochpolymere Bitumenbahnen, davon die Oberlage als beschieferte Schweißbahn mit objektbezogener Sonderbestreuung, schlossen das System ab.
Die Ausführung (Juli 2024–Juni 2025) brachte zum Teil schmerzliche technologische Erfahrungen mit sich.
Dass ältere baurechtliche und planerische Daten fehlerhaft waren, stellte sich erst gegen Ende der Maßnahme heraus und belastete mit einer Erhöhung der Flächen um ca. 290 Quadratmeter auf nunmehr ca. 3.190 Quadratmeter Dachfläche den Kostenrahmen merklich. Auch dass der verwendete Kaltkleber nur bei Trockenheit und in einem deutlich eingeschränkten Temperaturfenster zwischen ca. 10° Celsius und 30° Celsius sinnvoll verwendet werden kann, stellte die Maßnahme zusätzlich vor besondere logistische Herausforderungen. Ein vorerst auf zehn Jahre angelegter Wartungsvertrag soll die Grundlage für die Langlebigkeit der gewählten Lösung legen.
RUPERT SCHREIBER
Sachsen
Nachnutzung und Vermittlung bedeutender Industriedenkmale
2025 jährt sich in Sachsen nicht nur das Denkmalschutzjahr, sondern auch die Ausrichtung der wegweisenden Wanderausstellung »Technische Kulturdenkmale« durch das Zentrale Institut für Denkmalpflege, Arbeitsstelle Dresden, dem vormaligen und heutigen Landesamt für Denkmalpflege Sachsen. 1955 regte die Ausstellung die Erhaltung zahlreicher technischer Denkmale an und motivierte viele Bürger*innen, sich ehrenamtlich um deren Erhalt zu kümmern. Seit 1975 wurden auch dank dieses ehrenamtlichen Einsatzes die Bezirksdenkmallisten um technische Denkmale ergänzt und bis heute wird die Kulturdenkmalliste um technische bzw. Industriedenkmale stetig erweitert. In der Region Chemnitz, Südwestsachsen, waren und sind besonders viele technische und Industriedenkmale erhalten, ist doch dieser Raum eines der ältesten Industriereviere Deutschlands. 1800 entstanden hier die ersten Spinnereien und im Verlauf des 19. Jahrhunderts erschloss die Strumpfwirkerei internationale Märkte. Mitte der 1920er Jahre stammten schließlich 75 Prozent der industriellen Weltstrumpfproduktion aus der Region Chemnitz. Eines von drei lokalen Zentren war Oberlungwitz, bis zur Verleihung des Stadtrechts 1936 ein typisches Industriedorf. Trotz Strukturwandel nach der Wiedervereinigung prägen bis heute zahlreiche industriegeschichtliche Zeugnisse das Ortsbild. Eine zentrale städtebauliche Dominante bilden die zwei benachbarten Erweiterungsbauten der Strumpfproduzenten ROGO (Robert Götze, Oberlungwitz) und FTO (Friedrich Tauscher, Oberlungwitz) aus den späten 1920er Jahren. Zwischen kleinteiliger zweigeschossiger Wohnbebauung ragen hier der sechsgeschossige expressionistische Klinkerriegel der Firma Tauscher (1927/28) und der siebengeschossige, deutlich sachlichere Bau der Firma Götze (1927–1929) mit zehngeschossigem Treppen- und Aufzugsturm auf.

Oberlungwitz, Hofer Straße 32, Fabrikerweiterung ROGO, Blick nach Westen, um 1930
Die Firma Götze hatte vor dem Zweiten Weltkrieg 1.800 Beschäftigte, bei Tauscher waren es 1.000 Beschäftigte. 1949 erfolgte der Zusammenschluss beider Firmen zum VEB Feinstrumpfwerke Oberlungwitz (FSO). Mit der Privatisierung der FSO ab 1990 wurde der Standort zum Versandlager. Nach langem Leerstand hat der neue Eigentümer im Sommer 2025 erste Ideen zur Teilumnutzung für Wohnen und Gewerbe vorgestellt.

Oberlungwitz, Hofer Straße 32, Fabrikerweiterungen FTO und ROGO, Blick nach Osten, 2025
Trotz Publikationen und Portalen wie Industrie.Kultur.Ost und TOPO-MOMO besteht für beide Fabriken noch Vermittlungsbedarf. So wird seit Jahren eine teilweise irrige Architektenzuschreibung kolportiert, obwohl der Werdegang der Unternehmen Götze und Tauscher bereits 2008 an der TU Bergakademie Freiberg aufgearbeitet wurde (Verfasser: Randy Kämpf, heute Kurator in Zwickau). Der zuerst begonnene, sechsgeschossige Erweiterungsbau der Firma Tauscher wurde nachweislich vom Chemnitzer Büro Luderer & Schröder geplant, das zuvor schon für beide Unternehmen tätig gewesen war. Der Tauscher-Neubau entstand als 25 Meter hoher, fast 60 Meter langer Riegel mit dunkler Klinkerfassade, 25 Achsen und expressiven Elementen wie Zierverbänden und kleinteiligem, figürlichem Bauschmuck.
Für das Nachbarunternehmen Götze war erst 1923 ein fünfgeschossiges Produktionsgebäude mit konventioneller Putzfassade fertiggestellt worden. Als ostseitiger Anbau an die sogenannte Graue Fabrik entstand 1927–1929 nach Plänen von Friedrich Wagner-Poltrock (1883–1961) der Siebengeschosser in lebendig hell- bis braunrot changierendem Klinker: die Rote Fabrik. Diese Fabrikerweiterung in Oberlungwitz steht zeitlich zwischen drei bedeutenden Bauten Wagner-Poltrocks in Chemnitz und markiert in seinem Werk den Übergang vom Expressionismus zum Neuen Bauen (vgl. online: LfDS, Architektur der Moderne in Sachsen, Dresden 2018, S. 14–19).
JÖRG SEIFERT UND KONSTANTIN HERMANN
Sachsen-Anhalt
Graue Platten am Grünen Band
Nach dem weitgehenden Abbruch der DDR-Grenzsicherungsanlagen ab Herbst 1989 ist der Kolonnenweg vielerorts das einzig sichtbare Sachzeugnis des Grenzregimes an der ehemaligen innerdeutschen Grenze, die heute als »Grünes Band« das Land durchzieht. Für die Grenztruppen hatte die Trasse, die Teil eines weitverzweigten Wegenetzes im Grenzgebiet war, wichtige Funktionen: Begleitend zum Verlauf der vorderen Sperranlagen und in der Regel mit Betonplatten angelegt, diente sie dem schnellen Einsatz bei Patrouillenfahrten. Darüber hinaus war sie verbindendes Element zwischen den baulichen Anlagen des Grenzregimes sowie die Zuwegung bei Ausbau und Wartung der Grenzanlagen. Sie war somit fester, militärtaktischer Bestandteil des Sperrsystems.
Auf dem Gebiet Sachsen-Anhalts, an dessen Westgrenze sich die DDR-Grenzlinie auf ca. 343 Kilometer erstreckte, ist der Kolonnenweg insgesamt auf rund 50 Prozent seiner ursprünglichen Länge anhand der historischen Wegebefestigung erkennbar. Er zeugt über weite Strecken vom Ausmaß des menschenfeindlichen Sperrsystems und visualisiert anschaulich die Trennlinie zwischen beiden deutschen Staaten und den großen Machtblöcken des Kalten Krieges.
Für die Erinnerungslandschaft des Nationalen Naturmonumentes (NNM) Grünes Band Sachsen-Anhalt nimmt der Kolonnenweg eine besondere Rolle eine – als konstituierendes Element legt sein Verlauf die räumliche Begrenzung des Schutzgebietes fest. Aufgrund seines besonderen geschichtlichen, technisch-wirtschaftlichen und städtebaulichen Zeugniswerts ist der grenznächste Kolonnenweg in Sachsen-Anhalt seit 2024 in das Denkmalverzeichnis eingetragen. Abschnitte mit erhaltener Wegebefestigung sind Baudenkmal und Bodendenkmal zugleich. Trassenabschnitte, in denen die Wegebefestigung rückgebaut wurde, sind Bodendenkmal – hier ist davon auszugehen, dass der frühere Verlauf noch über negative Abdrücke und/oder über die Gründung der Wegebefestigung im Boden nachvollziehbar ist.
Mit seiner Unterschutzstellung stellt sich die Frage nach dem denkmalgerechten Umgang mit seinen noch historisch befestigten Wegeabschnitten, die mitunter stark zugewachsen sind und Beschädigungen durch verpresste und/oder gebrochene Betonplatten aufweisen. Nach dem »Grüne-Band-Gesetz Sachsen-Anhalt« ist die Nutzung des NNM Grünes Band und damit auch des Kolonnenweges für die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft sowie die Jagd und Hege »nach den Grundsätzen der guten fachlichen Praxis« zulässig. Vor allem die immer größeren und schwereren Nutzfahrzeuge stellen jedoch eine zunehmende Belastung für die teils 50 Jahre alte Wegebefestigung dar. Daneben nimmt der Nutzungs- und Veränderungsdruck durch die zunehmende touristische Erschließung des Grünen Bandes (insbesondere durch den Radverkehr) zu, für die allein schon die (Loch-)Betonplatten eine Herausforderung darstellen.

Kolonnenweg mit erhaltener Plattenbefestigung bei Osterwieck, OT Bühne, Landkreis Harz, 2025
Um den Kolonnenweg als wesentlichen Bestandteil der Erinnerungslandschaft Grünes Band und als in seiner Gesamtheit längstes Kulturdenkmal in Sachsen-Anhalt authentisch zu erhalten, soll nun mit Blick auf die verschiedenen Zustände, Nutzungsformen und Zuständigkeiten ein denkmalgerechtes und praxistaugliches Konzept zu seiner Instandsetzung, Unterhaltung und nachhaltigen Nutzung entwickelt werden.
SARAH SCHRÖDERUND ANNA SWIEDER

Halle-Neustadt, Frauenbrunnen von Gerhard Lichtenfeld, 2025
Vermittlung von Denkmalwerten DDR-zeitlicher Architektur
Von Januar bis August 2025 unterhielt das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt unmittelbar vor Ort eine Stelle zur Vermittlung der Denkmalwerte Halle-Neustadts. Das Projekt sollte vor allem dem direkten Austausch mit den Bewohner*innen des Stadtteils dienen. Thematisch waren keine engen Grenzen gesetzt; im Mittelpunkt sollten die Erfahrungen und Erinnerungen der Bürger*innen stehen.
In dem heutigen Stadtteil ist trotz der Abrisse nach 1990 immer noch ein bedeutender Bestand integrierter Wohn-, Gesellschafts- und Versorgungsbauten erhalten, ausgestattet mit baugebundener Kunst und eingebettet in gestaltete Freiflächen. Nach wie vor ist der städtebaulich formulierte Anspruch einer auf die Bedürfnisse der Bewohner*innen gerichteten Stadt ablesbar. Ebenso ablesbar ist aber auch die teilweise Preisgabe dieser Idealvorstellung einer Stadt vor allem in den 1980er Jahren.
Die Idee für ein Gesprächsangebot vor Ort entstand im Denkmal-Forum Ost, einem seit 2023 von den Denkmalfachämtern Thüringens, Sachsens, Sachsen-Anhalts, Brandenburgs, Mecklenburg-Vorpommerns und Berlins betriebenen Austauschformat. Angesichts der herausfordernden Aufgabe der Erhaltung und Nutzung von gesamthaft geplanten Städten wie Halle-Neustadt sind die Vermittlung denkmalfachlicher Aspekte und in gleichem Maße die Einholung des Meinungsspektrums der Bewohner*innen wichtig.
Die Vermittlungsstelle war mindestens an einem Tag pro Woche besetzt. Hinzu kamen zahlreiche individuelle Termine, unter anderem für einen Workshop sowie für studentische Veranstaltungen und andere, gesondert vereinbarte Treffen und Führungen. Um auch während der Schließzeiten Anregungen zu bieten, wurde das Schaufenster regelmäßig neu gestaltet, vor allem mit Fotografien aus den 1970er und 1980er Jahren, aber auch mit Kopien historischer Pläne und Pressetexte.
Das Angebot wurde sehr gut angenommen. Pro Öffnungstag wurden durchschnittlich zehn Gespräche geführt, meist mit einzelnen Personen, seltener mit Gruppen. Durchweg beeindruckten das Selbstbewusstsein, der Humor und die aus Lebenserfahrung gewonnene Gelassenheit, mit der die Bürger*innen mit der oft nicht einfachen Situation des sich stark verändernden Stadtteils umgehen. Kritisiert wurden der Umgang mit den gärtnerisch gestalteten Freianlagen sowie die mangelnde Sicherheit und Sauberkeit im Stadtteil.
Als nach wie vor wichtige Qualitäten werden die vielen Grünanlagen, die kurzen Wege, die Einkaufsmöglichkeiten, die gute medizinische Infrastruktur und auch gute nachbarschaftliche Verhältnisse benannt. Viele Bewohner*innen erleben Halle-Neustadt als Stadtteil, der zwar Probleme hat, aber dennoch ein angenehmes Lebensumfeld bietet – wobei die Identifikation vor allem der älteren Menschen mit der Stadt und ihrer Geschichte nach wie vor enorm hoch ist.
VOLKER SEIFERT UND JASMIN HEINRICH
Schleswig-Holstein
Kleinodien der katholischen Diaspora
Die systematische Inventarisierung der katholischen Kirchen der Nachkriegszeit, die im Rahmen eines mit einer Stelle besetzten Projektes 2024/25 im Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein realisiert werden konnte, führte zur Entdeckung und zum Schutz bisher unbekannter Kulturdenkmale. Mit ihnen verbunden ist die Geschichte zahlreicher Menschen katholischen Glaubens, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Geflüchtete in das Bundesland kamen.
1939 existierten auf dem heutigen Gebiet Schleswig-Holsteins insgesamt 42 katholische Kirchenstandorte, 31 davon waren Missionsstationen. Ab dem Ende der 1940er Jahre entstand mit finanzieller Unterstützung des Bonifatiuswerkes ein immer dichter werdendes Netz von rund 120 katholischen Kirchenbauten. Auf meist gespendeten Grundstücken wurden oft in der Peripherie der Städte zunächst kleine, äußerlich eher unscheinbare Kirchen errichtet. Sie folgten zu Beginn dem von Otto Bartning (1883–1959) aus Holzträgern und Abbruchmaterial entwickelten Notkirchenprogramm der evangelischen Kirche (Christus König in Marne, St. Konrad in Nortorf), später vermehrt der von dem katholischen Architekten Georg Lippsmeier (1923–1991) für Kirchenbauten in der Diaspora empfohlenen moderneren Bauweise aus Betongelenkträgern (St. Gertrud in Niebüll, St. Ansgar in Flensburg-Mürwik, St. Ansgar in Heiligenhafen). Während sich die frühen Bauten noch stark an traditionellen Kirchenbautypen orientierten, wurden die Entwürfe ab den 1960er Jahren freier und vielfältiger in der Formensprache. Hier spielte die in der katholischen Kirche geführte Debatte zur Teilhabe der Gemeinde an der Messe eine wesentliche Rolle, die auch in den Beschlüssen des Zweiten Vatikanums (1962–1965) verschriftlicht sind. Zu nennen sind die von Lippsmeier 1966/67 über deltoidförmigem Grundriss aus Betonfertigteilen errichtete Kirche St. Martin in Rendsburg und die von Paul Johannbroer (1916–1985) entworfenen Kirchen in Flensburg Weiche (St. Michael) und Glücksburg (St. Laurentius). Ab den 1970er Jahren wurden verstärkt Gemeindezentren errichtet, als Neubauten oder durch Erweiterungen bestehender Kirchen. Beteiligt waren neben anderen Architekten Karlheinz Bargholz (1920–2015) und Werner Feldsien (1923–2023) sowie Künstler wie zum Beispiel Franz Griesenbrock (1916–2010), Paul Brandenburg (1930–2022) und Johannes Beeck (1927–2010). Sie schufen in der Diaspora atmosphärische Kirchenräume von hoher Qualität, deren Glasfenster diese Räume selbst bei trübem Wetter erstrahlen lassen.
Auch im Norden Deutschlands geht die Zahl der Kirchenmitglieder seit vielen Jahren deutlich zurück. Infolge der gleichzeitig sinkenden personellen und finanziellen Mittel wurde 2021 im Erzbistum Hamburg eine Vermögens- und Immobilienreform (VIR) ins Leben gerufen, in deren Folge aktuell eine große Anzahl katholischer Kirchenbauten profaniert werden soll. Zur Dokumentation der Geschichte der katholischen Kirchen in der Diaspora Schleswig-Holstein und zum Schutz denkmalfähiger und -würdiger Kirchenbauten wurden diese durch das Landesamt für Denkmalpflege in kooperativer Zusammenarbeit mit dem Bistum und den Pfarreien primär erfasst und bewertet. So konnten die Kulturdenkmale geschützt und Planungssicherheit in dem angestoßenen Prozess geschaffen werden. Nun stehen etwa 30 Prozent der erfassten katholischen Kirchenbauten in Schleswig-Holstein unter Denkmalschutz. Sie werden weiterhin als sichtbare Zeichen von der Geschichte der katholischen Diaspora in Schleswig-Holstein und ihrer starken Gemeinschaft zeugen.
MAIKE FELDMANN UND JUDITH LEY

Neustadt in Holstein, Katholische Kirche St. Johannes, Georg Lippsmeier, 1960/61, Aufnahme 2025
Thüringen
Ein romanischer Typenbau
Die Kirche St. Kilian in Ottenhausen gehört zu einer kleinen Gruppe romanischer Saalkirchen, die sich vor anderen Kleinkirchen dieser Zeit durch ihre beachtliche Größe und vor allem die beiden Türme im Osten auszeichnet. Durch eine bauhistorische Untersuchung konnten jüngst offene Fragen zu der ursprünglichen Gestalt des Bauwerks geklärt werden. Die so gewonnenen Erkenntnisse erbrachten auch für die beiden anderen Vertreter dieses ungewöhnlichen Bautyps in Thüringen, nämlich die Trinitatiskirche von Bad Tennstedt und die Kirche St. Gangloff in Gangloffsömmern, erhellende Einsichten und sind darüber hinaus für die Typengeschichte romanischer Kleinkirchen von allgemeiner Bedeutung.
Der romanische Ursprung der Kirche gibt sich besonders bei den Biforien der oberen Turmgeschosse zu erkennen. Die Details des Mauerwerks und der Schmuckformen sprechen für eine Entstehung in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts; eine dendrochronologische Datierung von Rüsthölzern ergab 1132/33 (d). Zu den Besonderheiten der Kirche gehört, dass beide Türme in den Untergeschossen einst gewölbt und über knapp vier Meter hohe Bögen sowohl zum Saal nach Westen wie zum Chor hin geöffnet waren. Aufgrund dieser Gegebenheit lässt sich für den romanischen Saal ein dreiteiliges Sanktuarium mit einem Hauptaltar in der Mitte und seitlichen Nebenaltären in den Turmuntergeschossen rekonstruieren. Anstelle des heutigen gotischen Chorpolygons ist aufgrund des erhaltenen romanischen Chorbogens eine Halbrundapsis anzunehmen.

Ottenhausen, Kirche St. Kilian, Blick von Süden, 2025
Aus der Wölbung der Altarräume ergibt sich die Frage, wie einst die Obergeschosse der Türme zu erreichen waren. Da an den Türmen sowohl Mauertreppen wie auch bauzeitliche Außenzugänge fehlten – die jetzige Erschließung über eine von außen zu erreichende Treppe im Nordturm ist nachträglich –, kann der Zugang nur von innen erfolgt sein. Die Klärung dieser Frage ergab sich aus der Kombination von Befunden an den drei oben genannten Vertretern dieses Bautyps und besteht in einem Durchgang vom Dachraum des Saals in den Bereich über dem Hauptchor. Von hier gab es eine Verbindung in einen der Türme, von dem aus wie üblich über Treppen bzw. Leitern der Aufstieg in die Glockengeschosse ermöglicht wurde.

Bad Tennstedt, Kirche St. Trinitatis und Ottenhausen, Kirche St. Kilian, Rekonstruktion der romanischen Saalkirchen, 2025
Das Vorbild für die ungewöhnliche dreiteilige Chorform mit Türmen über den Nebenaltären war die Erfurter Peterskirche. Dieser 1103 begonnene Großquaderbau war ein Muster der zeitgenössischen Reformarchitektur nach Hirsauer Vorbild. Die Tatsache, dass in diesem Fall die beiden Osttürme aber erst kurz vor 1115 infolge eines Planwechsels hinzukamen, verdeutlicht deren besonderen Symbolwert.
Die Übernahme eines im Großkirchenbau verankerten Elements bei Landkirchen muss daher erstaunen und lässt nach den Hintergründen seiner Rezeption fragen. Da das Peterskloster sowohl in Ottenhausen wie in Gangloffsömmern Besitzungen hatte und darüber hinaus mit Reinhardsbrunn ein weiteres Zentrum der Kirchenreform in Ottenhausen begütert war, ist ein direkter Einfluss zu vermuten. Erstaunen aber mag darüber hinaus, dass sich die drei Landkirchen nicht nur in der Anlage, sondern auch in den Maßen weitgehend entsprechen. Es scheint, als handele es sich um einen standardisierten Bautyp, der für eine gewisse Zeit und für eine bestimmte Funktion verwendet wurde. Eine weitergehende Untersuchung dieser Zusammenhänge steht noch aus.
RAINER MÜLLER
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Abbildungsnachweis:
1, 2: Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg. — 3, 4: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, David Laudien. — 5, 6: Landesdenkmalamt Berlin, Anne Herdin. — 7: Brandenburgisches Landesdenkmalamt, Thomas Drachenberg. — 8: Historische Bauwerke Strauß und Fischer GbR Krefeld und Bremen, Kartierungsgrundlage von IMANI GmbH Dresden. — 9: Büro Westphal Architekten BDA. — 10: Denkmalschutzamt Hamburg, Frank & Michaela Becker Fotografie. — 11: Stadt Alsfeld. — 12: Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Patricia Roth. — 13: Archiv der Hansestadt Lübeck, 8.10–52. — 14: Amt für Kultur, Denkmalpflege und Museen der Hansestadt Rostock, Peter Writschan. — 15: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Carina Wehrstedt. — 16: Landschaftsverband Rheinland-Amt für Denkmalpflege im Rheinland, Tobias Lauterbach. — 17: Landschaftsverband Westfalen-Lippe-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen, Eva Zepp. — 18, 19: Heritage BIM Worms Workshop, Architekturinstitut der Hochschule MAINZ/Karol Argasiński 2025 (CC-BY-NC-SA). — 20: Landesdenkmalamt des Saarlandes, Marco Kany. — 21, 22: Stadtarchiv Oberlungwitz, O. Zienert / Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, Jörg Seifert. — 23, 24: Landesdenkmalamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Sarah Schröder und Volker Seifert. — 25: Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein, Cornelia Fehre. — 26, 27: Thüringisches Landesdenkmalamt, Rainer Müller und Lennox Schädel.
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